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Das Vaticanum II - der Schritt in die Moderne?
02.03.2013, 22:33
Beitrag: #4
RE: Das Vaticanum II - der Schritt in die Moderne?
Es geht los! Die erste Folge zum Probelesen. Ich verweise auch gleich auf meine anderen Serien, die vertiefend dazu sind.

1. Zeitgeschichtlicher Hintergrund

In der Kirchengeschichte gibt es einige Punkte, an denen man das Gefühl hatte, an dem Ende einer Sackgasse zu stehen. Das war sicherlich auch der Eindruck am Ende des ersten Vatikanischen Konzils am 20. Oktober 1871. Zwar versuchte Pius IX (Pontifikat von 1846 – 1878) das Konzil bei der Entlassung noch mit dem Versprechen der Weiterführung um Weihnachten 1871 zu Ende zu bringen, allerdings fielen am Tag später die Italiener in den Kirchenstaat ein und somit wurde dieses Versprechen uneinlösbar. Insgesamt war das Konzil eine Schwächung der konziliaren Struktur der katholischen Kirche. War vorkonziliar nur dem Konzil selbst die Unfehlbarkeit in der Lehre des Glaubens vorbehalten, so wurde nun der Papst als Lehramtliche Autorität an höchste Stelle gerückt. Mit dem Jurisdiktionsprimat und des Unfehlbarkeitsdogma steht ab 1871 dem Papst also zu, außerordentlich Glaubenswahrheiten zu lehren und diese für den katholischen Glauben unbedingt verbindlich zu machen. Diese Entwicklung war durchaus auch die Folge des kulturellen Rückzugs der Kirche, die nach innen hin mehr und mehr die theologische Macht auf eine Person bündeln wollte, das aber auch aus Sicht der Papstreuen, den sogenannten Ultramontanen (siehe meine Serie), die einzige Antwort auf den Druck von der weltlichen Macht.

Die Kirche schlitterte regelrecht durch diese Zeit, die Modernistenkrise ist für das den Bruch zwischen Welt und Katholizismus ein deutliches Symptom. Auf der einen Seite stehen Intellektuelle, die die Theologie an die Methodik der Zeit anpassen wollten, da sie sicher auch erkannt haben, dass der recht diktatorische und befehlende Ton der Neuscholastik eher Spott und Unbehagen der Kirchengegner auf sich lenkt, zum anderen, das der klassische scholastische Gedanke, dass Wissen und Glauben sich auch im Spannungsfeld nicht widersprechen dürfen eine ungeahnte Renaissance erlebt hat. Geht das erste Vatikanum noch davon aus, dass die Offenbarung Gottes von jedem uneingeschränkt erkannt werden muss, und dieses durch das einpauken von Behauptungen und ihrer in sich stringenten Argumentation (Kennzeichen der Neuscholastik) forciert werden muss, nehmen die Modernisten so langsam an, dass der Glaube nur eine Seite des Zugangs zur Welt ist. Die Aufmerksamkeit der Theologie als Wissenschaft verändert sich nun also dahingehend, dass historisches und Naturwissenschaftliches Wissen neben dem Glauben steht und der Glaube nicht der absolute Wert ist, zu dem der Mensch befähigt ist. Diese Ansichten werden bis zum Ende des zweiten Weltkrieges (1945) noch lange verurteilt. Offiziell wird davon gesprochen, dass die Wissenschaften Mark und Bein der Theologie seinen, also nur ein erheblicher Teil, der der Theologie zuarbeitet. Zudem wächst nebenher das Bewusstsein, dass die katholische Kirche eigentlich auch Produkt ihrer Geschichte ist, und deswegen – und auch im Zuge mit der Geschichtswissenschaft Schritt zu halten – die historisch-kritische Methode in der Schriftauslegung anzuwenden und die Bibel, sowie kirchliche Argumentationen, Dekrete und Lehren mit jeweiligem Blick auf die Entstehungszeit auszulegen. Auch diese Methode wird vom Lehramt abgelehnt und als Irrtum verurteilt, da nach damaliger Sicht das Wort Gottes absolut gilt und für alle Zeiten bestehen bleibt.
Die beiden Weltkriege, der Erste (1914 – 1918) und der Zweite (1939 – 1945) brannten sich tief das Gedächtnis der Kirche ein. Auch der Umgang mit der Kirche innerhalb der Diktaturen in Italien (1922 – 1943 unter Benito Mussolini) und Deutschland (1934 – 1945 unter Adolf Hitler) wirkt wie eine offene Wunde. In der jungen Bundesrepublik Deutschland ist eine Wut über beide Großkirchen entbrannt, da sie nur punktuell Widerstand leisten und sich – rein offiziell – mit Konkordaten zu Staatspartner machten. Zudem war vor allem auf Seiten der katholischen Kirche der Schock über die eigene Ohnmacht deutlich anzumerken. Der Klerus versuchte im Dritten Reich der moralischen Pflicht durch Weltflucht zu entgehen, man habe sich schließlich theologischen und damit automatisch wichtigeren Dingen zu beschäftigen. Das war der traurige Höhepunkt bzw. der Tiefpunkt der Entwicklung des sog. Ghettokatholismus. Nun war unweigerlich spürbar, dass diese Weltflucht und das deutliche Ignorieren der Entwicklung der Welt nicht mehr zu dem führen kann, was man sich unter sittlichen Leben im Diesseits als Christ vorstellt. Es ist allerdings symptomatisch für die Nachkriegszeit, dass derartige Gedanken zunächst nur hinter vorgehaltener Hand gedacht worden sind. Der Wiederaufbau und der rasche wirtschaftliche Aufschwung ließ kaum zu, auf populärer Ebene sich darüber Gedanken zu machen. Nun wurde aus der Bundesrepublik die Leistungsgesellschaft, philosophische Gedanken sind eher störend und werden sogar als unwirtschaftlich zurück gewiesen. Das katholische Milleu ging dabei völlig unter hatte aber bis dorthin auch nicht mehr mit viel Kritik zu kämpfen, da politisch vorerst die Aussöhnung mit den westdeutschen Nachbarn auf der Agenda stand. Erst Mitte 1967 werden die Gedanken daran wieder belastender, da die Studentenbewegung die Aufklärung und Aufarbeitung der Diktatur anstößt und als nachkommende Generation die endgültige sittliche Befreiung davon forderte.

