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Urheimat der Indoeuropäer
07.12.2014, 00:07
Beitrag: #81
RE: Urheimat der Indoeuropäer
Leichtes Speichenrad + Pferdezähmung waren m.E. die entscheidenden Erfindungen. Gemacht in der Steppe. Die Megalithiker schleppten ihre Brocken noch auf Schlitten per Hand oder mit Ochsen.

„Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein)
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07.12.2014, 00:28
Beitrag: #82
RE: Urheimat der Indoeuropäer
War das jetzt 'ne Zeitangabe oder der angesprochene Antrieb für den fortschreitenden Elitetransfer ...?

Was hältst du von der zeitlichen Analyse (2003) von Russell D. Gray u. Quentin D. Atkinson bezüglich des Beginns der Ausbreitung des Indogermanischen?

--> http://www.nature.com/nature/journal/v42...02029.html

ich seh da nicht viel, aber vielleicht hast du da ein Abo oder noch einen Zugriff über die Uni...?


Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte.
Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon, wollen balde kommen.
– Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen!

Eduard F. Mörike (1804-1875)
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07.12.2014, 13:17
Beitrag: #83
RE: Urheimat der Indoeuropäer
(05.12.2014 11:21)Bunbury schrieb:  Ich könnte mir gut vorstellen, ohne jetzt große Beweise zu haben, daß sich die Lebensbedingungen im genannten zeitraum in erheblichem Umfang veränderten. Ich denke jetzt nur an die Orkneys, wo es ja eine Hochkultur gab, die ca. 2300 v Chr. plötzlich verschwand. Die Siedlungen wurden einfach aufgegeben, die Menschen wanderten nach Süden, was darauf hindeutet, daß hier vielleicht tatsächlich ein Klimawandel oder ein Vulkanausbruch, der zur Abkühlung des Klimas führte, stattgefunden hat.

Das ist durchaus denkbar. Was im Einzelnen geschah, kann man nur erahnen. Zu etwa dieser Zeit gab es klimatische Veränderungen, die aber nicht an allen Stellen zu den gleichen Effekten geführt haben. Man bringt diesen kleinen Klimawandel z.B. mit dem Ende des Alten Reichs in Ägypten und dem Niedergang des Akkadischen Reichs in Mesopotamien in Verbindung. Wie das im Gebiet der Orkneys aussah, kann man wahrscheinlich nur schlecht nachvollziehen. Erhöhte/erniedrigte mittlere Temperaturen oder weniger oder mehr Niederschlag - keine Ahnung. Dazu müsste man wahrscheinlich Klimadaten von genau dieser Region haben.
Hier nur mal ein (nicht verifiziertes) Temperaturdiagramm mit Kurven aus unterschiedlichen Regionen, welches auch das in Frage kommende Subboreal umfasst, wobei die hellblaue Kurve (schwer zu unterscheiden vom grün) grönländische Temperaturen - aus einem grönländischen Eiskern gewonnen - widerspiegeln, was den Orkneys wohl am nächsten kommt. Das wäre der negative Peak genau über dem letzten 'm' von 'Klimaoptimum'. Ob und wie dieser Abzug der Orkneyurbevölkerung in irgendeinem Zusammenhang mit einer Indogermanisierung stand, kann ich absolut nicht einschätzen. Zu der Zeit haben sie ja noch ein altes vorkeltisches Idiom gesprochen.

[Bild: Holocene_Temperature_Variations_German.png]
(Bild: Global Warming Art auf WikiCommons)


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07.12.2014, 16:01
Beitrag: #84
RE: Urheimat der Indoeuropäer
Wie gesagt, es nur der Anfangspunkt einer Vermutung.
Das Zusammenbrechen der Neolithkultur an jenem Zeit und in jenem Raum ist erwiesen, was danach passierte, ist spekulation.
Man hat es aber mit Kulturen zu tun, die ziuvor in einem bestimmten Landstrich erfolgreich war, und deren Population daher auch enorm gewachsen ist. Auch das beweisen die Funde.
Wenn diese Menschen abwandern mußten, weil das Klima schlecht wurde, mußten sie in südliche Richtungen wandern, wo aber schon Menschen waren, deren Populationen ihrerseits gewachsen waren.
Deswegen, so meine Überlegung, fällt die Ausbreitung der indoeuropäischen Sprache vielleicht mit jender Zeit zusammen, als es zum ersten Mal so war, daß Menschen nicht in weitestgeehend "leere" oder dünn besiedelte Landstriche wanderten (auch Nischen), sondern wirklich großflächig Konkurrenz um Boden und Lebensraum bestand, was zu einer ganz anderen Art des Umgangs miteinander führen mußte.
Für diese andere Art fehlten dann in den alten Sprachen vielleicht einfach die Worte- und die Ursprache der Indoeuropäer lieferte sie.

