Analphabetismus heute bei uns
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12.09.2014, 17:07
Beitrag: #1
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Analphabetismus heute bei uns
Ich lagere mal ein bißchen aus, da die Diskussion uns sonst den Thread zerhackt.
Im Zusammenhang mit Karl May wurde unseren Urgroßeltern folgendes unterstellt: (10.09.2014 13:30)Bunbury schrieb: Kann ich mir nicht vorstellen- in der breiten Masse zumindest nicht. Das Bürgertum vielleicht- aber Menschen, die nicht lesen und schreiben konnten und 12 bis 14 Stunden für den täglichen Unterhalt arbeiten mussten, hatten nicht unbedingt die Muße sich mit Amerika zu beschäftigen ist....... (12.09.2014 13:10)Suebe schrieb: Ich habe jetzt mal überregional Tenfelde/Ritter konsultiert. http://www.zeit.de/gesellschaft/2011-02/...mus-studie Sieht man sich den Link genauer an, ist da gegenwärtig eher ein gewaltiger Rückschritt zu verzeichnen, den man nicht allein auf Migranten schieben kann. Woran liegt das wohl? Nun diskutiert mal schön weiter... „Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein) |
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12.09.2014, 18:10
Beitrag: #2
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RE: Analphabetismus heute bei uns
Nun, erst einmal ist die Erhebungsgrundlage eine andere. Sagt der Statistiker. 0,024 % der Rekruten des Jahres 1880 entspricht nicht 14,2 % der Erwerbstätigen des Jahres 2014.
Nicht nur, daß nicht alle Erwerbstätigen Rekruten sind wäre hier mal interssant zu sehen, (wieviele Männer eines Jahrgangs Rekruten sind), du müßtest darüber hinaus die Wahrhsceinlichkeiten für sagen wir 40 Jahre aufaddieren. Dann kommst du zwar zugegebenermaßen vermutlich immer noch nicht ganz auf 14,2 %, aber die Relation ändert sich schon gewaltig... Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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12.09.2014, 18:34
Beitrag: #3
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RE: Analphabetismus heute bei uns
(12.09.2014 18:10)Bunbury schrieb: Nun, erst einmal ist die Erhebungsgrundlage eine andere. Sagt der Statistiker. 0,024 % der Rekruten des Jahres 1880 entspricht nicht 14,2 % der Erwerbstätigen des Jahres 2014.Du kämpfst aber wirklich bis zuletzt... Na gut, Rekruten waren männlich und 17/18 Jahre alt. Jeder Gesunde wurde gezogen, es gab damals keinen Zivildienst oder eine Gewissensprüfung. Wer verweigerte, war gesellschaftlich nicht nur unten durch, sondern wanderte in den Bau. Aber das kam damals m.W. kaum vor. Nach deinem Einwand könnte man schlußfolgern dass a) die meisten heutigen Analphabeten Frauen sind oder b) das heutige Erwachsene in großem Maße das Lesen und Schreiben einfach verlernt haben. Aber das willst du doch wohl nicht behaupten, oder? „Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein) |
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12.09.2014, 19:03
Beitrag: #4
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RE: Analphabetismus heute bei uns
Nein, ich will nur behaupten, daß du hier zwei grundsätzlich unterschiedliche Erhebungsgrundlagen benutzt.
Die Rekruten eines Jahrganges sagen nichts darüber aus, wieviele Frauen des gleichen Jahrgangs lesen und schreiben konnten, bei den Erwerbstätigen wird diese Unterscheidung nicht getroffen. Bei den Rekruten wird nur ein jahrgang betrachtet, bei den Erwerbstätigen alle zwischen 16 und 67, die nicht Schüler, Renter oder Arbeitslos sind also, letztendlich rund 50 Jahrgänge... Von daher sind die Zahlen überhaupt nicht miteinander vergleichbar, und ein Schluss läßt sich daraus nicht ziehen. Das ist ja das dumme an Statistiken.... Aber als Wissenschaftler ist dir das natürlich durchaus bewußt... Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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12.09.2014, 19:10
Beitrag: #5
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RE: Analphabetismus heute bei uns
Tja, dann fragen wir doch mal bei den Berufsschulen nach wie es in der Praxis der vergleichbaren Altersgruppe heute wirklich aussieht. Das Schreiben von SMS mit ihrer eigenen Kürzelsprache fördert wahrscheinlich nicht das Lese- und Textverständnis der deutschen Sprache.
„Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein) |
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12.09.2014, 20:02
Beitrag: #6
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RE: Analphabetismus heute bei uns
(12.09.2014 18:34)Arkona schrieb:(12.09.2014 18:10)Bunbury schrieb: Nun, erst einmal ist die Erhebungsgrundlage eine andere. Sagt der Statistiker. 0,024 % der Rekruten des Jahres 1880 entspricht nicht 14,2 % der Erwerbstätigen des Jahres 2014.Du kämpfst aber wirklich bis zuletzt... OT: Na ja, 45% Prozent der Wehrpflichtigen fielen durch bei der Musterung im Kaiserreich. Da kann man also ohne weiteres Schlussfolgern, dass da die Begeisterung für Kaisers Rock auch nicht ganz so groß war, wie man uns später weißmachen wollte. OK zum Thema, Tenfelde/Ritter schreiben auch, dass es natürlich durchaus Fälle gab, dass zwischen Militärdienst und Tod das Lesen verlernt wurde. Schreiben andererseits, dass noch um 1870 2-3 Prozent der Neueingezogenen Analphabeten waren, die Bildungsbemühungen demnach Wirkung zeigten. "Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966) |
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12.09.2014, 20:11
Beitrag: #7
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RE: Analphabetismus heute bei uns
(12.09.2014 19:03)Bunbury schrieb: Nein, ich will nur behaupten, daß du hier zwei grundsätzlich unterschiedliche Erhebungsgrundlagen benutzt. Wieder zurück zu Tenfelde/Ritter! Natürlich sagt das etwas darüber aus, inwiefern junge Frauen lesen und schreiben konnten. Denn die Schulpflicht galt Geschlechtsneutral. Es ist übrigens das Merkmal des preußischen Beamtenstaates, dass Gesetze und Pflichten da für tatsächlich alle galten, die altdeutsche Duodez-Schlamperei hat da aufgehört. Mein Beispiel aus dem begnnenden 18. Jahrhundert möge man sich auch nochmal anschauen. wo die Mädchen wie die Jungen zur Schule gingen. "Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966) |
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13.09.2014, 11:03
Beitrag: #8
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RE: Analphabetismus heute bei uns
