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Klimabedingte Krise im 17. Jahrhundert? - Diskussion zum G/Geschichteheft 6/2014:
20.06.2014, 05:27
Beitrag: #16
RE: Klimabedingte Krise im 17. Jahrhundert? - Diskussion zum G/Geschichteheft 6/2014:
(14.06.2014 14:16)913Chris schrieb:  Eine andere Frage stellte sich mir bei der Lektüre deines Artikels: Warum verdingten sich in der ersten Hälfte des 17.Jhs. so viele als Söldner? War ja auch kein Zuckerschlecken, so ein Dasein, und so richtig gut leben konnte man davon auch nicht. Man war wie jeder Bauer auch ständig auf der Suche nach Essbarem (nur dass der Bauer sich auf seinen eigenen Feldern umschauen musste), hungerte oft und war als Söldner auch immer in Gefahr, getötet zu werden (was beim Bauern während des Krieges auch recht wahrscheinlich war, aber nicht außerhalb des Kriegsgeschehens).
Sahen vielleicht viele Bauern keinen Ausweg mehr, weil sie sonst auf ihren Feldern keinen ausreichenden Ertrag mehr erwirtschaften konnten und verdingten sich deshalb als Söldner?
Gibt es Angaben, aus welchen Gebieten Europas die Mehrzahl der Söldner kam? Lässt sich da vielleicht irgendwas mit dem Klimageschehen korrelieren?

Ich habe gerade etwas in „Mit Gottes Segen in die Hölle. Der Dreißigjährige Krieg“, herausgegeben von Hans-Christian Huf gelesen. In zwei Abschnitten werden die Lebensbedingungen der Söldner und Bauer beschrieben, wobei auch Tagebuchaufzeichnungen aufgearbeitet werden. Das Leben der Bauern und Söldner war gleichermaßen hart und entbehrungsreich, trotzdem muss es Gründe gegeben haben, dass besonders im 17. Jahrhundert sich so viele Menschen als Söldner verdingt hatten. Es wurden ja nicht nur im Dreißigjährigen Krieg Söldner eingesetzt, auch in den verschiedenen polnisch-schwedisch-russischen Kriegen oder den Kriegen der Spanier gegen die Niederlande oder Frankreich. Auch während des Bürgerkrieges in England setzten die Royalisten Söldner ein.

Der nicht ausreichend erwirtschaftete Ernteertrag der Bauern war auf alle Fälle ein Grund, sich den Söldnerheeren anzuschließen.
Deswegen sollte man die Rolle der Bauern und Söldner in der frühen Neuzeit untersuchen. Infolge der Herausbildung von Territorialstaaten auf den Boden des HRR haben die Bauern (und auch die Ritter) ihre letzten mittelalterlichen Rechte und Privilegien verloren. Verlierer dieses Prozesses waren vor allem die Dorfoberen wie Müller oder Wirte. Der aus ihren Reihen stammende Dorfschulze musste dem vom Landesherrn eingesetzten Amtmann weichen. Spätestens nach der Niederlage der Bauern im Bauernkrieg 1524/26 verloren die Bauern jegliche Rechte oder Selbstbestimmungen. Ihre Situation verschlechterte sich enorm, nicht nur wegen dem Klima, sondern auch, weil sie zunehmend in Untertänigkeit des Landesherrn oder eines Junkers gerieten. Der Junker war kein Feudalherr mehr, der den Bauern unterschiedliche Leistungen abforderte, ansonsten ihnen aber genügend Zeit überließ, ihre eigenen Felder zu bewirtschaften und die kirchlichen Feiertage einzuhalten. Der Junker versuchte seine Güter nach kapitalistischen Grundsätzen zu bewirtschaften, sah aber in den Bauern nur einen Leibeigenen, d.h. er erwartete Profite und dies ging im 16. und 17. Jahrhundert nur auf Kosten der Bauern. Sie mussten mehr arbeiten, in den protestantischen Ländern entfielen viele katholische Feiertage als arbeitsfreie Tage. Auch in den katholischen Ländern erhöhte sich die Anzahl der Arbeitstage für die Bauern. Neben der Klimaverschlechterung, den Kriegen und Seuchen geriet der Bauer des 16. und 17. Jahrhunderts in eine verstärkte Abhängigkeit vom Grundherrn, er war unfrei, unfreier als seine Vorfahren im13. oder 14. Jahrhundert. Zusätzlich wurde das Leben aufgrund der massiven Hexenverfolgungen erschwert.

