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Frankreich und die "unseligen Könige" im 14. Jahrhundert
01.05.2014, 23:23
Beitrag: #1
Frankreich und die "unseligen Könige" im 14. Jahrhundert
Da Maxdorfer mit Karl II. den Bösen, König von Navarra und Graf von Evreux (1332–1387) eine sehr interessante historische Figur im Forum-Rätsel vorgestellt hat, möchte ich in diesem Artikel auf die so genannten "unseligen Könige" in Frankreich hinweisen. Den Begriff "unselige Könige" entlehnte ich der gleichnamigen Romanreihe von Maurice Druon, da er passend für die Krise des Königtums in Frankreich ist. Karl der Böse muss in diesem Zusammenhang auch gesehen werden.

Avicenna war ja schon recht nah an der Lösung, als er Philipp IV., den Schönen als Kandidaten für den Gesuchten vorschlug. Denn mit seiner Eheschließung mit Johanna I. von Navarra aus der Familie der Grafen von Blois und Champagne sollte der Grundstein einer zukünftigen Vereinigung des Königreichs Frankreich mit dem Königreich Navarra, aber auch der Grafschaft Champagne gelegt werden. Nach Johannas Tod im Jahre 1305 wurde der damalige Dauphin Ludwig - der spätere Ludwig X., der Zänker (1289–1316) - König von Navarra und Graf von Champagne. Im gleichen Jahr heiratete er Margarete von Burgund (1292–1315), Tochter des Herzogs von Burgund und Enkelin von Ludwig IX., den Heiligen.

Ludwig und Margarete hatten nur eine gemeinsame Tochter, die spätere Johanna II. von Navarra (1311–1349). Bekannt ist sicher, dass im Jahr 1314 der französische König Philipp IV. den letzten Großmeister Jacques de Molay auf dem Scheiterhaufen verbrennen ließ. Weniger bekannt dagegen ist, dass Philipp – möglicherweise auf Anraten seiner Tochter Isabella – ebenfalls im Jahr 1314 seine drei Schwiegertöchter Margarete von Burgund und die Schwestern Johanna († 1330) und Blanka von Burgund († 1326), beides Töchter des Pfalzgrafen von Burgund – die eine mit dem späteren Philipp V. (1292–1322), die andere mit dem späteren Karl IV. (1295–1328) verheiratet, verhaften und einsperren ließ. Margarete und Blanka sollten Ehebruch mit den zwei Rittern Gautier und Philippe d’Aunay begangen haben, Johanna war Mitwisserin und sicherte die Treffen ab. Da beide Ritter unter Folter gestanden, mit den beiden Prinzessinnen sexuell verkehrt zu haben und dies auch nicht vor ihrer Hinrichtung widerriefen, blieben Margarete und Blanka in Haft, während Johanna Ende 1314 freigelassen wurde und zu ihrem Gatten zurückkehren durfte, der sich mit ihr wieder versöhnte. Ein Grund dafür war sicher auch, dass Philipp mit dem baldigen Ablebens von Johannas schwerkranken Bruder Robert rechnete. 1315 trat schließlich dieser Fall ein, Johanna wurde Pfalzgräfin von Burgund.

Tragischer war das Schicksal der beiden anderen Frauen. Nachdem Philipp IV. Ende 1314 verstarb, wurde die in Haft sitzende Margarete als Gattin Ludwigs X. de jure Königin von Frankreich und Navarra. Für Ludwig bestand jetzt das Problem, dass er sich nicht von seiner untreuen Ehefrau scheiden lassen konnte, da Ehebruch nicht als Scheidungsgrund von der katholischen Kirche anerkannt wurde. Ebenso sah der in Avignon sitzende Papst die Geburt der Tochter Johanna II. als Beweis für den Vollzug der Ehe an, dies war ebenfalls ein Grund für die nicht gestattete Scheidung. Johanna II. wurde inzwischen als illegitim betrachtet, vor allem war auch Ludwig nicht mehr von seiner Vaterschaft überzeugt. D.h., dass bei einem Ableben Ludwigs dessen Bruder Philipp König werden würde. Da das Verhältnis Ludwigs zu Philipp gespannt war, beide hatten unterschiedliche Positionen in der Flandern-Politik, entschied sich Ludwig für die gewaltsame Beseitigung Margaretes, die in seinem Auftrag im Sommer 1315 erdrosselt wurde. Der nun verwitwete König ehelichte wenig später Clementine von Anjou-Ungarn, die im November 1316 den nur wenige Tage lebenden Johann I. zur Welt brachte. Da sein Vater Ludwig bereits im Juni 1316 verstorben war, fiel die französische Krone an Philipp V.