(12.09.2014 19:03)Bunbury schrieb: Nein, ich will nur behaupten, daß du hier zwei grundsätzlich unterschiedliche Erhebungsgrundlagen benutzt. Das Gymnasium, das mich ab 1963 beherbergte, trug (trägt) einen Schriftzug in Goldbuchstaben "Realschule 1899" im Jahr darauf, 1900, wurde die Lateinschule und die Realschule zum "Realgymnasium" zusammengefasst. Die Lateinschule lässt sich vor Ort bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Es war, wie wir heute sagen würden, ein Progymnasium, Abitur konnte man erst seit den 20erJahren ablegen, aber das vielgenannte "Einjährige". Ich habe vorhin ein "Generalreskript" = Lehrplan für die württ. Elementarschulen = Volksschulen aus dem Jahr 1810 in Händen gehabt. "Lesen, Schönschreiben, Rechnen, Deutscher Sprachunterricht, Verstandesübungen, Religions- und Sittenlehre, Singen, Zeichnen, Erdbeschreibung, Naturgeschichte, Geschichte und einzelne Kenntnisse aus der Naturlehre" sollten da vermittelt werden. Und ich wage die Behauptung dass dies auch vermittelt wurde. Um 1825 wurde die Sonntagsgewerbeschule eingeführt, für die Handwerkslehrlinge, des Sonntags 1,5 Stg. vor dem Vormittagsgottesdienst. Diese wurde ab 1895 durch eine "Allgemeine Fortbildungsschule" ersetzt, die mit einer 2-jährigen Schulpflicht für alle Absolventen der Volksschule galt. Schon 1810 wurde eine "Industrieschule" eröffnet, speziell für Mädchen, Unterricht war 2mal Nachmittags 2-Stunden nach der Schule Unterricht in Handarbeit und Hausarbeit. Ab 1868 gab es eine weibliche Fortbildungsschule auf freiwilliger Basis, Unterricht in gewerblichem Aufsatz, Buchführung und Rechnen, Zeichnen und Französisch. Wegen starkem Zulauf ab 1878 2-Klassig. Ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr, was ich noch schreiben soll.... Das auch unter heutigem Stand gesehen recht hohe Bildungsniveau der Bevölkerung im 19. Jahrhundert ist zig-fach nachgewiesen und überliefert. Aber trotzdem. ![]() Könnte es sein, dass du aus einem streng katholischen Umfeld stammst? nicht dass ich hier in ein Wespennest stechen will, aber die Bildungsfeindlichkeit von Teilen der kath. Geistlichkeit im 19. Jahrhundert ist ja bekannt. "Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966) |
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13.09.2014, 16:33
Beitrag: #9
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RE: Analphabetismus heute bei uns
(13.09.2014 11:03)Suebe schrieb: Das Gymnasium, das mich ab 1963 beherbergte, trug (trägt) einen Schriftzug in Goldbuchstaben "Realschule 1899" im Jahr darauf, 1900, wurde die Lateinschule und die Realschule zum "Realgymnasium" zusammengefasst. Die Lateinschule lässt sich vor Ort bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Halt, momentmal- ich habe nie behauptet, daß es vor 1900 keine Schulen gab. Die Frage geht nicht darum, ob es Schulen gab, sondern wer worin unterrichtet wurde. Wenn ich mir irre, lasse ich mich gerne eines besseren belehren, aber an ein flächendeckendes Proabi glaube ich nicht... 1592 gab es erstmals in dem herzogtum Pflaz- Zweibrücken die allgemeine Schulpflicht für Mädchen und Jungen. Württemberg hat eine allgemeine Schulfplicht schon recht früh eingeführt, um 1649, in Preußen dagegen gab es bis 1918 nur eine Unterrichts-, aber keine Schulpflicht. (Vielleicht mit ein Grund, warumd as Abi aus Baden- Würtemberg bis heute mehr gilt als eines aus dem Norden... ![]() (13.09.2014 11:03)Suebe schrieb: Ich habe vorhin ein "Generalreskript" = Lehrplan für die württ. Elementarschulen = Volksschulen aus dem Jahr 1810 in Händen gehabt. "Lesen, Schönschreiben, Rechnen, Deutscher Sprachunterricht, Verstandesübungen, Religions- und Sittenlehre, Singen, Zeichnen, Erdbeschreibung, Naturgeschichte, Geschichte und einzelne Kenntnisse aus der Naturlehre" sollten da vermittelt werden. Und ich wage die Behauptung dass dies auch vermittelt wurde. Wobei man natürlich berücksichtigen muss, daß sich das heute nach sehr viel mehr anhört als damals gewesen sein dürfte, insbesondere was Naturgeschichte und Naturlehre anbetraf. Viele wichtige Entdeckungen waren zu jener Zeit noch nicht gemacht bzw noch nicht allgemein anerkannt. Die von dir beschriebene Schule war aber dann wohl die Ausnahme- die Volksschulen des 19 Jahrhunderts waren schlecht ausgerüstet. Ein durchschnittlicher Wochenplan sah 12 Stunden Lesen und Schreiben, 6 Stunden Religion, 5 Stunden rechnen und 3 Stunden Singen von Kirchenliedern. Schule war im 19 Jahrhundert noch Häufig eine kirchliche Aufgabe... Ich wage dann doch mal zu behaupten, daß es das damals kein Bildiungsparadies war. Die Klassen waren groß, altersgemischt- und ganz sicher gab es niemanden, der versuchte, jemanden, der es nicht konnte, bei der Stange zu halten... (13.09.2014 11:03)Suebe schrieb: Schon 1810 wurde eine "Industrieschule" eröffnet, speziell für Mädchen, Unterricht war 2mal Nachmittags 2-Stunden nach der Schule Unterricht in Handarbeit und Hausarbeit. Bei den Jungs rede ich nicht dagegen, mit deren Bildungsystem habe ich mich nicht näher beschäftigt. Da ich mitten im Umbau stecke und eigentlich noch ein bißchen spachteln muss, habe ich jetzt auch nicht wirklich Zeit, mich in die entsprechende Literatur zu vertiefen. Aber sofern du auf die schnelle mal bereit bist, bei tante Wiki unter dem Stichwort " Frauenbildung" nachzuschlagen, wirst du dort die Aussage finden, das das Schulsystem, das im 18. und 19. JHDt im Zuge der Institutionalsierung der (höheren) Bildung entstand, auschließlich für Jungen bestimmt war. Der Unterricht für Mädchen war "Familiensache" und wurde allenfalls noch in evangelischen Gemeinden durch die Pastorsfrau ergänzt. Die unterrichtete allerdings ausschließlich Handarbeit und brachte den Mädchen bei, Buchstaben und Zahlen auf Tücher zu sticken. Aber das hatte nicht wirklich was mit "lesen" und "schreiben" zu tun. Frauenbildung erfolgte auch im 19 Jahrhundert auschließlich unter dem Aspekt, die Mädchen auf ihre Aufgabe als Ehefrauen und Mütter vorzubereiten, auch in den Höheren Töchterschulen, deren Bildung ausschließlich Mädchen aus priviligierten Kreisen zukam. Auch als die Bildungspläne später erweitert wurde, gescah das aussschließlich aus dem Gedanken heraus, daß die nun mehr wohl etwas gebildeteren jungen Männer sich nicht durch die geistlosigkeit ihrer Gattinen langweilten sollen. Von da aus ist dann plötzlich nicht mehr ganz so weit zu den Aussagen, an die ich mich noch zu gut erinnern kann... (13.09.2014 11:03)Suebe schrieb: Das auch unter heutigem Stand gesehen recht hohe Bildungsniveau der Bevölkerung im 19. Jahrhundert ist zig-fach nachgewiesen und überliefert. Is ja schon gut, du brauchst nicht mehr zu schreiben.Ich glaube dir gerne, daß es flächendeckende Bildungsangebote gab. Ich sage dir aber auch, woran ich nicht glaube: Daß die Kinder nach Ende des Unterrichts nach Hause gegangen sind, Hausaufgaben gemacht und dann gelesen haben... Ich denke, man hat die Schule mitgemacht, auch weil man mußte, hat das genutzt, was man unmittelbar zum Leben brauchte und den rest dann wieder vergessen. (Ganz so, wie es ja auch heute der Fall ist.) Aber wenn es dich beruhigt- ich glaube jetzt also durchaus, daß die breite Masse der bevölkerung lesen und schreiben konnte. Ich bezweifle aber dennoch, daß die breite Masse der Bevölkerung im Stande war, ein komplettes Buch am Stück zu lesen... Ansonsten wäre das, was danach geschah, nicht so einfach zu erklären... laß mir ein paar Tage Zeit, dann beschäftige ich mich noch ein wenig mit dem Bildungsniveau der Zeit... (13.09.2014 11:03)Suebe schrieb: Könnte es sein, dass du aus einem streng katholischen Umfeld stammst? Nein, völlig daneben. Ich bin die erste in der Familie, sowohl väterlicher- wie auch mütterlicherseits, die nicht protestantisch getauft wurde. (Ich wurde gar nicht getauft). Katholiken gab es da nicht- bis mein Cousin eine solche heiratete deswegen von seinem Vater um ein Haar enterbt wurde... Besagter Vater versagte seinem Sohn einen höheren Bildungsweg allerdings mit der Begründung "Was für mich gut genug war, muss für meinen Sohn auch gut genug sein"... Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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13.09.2014, 18:12
Beitrag: #10
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RE: Analphabetismus heute bei uns
Warum hatten dann einige periodische Druckerzeugnisse um 1880 (z.B. "Die Gartenlaube") eine Auflagenstärke ähnlich wie heute "Die Bunte"? War das etwa ein typisches "Männerblatt" oder haben diese überwiegend daraus ihren Frauen vorgelesen?