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07.12.2014, 16:29
Beitrag: #85
RE: Urheimat der Indoeuropäer
@Bunbury, ganz so haut das nicht hin. Sonst würden wir heute Finnisch sprechen.

Der Laden war auch schon in der Altsteinzeit voll, jede Gründerpopulation erreicht ihre maximale Dichte in 3-4 Generationen, also fast sofort. Also musste man irgendwelchen Nachbarn ans Bein pieseln.

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07.12.2014, 17:10
Beitrag: #86
RE: Urheimat der Indoeuropäer
(06.12.2014 19:47)Avicenna schrieb:  Wie ich schon schrieb, glaube ich nicht an eine physische Expansion von "Urindoeuropäern" bzw. dem massenhaften Wandern von Sprechern eines urindogermanischen Dialekts.

Hüten muss man sich vor der Vorstellung, indoeuropäische Kriegerscharen hätten auf breiter Front Europa überrannt. Das ist heute vom Tisch und ins Reich der Fantasy zu verweisen. Vielmehr muss man sich ein allmähliches Einsickern indoeuropäischer Sprachträger in mehreren Wellen vorstellen, die keineswgs flächendeckend waren. Nachdem Indoeuropäer in einigen Gebieten ihre Sprache und Teile ihrer Kultur durchgesetzt hatten, wurden auch andere ethnische Gruppen "indoeuropäisiert". So breitete sich ein indoeuropäischer Formenkreis großräumig aus, ohne dass indessen überall ethnisch originäre Indoeuropäer am Werk waren.

Der Sprachwissenschaftler Harald Haarmann meint, es hätte u.a. auch ein Elitetransfer stattgefunden, ähnlich wie bei der Romanisierung Europas: Herrschaftsträger brachten römische Kultur und Sprache, die einheimischen Eliten übernahmen das, weil sie auch künftig an der Macht bleiben wollten - und weil die neue "Mode" schick war. Ein ähnliches Szenario ist hinsichtlich der Ausbreitung indoeuropäischer Sprachen und Kulturen denkbar.

(06.12.2014 19:47)Avicenna schrieb:  Ich halte es da mehr mit der Herangehensweise von Alexander Häusler, auf den du ja auch schon verwiesen hast, und seiner Sicht eines autochthon entstandenen indogermanischen Sprachkontinuums in großen Teilen Europas.

Das ist ein durchaus plausibles Szenario. Es bleibt dabei die Frage, wie sich indoeuropäische Sprachen von Europa bis nach Indien ausbreiten konnten. Keine Sprache verbreitet sich allein durch Kulturkontakte über solche Entfernungen. Rein geografisch gesehen ist ein Raum wahrscheinlicher, der zwischen Vorderindien und Europa liegt - und da wären wir dann wieder bei einem Ausgangszentrum in den Gebieten nördlich des Schwarzzen und Kaspischen Meers.

Verwirrend ist, dass alle Hypothesen Pferdefüße haben und somit keine bislang auf ungeteilte Zustimmung der Fachwissenschaft gestoßen ist.

(06.12.2014 19:47)Avicenna schrieb:  Mit der matrilinearen Lebensweise eines "friedlichen Alteuropas", wie sie von Marija Gimbutas postuliert wurde und auf der ihre Kurganhypothese aufsetzt, kann ich mich einfach nicht anfreunden. Dann schon eher mit Teilen der Anatolien-Hypothese von Renfrew, obwohl diese in der Forschung mehr als umstritten ist und als überholt gilt.