Im Königreich Navarra und in der Grafschaft Champagne bestand das Recht einer weiblichen Erbfolge. Der Adel von Navarra anerkannte die Legitimität Johannas II. als Königin. Damit konnten Navarra seine Unabhängigkeit bewahren und sich vor allem den Steuerbelastungen unter Philipp IV. und Ludwig X. entziehen. Philipp V. widersetzte sich der Unabhängigkeit Navarras, vor allem verleumdete er Johanna als uneheliche Tochter der Margarete von Burgund. Johanna II. wurde jedoch von ihrem Onkel, dem Herzog von Burgund, und anderen Vertretern des Hochadels unterstützt. Sie heiratete um 1330 Philipp von Evreux, einen Enkel Philipps III. von Frankreich.

1317 ließ Philipp V. die „Lex Salica“ von den Generalständen bestätigen. In der „Lex Salica“ wurde die männliche Erbfolge für das Königtum festgelegt, die weibliche Erbfolge bzw. die Erbfolge über eine Frau wurde ausgeschlossen. Bis dato galt die „Lex Salica“ als theoretische Option, seit 1317 regelte das Gesetz die Thronfolge in Frankreich. Diese Regelung war notwendig, da vor allem Isabellas Ansprüche bzw. die ihres Sohnes Edward III. ausgeschlossen werden sollte. Notwendig war dies wegen der Verschlechterung des französischen-englischen Verhältnisses aufgrund der Weigerung Eduards II., den Lehnseid als Herzog von Guyenne abzulegen. Philipp selbst hatte zu diesem Zeitpunkt nur noch Töchter und zwei Söhne, die bereits 1317 und 1321 verstarben. Das heißt, seit 1321 war Philipps jüngerer Bruder Karl der gesetzliche Thronerbe.

Philipp V. verstarb Anfang 1322, ihm folgte sein Bruder als Karl IV., der nun vor ähnlichen Problemen wie einst Ludwig X. stand. Denn Karl war immer noch mit Blanka von Burgund verheiratet, die seit 1314 eingesperrt geblieben war. Im März 1322 verstarben sowohl Karls Tochter als auch sein Sohn innerhalb einer Woche. Das heißt, Karl hatte keine Erben und eine Ehefrau, von der er sich seit 1314 trennen wollte. Um nicht einen weiteren Mord herauszufordern, gestattete der Papst schließlich im Mai 1322 die Scheidung von Karl und Blanka. Blanka ging in ein Kloster, wo sie einige Jahre später verstarb. Karl heiratete noch zweimal, ein männlicher Thronerbe blieb ihm aber versagt. Seine zweite Ehefrau war Marie von Luxemburg, eine Schwester des böhmischen Königs Johann. Marie sorgte dafür, dass ihr Neffe Wenzel am französischen Hof erzogen wurde. Er wurde zu Ehren Karls IV. auf den Namen Karl umgetauft und erließ im Jahr 1356 als römisch-deutscher Kaiser Karl IV. die Goldene Bulle, in der u.a. die deutsche Königswahl geregelt wurde. Nach Maries Tod heiratete Karl IV. von Frankreich Johanna von Evreux, Schwester von Philipp von Evreux und somit auch Tante von Karl des Bösen. Da Karl und Johanna beide Enkel des französischen Königs Philipp III. waren, benötigten sie den päpstlichen Dispens für ihre Ehe, den sie auch erhielten. Aus Karls und Johannas Ehe entstammen mehrere Töchter, von denen nur eine, die postum geborene Blanche, das Erwachsenenalter erreichte.