@Bunbury, du hast dir anscheinend das heutige Rollenklischee vom unterdrückten und (bewusst) dumm gehaltenen Hausmütterchen für Herd und Kinder vor über 100 Jahren gründlich angeeignet. Sonst würdest deine These nicht so vehement verteidigen, das hat ja schon was von Gender-Ideologie. Ganz so war es damals aber nunmal nicht, auch ohne Frauenwahlrecht und fehlende Universitätszulassung. „Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein) |
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13.09.2014, 18:13
Beitrag: #11
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RE: Analphabetismus heute bei uns
Zitat:Wobei man natürlich berücksichtigen muss, daß sich das heute nach sehr viel mehr anhört als damals gewesen sein dürfte, insbesondere was Naturgeschichte und Naturlehre anbetraf. Viele wichtige Entdeckungen waren zu jener Zeit noch nicht gemacht bzw noch nicht allgemein anerkannt. es ist die Elemetarschulordnung für das Königreich Württemberg von 1810 Ausnahmen sehen anders aus. Zitat:Aber sofern du auf die schnelle mal bereit bist, bei tante Wiki unter dem Stichwort " Frauenbildung" nachzuschlagen, wirst du dort die Aussage finden, das das Schulsystem, das im 18. und 19. JHDt im Zuge der Institutionalsierung der (höheren) Bildung entstand, auschließlich für Jungen bestimmt war. Unterricht in "geschäftlicher Korrespondenz, Buchführung, Französisch...." seit 1868, ab 1878 zweizügig - das ist der Vorläufer der Handelsschule, die man später Wirtschaftsschule nannte. Natürlich ist das "Frauen-bezogen" der Handwerker und Kleingewerbetreibende brauchte eine Verwaltungskraft, und das ist bis heute sehr sehr oft seine Ehefrau. (auch meine hat heute einen solchen Job, obwohl sie etwas ganz anderes studiert hat) Zitat:Nein, völlig daneben. Ich bin die erste in der Familie, sowohl väterlicher- wie auch mütterlicherseits, die nicht protestantisch getauft wurde. (Ich wurde gar nicht getauft). Katholiken gab es da nicht- bis mein Cousin eine solche heiratete deswegen von seinem Vater um ein Haar enterbt wurde... Sorry, da lebte und lebe ich anscheinend tatsächlich in einer anderen Welt "Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966) |
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13.09.2014, 20:18
Beitrag: #12
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RE: Analphabetismus heute bei uns
(13.09.2014 18:12)Arkona schrieb: @Bunbury, du hast dir anscheinend das heutige Rollenklischee vom unterdrückten und (bewusst) dumm gehaltenen Hausmütterchen für Herd und Kinder vor über 100 Jahren gründlich angeeignet. Sonst würdest deine These nicht so vehement verteidigen, das hat ja schon was von Gender-Ideologie. Ganz so war es damals aber nunmal nicht, auch ohne Frauenwahlrecht und fehlende Universitätszulassung. Ich habe damals nicht gelebt, ich habe mich nur immer dafür interessiert, wo diese Einstellung letztendlich herkommt. Ich fand die Sprüche immer ziemlich bescheuert, die ich da so gesagt bekommen habe. Also habe ich mich schon gefragt, warum das so ist. Ich habe vieles gelesen, habe mich mit dem Rollenbild der Frau in berühmten (in der Regel von von Männern)geschriebenen Theaterstücken und Romanen über die Jahrhunderte beschäftigt. Nichts, was ich gelesen habe, hat mich je auf den Gedanken gebracht, daß gebildete Frauen ein wünschenswertes Ergebnis einer schulbildung sein sollten. Ich muss allerdings einräumen, daß ich sehr viel zeitgenössische Literatur aus dem englisch sprachigen Raum gelesen habe. Von daher kann es schon sein, daß es in Deutschland anders war. Nur- wenn ich mir ansehe, wie schnell sich die Nazi- Vorstellungen vom Heimchen am Herd durchgesetzt haben (und erstaunlicherweise auch bei Frauen), fällt es mir schwer zu glauben, daß diese Einstellung nicht zumindest im "Untergrund" schon vorhanden gewesen ist. Sicherlich gab es Frauen, die gebildet waren- aber überall werden diese Frauen als Außenseiter gewissermaßen als Pariahs dargestellt. Lies mal die Literatur der Zeit. Gelobt wurden sie für ihre Klugheit nur, wenn das dem Mann nutzte... ich wage jetzt einfach mal zu bezweifeln, daß du dich mit diesem Rollenbild jemals intensiv auseinandergesetzt hast. (Was im übrigen kein Vorwurf ist. Bei dir bestand ja die Notwendigkeit nicht.) Das mit dem "dummgehaltenen" Frauen hast im übrigen du gesagt, nicht ich. Sie durften durchaus etwas wissen- wenn es für den Mann von Vorteil war. Oder wie sonst erklärst du dir die Tatsache, daß die Höheren Töchter Schulen zwar die Frauen auf die Ehe nicht aber auf ein Hochschulstudium vorbereiten sollen? Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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13.09.2014, 20:28
Beitrag: #13
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RE: Analphabetismus heute bei uns
(13.09.2014 18:13)Suebe schrieb: es ist die Elemetarschulordnung für das Königreich Württemberg von 1810 Im Jahr 1810 gab es noch kein einheitliches Deutschland. Das Königreich Württemberg war, nach allem, was ich bisher lesen konnte, ein wirklicher Vorreiter in Sachen Schulpflicht. Von daher kann es in einaderen deutschen Königreichen um 1810 durchaus anders ausgesehen haben. Und hat es wohl auch, wenn ich das beim überfliegen so richtig gelesen habe. (13.09.2014 18:13)Suebe schrieb: Unterricht in "geschäftlicher Korrespondenz, Buchführung, Französisch...." seit 1868, ab 1878 zweizügig - Du kannst das schreiben und merkst nicht einmal, daß du mein "Rollenklische" wie Arkona das oben so schön nennt, voll bestätigst? Hat sich nichts geändert gell? Die Frau darf dem Manne gerne als Hilfskraft unterstützen. Nur mehr sein, das darf sie nicht... Ist nicht bös gemeint, nur resignierend... Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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13.09.2014, 20:55
Beitrag: #14
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RE: Analphabetismus heute bei uns
Dass Frauen bis zum Beginn des 20. Jahrhundert meist nicht zu den Universitäten zugelassen wurden, hatte m.E. rein traditionelle Gründe. Der Erwerb universitärer Bildung war, das gebe ich zu, die Ausnahme. Dazu hätte es einer finanziellen Unabhängigkeit durch ein reiches und wohlwollendes Elternhaus bedurft. Dem stand ferner entgegen, dass eine ledige 20jährige schon als alte Jungfer galt.