Die Mär von den "friedlichen" Ackerbauern des neolithischen Europas ist längst Legende und wird heute nicht mehr ernsthaft vertreten. Richtig ist allerdings, dass diese bäuerliche Bevölkerung überhaupt nicht die Möglichkeit hatte, über weite Entfernungen Invasionen voranzutreiben. Das machten Steppenreiter mit Pferden und kräftiger Bewaffnung, deren Gesellschaft hierarchisch gegliedert war. Die jungsteinzeitlichen Bauern hingegen waren auf ihr Dorf und ihre Felder fixiert, es gab einen Dorfältesten und damit hatte sich das. Wenn du so willst, war das also eine weitgehend erzwungene Friedlichkeit, herrührend aus den gesellschaftlichen und ökonomischen Gegebenheiten.

Die Anatolien-Hypothese von Renfrew passt chronologisch nicht zur Ausbreitung der Indoeuropäer. Zwischen der Ausbreitung der frühen Ackerbauern und der (vermuteten) Ausbreitung der Indoeuropäer liegen etwa 2000 bis 3000 Jahre! Renfrew hat daher sein Modell inzwischen modifiziert und abgeschwächt. Ernsthaft in der Diskussion ist es nicht mehr. Gegenwärtig gibt es nur noch zwei Hypothesen, die ernsthaft diskutiert werden:

1. Indoeuropäer = indigene Bevölkerung Mittel- und Osteuropas.

2. Ausgangsraum der Indoeuropäer Südrussland mit Stoßrichtung nach Ost und West.
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07.12.2014, 19:03
Beitrag: #87
RE: Urheimat der Indoeuropäer
"Pferdefüße" im wahrsten Sinne, @Dietrich. Weil ich das Pferd für entscheidend in der ganzen Diskussion halte.

...und da gucken wir doch mal, wo es nach der Eiszeit diese Tierchen noch herdenweise gegeben hat. Jedenfalls nicht in Anatolien oder weiter südwärts.Wink

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07.12.2014, 19:09
Beitrag: #88
RE: Urheimat der Indoeuropäer
"Friedlich" ist spätestens seit Eulau passé. Und dass schon die Trichterbecherleute begonnen haben, ihre Siedlungen zu befestigen, spricht auch eine deutliche Sprache. Der Wissenstransfer von Megalithbauten einerseits und Landwirtschaft andererseits lief auch schon bei den Trichterbecherleuten, also vor den Indogermanen, quer durch Europa.

Was für die "Eliten-Übernahme"-Theorie spricht - die im Falle der Indogermanen eher Waffentechnik, Metallverarbeitung und neue landwirtschaftliche Techniken betreffen dürfte - ist, dass es das auch schon früher gab: Wieder mal die Trichterbecherleute haben Steinäxte gemacht, die exakt den Bronzeäxten nachgebildet waren, die es im Mittelmeerraum schon gab - inklusive den kleinen Stutzen und Nähte, die beim Gießen der Bronze in Formen übrigbleiben!

VG
Christian
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07.12.2014, 21:40
Beitrag: #89
RE: Urheimat der Indoeuropäer
Ohne große Erwartung auf wirklich neue Informationen werfe ich beide Fragestellungen doch noch einmal ins Rennen.
Kann oder will mir keiner darauf antworten? Wird das als zu trivial oder naiv abgetan?

(07.12.2014 00:28)Avicenna schrieb:  Was hältst du von der zeitlichen Analyse (2003) von Russell D. Gray u. Quentin D. Atkinson bezüglich des Beginns der Ausbreitung des Indogermanischen?

--> http://www.nature.com/nature/journal/v42...02029.html

ich seh da nicht viel, aber vielleicht hast du da ein Abo oder noch einen Zugriff über die Uni...?

(06.12.2014 23:27)Avicenna schrieb:  In dem Zusammenhang habe ich eine Frage. Inwieweit gibt es einigermaßen gesicherte Erkenntnisse über den zeitlichen Ablauf der Indogermanisierung? Wäre ein solcher Ablauf dann auch auf ein bestimmtes Modell bzw. eine bestimmte gerade gängige Ausbreitungshypothese bezogen oder unabhängig davon. Das wäre ja schon irgendwie wichtig.