Als Karl IV. noch jung an Jahren im Jahre 1328 starb, traten (nach der Geburt Blanches) die Regelungen der Lex Salica in Kraft. Nach diesen Regelungen wurde Philipp von Valois als Philipp VI. König von Frankreich. Philipp VI. war der Sohn von Karl von Valois, den jüngeren Bruder von Philipp IV. und Titularkaiser von Byzanz. Obwohl Philipp VI. der Cousin des letzten Königs war, wird der Dynastiewechsel von Kapetingern auf Valois im Jahr 1328 als wichtiges Ereignis angesehen, das nur eine vergleichbare Entsprechung in dem Dynastiewechsel von Valois auf Bourbon im Jahre 1589 hat. Sowohl Valois als auch Bourbonen waren Nebenlinien der Kapetinger. Dass der Thronwechsel von 1328 so eine hohe geschichtliche Bedeutung in Frankreich hat, liegt an der erstmaligen Umsetzung der Lex Salica, die 1498, 1515 und 1589 erneut Anwendung fand.

Die Thronfolge Philipps VI. (1293–1350) wurde sofort vom englischen König Edward III. angefochten, da er nicht auf sein – über seine Mutter Isabelle (1292–1358) – bestehendes Thronfolgerecht verzichten wollte. Um sein Recht durchzusetzen zettelte Eduard III. 1337 den Hundertjährigen Krieg an, in dem es um die Herrschaft in Frankreich und um bestehende Vasallenverhältnisse ging. Philipp VI. versuchte, den Hochadel an sich zu binden. So gestattete er z.B. die Eheschließung seines Vasallen Philipp von Evreux mit Johanna II., Königin von Navarra im Jahr 1330 oder die Hochzeit von Karls IV. Tochter Blanche (1328–1392) mit seinem jüngeren Sohn Philipp von Orleans oder seine eigene Eheschließung mit Blanche von Evreux-Navarra (1330–1398), der Schwester von Karl den Bösen.

Unter diesen politischen Bedingungen musste sich Karl der Böse, seit 1349 König von Navarra behaupten. Dass er im 14. Jahrhundert, einem Jahrhundert in dem es nicht zimperlich zuging, den Beinamen „der Böse“ erhielt, charakterisiert diesen Mann als Jemanden, der die von der Gesellschaft tolerierte, angewandte Gewalt und Tücke weit überschritten hat.

Legte Philipp IV. mit seiner Politik, die sich gegen den Adel, Kirche und Institutionen wie die Tempelritter nicht die Grundlage für die Krise im Frankreich des 14. und 15. Jahrhundert? Und wie sollte man seine Außenpolitik bewerten? (Papst nach Avignon, Flandern / Schlacht von Kortrijk 1302, Konflikt mit England, aber Verheiratung seiner Tochter Isabelle mit Eduard II., Unterstützung Schottland / John Balliol / Auld Alliance). Hat seine Politik zum Hundertjährigen Krieg geführt?

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13.02.2016, 00:22
Beitrag: #2
RE: Frankreich und die "unseligen Könige" im 14. Jahrhundert
(01.05.2014 23:23)Sansavoir schrieb:  ...
Unter diesen politischen Bedingungen musste sich Karl der Böse, seit 1349 König von Navarra behaupten. Dass er im 14. Jahrhundert, einem Jahrhundert in dem es nicht zimperlich zuging, den Beinamen „der Böse“ erhielt, charakterisiert diesen Mann als Jemanden, der die von der Gesellschaft tolerierte, angewandte Gewalt und Tücke weit überschritten hat.
...

Eine Überlegung:
Auffallend ist schon, dass die meisten historische Personen oder Persönlichkeiten, die mehr oder weniger als "Negativfiguren" Figuren in die Geschichte eingegangen sind, gewöhnlich bei ihren (wichtigsten) Auseinandersetzungen die Verlierer/innen waren. (Da hätten z. B. den walachischen Fürsten Vlad Tepes oder Richard III., um nur ein paar eher bekannte Beispiele anzuführen.)

Andererseits gibt es auch eine ganze Reihe von "Positivfiguren", die bei näherer Betrachtung (oder Vergleich mit anderen Zeitgenossen) gar nicht so "positiv" wirken, die aber ihre (wichtigsten) Auseinandersetzungen gewonnen haben, und bei denen tatsächlich der Eindruck entsteht, dass sie ohne ihr "Siegerimage" keineswegs so gut weggekommen wären.
(Was wäre z. B. gewesen, wenn Friedrich II. von Preußen den siebenjährige Krieg verloren hätte? ...)