Söldner setzten sich seit dem 13./14. Jahrhundert auf den Kriegsschauplätzen Europas durch. Sie lösten die Ritter ab und wurden schließlich im 18. Jahrhundert durch stehende Heere ersetzt. Der Chef der Söldner war nicht nur Feldherr sondern ein Unternehmer. Als Unternehmer wusste er, dass die Qualität seiner Söldner sein wichtigstes Kapital war. Der Söldnerführer des 17. Jahrhunderts benötigte nicht nur Infanteristen, Kavalleristen oder Artilleristen, er benötigte auch Leute, die nach unserem heutigen Stand als „Rückwärtige Dienste“ und „Pioniere“ bezeichnet werden. Das waren die Leute, die Gelände auf- oder abtrugen, die Holzfestungen bauten oder die Überquerung des Heeres über Flüsse oder unwegsames Gelände umsetzten. Der Feldherr und der Söldner waren vertraglich gebunden. Der Feldherr war aber nicht nur der „Arbeitgeber“, er war auch der Gerichtsherr des Söldners. In der Regel wurden Vergehen der Söldner mäßig bestraft, sie wurden ja gebraucht. Exzesse, wie die Wallensteins nach der verlorenen Schlacht bei Lützen 1632 oder wie die des Erzherzogs Leopold Wilhelm nach der verlorenen Schlacht von Podelwitz 1642, die beide ihre Söldnerheere dezimieren ließen, hat es nicht oft gegeben. Der Feldherr war für den Söldner ein verlässlicher Partner, dem man befristet verbunden war. Sowohl der Feldherr als auch die Söldner haben ihrerseits das Vertragsverhältnis gekündigt. Der Feldherr, um Kosten zu sparen, der Söldner, um ein besseres Angebot anzunehmen. Im Gegensatz zu den Bauern lebte der Söldner bereits unter moderneren „Arbeitsbedingungen“. Er konnte heiraten und er konnte während seiner Freizeit eigenen Geschäften nachgehen. Fähige Bauernsöhne konnten bis in den Stand des Adels aufsteigen, wie z.B. Aldringen, Derfflinger oder Werth. Auch wenn diese Karrieren eher die Ausnahmen waren, gelang es doch zahlreichen Bauernsöhnen wohlhabend zu werden und ihren Nachkommen bessere Startmöglichkeiten zu bieten. Aber auch die Feldherren konnten ihren sozialen Status aufbessern, Angehörige des verarmten niederen Adels wie Wallenstein oder Piccolomini wurden reich, der unehelich geborene Mansfeld konnte das Erbe seines Vaters annehmen usw.

Abschließend möchte ich noch die Situation der Marketenderin ergründen. Ich glaube, dass nur im 17. Jahrhundert so viele Frauen (mit ihren Kindern) die Söldnerheere begleitet haben. Woran mag dies liegen? Ich denke, dass für viele das Leben als Bäuerin unerträglich - nicht nur durch die harte Arbeit und den sich verschlechternden Klima – war, sondern stets gefährdet war, einerseits durch das Wirken der Hexenverfolger, andererseits durch die Söldnerheere. Als Marketenderin lebte die Frau mit einem Mann in einer Beutegemeinschaft. Dieser Mann musste stark genug sein, sexuelle Übergriffe anderer Männer abzuwehren. Dies war er, entweder dadurch, dass er aufgrund seiner Persönlichkeit im Heer respektiert war oder, dass ihm selbst einige Söldner unterstellt waren, die andere Männer von seiner Frau abhielten. Wie nun jede Beziehung im Einzelnen verlief, kann man nicht sagen. Es ist jedoch so, dass Söldner und Marketenderin eine relative gleich berechtige Ehe bzw. Beziehung führte. Überliefert ist auch, dass relativ wenige Gewalttaten in solchen Beziehungen vorkamen. Vielleicht schweißte das harte Söldnerleben die Paare zusammen. Vielleicht liegt es daran, dass der Söldner abseits der Schlachten wohl das Leben im Camp im Kreise seiner Frau und Kinder zu schätzen wusste und dass einer schlecht behandelten Frau die Alternative blieb, mit einen anderen Mann zu leben. Sich von einen Partner zu trennen, um mit einen anderen zusammen zu leben, diese Option bestand für die Bäuerin und andere Frauen nicht. Nach dem nicht seltenen Verlust des Partners schloss sich die Marketenderin sehr schnell einen anderen Mann an, nicht selten einem aus dem gegnerischen Heer. Dies war für sie überlebenswichtig.

Es wird sicher noch viele andere Gründe geben, welche die Menschen im 17. Jahrhundert bewegten, sich einem Söldnerheer anzuschließen. Ich denke aber, dass Bauern die Wirren der Kriege nutzten, um sich davon zu machen, in der Hoffnung, bessere Lebensbedingungen vorzufinden. Vielleicht liegt der Hass der Söldner auf die Bauern darin begründet, weil sie befürchteten, irgendwann deren Los wieder zu teilen.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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RE: Klimabedingte Krise im 17. Jahrhundert? - Diskussion zum G/Geschichteheft 6/2014: - Sansavoir - 20.06.2014 05:27

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