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07.12.2014, 21:55
Beitrag: #90
RE: Urheimat der Indoeuropäer
(07.12.2014 16:29)Arkona schrieb:  @Bunbury, ganz so haut das nicht hin. Sonst würden wir heute Finnisch sprechen.

Wieso finnisch? Ganz ernsthaft und interessehalber.

Ich glaube ja nicht, daß die Nordländer ihre Sprache in den Süden transportiert haben. Darum geht es gar nicht.
Sondern eher um so etwas wie, daß man plötzlich Worte für Dinge brauchte, die vorher im Leben nicht notwendig gewesen waren. (Vielleicht so etwas wie "Brandschatzen" "Überfallen". Auch wenn as naütrlich alles ganz furchtbare Klischees sind und eher der Verdeutlichung dienen sollen) Und dann kamen da ein paar (Vor)- Indogermanen und hatten die gebrauchten Worte imGepäck- und schon verbreitete sich die Sprache ziemlich schnell... Salopp gesprochen...

(07.12.2014 16:29)Arkona schrieb:  Der Laden war auch schon in der Altsteinzeit voll, jede Gründerpopulation erreicht ihre maximale Dichte in 3-4 Generationen, also fast sofort. Also musste man irgendwelchen Nachbarn ans Bein pieseln.

mag sein. Aber egal, wieviel Menschen schon vorher da waren, wenn noch welche dazu kamen, verschärften sich die Konflikte... Die maßnahmen wurden vielleicht drastischer. Ans Bein pieseln reichte dann nicht mehr...

An eine friedliche Steinzeit glaube ich auch nicht. Aber ich glaube daran, daß der Mensch dazu neigt, immer aggressiver zu werden, je dichter er sich auf der Pelle hockt... Und daß eine Verdichtung der Gesellschaft immer eine Änderung der Gesellschaft zu Folge hat.

Wenn nur ein Fakrot entscheidend gewesen wäre- also z,B, der Faktor Pferd- hätte sich nur das Vokabular rund ums Thema Pferd verändert. Es ist aber sehr viel weitreichender und muss deshlab für eine tiefgreifende gesellschaftliche Veränderung stehen... Daß die allein daran lag, daß das Pferd dazu kam.... Nein, das leuchtet mir nicht ein. Das Pferd mag ein "Werkzeug" gewesen zu sein, um eine neue gesellschaftliche Vorstellung transportiren zu können. Aber diese Vorstellung muss schon vorher dagewesen sein.
Ansonsten hätte man einfach das Pferd vor den Pflug gespannt und alles wäre weiter gegangen wie bisher...

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08.12.2014, 13:07
Beitrag: #91
RE: Urheimat der Indoeuropäer
@Arkona:
du machst ja das Pferd für die Ausbreitung der Indoeuropäer bzw ihrer Sprache verantwortlich, wenn ich das richtig verstanden habe.

Was war aber deiner Meinung nach die Hauptmotivation für die ersten Pferdezähmer, mit dieser "Waffe" experimentieren zu wollen?
Ich meine, es sind doch nicht ein paar Typen an ein paar Pferden vorbeigekommen und haben sich einfach mal so gesagt "Die zähmen wir jetzt mal und unterwerfen die ganze Welt".
Man hat doch zuerst eine Vorstellung davon, was man vorhat- und dann erst schaut man, welches Werkzeug dafür zur Verfügung steht.
Was also war die urpsüngliche Motivation?
Größere Entfernungen zurücklegen wollen vielleicht? Wenn ja, warum könnten sie das gewollt haben?

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08.12.2014, 15:13
Beitrag: #92
RE: Urheimat der Indoeuropäer
(07.12.2014 21:40)Avicenna schrieb:  Ohne große Erwartung auf wirklich neue Informationen werfe ich beide Fragestellungen doch noch einmal ins Rennen.
Kann oder will mir keiner darauf antworten? Wird das als zu trivial oder naiv abgetan?

[quote='Avicenna' pid='41043' dateline='1417904913']
Was hältst du von der zeitlichen Analyse (2003) von Russell D. Gray u. Quentin D. Atkinson bezüglich des Beginns der Ausbreitung des Indogermanischen.


