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Protestantismus
03.12.2013, 14:35
Beitrag: #2
RE: Protestantismus
Die Antwort ist nicht einfach, da eine Kunst- bzw. Geschichtsepoche mit einer Religion verglichen werden soll. Das Gemeinsame ist, dass sowohl die Renaissance als auch der Protestantismus nach neuen Wegen suchten bzw. neue Ideen und Werte vorgaben, mit dem Ziel, die alte mittelalterliche Lebensweise zu überwinden. Der wesentliche Unterschied ist, dass die Renaissance bzw. der mit ihr eng verbundene Humanismus sich auf das Irdische beschränkte, also nach Wegen suchte, um die Situation des spätmittelalterlichen Menschen im Diesseits zu verbessern. Luther dagegen, versuchte das Verhältnis des Menschen zu Gott neu zu regeln, seine Lehre war auf das Jenseits ausgerichtet und sollte die Menschen spirituell erneuern. In diesem Punkt sehe ich keinen Widerspruch zwischen Renaissance und Protestantismus, es sind zwei unterschiedliche Auseinandersetzungen mit dem damaligen Weltbild.

Die Renaissance hat ihre Ursprünge in Italien, wobei es auch Ansichten gibt, ähnliche Entwicklungen im Herzogtum Burgund ebenfalls als Renaissance zu bezeichnen. Bei dieser Betrachtung lasse ich allerdings die Entwicklungen in Burgund unberücksichtigt.

Als Zeit der Renaissance wird im Wesentlichen nur das 15. und das 16. Jahrhundert betrachtet, wobei es regionale Unterschiede gibt. Mit dem Sacco di Roma 1527 endete praktisch die politische Renaissance in Italien, die künstlerische dauerte noch ca. 30 bis 40 Jahre, ehe sie vom Manierismus und Frühbarock abgelöst wurde. Die Grundlagen der Renaissance wurden bereits im späten 13. und im 14. Jahrhundert – der so genannten Prä- oder Vorrenaissance – gelegt. Ich nenne hier nur Namen wie Giotto, Dante, Petrarca, Boccaccio oder Marsilius von Padua. Aber es gab nicht nur italienische Humanisten wie z.B. die Engländer Roger Bacon oder William von Ockham beweisen.

Diese geistige Erneuerung entstand meines Erachtens als Widerstand gegen das allzu mächtig gewordene, das gesamte gesellschaftliche Leben dominierende Papsttum, dessen Korruption und Nepotismus spätestens mit Gregor IX. oder Innozenz IV. offenbar wurde und mit Bonifaz VIII. einen ersten moralischen Tiefpunkt erlebte, dem mit den Auszug der Päpste nach Avignon ein zweiter folgte. Diese Entwicklung des Papsttums bereitete vielen Theologen, Philosophen und auch Politikern Sorge, neben dem mittelalterlichen Kaisertum scheint auch das Papsttum als zweite universelle Macht ausgedient zu haben.

Eine gesellschaftliche Erneuerung konnte sich in Italien durchsetzen, weil in den Städten die Kaufmannschaft bzw. die Bankiers stark genug waren, die politische Macht nicht nur in den Städten sondern auch im Umland zu übernehmen. Das lag einerseits daran, dass der alte italienische Adel infolge des Ghibellinen-Guelfen-Konfliktes ausgeblutet war, andererseits auch daran, dass der Landadel in die sicheren Städte zog und als Stadtadel mit der Kaufmannschaft zu einer neuen aufstrebenden Klasse verschmolz. D.h. im 14. und vor allem 15. Jahrhundert verloren die alten Adelsfamilien ihre Macht, sie wurden durch eine neue Oberschicht ersetzt. Diese neue Oberschicht setzte sich aus Familien zusammen, die nach mittelalterlicher Denkweise eine recht zweifelhafte Herkunft hatten. Das betraf vor allem die Nachkommen von Papstnepoten, Kardinälen und von Päpsten selbst, aber auch von Söldnerführer oder Kaufleuten/Bankiers.