Der übliche Weg zu höheren Weihen war http://de.wikipedia.org/wiki/H%C3%B6here...hterschule und eventuell später ein Lehrerinnenseminar. Wobei die Absolventinnen dann meist eine Stelle als Hauslehrerin oder Gouvernante in reichen Privathaushalten erhielten. Das war eine Gelegenheit, in diesen Kreisen zu verkehren und eventuell sich eine "gute Partie" in Form eines schneidigen Offiziers oder jungen Fabrikantenerben zu angeln. Wenn schon Klischee, dann richtig... „Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein) |
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13.09.2014, 23:06
Beitrag: #15
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RE: Analphabetismus heute bei uns
So, und jetzt mit einer Mischung aus Ironie und Resignation eine kurze Zusammenfassung der Diskussion:
Zum Beleg, daß um 1880 herum das Bildungsniveau höher war als heute und fast jeder lesen und schreiben konnte, wurden Prozentzahlen miteinanderverglichen- 0,024 % der Rekruten eines einzelnen Jahrganges (1880) wurden die 14,2 der kompletten Erwerbslosen von heute gestellt. Ich habe mich mit diesem Vergleich ernsthaft und sachlich auseinandergesetzt und festgestellt, daß beide Zahlen nicht mit einander vergleichbar sind. Dies wurde von meinen beiden Mitdiskutanten mehr oder weniger ignoriert. Zum weiteren Beleg wurde das Programm einer Schule aus Würtemberg von 1810 angeführt. Auch damit habe ich mich auseinandergesetzt. Der sachlich richtige Einwand, daß es 1810 kein einheitliches Deutschland gab, wurde ebenso ignoriert wie die Tatsache, daß es in unterschiedlichen Königreichen unterschiedliche Bildungspläne gegeben hat und daß es eine allgemeine Schulpflicht in ganz Deutschland tatsächlich erst 1910 gab. Es wurde eine weiterführende Mädchenschule als Beispiel für die Bildung von Mädchen angeführt. Dafür, daß das flächendeckend war, fehlt jeder Beleg. Aber ich soll es als Beweis für die anfängliche Behauptung irgendwie akzeptieren. Als ich das nicht tue, wurde mir dann von einem Mitdiskutanten gleich ein persönliches Problem unterstellt. Wir haben also: Behauptung Gegenargument ignorieren. Beispiel Frage nach der Allgemeingültigkeit des Beispiels- ignorieren. Persönlich werden. Im übrigen in jeden Psychologielehrbuch der klassische Rollen- Streitablauf. Gut, Jungs. Da es offensichtlich dadrum geht: Um das Jahr 1880 herum konnten in Deutschland fast alle Menschen lesen, rechnen und schreiben und zwar besser, als sie das heute können. Jeder hat den Karl May gelesen, und Mädchen hatten natürlich die gleichen Bildungschancen wie Jungen. Wenn ihr das so haben wollt, gut. Dann meinetwegen. Ihr habt recht- und ich habe meine Ruhe. Und ironischerweise beginne, meine Tante und Großtante zu verstehen. Was nützt es schon, wenn Mädchen lesen und denken können- am Endehaben die Männer immer recht... Wie gesagt, ganz ernst gemeint ist das nicht, eher ein bißchen ironisch und resigniert. Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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14.09.2014, 00:07
Beitrag: #16
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RE: Analphabetismus heute bei uns
Um das von Suebe zitierte Elementarschulrecht von 1810 und die Bildungsmöglichkeiten von Mädchen in Württemberg noch mal ins richtige Verhältnis zu rücken, ein paar Fakten aus meiner Stadt - liegt in Württemberg.
Eine Schulpflicht bestand zwar, sowohl für Jungen als auch für Mädchen, diese ging aber nicht über die Elementarschule - Grundschule hinaus. Eine Knabenoberschule (vergleichbar Realschule) existierte seit ca. 1850 eine Mädchenoberschule kam rund 100 Jahre später. Eine Lateinschule für Knaben (vergleichbar Gymnasium) existierte seit 1495, eine Lateinschule für Mädchen gab es nie. Erst ab 1959 mit Eröffnung des städtischen Gymnasiums hatten die Mädchen in der Stadt Zugang zum Abitur. Davor mussten teilweise sehr weite Wegstrecken zurückgelegt werden. Um 1870 herum wurden die Lateinschule für Knaben und die Knabenoberschule zu einem "Real-lyzeum" zusammengeschlossen. Die für die Zusammenlegung der Schule erforderlichen Räume wurden beschafft, in dem man die Mädchen-Elementarschule ausquartierte, übrigens das 4. Mal innerhalb weniger Jahre, und nun sogar ein ganzes Stück außerhalb der Stadttore. 1871 wurde eine neuartige Bildungsstätte durch einen Bürger (Niederländischer Generalkonsul ab 1850) in der Stadt geschaffen - "als Pflanzstätte wahrer und einziger Volksbildung" - zu der jeder ab 14. Jahren Zugang haben sollte, gleich welchen Geschlechts (!).(Allerdings war das Bildungsangebot für den interessierten und fortbildungswilligen Erwachsenen ausgelegt und war als Basis im Sinne einer schulischen Bildung nicht geeignet. Der Generalkonsul durfte nun mal keine Schule aufmachen, es blieb also bei einer Art Vorläufer-VHS) Für den Generalkonsul war ganz klar ein großer Handlungsbedarf hinsichtlich Bildungsgerechtigkeit für finanzschwächere Bürger bzw. deren Sprösslinge und vor allem für Mädchen erkennbar. Doch leider reichten seine Möglichkeiten nicht aus, um da nachhaltig etwas daran zu ändern. 1872 taten sich 3 Frauen der Stadt zusammen und eröffneten in oben genannter Bildungsstätte mit Unterstützung der Frau Generalkonsul ein "Arbeiterinnensemiar" um Mädchen aus einfacher Herkunft oft mit nur äußerst rudimentärer Schulbildung überhaupt eine Perspektive - sich nämlich bis zu einer halbwegs erträglichen Heirat als Hausmädchen in einem der besseren Häuser zu verdingen - zu geben. Soviel zu den Bildungsmöglichkeiten, die Mädchen aus einfachen Verhältnissen bis ins 20. Jahrhundert hinein hatten. Für die Mädchen, die aus besser gestellten Familien kamen, sah das im Zweifelsfall ganz anders aus. Da wurden gerne auch mal Privatlehrer eingestellt oder die Frau Pastorin bemüht. Bei entsprechender Hartnäckigkeit und gesellschaftlichem Rang der Familie war vielleicht auch mal tatsächlich mehr drin - siehe Maria von Linden. Erstaunlich und bewundernswert, wie sich das Mädel durchgebissen hat, aber ich wage zu bezweifeln, dass sie als Tochter eines einfachen Schusters oder Landarbeiters diesen Bildungsweg auch nur im Ansatz hätte beschreiten können. nicht ärgern, nur wundern... |
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14.09.2014, 00:07
Beitrag: #17
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RE: Analphabetismus heute bei uns