Zur Hypothese von Gray u. Atkinson sagt der Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Peter Schrijver im Eurasischen Magazin:

Zitat:Gegen diese Thesen gibt es aber starke Einwände. Zwar ist es möglich,mit den Methoden der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft eine relativeChronologie aufzustellen, nach der bestimmt werden kann, ob im Laufeder Zeit eine Änderung vor oder nach anderen Änderungen stattgefundenhaben muß. Eine absolute Chronologie mit sprachwissenschaftlichenMitteln zu bestimmen ist jedoch unmöglich ...

Um die Ausgliederung des Indogermanischen (sowie jeder anderen Sprachfamilie)absolut datieren zu können, muß die Sprachwissenschaft mit anderenDisziplinen zusammenarbeiten. Der letzte Versuch von Gray und Atkinson in dieserHinsicht ist leider gescheitert.

http://www.eurasischesmagazin.de/artikel...lID=121003

Nach wie vor findet die Anatolien-Hypothese von Colin Renfrew - auch in modifizierten Form - vielfach keine Zustimmung. Gray und Atkinson können sie nach Ansicht vieler Sprachwissenschaftler auch mit ihrer Glottochronologie nicht stichhaltig untermauern. Bei der alten Tante Wiki lese ich ergänzend:

Zitat:Renfrews Hypothese erfuhr vermeintliche Unterstützung durch Stammbaumberechnungen zweier neuseeländischer Forscher (R. Gray und Q. Atkinson 2003, 2012) auf der Grundlage extrem fehlerhafter Swadesh-Listen von 103 indogermanischen Sprachen, mit Methoden der Bioinformatik unter glottochronologischen Annahmen. Vor allem die extrem frühe Ausgliederung der anatolischen und tocharischen Sprachen beruht ausschließlich auf der Fehlinterpretation von auf unserer geringen Kenntnis beruhenden Lücken und nicht erkannten Entlehnungen als natürliche und berechenbare Wandel in der Zeit. Auch ist die berechnete Ausgliederung der Anatolischen Sprachen ca. 6500 v. Chr. in Anatolien aus einem dort angeblich noch 2000 Jahre verbleibenden (!) Rest-Indogermanisch nicht nachvollziehbar.

(07.12.2014 21:40)Avicenna schrieb:  "Pferdefüße" im wahrsten Sinne, @Dietrich. Weil ich das Pferd für entscheidend in der ganzen Diskussion halte.

Die Ausbreitung indoeuropäischer Sprachen und ihrer Sprachträger hat komplexe Ursachen und kann nicht allein auf den Einsatz von Pferden aufseiten der indoeuropäischen Einwanderer zurückgeführt werden. Es müssen noch einige Dinge hinzukommen: so vermutlich eine aggressivere Mentalität, der die Ackerbauern nicht standhielten; auch ein hierarchisches Gesellschaftssystem, wie es bei Steppenreitern üblich ist, und das ein plan- und druckvolleres Vorgehen erlaubt; und natürlich eine bessere Bewaffnung.- Alles Eigenschaften, wie wir sie stets bei Reiter- und Hirtenvölkern aus asiatischen Steppengebieten vorfinden, unter denen ackerbauende Völker seit eh und je litten.

Aber natürlich kann es auch ganz anders sein: indigene Völker Mittel- und Osteuropas waren Träger indogermanischer Dialekte seit dem Mesolithikum. Der Ostflügel machte sich irgendwann auf die Reise nach Osten - sei es durch Klimakatastrophen, Missernten usw. -, wo im Verlauf von 1000 Jahren und mehr Kleinasien, der Iran und Indien erreicht und indoeuropäisiert wurden.

Das behauptet zumindest der Archäologe Alexander Häusler, der eine "indogermanische Invasion" zum Mythos erklärt.

http://www.nomadsed.de/fileadmin/user_up...eusler.pdf

http://www.uni-leipzig.de/~diffint/index...view/36/23
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08.12.2014, 18:57
Beitrag: #93
RE: Urheimat der Indoeuropäer
Danke, für deine Ausführungen und den Link zum Eurasienmagazin, Dietrich. Mit Schrijver und seiner Kritik werde ich mich auseinander setzen müssen, genau wie mit den Arbeiten von Gray u. Atkinson im Speziellen. Von den beiden kenne ich bisher nur die Summary aus dem Nature-Artikel von 2003. Aber es scheint ja auch aktuellere Arbeiten von 2012 geben. Mal sehen, ob man da noch was auftreiben kann.
D.h., ich werde versuchen zu verstehen, was die dort getrieben haben, soweit man das mit problemlos zugänglichen Informationen erreichen kann.