Ein gutes Beispiel, wie sehr letztlich der Sieg oder Niederlage darüber entscheiden, wie eine historische Person letztlich wahrgenommen wird, ist z. B. der böhmische König Przemysl Ottokar II., dessen Image als "Negativfigur" offensichtlich mit seinen Niederlagen gegen König Rudolf I. (HRR) entstand. Bei den Zeitgenossen hatte er davor eindeutig ein besseres Image. (Vgl. dazu die Biographie von Jörg K. Hoensch: Přemysl Otakar II. von Böhmen, 1989)

Da drängt sich zumindest die Vermutung auf, dass in vielen Fällen vielleicht die Niederlage oder Sieg darüber ausschlaggebend war, ob eine historische Person als "gut", "böse", "dumm", "genial" oder Ähnliches wahrgenommen wird.

Das könnte auch für Karl den Bösen von Navarra zutreffen. Er war bei seinen Konflikten letztlich der Verlierer - der Grund für seinen Beinamen, obwohl er vielleicht gar nicht schlimmer als seine Zeitgenossen war.

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13.02.2016, 12:35
Beitrag: #3
RE: Frankreich und die "unseligen Könige" im 14. Jahrhundert
Da hast Du sicher Recht. Przemysl Ottokar II. ist ein Opfer der habsburgisch gesinnten Geschichtsschreibung geworden. Er verfolgte ja eine Außennpolitik, an die später Karl IV. und die Habsburger selbst anknüpften.

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13.02.2016, 12:57
Beitrag: #4
RE: Frankreich und die "unseligen Könige" im 14. Jahrhundert
Przemysl Ottokar II. - entscheidend war wohl, dass er letztlich der Verlierer war, aber kann er wirklich nur auf ein Opfer der "habsburgisch gesinnten" Geschichtsschreibung reduziert werden?
Da bin ich mir nicht so sicher, immerhin hatten die Habsburger in den Jahrhunderten nach seinem Tod kein Monopol auf Geschichtsschreibung, und er herrschte zu seiner Zeit auch keineswegs nur über Länder, die unmittelbar darauf den Habsburgern zufielen.

Als Erben der Babenberger konnten sich König Rudolf I. und seine Nachfahren behaupten (nicht zuletzt, weil er den Kampf gegen Premysl Ottokar ohne Unterstützung der meisten anderen Reichsfürsten oder gar der Kurfürsten für sich entschieden hatte), aber das Erbe der Babenberger umfasste damals nur die Herzogtümer Österreich (nur Teile der heutigen Bundesländer Niederösterreich und Oberösterreich, Republik Österreich) sowie Steier(mark) (die damals keineswegs dem späteren Kronland und auch nicht die Grenzen des heutigen Bundeslandes der Republik Österreich hatte). Die Königswürde (HRR) konnten Rudolfs Nachfahren nicht dauerhaft behaupten, und damit hatten sie eindeutig kein Monopol auf die Geschichtsschreibung im Reich.

Das Herzogtum Kärnten fiel zunächst einmal an den meinhartinischen Zweig der Familie der Grafen von Görz und Tirol, der über die Grafschaft Tirol herrschte, die damals auch nicht den Umfang des späteren Kronlandes Tirols im Kaiserreich Österreich hatte.

Im Königreich Böhmen und in der Markgrafschaft Mähren folgten ihm sein Sohn (nach Ende der "Brandenberger Herrschaft", an der kein Habsburger beteiligt war) und sein Enkel nach, und auch die Luxemburger, die die Przemysliden-Dynastie hier letztlich beerbten, hatten keinen Grund, dort eine pro-habsburgische Geschichtsschreibung zu protagieren, da ihr Anspruch selbst durch die Ehe mit einer Przemyslidin "abgestützt" war. (Die Aktivitäten von König / Kaiser Karl IV. zum "Luxemburger-Stammbaum" jedenfalls sind auf der Dynastie der Przemsysliden und deren legendären Ursprung aufgebaut, nicht auf den Habsburgern, die ihren "Stammbaum" auch auf einen ganz anderen Ursprung aufgebaut haben.)

