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Akzeptanz der Staatszugehörigkeit im Elsass und in Lothringen
06.11.2014, 10:39
Beitrag: #95
RE: Akzeptanz der Staatszugehörigkeit im Elsass und in Lothringen
Zum Thema passend möchte ich hier gern mit einem oft begegneten Mißverständnis in bezug auf Elsaß-Lothringen aufräumen. Zumindest kann man dann die elsaß-lothringische Frage in ihrem Kontext viel besser verstehen, wenn man sie nicht, wie so oft, zu ausschließlich von der sogenannten deutsch-französischen Erbfeindschaft abhängig macht. Elsaß-Lothringen wurde zwar immer wieder seit dem siebzehnten Jahrhundert, ganz besonders seit 1871, zum punktuellen Zankapfel zwischen beiden Mächten, aber es blieb es nie, ganz gleich wer den kürzeren gezogen hatte, da überwogen ganz andere schwere Spannungen wie das russisch-französische Bündnis 1891, die erste Marokko-Krise 1904-1906, die Entstehung der Triple-Entente zwischen Rußland, Frankreich und Großbritannien 1907 oder die zweite Marokko-Krise mit dem Panthersprung nach Agadir 1911. Selbst die Zabern-Affäre blieb 1913 in Frankreich eher eine Anekdote, im Elsaß selbst erhitzte sie allerdings die Gemüter der Einheimischen erheblich.

Im Gegensatz zu dem, was vor allem in Deutschland manchmal angenommen wird, belastete das Schicksal Elsaß-Lothringens weder zwischen 1871 und 1918 noch zwischen 1940 und 1945 die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland dauerhaft. Ungelöst und ernst blieb das Problem hauptsächlich zwischen der elsaß-lothringischen Bevölkerung selbst und dem Deutschen Kaiserreich. Die meisten Deutschen konnten nicht verstehen und noch weniger annehmen, daß das Zerwürfnis „aus den eigenen Reihen“ kam, denn in ihrem Kollektivbewußtsein waren ja Elsässer und Lothringer wiedergewonnene deutsche Brüder, die daher allen Grund gehabt hätten, ihren Platz im Reich zu finden. Daß es offensichtlich nicht der Fall war, verstimmte die meisten Reichsdeutschen sehr.

Ohne Zweifel empfand Frankreich die Trennung von dem, was seit langer Zeit Teil der Nation war, als schmerzhaft und zuerst einmal unannehmbar. Diese emotionsgeladene Haltung legte sich allerdings nach spätestens zwei oder drei Jahrzehnten merklich. Die Amputierung wurde zwar nie vergessen, die Erinnerung an die verlorenen Provinzen verschwand nie ganz, aber eines steht fest: Um einer Rückerorberung Elsaß-Lothringens willen allein hätte Frankreich keinen Krieg mehr angefangen. Selbst der Erste Weltkrieg wurde nicht wegen Elsaß-Lothringen erklärt. Allerdings, und das ist sehr wichtig, als dieser Krieg nun mal begonnen hatte, rückte das Thema Elsaß-Lothringen sehr schnell wieder in den Vordergrund. Aber erst während des Ersten Weltkriegs avancierte es in Frankreich zu einem Hauptkriegsziel.

Ohne es an die große Glocke zu hängen, hatte man sich also mit dem definitiven Verlust Elsaß-Lothringens weitgehend abgefunden. Die ersten, die diese resignierte Entwicklung innerhalb der französischen Regierungskreise spürten, waren die Elsässer und Lothringer selbst. Hauptsächlich deswegen sahen sie ab da ein, daß sie sich allein schon aus Gründen der Vernunft in ihr Schicksal ergeben mußten. Sie arrangierten sich spätestens ab der Jahrhundertwende mit der neuen politischen Zugehörigkeit, wenn auch schweren Herzens. Ganz anders ging es ihnen in bezug auf ihren politischen Status innerhalb des Kaiserreichs, der schlicht demütigend war, auch nach der „oktroyierten“ Verfassung von 1911, mit der sie immer noch vom Willen des Kaisers abhängig blieben.

Aus vorigen Gründen sehe ich schlußfolgernd das Verhängnis mit Elsaß-Lothringen zwischen 1871 und 1918 nicht so sehr darin, daß sich das Kaiserreich das Elsaß und Lothringen einverleibt hatte, sondern daß die Franzosen es wie auch immer zuvor geschafft hatten, die Elsässer und Lothringer für sich zu gewinnen, und die Deutschen später daran gescheitert waren. Für mich ist nicht die Eroberung, selbst nicht ein Krieg um diese Eroberung, das Problematische, sondern die gescheiterte Assimilation. Deutschland hatte im Frühmittelalter im Osten Europas riesige Territorien teils durch das Schwert teils friedlich erobert. In Schlesien, Pommern und Ostpreußen, allgemein östlich von Elbe und Saale, hatte es die Urbevölkerung integriert, verdeutscht und glücklich assimiliert: das nenne ich eine gelungene Eroberung. In Elsaß-Lothringen war es dagegen jäh gescheitert, und dies, obwohl die Bevölkerung „ethnisch germanisch“ war: Das ist das "Schlechte“ daran.
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RE: Akzeptanz der Staatszugehörigkeit im Elsass und in Lothringen - Lützelsteiner - 06.11.2014 10:39

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