Denn bei einem bin ich mir ziemlich sicher - auf eine solche Aussage sollte man bei diesem Thema erstmal nicht viel geben -> "Der letzte Versuch von Gray und Atkinson in dieser Hinsicht ist leider gescheitert"
Denn alle Akteure dieser Forschungsrichtung werfen sich gegenseitig Fehler, Inkompetenzen, falsche methodische Ansätze und Schlimmeres vor.

Die angeführte Arbeit von Häusler kenne ich - zumindest in groben Zügen - und sie ist mir v.a. deshalb sympathisch, weil darin einmal ein sehr guter Überblick mit Für u. Wider über die unterschiedlichen Sichtweisen und die Ansätze in der Methodik geliefert wird und zweitens seine eigene Sicht, die doch leicht anders geartet ist, wie die der meisten seiner Kollegen.

Egal, mit Sympathien allein, kommt man der Wahrheit aber bekanntlich auch nicht näher und deshalb interessieren mich die Ergebnisse von Gray und Atkinson, weil das etwas substanziell Neues wäre. Eine chronologisch völlig neue Sicht. Von daher auch meine Frage nach der Unabhängigkeit der gängigen chronologischen Betrachtungsweisen bei der Indogermanisierung.


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08.12.2014, 19:52
Beitrag: #94
RE: Urheimat der Indoeuropäer
"Pferdefüße" im wahrsten Sinne, @Dietrich. Weil ich das Pferd für entscheidend in der ganzen Diskussion halte.

Ja, dazu stehe ich. Wer das beherrschte, war Gottvater bei allen Völkern ringsum.

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08.12.2014, 21:12
Beitrag: #95
RE: Urheimat der Indoeuropäer
(08.12.2014 19:52)Arkona schrieb:  "Pferdefüße" im wahrsten Sinne, @Dietrich. Weil ich das Pferd für entscheidend in der ganzen Diskussion halte.

Ja, dazu stehe ich. Wer das beherrschte, war Gottvater bei allen Völkern ringsum.

Na, jetzt hast du das ja auch wieder ins rechte Licht gerückt. Ja, es war von dir und diese Meinung will dir auch keiner wegnehmen, besonders heute nicht ...Wink


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09.12.2014, 10:36
Beitrag: #96
RE: Urheimat der Indoeuropäer
(08.12.2014 19:52)Arkona schrieb:  "Pferdefüße" im wahrsten Sinne, @Dietrich. Weil ich das Pferd für entscheidend in der ganzen Diskussion halte.

Ja, dazu stehe ich. Wer das beherrschte, war Gottvater bei allen Völkern ringsum.

Das heißt- für dich ist die Urheimat der Indoeuropäer der Ort, an dem das Pferd gezähmt wurde?


Allein das Pferd reicht aber dennoch nicht aus, um zu erklären, warum die Sprache der Eroberer - wenn es denn so war- sich überall durchsetzte. Die Normannen eroberten England, aber die französische Sprache blieb dem Adel vorbehalten- im Volk setzte sie sich nie durch.

Warum also das indoeuropäische?

Und nochmal- wie kamen die ersten Pferdezähmer denn auf den gedanken, das Pferd zu zähmen? Oder besser- warum?
Die Aggressivität, die von den ersten Reitervölkern ausging dürfte eine Folge der Beherrschung des Pferdes gewesen sein- Macht berauscht bekanntlich- ebenso wie die Ausbildung von Hierarchien- wer ein Pferd besaß, war etwas, wer keines besaß, war nichts, auch wenn sich da zunächst auf Gruppen bezogen haben dürfte- aber der Eroberungswillen stand gewiss nicht am Anfang der Pferdezähmung. Was also war der Anfang?