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13.02.2016, 14:22
Beitrag: #5
RE: Frankreich und die "unseligen Könige" im 14. Jahrhundert
Die "rois maudits" die Du anführst beruhen zwar auf der Romanreihe von Maurice Druon die ab 1955 entstanden ist,aber der Begriff ist wohl älter .In Südfrankreich im Pays d`Oc habe ich den Begriff schon in anderem Zusammenhang gehört und gelesen.Dort bezeichnet man als die "Rois maudits" Louis VIII le Lion,Louis IX le Saint ,Phillippe II le Hardi und teilweise noch Phillippe IV le Bel.
Die "Rois maudits" werden dort im Süden mit den Katharerkreuzügen und den nachfolgenden Unterdrückungsmassnahmen, die den Verlust der Eigenständigkeit des Pays d`Oc und der Unterwerfung unter den Norden zur Folge hatten, in Verbindung gebracht.
In Lastours befindet sich z,B, an der Burg Querthineux eine entsprechende okzitanische Inschrift "destruit pèr lei rèis maudiches"- also "zerstört duch die Rois maudits" und das Ereignis fand 1229 statt
Die Inschrift wurde 1879 ,also 450 Jahre nach dem Ereignis dort angebracht und ist wohl auf den Einfluss der Félibrige-Bewegung zurückzuführen-wenn ich das Foto dazu wiederfinde stell ich es hier rein .
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13.02.2016, 17:36
Beitrag: #6
RE: Frankreich und die "unseligen Könige" im 14. Jahrhundert
(13.02.2016 12:57)Teresa C. schrieb:  Przemysl Ottokar II. - entscheidend war wohl, dass er letztlich der Verlierer war, aber kann er wirklich nur auf ein Opfer der "habsburgisch gesinnten" Geschichtsschreibung reduziert werden?
Da bin ich mir nicht so sicher, immerhin hatten die Habsburger in den Jahrhunderten nach seinem Tod kein Monopol auf Geschichtsschreibung, und er herrschte zu seiner Zeit auch keineswegs nur über Länder, die unmittelbar darauf den Habsburgern zufielen.

Die Habsburger haben kein Monopol auf die Geschichtsschreibung gehabt, aber letztlich beruhen unsere Vorstellung über historische Personen auf Veröffentlichungen des 19. bis 21. Jahrhundert. Wir, als Laien, sind auf Interpretationen der Historiker angewiesen, die Zugang zu den alten Chroniken haben. Przemysl Ottokar II. wird im deutschen Sprachraum hauptsächlich als Gegner von Rudolf von Habsburg wahr genommen - dementsprechend ist die Geschichtschreibung oft pro-habsburgisch, mal von Joerg Hoensch abgesehen. Vergessen wird z.B., dass unter seiner Herrschaft sehr viele Städte gegründet wurden, z.B. Königsberg oder Zittau. Seine Herrschaft muss als positiv für die Entwicklung des östlichen Mitteleuropas gewertet werden.

Die Meinhardiner haben heute vor allem als Gründer Tirols einen guten Ruf. Ruf. Das ist letztlich der Verdienst des Grafen Meinhard IV. von Görz (Meinhard II. von Tirol). Sein Sohn Heinrich scheiterte gegen die Luxemburger als König und dessen Tochter Margarete bekam den wenig schmeichelhaften Beinamen "Maultasch" verpasst. Hier entsteht der Eindruck, dass das Scheitern Heinrichs und Margaretes nicht so thematisiert wird. Vielleicht nur, um das Ansehen von Meinhard IV. nicht zu beschädigen.

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14.02.2016, 22:33
Beitrag: #7
RE: Frankreich und die "unseligen Könige" im 14. Jahrhundert
Ich habe den Eindruck, dass die Vorstellungen der meisten Menschen zur Geschichte vor 1900 aus dem 19. Jahrhundert sind, die gerade in der populären historischen Sekundärliteratur und auch in den historischen Unterhaltungs- und Trivialromanen bis in die Gegenwart tradiert werden. Es gibt zwar aus dem ausgehenden 20. und dem 21. Jahrhundert eine ganze Menge neuere, quellenfundierte Fachliteratur, aber ich habe leider auch den Eindruck, dass die nur von sehr wenigen gelesen wird, die das Interesse an Geschichte tun, und nicht nur aus beruflichen oder ausbildungsrelevanten Gründen tun müssen.