(13.09.2014 23:06)Bunbury schrieb: Zum Beleg, daß um 1880 herum das Bildungsniveau höher war als heute und fast jeder lesen und schreiben konnte, wurden Prozentzahlen miteinanderverglichen- 0,024 % der Rekruten eines einzelnen Jahrganges (1880) wurden die 14,2 der kompletten Erwerbslosen von heute gestellt.Es geht ums Lesen und Schreiben (siehe Threadüberschrift), nicht um Bildung i.w.S., dass wir dabei etwas abgedriftet sind liegt an der Diskussion. Übrigens die 14,2% heutige Analphabeten betreffen Erwerbstätige. Bei Erwerbslosen sind es vermutlich noch mehr. (13.09.2014 23:06)Bunbury schrieb: Ich habe mich mit diesem Vergleich ernsthaft und sachlich auseinandergesetzt und festgestellt, daß beide Zahlen nicht mit einander vergleichbar sind.Das hast du eben nicht. Ich muss keine Statistik treiben, um zur Aussage gelangen, dass die Analphabetenquote junger Erwachsener damals nicht wesentlich höher war. Selbst wenn man berücksichtigt, dass bei Kaiser Wilhelm nur derjenige Analphabet war, der schlichtweg nichtmal seinen Namen schreiben konnte. (13.09.2014 23:06)Bunbury schrieb: Der sachlich richtige Einwand, daß es 1810 kein einheitliches Deutschland gab, wurde ebenso ignoriert wie die Tatsache, daß es in unterschiedlichen Königreichen unterschiedliche Bildungspläne gegeben hat...Und genau da sind wir in Deutschland heute immer noch. Schulbildung ist nach wie vor idiotischerweise Ländersache. Trotzdem war und ist das allgemeine Niveau in den einzelnen Landesteilen in etwa gleich. (13.09.2014 23:06)Bunbury schrieb: Als ich das nicht tue, wurde mir dann von einem Mitdiskutanten gleich ein persönliches Problem unterstellt.Nenn doch das Kind beim Namen, ich war es. War mein Eindruck und losgeworden bin ich ihn durch deine Beiträge nicht. Als ob es hier partout ums Recht haben ginge... Echte Argumente, sprich Fakten und Zahlen, kamen von deiner Seite übrigens nicht. Eher emotionale Einwände, allenfalls an der eigenen Familiengeschichte festgemacht. Wäre vielleicht gut, wenn noch Beiträge von anderen Mitgliedern kommen würden. „Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein) |
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14.09.2014, 00:28
Beitrag: #18
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RE: Analphabetismus heute bei uns
Die Zahlen sind tatsächlich nicht miteinander vergleichbar, da hilft auch keine Statistik mehr.
Zitat: Ich habe jetzt mal überregional Tenfelde/Ritter konsultiert. Rekruten stellen eine ganz andere Datenbasis dar als Erwerbstätige Rekruten: - umfasst nur zwei Jahrgänge. - Wehruntaugliche fallen raus - Mädchen fallen raus Erwerbstätige - umfasst rund 50 Jahrgänge (Eintrittsalter ca. 16, Rentenalter ca. 65) - umfasst sowohl Männer als auch Frauen - umfasst auch Menschen anderer Nationalität - umfasst Menschen mit Einschränkungen, die niemals wehrtauglich gewesen wären Der Vergleich hinkt. nicht ärgern, nur wundern... |
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14.09.2014, 02:45
Beitrag: #19
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RE: Analphabetismus heute bei uns
Gibt es überhaupt Quellen, die belegen, dass 14,2 % der heutigen Erwerbsfähigen Analphabeten sind. Die Zahl scheint mir übertrieben hoch.
"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero |
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14.09.2014, 07:17
Beitrag: #20
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RE: Analphabetismus heute bei uns
(14.09.2014 02:45)Sansavoir schrieb: Gibt es überhaupt Quellen, die belegen, dass 14,2 % der heutigen Erwerbsfähigen Analphabeten sind. Die Zahl scheint mir übertrieben hoch. Das bezieht sich v.a. auf die Zahlen die D. in regelmäßigen Abständen an die OECD übermittelt. Dabei ist aber immer zu beachten, dass diese Zahl die funktionalen Analphabeten im erwerbsfähigem Alter darstellt und dieser Begriff wiederum nicht so ganz klar zu fassen ist, weil dabei die unterschiedlichen Grade des Nichtlesenkönnens zusammengefasst sind. Damit sind nicht die totalen oder primären Analphabeten gemeint, deren Zahl in den Industriestaaten ohnehin gegen Null geht, sondern die Menschen, welche nur einzelne Wörter oder einfache Sätze lesen können, jedoch keine größeren Texte zu verstehen vermögen. Gerade beim größeren Textlesen oder auch beim Textverständnis gibt es natürlich einen großen Ermessensspielraum, wen man dann alles in die Gruppe der funktionalen Analphabeten reinpacken könnte. Auch stelle ich mir ganz allgemein die Erhebungsbedingungen für diese Statistik ziemlich schwierig vor, denn es muss ja eine repräsentative Gruppe zusammengestellt werden, die dann den landesweiten Durchschnitt darstellt und mit dem man dann hochrechnen kann. Sicher nicht so einfach und wahrscheinlich auch mit vergleichsweise großen Fehlertoleranzen versehen. Keine Ahnung ob solche Fragestellungen in den Mikrozensusbefragungen vorgesehen sind oder wie das sonst in der Praxis umgesetzt wird. Aus den Melderegistern wird man diese Informationen wohl eher nicht ziehen können. Speziell nachlesen kann man das z.B. beim BMfB, welches 2011 eine Studie (Leo) in Auftrag gegeben hatte - als .pdf runterladen dann direkt bei der Uni Hamburg. Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte. Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land. Veilchen träumen schon, wollen balde kommen. – Horch, von fern ein leiser Harfenton! Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen! Eduard F. Mörike (1804-1875) |
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14.09.2014, 10:34
Beitrag: #21
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RE: Analphabetismus heute bei uns
Mal als Beispiel außerhalb Württembergs das einer kleinen bayerischen Landgemeinde:
"Die nicht ganz so ergiebigen Berichte und urkundlichen Belege über das Schulwesen in Ebenhausen lassen dennoch mit den Visitationsprotokollen der protestantischen Zeit ab 1585 beginnen. (...) Obwohl vom Landesherrn ausgebildet und als Pfarrherren eingesetzt, erhielten diese und die Messner ihre Besoldung vom Abt (von Kloster Kaisheim) in Verrechnung mit dem Zehent, der dem Kloster Kaisheim weiterhin zustand. Bezogen auf die schulischen Verhältnisse nahm der Messner von Ebenhausen die Betreuung der Schulkinder zur Zufriedenheit des Pfarrers wahr, wenngleich von dem Messnergehalt noch eine für den Schulunterricht geeignete Person hätte eingestellt werden können. Unterrichtet wurden hauptsächlich nur in den Fächern Religion, Lesen, Schreiben und Rechnen. Der Besuch der Schule war mehr freiwillig, da es noch keine Schulpflicht gab. Eine Schule gab es nur in Reichertshofen, wohin auch die Kinder von Ebenhausen gingen, sofern sie überhaupt die Schule besuchten. Folgende Namen werden in den Visitationsprotokollen genannt: 1575 Messner unbekannt, Pfarrer Peter Knauer 1585 Messner Hans Zeidelmaier von Baar gebürtig 1591 Messner Georg Zeidelmaier, des vorigen Sohn 1610 Messner Hans Henle In der Folgezeit werden erst wieder von 1771-1848 als Messner und Schulhalter Schelchshorn, Haindl, Lob und Innocenz Haunsberger genannt. Pfarrer Max Holzmann 1853-1873 schreibt über die damaligen Schulverhältnisse: „Ehedem bestand hier wohl eine Schule, aber kein eigenes Schulhaus. Der Messner, ansässig auf dem Hause Nr. 40 (heute Martinstraße 13) nördlich vom Tyrolerhofe, war zugleich Schulhalter unter spezieller Aufsicht des Pfarrers, und gab den Schulunterricht im eigenen Wohnhause“ (...) Nach der Klosteraufhebung im Jahre 1806 wurde vom Staat die Wohnungsentschädigung, die bisher das Kloster Kaisheim gewährte, nicht mehr ausbezahlt. Die Schullehrer wagten es auch nicht, dieselbe zu reklamieren, weil sie befürchteten, es könnte ihnen wegen des Fehlens der gesetzlichen Befähigung das Schulhalten entzogen und ein ausgebildeter Lehrer angestellt werden. Ein nicht geringes Nebeneinkommen brachte den Schullehrern in jener Zeit neben den Stolgebühren bei Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen das Aufspielen bei Tanzmusiken.(...) Im Jahre 1854 konnte das erste gemeindeeigene Schulhaus (heute Anwesen Kirchplatz 9) bezogen werden. (...) Im Jahre 1891 dachte die Gemeinde wegen ständig steigender Schülerzahlen an einen Erweiterungsbau, der jedoch wegen Platzmangel vom damaligen Bezirksamt Ingolstadt abgelehnt wurde. Daraufhin entschloss sich die Gemeinde für einen Schulhausneubau und kaufte 1892 vom Rauscheranwesen an der Hauptstraße 28 Dezimale hinzu. Bereits 1894 konnte die neuerbaute Schule von den Kindern bezogen werden. Im Jahre 1937 erwarb die Gemeinde weitere 18 Dezimale vom Rauscher Anwesen zur Erweiterung des Schulhauses. Für die drei Schulsäle wurden die alten Schulbänke durch neuzeitliche ersetzt und zehn Jahre später weitere 30 Schulbänke angeschafft. [Die Einwohnerzahlen des Dorfes stiegen entsprechend, die Erweiterungen sind also nicht darauf zurückzuführen, dass zuvor nur Jungen unterrichtet wurden und jetzt die Mädchen dazukamen). (...)" Ich halte fest: Bis etwa 1848 wurde der Unterricht vom Messner gehalten, und zwar auf freiwilliger Basis. Der Weg zur regulären Schule im Nachbarort war zu Fuß etwa eine halbe Stunde. Naheliegend, dass die Dorfjugend eher ungebildet war, aber Lesen, Schreiben und die Grundzüge des Rechnens dürften geläufig gewesen sein, zumindest bei den Jungen. Danach übernahm die Gemeinde den Unterhalt der Schule und bestallte dazu auch eigene Lehrer. Wird zwar in der Darstellung nicht extra erwähnt, war aber so. Die Qualifikation dieser Lehrer dürfte heutigen pädagogischen und inhaltlichen Maßstäben kaum einmal Stand gehalten haben...wer´s am billigsten machte, bekam den Job. Oft waren das verhinderte Pfarrer oder Invaliden, die irgendwie ein Auskommen suchten. Bis 1891/94 stiegen die Schülerzahlen deswegen, weil erstens die Bevölkerung zunahm und weil zweitens mittlerweile die Schulpflicht eingeführt wurde, auch wenn sie noch schlecht kontrolliert werden konnte. Schlagendes Indiz dafür ist die Tatsache, dass in Ebenhausen erst 20 Jahre nach Reichsgründung ein neues Schulgebäude nötig wurde; das Schulhaus, das von 1854 bis 1891/94 in Gebrauch war, steht noch, es ist ein zweizimmriges Häuschen mit Anbau und zusätzlichen Wohnräumen für den Lehrer. In den Nachbargemeinde war das unisono ähnlich. Erst nach 1894 waren also überhaupt erst einmal die räumlichen Voraussetzungen gegeben, einen einigermaßen vernünftigen Unterricht abzuhalten. Was das für das Bildungsniveau der damaligen - bayerischen - Landjugend aussagt, überlasse ich eurer Phantasie... VG Christian |
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14.09.2014, 11:03
Beitrag: #22
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RE: Analphabetismus heute bei uns
Erst einmal vielen Dank für die Erklärung. Trotzdem werde ich diesen Prozentsatz mir nur mit Vorbehalt merken. Du hast schon richtig geschrieben, dass der Ermessensspielraum groß sein muss und der ermittelte Wert eine große Abweichung vorweisen wird. Denn dann stellt sich z.B. die Frage (aus einem Leipziger Gerichtsprozess), ob ein Professor aus dem Bereich Werkstoffkunde auch ein funktionaler Analphabet ist, nur weil er einen gerissenenen Betrüger aufgelaufen war und dadurch über 100.000 Euro verloren hat. Der Richter unterstellte ihm zumindest den Text des Vertrages nicht gelesen bzw. nicht verstanden zu haben, um dann entsprechende Fragen an den Vermittler zu stellen. Die Frage ist aber, ob nicht nur wie in diesem Fall, bewusst komplizierte Verklausulierungen verwendet werden, um Leute abzuschrecken, weil diese sich schämen, den (wirklich unverständlichen) Text verstanden zu haben. Aber ist das dann noch funktionaler Analphabetismus?
"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero |
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14.09.2014, 11:19
Beitrag: #23
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RE: Analphabetismus heute bei uns
(14.09.2014 11:03)Sansavoir schrieb: Aber ist das dann noch funktionaler Analphabetismus? Eindeutig: Nein. Man muss kein Amtsdeutsch können, um kein Analphabet zu sein... Funktionaler Analphabetismus besteht darin (wie gesagt), dass man zwar z.B. seinen namen schreiben kann, auch einfache bzw. kurze Texte, dies aber mit Mühe, und dass man v.a. z.B. bei Zeitungsartikel oder epischen Texten (Kurzgeschichten, von Romanen ganz zu schweigen) diese zwar lesen kann, aber mit dem Verständnis Schwierigkeiten hat, wenn dieses überhaupt möglich ist. Solche Menschen lesen dann erst gar nicht, weil sie von vorneherein wissen, dass sie keinen sinn in das Gelesene kriegen und werden so zu faktischen Analphabeten - was nicht geübt wird, verkümmert mit der Zeit, schon gar, wenn die Fähigkeit von vorneherein nicht deutlich ausgeprägt ist... VG Christian |
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14.09.2014, 12:12
Beitrag: #24
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RE: Analphabetismus heute bei uns
Funktionaler Analphabetismus ist v.a. auch ein relativer Begriff. Genau wie Armut, die sich z.B. in Deutschland ganz anders ausdrückt als in Burkina Faso oder Bangladesch.