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09.12.2014, 14:37
Beitrag: #97
RE: Urheimat der Indoeuropäer
Das Pferd kam eben nur in der Steppe vor, diese übellaunigen Biester zu zähmen war eine große Leistung. In China, Mesopotamien (Mitanni) oder Ägypten (Hyksos) konnte man militärisch nichts dagegensetzen. Die überannten alles. Man darf annehmen, dass es in den schriftlosen Gebieten Eurasiens vor 4000 Jahren nicht anders lief.

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09.12.2014, 16:33
Beitrag: #98
RE: Urheimat der Indoeuropäer
(08.12.2014 18:57)Avicenna schrieb:  Danke, für deine Ausführungen und den Link zum Eurasienmagazin, Dietrich.

Gern! :Smile

(08.12.2014 18:57)Avicenna schrieb:  Egal, mit Sympathien allein, kommt man der Wahrheit aber bekanntlich auch nicht näher und deshalb interessieren mich die Ergebnisse von Gray und Atkinson, weil das etwas substanziell Neues wäre. Eine chronologisch völlig neue Sicht. Von daher auch meine Frage nach der Unabhängigkeit der gängigen chronologischen Betrachtungsweisen bei der Indogermanisierung.

Eins scheint ziemlich klar zu sein: Angesichts überaus dürftiger oder fehlender archäologischer Belege dürfte das Indogermanenproblem auf unabsehbare Zeit ungelöst bleiben. Man kann höchstens für sich entscheiden, welche Hypothese einem am wahrscheinlichsten erscheint - mehr nicht.

Was die Anatolien-Hypothese von Colin Renfrew angeht, so stammt sie aus den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, ist also auch nicht brandneu. Gray und Atkinson haben später lediglich versucht, diese Hypothese anhand ihrer Glottochronologie zu erhärten, was aber bekanntlich bei der Forschung nicht auf ungeteilte Zustimmung stieß.

Mir leuchtet nach wie vor der Ansatz von Marija Gimbutas und ihrer Kurgan-Hypothese ein, der vor wenigen Jahren vom US-Archäologen David Anthony modifiziert wurde (David Anthony: The Horse, the Wheel, and Language: How Bronze-Age Riders from the Eurasian Steppes Shaped the Modern World. Princeton University Press, Princeton 2007)

Plausibel erscheint mir das aufgrund der geografischen Situation indoeuropäischer Sprachen von Mitteleuropa bis Indien. Nimmt man da eine Mitte zwischen beiden Flügeln als Ausgangspunkt an, lässt sich die Expansion indoeuropäischer Sprachträger am einfachsten erklären. Ob man allerdings die Expansion an Kurganhügeln festmachen kann, ist zweifelhaft. Ebenfalls erstaunlich wäre, dass eine sicherlich nicht große Bevölkerungsgruppe in Südrussland in der Lage sein soll, einen so gewaltigen Raum zu indoeuropäisieren - auch wenn man einen "Elitetransfer" postuliert.

Aber wie gesagt: Alle Hypothesen haben Schwächen, die man nicht wegdiskutieren kann.
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10.12.2014, 11:47
Beitrag: #99
RE: Urheimat der Indoeuropäer
Das Buch von Anthony liegt auf meinem Kindle. Eigentlich plausibel und er ist sehr konkret bei seiner "Urheimat". Heutige Ukraine. Er erfindet das Reiten vor dem Wagen, was ich anders sehe.

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10.12.2014, 15:47
Beitrag: #100
RE: Urheimat der Indoeuropäer
Weil die Frage auch kam. Natürlich spielt auch die ganze Gesellschaft eine Rolle. Patriarchalisch, im Besitz von Rad, Pferd und Metall sowie auf Krawall gebürstet. Das waren beste Voraussetzungen, sich über fast ganz Eurasien zu verbreiten. Geografische Hindernissse gibt es nicht zwischen Karpaten und Altai, die Steppenautobahn. Anscheinend haben die Vorfahren der Türken und Mongolen das alles von den frühen Indoeuropäern gelernt. Parzinger verlegt die Wurzeln der iranischen Skythen ins tiefste Sibirien (Tannu-Tuwa), ob er damit richtig liegt kann man diskutieren.

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