Allerdings lebte Przemysl Ottokar II. im 13. Jahrhundert, und was die Sicht auf ihn betrifft, finde ich, dass wir diese 400-500 Jahre Überlieferung bis ins 19. Jahrhundert nicht einfach übersehen sollten.

Bei den Zeitgenossen hatte Przemysl Ottokar II. jedenfalls keine so schlechte Presse, allerdings wurde er keineswegs nur positiv gesehen. Nach der Schlacht bei Dürnkrut und Jedenspeigen hat sich zumindest im heutigen deutschen Sprachraum sein Bild eindeutig "negativisiert", was sicher darauf zurückzuführen ist, dass er eindeutig der Verlierer und Rudolf I. der Sieger war.

Fakt ist aber, bis zum Beginn ihrer jahrhundertlangen Herrschaft über das Königreich Böhmen im 16. Jahrhundert hatten die Habsburger da nicht das Alleinige sagen, und auffallend ist, dass auch zeitweilige Gegner der Habsburger mit Wirken im Königreich Böhmen (Luxemburg, Wittelsbach-Pfalz z. B.) keineswegs eine andere Sicht auf Przemysl Ottokar II. gefördert haben.

Mir sind auch keine Werke bekannt, aus denen hervorgeht, dass sder "tschechische" Nationalismus des 19. Jahrhunderts den Böhmenkönig sich entdeckt hätte, wie das z. B. bei den Ungarn mit einem Matthias Corvinus der Fall war.

Diese Sicht auf den Böhmenkönig ist umso auffallender, als seine Herrschaft durchwegs nicht nur Niederlagen aufweist, er eindeutig kein Versager war (wofür auch spricht, dass die Nachfolge seines Sohnes in Böhmen und Mähren auch nach seinem Tod keineswegs in Frage gestellt war, und er zu Lebzeiten lange sehr erfolgreich war, zudem noch einiges hinterließ, was zumindest spätere Generationen als positiv hätten wahrnehmen können.

Hat ihn eigentlich die "preußische" Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, die eindeutig als "antihabsburgisch" zu sehen ist und das Bild der meisten Habsburger bis in die Gegenwart geprägt hat, zu rehabilitieren versucht?

Wie auch immer - es scheint mir doch etwas zu einfach, für sein "negatives" Nachleben in seinem Fall ausschließlich eine "prohabsburgische historische Sicht" verantwortlich zu machen.

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Hat der Meinhardinische Familienzweig der Grafen von Görz und Tirol heute tatsächlich vor allem als Gründer Tirols einen so guten Ruf? Zwar gibt es inzwischen zu den Grafen von Görz-Tirol eine wissenschaftliche Monographie:
Wilhelm Baum: Die Grafen von Görz in der europäischen Politik des Mittelalters, 2000,
aber ich habe trotzdem den Eindruck, dass sowohl der meinhardinische, als auch der albertinische Familienzweig heute völlig vergessen sind oder nur mehr einigen Fachleuten etwas sagen.

Das dürfte auch für Meinhard IV. von Görz / Meinhard II. von Tirol der Fall sein, der immerhin Herzog von Kärnten wurde. Sein Sohn Heinrich dürfte heute ebenfalls unbekannt sein, einzig dessen Tochter Margarete "Maultasch" (die Herkunft des Nachnamens ist bis heute nicht eindeutig geklärt) scheint noch eine gewisse Bekanntheit zu haben.

Ist es a nicht etwas seltsam, dass die Beurteilung von den beiden nur mit Rücksict auf Meinhard IV. / II. thematisiert wird?

Hinzu kommt noch - inwieweit kann bei beiden tatsächlich von Scheitern gesprochen werden.