Ist der Grad der Beherrschung der Schriftsprache (Lesen+Schreiben) im Arbeitsleben und/oder im allgemeinen gesellschaftlichen Verkehr (noch) ausreichend oder nicht? Die Grenzen, in denen man von funktionalem Analphabetismus spricht, sind auf Grund des allgemeinen rasanten technischen, aber auch gesellschaftlichen "Fortschritts", natürlich zeitlich fließend. Was gestern vielleicht noch gelangt hat, ist geraume Zeit später nicht mehr ausreichend und kann heute oder morgen dazu führen, dass derjeneige nicht mehr in vollem Umfang, den von der Gesellschaft gestellten Anforderungen gerecht werden kann und sukzessive von bestimmten gesellschaftlichen Prozessen und Normalitäten ausgegrenzt wird. Selbst die Vertretung der eigenen Interessen wird ihm dadurch extrem erschwert oder fast unmöglich gemacht. Das ganze macht es natürlich umso schwerer, wenn Daten über Analphabetismus/Alphabetisierung von vor hundert oder zweihundert Jahren, mit denen von heute verglichen werden sollen. Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte. Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land. Veilchen träumen schon, wollen balde kommen. – Horch, von fern ein leiser Harfenton! Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen! Eduard F. Mörike (1804-1875) |
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14.09.2014, 14:12
Beitrag: #25
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RE: Analphabetismus heute bei uns
(13.09.2014 23:06)Bunbury schrieb: So, und jetzt mit einer Mischung aus Ironie und Resignation eine kurze Zusammenfassung der Diskussion: sowas ignoriert man am besten. Wenn nicht der "psychologische" Teil wäre. Basis dieser Kontroverse ist dieser 3nd http://www.forum-geschichte.at/Forum/sho...t=karl+may Insbesondere diese Aussagen: Zitat:Ich schrieb dies: Und das bezog sich auf die Stellung meiner Frau in unserer gemeinsamen Firma: Zitat:Du kannst das schreiben und merkst nicht einmal, daß du mein "Rollenklische" wie Arkona das oben so schön nennt, voll bestätigst? Wer meine Frau kennt, kann darüber nicht mal lachen.... Ja, meine Frau macht heute ganz etwas anderes als das, was sie studierte. Wird aber noch ein paar geben. Und auf meinen Druck oder sonstwas sowieso nicht. Das war ihre eigene freie Entscheidung. Bei Bedarf hole ich gerne eine Ehrenerklärung ihrerseits ein. "Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966) |
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14.09.2014, 16:47
Beitrag: #26
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RE: Analphabetismus heute bei uns
Es ist gut, dass der Begriff des funktionalen Analphabeten gefallen ist. Wenn es um Behördenformulare geht, bin ich auch einer. Lieber lege ich jährlich eine hohe 3stellige Summe für den Steuerberater auf den Tisch (bin Freiberufler) als mich selbst damit abzugeben.
„Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein) |
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15.09.2014, 11:58
Beitrag: #27
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RE: Analphabetismus heute bei uns
(14.09.2014 14:12)Suebe schrieb: [quote='Bunbury' pid='38612' dateline='1410642371'] Sorry, ich wollte dich nicht kränken, und schon gar nicht das behaupten, was du wieder rausgelesen hast. Mir ging es einzig und allein um die Selbstverständlichkeit, mit der du das geschrieben hast. Als wäre es das Normalste der Welt, daß die Frau dem Manne hilft, egal, was sie selbst studiert hat. Ja, das klang sehr selbstverständlich. Das ist es aber nicht. Das stimmt schon traurig. Aber ich erwarte nicht, daß du das verstehst. Schade, ich hätte gerne herausgefunden, wie die Diskrepanz zwischen dem, was du als Fakten präsentierst und dem, was bei mir angekommen ist, zu erklären ist. Aber ich fürchte, du bist nicht der richtige dafür. Denn ehrlich gesagt- wir haben ja eigentlich über etwas ganz anderes diskutiert. Unser kleiner "Privatstreit", wenn man es so will. Letztendlich geht es ja doch in letzter Konsequenz eh wieder nur darum, daß die Jugend von heute nichts taugt, faul ist und in der Schule nichts vernünftiges lernt. @Uta, Avicenna, Chris: Danke für eure Infos. Die waren sehr interessant und dazu angetan, das Bild doch abzurunden. Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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15.09.2014, 14:51
Beitrag: #28
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RE: Analphabetismus heute bei uns
(14.09.2014 16:47)Arkona schrieb: Es ist gut, dass der Begriff des funktionalen Analphabeten gefallen ist. Wenn es um Behördenformulare geht, bin ich auch einer. Lieber lege ich jährlich eine hohe 3stellige Summe für den Steuerberater auf den Tisch (bin Freiberufler) als mich selbst damit abzugeben. oder Versicherungsverträge.... Ich würde aber mal ganz forsch behaupten, dass wir uns dann als funktionale Analphabeten in bester Gesellschaft befinden, nämlich mit der ganz großen Mehrheit - mir drängt sich da spontan der alte Geisterfahrerwitz auf.... nicht ärgern, nur wundern... |
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15.09.2014, 15:25
Beitrag: #29
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RE: Analphabetismus heute bei uns
(15.09.2014 14:51)Uta schrieb:oder "Allgemeine Geschäftsbedingungen" .....oder Gebrauchsanweisungen ...oder(14.09.2014 16:47)Arkona schrieb: Es ist gut, dass der Begriff des funktionalen Analphabeten gefallen ist. Wenn es um Behördenformulare geht, bin ich auch einer. Lieber lege ich jährlich eine hohe 3stellige Summe für den Steuerberater auf den Tisch (bin Freiberufler) als mich selbst damit abzugeben. In den meisten Fällen ist das Absicht, die Juristenzunft will ja auch leben. |
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15.09.2014, 16:34
Beitrag: #30
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RE: Analphabetismus heute bei uns
(15.09.2014 11:58)Bunbury schrieb: ./. Nein, ich verstehe es auch nicht. Zitat:Schade, ich hätte gerne herausgefunden, wie die Diskrepanz zwischen dem, was du als Fakten präsentierst und dem, was bei mir angekommen ist, zu erklären ist. Aber ich fürchte, du bist nicht der richtige dafür. Das nehme ich zur Kenntnis. Und jetzt erlaube ich mir auch mal ein offenes Wort. Du steckst voller Vorurteile. Alle Fakten, die deine Vorurteile nicht bestätigen, nimmst du entweder gar nicht zu Kenntnis, oder versuchst sie "herabzurelativieren". Was nicht sein darf kann auch nicht sein... Mädchen im 19, Jahrhundert der Unterschicht konnten nicht lesen. Basta aus fertig. Bunbury hat gesprochen. Meine Frau, sorry, aber du hast davon angefangen, hatte zweimal Krebs, einmal links, einmal rechts. Wenn man zuvor so blöd war, und 10 Jahre zu Hause war, der Kinder zuliebe, hat man alle Ansprüche verloren. Und man, in dem Fall sie, kommt mit der Krankengeschichte in ihren Job nicht ums "Verrecken" wieder rein. Wer stellt auch einen zukünftig Langzeitkranken ein? Die öffentliche Hand zweimal nicht. Langer Rede kurzer Sinn, wir, ich aber auch sie, waren sehr froh, dass es in dem Fall eine Alternative gab. Aber natürlich, ich bin ja ein solcher Macho..... Der Rest.... geschenkt. Auf zweimal "Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966) |