Allgemein kann sagen, dass die zeitgeschichtliche Umstände des zweiten Vatikanischen Konzil zu einer massiven Aufbruchstimmung geführt hat. Für die Kirche schien der Weg aus kultureller Bedrängnis aus dem laizistischen Frankreich, dem leistungsorientierten Deutschland und der zunehmenden Kritik, der aus dem mangelnden Widerstand im Dritten Reich erwächst, nur damit, die Brüche, die sich zwischen der Welt und der Kirche ereignet haben mit einer Änderung des Glaubens gebunden. Da die Kirche diese Krisen überstanden hat, ist davon auszugehen, dass man allgemein den Rahmen für Glauben und theologisches Arbeiten weiter legen muss und dass es unmöglich geworden ist, die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zu ignorieren und sie mit dem Glauben der Kirche ausspielen zu wollen. Der Holocaust in Deutschland führte weltweit auch zu einem Umdenken im Umgang mit Andersgläubiger. Dieses geistesgeschichtliche Phänomen erhielt auch in der Kirche massiven Einzug. Es wuchs der Optimismus die Kirche und den katholischen Glauben mit einer Anpassung, Papst Johannes XXIII wird es auf dem Konzil „einen Sprung vorwärts“ nennen zu retten. Tatsächlich wird er das Konzil auch programmatisch dahin lenken, dass man sich „mit Eifer und ohne Furcht der Aufgabe widmet die unsere Zeit erfordert“. Eine Einsicht, die möglicherweise viel früher Leid, Kritik und religiöse Verbitterung vermindern hätte können.

Literatur:

Denzler, Georg: Das Papsttum. Geschichte und Gegenwart. München, 2009.

G/Geschichte 4/12. Sehnsuchtsjahre. Die 50er und 60er.

http://www.kathpedia.com/index.php?title...hes_Konzil

Vorlesung Dr. Babara Henze, Freiburg. (Skript liegt nicht vor)

Wer die Vergangheit nicht achtet, dem kann es die Zukunft kosten

"Im übrigen, mein Sohn, lass dich warnen! Es nimmt kein Ende mit dem vielem Bücherschreiben und viel studieren ermüdet den Leib!" Kohelet 12,12
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RE: Das Vaticanum II - der Schritt in die Moderne? - WernerS - 02.03.2013 22:33

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