Gut, Heinrich von Görz-Tirol, Herzog von Kärnten und gefürsteter Graf von Tirol, konnte sich als König von Böhmen nicht durchsetzen und verlor die böhmische Krone letztlich an seinen Schwager. Wie dieser, Johann von Luxemburg, war auch er (in 1. Ehe) mit einer Schwester von Wenzel III. verheiratet. Seine Herrschaft über das Herzogtum Kärnten und die Grafschaft Tirol konnte er allerdings halten, aber wenn jemand keine Söhne zeugen kann, ist das wohl ihm als Versagen anzulasten. (Versagen setzt für mich eigentlich voraus, dass jemand etwas durch Fehler verschuldet hat.)

Pech für ihn, dass er letztlich keine Sohn hinterließ, Pech für ihn, dass König / Kaiser Ludwig IV. der Bayer nicht wollte, dass die von ihm und Johann von Böhmen angestrebte Lösung: Nachfolge des Schwiegersohnes, nicht zulassen wollte. (Politisch betrachtet aus der Sicht Ludwig IV. nachvollziehbar.)

Pech für den Albertinischen Familienzweig, der in diesem Fall zumindest Erbansprüche auf Tirol gehabt hätte, dass er gegen die drei mächtigsten Dynastien (neben Luxemburg-Böhmen und Wittelsbach-Bayern noch Habsburg-Österreich), die das Erbe von Heinrich für sich gewinnen wollten, keine reelle Chance hatte.
Aber solches Pech hatten auch andere Dynastien in dieser Zeit.

Erstaunlich ist eher, dass es dem Luxemburgern zunächst gelang, zumindest die Herrschaft über Tirol zu behaupten, Pech für sie, dass sie die Landstände letztlich nicht für sich gewinnen konnten und die Ehe zwischen Johann Heinrich von Luxemburg und Margarethe von Tirol gründlich schief ging, was nebenbei eine "Ehescheidung" zur Folge hatte, bei der reihenweise Schmutzwasche gewaschen wurde, wie man heute so schön sagt.
Und wie heute auch leider auch oft der Fall - dass hatte dann zur Folge, dass der Ruf der Eheleute schwer beschädigt wurde. Er hatte danach größte Mühe, den Ruf, impotent zu sein, wieder los zu werden (eine weitere Eheschließung für ihn wurde erst in Betracht gezogen und letztlich auch verwirklicht, nachdem es ihm gelungen war, mit der Zeugung eines unehelichen Sohnes sozusagen den Beweis zu liefern, dass er zumindest nicht gänzlich impotent war), und bis heute wird ihm sexuell gestörtes Verhalten in seiner ersten Ehe nachgesagt. Die ihr nachgesagte monströse Hässlichkeit und der fragwürdige Lebenswandel (zu dem es in zeitgenössischen Quellen, die seriös scheinen, keine Hinweise gibt) dürften ebenfalls mit dieser "Ehescheidung" zusammenhängen.

Immerhin konnten sich Margarethe von Tirol und ihr zweiter Ehemann Ludwig der Brandenburg, Markgraf von Brandenburg und später Herzog von (Ober-)Bayern (der Sohn von Ludwig IV.) in Tirol trotz widriger Umstände, wie Interdikt und Kirchenbann (als Folge von parteiischen Päpsten, die mit den Luxemburgern / Karl IV. sozusagen "verbandelt" waren) bis zu seinem Tod behaupten, was eigentlich nicht für Scheitern spricht. Margarethe Maultasch hätte wahrscheinlich eine bessere "Presse" in den späteren Jahrhunderten gehabt, wenn ihr Sohn und Nachfolger Meinhard III. nicht so jung gestorben wäre oder wenigstens legitime Nachkommen hinterlassen hätte. Dann wären sie und Ludwig der Brandenburger wohl als Begründer/in einer neuen Dynastie (und mit positiven Image, wie es so schön heißt) in die Geschichte eingegangen.

Jedenfalls liefert der Fall der Margarethe Maultasch ein weiteres Beispiel dafür, wie unter frag-würdigen Fakten eine historische Sicht für spätere Generationen entsteht.