Deren Macht war stets gefährdet, da sie nach mittelalterlicher Denkweise Usurpatoren waren. Diese fehlende mittelalterliche Legitimität ist auch ein Grund dafür, dass ein Teil dieser Familien wieder unter fadenscheinigen Begründungen entmachtet werden konnte, wie z.B. die Sforza. Das Dilemma, in dem sich die neue italienische Oberschicht befand, war diesen Familien bewusst. Aus diesem Grund förderten sie Gelehrte, Wissenschaftler und Künstler, die ihre Machtstellung festigen und vor allem propagieren sollten. Auch hier kann Ludovico il Moro Sforza, Herzog von Mailand, als Paradebeispiel angesehen werden, der z.B. Leonardo da Vinci mehrere Jahre förderte. Begünstigt wurde diese Entwicklung auch, weil seit dem Anfang des 15. Jahrhundert aus Byzanz viele Bücher oder Codices nach Italien in Sicherheit gebracht wurden. Dieser Wissenstransfer beschleunigte die geistige Entwicklung in Italien, das Gedankengut der Antike wurde neu interpretiert.

Schließlich setzte sich im 15. Jahrhundert die Vormacht der fünf Staaten Rom, Venedig, Florenz, Mailand und Neapel (italienische Pentarchie) durch, denen es gelang, ein politisches Gleichgewicht in Italien zu erringen. Diesen fünf Staaten gelang es in den meisten Fällen, nach kurzen kriegerischen Handlungen schnell diplomatische Lösungen zu finden. Praktisch herrschte zwischen den italienischen Staaten von 1454 bis 1494 Frieden, der die wirtschaftliche Entwicklung Italiens begünstigte.

Innenpolitisch sah das nicht so einfach aus. In Rom kämpften alte Familien wie die Orsini, Colonna, Caetano oder Farnese untereinander oder gegen Papstnepoten wie die Borgia, della Rovere/Riario, Cibo, die alle von Bankiers wie den Medici oder Chigi unterstützt worden. In Venedig achteten die Familien eifersüchtig aufeinander, in Florenz wurde die Herrschaft der Medici in dritter Generation von der Bürgerschaft beargwöhnt, als der unfähige Piero der Unglückliche die Macht übernehmen wollte, brach die Medici-Herrschaft zusammen. In Mailand folgte den Visconti, ehemalige kaiserliche Beamte, Francisco Sforza, ein Söldnerführer und im Königreich Neapel und Sizilien herrschte Ferrante von Aragon, ein unehelicher Sohn des Königs von Aragon gegen starke Barone wie die Sanseverino u.a.
All diese Familien waren gezwungen, ihre erreichte Macht zu propagieren, denn sie waren auf Bündnisse und Partnerschaften angewiesen. Aus diesen Gründen förderten auch die Päpste Künstler wie Michelangelo oder Raffael. Und die Errichtung eines Bauwerkes wie der Dom St. Peter und Paul diente anfänglich auch nur diesem Zweck.

Kommen wir zu Luther. Luther war Augustiner, war beeinflusst von John Wyclef und Jan Hus, die wiederum von den offiziellen und häretischen Armutsbewegungen des 12./13. Jahrhundert inspiriert wurden. Wenn man mal außer Acht lässt, dass John Wyclef durchaus von William von Ockham oder Roger Bacon Kenntnis hatte oder beeinflusst worden ist, kann man davon ausgehen, dass Luther wenig oder gar nicht von den Humanisten, insbesondere den italienischen Humanisten beeinflusst worden ist. Ich denke, dass ihm Girolamo Savonarola näher war als z.B. die beiden in Florenz wirkenden Humanisten Giovanni Pico della Mirandola oder Marsilio Ficino waren. Luther war zwar kein Asket, aber er war als Anhänger einer einfachen Lebensführung ein Gegner des gezeigten Reichtums der katholischen Kirche und somit der Propagierung ihrer Macht im Sinne der italienischen Renaissance. Das ist ein Gegensatz zwischen Renaissance und Protestantismus.

Warum konnte sich der Protestantismus in Italien nicht ansatzweise durchsetzen? Meiner Meinung liegt das auch an der seit dem 13./14. Jahrhundert neu herausgebildeten Oberschicht, die sich ja zum Teil auch aus Nachkommen von Papstnepoten oder Päpsten herausgebildet hat. Im 19. Jahrhundert sollen 75 % der Adligen Päpste oder deren Verwandte als Vorfahren gehabt haben. Ketzerisch möchte ich behaupten, dass der jenseitig ausgerichtete, auf Einfachheit bedachte Protestantismus nicht der Lebensweise der Italiener entsprach. Sie hatten einfach mit dem Humanismus und der Renaissance eine diesseitige, lebensfrohe und Pracht entfallende Alternative gefunden, die ihrer Lebensweise besser entsprach.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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