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15.02.2016, 23:34
Beitrag: #8
RE: Frankreich und die "unseligen Könige" im 14. Jahrhundert
(14.02.2016 22:33)Teresa C. schrieb:  Erstaunlich ist eher, dass es dem Luxemburgern zunächst gelang, zumindest die Herrschaft über Tirol zu behaupten, Pech für sie, dass sie die Landstände letztlich nicht für sich gewinnen konnten und die Ehe zwischen Johann Heinrich von Luxemburg und Margarethe von Tirol gründlich schief ging, was nebenbei eine "Ehescheidung" zur Folge hatte, bei der reihenweise Schmutzwasche gewaschen wurde, wie man heute so schön sagt.
Und wie heute auch leider auch oft der Fall - dass hatte dann zur Folge, dass der Ruf der Eheleute schwer beschädigt wurde. Er hatte danach größte Mühe, den Ruf, impotent zu sein, wieder los zu werden (eine weitere Eheschließung für ihn wurde erst in Betracht gezogen und letztlich auch verwirklicht, nachdem es ihm gelungen war, mit der Zeugung eines unehelichen Sohnes sozusagen den Beweis zu liefern, dass er zumindest nicht gänzlich impotent war), und bis heute wird ihm sexuell gestörtes Verhalten in seiner ersten Ehe nachgesagt. Die ihr nachgesagte monströse Hässlichkeit und der fragwürdige Lebenswandel (zu dem es in zeitgenössischen Quellen, die seriös scheinen, keine Hinweise gibt) dürften ebenfalls mit dieser "Ehescheidung" zusammenhängen.

Immerhin konnten sich Margarethe von Tirol und ihr zweiter Ehemann Ludwig der Brandenburg, Markgraf von Brandenburg und später Herzog von (Ober-)Bayern (der Sohn von Ludwig IV.) in Tirol trotz widriger Umstände, wie Interdikt und Kirchenbann (als Folge von parteiischen Päpsten, die mit den Luxemburgern / Karl IV. sozusagen "verbandelt" waren) bis zu seinem Tod behaupten, was eigentlich nicht für Scheitern spricht. Margarethe Maultasch hätte wahrscheinlich eine bessere "Presse" in den späteren Jahrhunderten gehabt, wenn ihr Sohn und Nachfolger Meinhard III. nicht so jung gestorben wäre oder wenigstens legitime Nachkommen hinterlassen hätte. Dann wären sie und Ludwig der Brandenburger wohl als Begründer/in einer neuen Dynastie (und mit positiven Image, wie es so schön heißt) in die Geschichte eingegangen.

Jedenfalls liefert der Fall der Margarethe Maultasch ein weiteres Beispiel dafür, wie unter frag-würdigen Fakten eine historische Sicht für spätere Generationen entsteht.

Das stimmt. Hast wohl auch Feuchwanger gelesen? Die Ehe zwischen Johann Heinrich von Luxemburg und Margarethe von Tirol wurde von ihren Vätern arrangiert. Politisch steht sie für die Versöhnung zwischen Luxemburgern und Meinhardinern. Offensichtlich passten aber Braut und Bräutigam nicht zusammen, so dass bereits 1341/42 die Ehe als gescheitert galt. Dieses Scheitern der Ehe bedeutete aber vor allem auch ein Scheitern der luxemburgischen Politik. Eine Folge davon war, dass in Böhmen begonnen wurde, die Regierungsverantwortung immer mehr auf Karl zu übertragen. Johann hielt sich danach hauptsächlich in Frankreich auf.

Das Fehlen männlicher Nachkommen bzw. das Erlöschen einer Dynastie führt häufig dazu, dass deren Politik als falsch, zum Untergang verurteilt bewertet wird. Oft ist es nur Zufall. Johann Heinrich wurde nach seiner Vertreibung aus Tirol Markgraf von Mähren. Er hatte aus seiner zweiten Ehe mehrere Kinder, darunter Jobst von Mähren, der bis 1361 als Thronfolger Karls IV. galt. Erst die Geburt des späteren Wenzels IV. führte dazu, dass der mährische Familienzweig ins zweite Glied rücken musste.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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16.02.2016, 00:36
Beitrag: #9
RE: Frankreich und die "unseligen Könige" im 14. Jahrhundert
Nicht nur Feuchtwanger - zu Margarethe Maultasch gibt es auch eine Biographie von Wilhelm Baum und wissenschaftliche Aufsätze, und übrigens auch andere Romane.Shy

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Josephine Tey, Alibi für einen König
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