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15.09.2014, 17:33
Beitrag: #31
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RE: Analphabetismus heute bei uns
(15.09.2014 15:25)Renegat schrieb:(15.09.2014 14:51)Uta schrieb: oder Versicherungsverträge....oder "Allgemeine Geschäftsbedingungen" .....oder Gebrauchsanweisungen ...oder Das kann man sicher noch allgemeiner sehen, nicht nur bei irgendwelchen Finanzsachen. Überall dort, wo sich einer gewissen Fachsprache bedient wird, sieht derjenige, der davon keine Ahnung hat, eben total blass aus - er versteht kaum etwas. Beim Lesen von solchen Texten das gleiche - in speziell diesen Fachgebieten ist man dann ein funktionaler Analphabet. Inwieweit solche Fachsprachen insofern sinnvoll und effizient sind, weil sich die "Kundigen" auf diese Art besser und schneller verständigen können, und/oder ob man sich damit auch sichtbar oder hörbar von anderen "Unkundigen" einfach nur abgrenzen will, kann ich nicht einschätzen. Es ist sicher von beidem was dabei. Eine verwandte Problematik tritt m.E. auch bei Immigranten auf, die nach D. kommen und kaum Deutsch (sprechen) können. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit können diese Leute in ihrer Muttersprache lesen und schreiben, was dagegen die LeseSchreibkompetenz im Deutschen betrifft, sind sie aber funktionale Analphabeten der untersten Ebene, obwohl sie vielleicht die Buchstaben eines vorliegenden Textes zu Wörtern und Sätzen zusammenfügen können. Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte. Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land. Veilchen träumen schon, wollen balde kommen. – Horch, von fern ein leiser Harfenton! Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen! Eduard F. Mörike (1804-1875) |
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15.09.2014, 17:48
Beitrag: #32
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RE: Analphabetismus heute bei uns
Zitat:Mädchen im 19, Jahrhundert der Unterschicht konnten nicht lesen. Vielleicht nochmal zurück zum Thema (Sorry, Suebe, dass ich ausgerechnet das Zitat aus deinem Beitrag gewählt habe, war aber im Moment so gut greifbar. Ich will dir damit nichts in den Mund legen.) Gehen wir davon aus, dass Mädchen im 19. Jh. durchaus in der Schule waren und wenigstens eine Grundschulbildung bis hin zur Volksschulbildung genossen haben, dann dürften doch die meisten wenigstens lesen und schreiben gelernt haben. Nehmen wir weiterhin die Zahlen, die im Verlaufe der Diskussion aufkamen, als Fakt, nämlich 14,2 % (funktionale ?) Analphabeten. Ok, wenn es in unserem heutigen Schulsystem mit Schulpflicht, Schulwahl, Lehrmittelfreiheit, Fördereinrichtungen, Durchlässigkeit nach oben wie nach unten, Sonderpädagogen etc. pp immerhin 14,2% der heute Erwerbstätigen (sicher?) "gelingt" nach 7 - 9 (oder noch mehr) Schuljahren immer noch nicht richtig lesen und schreiben zu können, wieviele mögen dann im 19. Jh. zwar in der Schule gewesen sein, aber es auch nicht geschafft haben? Heutzutage muss sich ein "echter" Analphabet (funktionaler, wie auch immer definiert lass ich mal außen vor) ganz schön was einfallen lassen, um nicht als solcher erkannt zu werden. Es gibt kaum Erwerbsmöglichkeiten, in denen nicht ein Minimum an Lesen und Schreiben erforderlich wird, und sei es nur die Kantinenbestellung aufzugeben. Im 19. Jh. sah das sicher sowohl für Männlein als auch Weiblein anders aus. Erstens gab es genügend Erwerbsmöglichkeiten ohne Schriftlichkeit, noch dazu dürfte es gerade auch den Frauen nicht unbedingt an Ansehen geschadet haben, wenn sie es mit dem Schreiben nicht so hatten. Von ihnen waren andere Qualitäten gefordert. Aus diesem Grund denke ich schon, dass der Anteil analphabetischen Frauen im 19. Jh. deutlich höher lag als heute. Was die andere Zahl in dieser Diskussion betrifft, die 0,024 Rekruten. Ich muss ehrlich sagen, dass mich das interessiert. Wäre doch mal interessant, die heutigen wehrtauglichen jungen Männer des gleichen Alters (also die zwei Jahrgänge die normalerweise jetzt eingezogen werden würden) gegenüber zu stellen. Dann würde a) der Vergleich stimmen, und b) könnte man daran wirklich sehen, wie sich die Grundbildung zumindest für junge Männer im Laufe der Zeit verändert (verbessert? verschlechtert?) hat. nicht ärgern, nur wundern... |
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15.09.2014, 18:26
Beitrag: #33
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RE: Analphabetismus heute bei uns
(15.09.2014 16:34)Suebe schrieb:(15.09.2014 11:58)Bunbury schrieb: ./. Du merkst es wirklich nicht, oder? Du machst mich wirklich extrem traurig. Du steckst so voller Vorurteile, daß du Dinge liest, die ich nicht geschrieben habe. Aber du weißt mit absoluter Sicherheit, was ich denke und sage. Nein, sorry, tust du nicht. Nicht einmal ansatzweise. Das mit deiner Frau tut mir leid. Aber ich habe nie über sie geschrieben, sondern nur über dich. Du hast sie ins Spiel gebracht, nicht ich. Aber soviel Fairness, wenigstens das zuzugeben, brauche ich von dir wohl nicht zu erwarten. Und ja- ich halte dich für einen Macho. Aber nicht deswegen, was du mir unterstellst. Sonst einfach deswegen, weil du niemals auch nur ansatzweise zugeben konntest, daß ich vielleicht irgendwo recht haben könnte. Und daß du mir regelmäßig, wenn ich eine andere Meinung habe als du, die Kompetenz absprichst, die Frage beurteilen zu können. Etwas, was du bei unseren männlichen Mitschreibern nicht tust. Trotzdem habe ich mich immer wieder auf die Diskussion mit dir eingelassen- weil ich immer in Betracht ziehe, mich vielleicht doch geirrt zu haben. Ich denke, das lasse ich künftig. Aber nicht deinetwegen. Sondern um all der anderen willen, die sich hire wirklich um Sachlichkeit bemüht haben. An alle anderen: Danke für die Infos. Ihr habt mir echt weitergeholfen. Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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15.09.2014, 19:18
Beitrag: #34
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RE: Analphabetismus heute bei uns
(15.09.2014 17:48)Uta schrieb: Was die andere Zahl in dieser Diskussion betrifft, die 0,024 Rekruten. Ich muss ehrlich sagen, dass mich das interessiert. Wäre doch mal interessant, die heutigen wehrtauglichen jungen Männer des gleichen Alters (also die zwei Jahrgänge die normalerweise jetzt eingezogen werden würden) gegenüber zu stellen. Dann würde a) der Vergleich stimmen, und b) könnte man daran wirklich sehen, wie sich die Grundbildung zumindest für junge Männer im Laufe der Zeit verändert (verbessert? verschlechtert?) hat. Da habe ich schon nach gesucht und leider im Netz nix gefunden. Die Zahl von 1880 kommt mir so niedrig vor, es müssen andere Kriterien als heute angewandt worden sein. Das Schreiben des eigenen Namens? Aber darüber worum es primär ging, nämlich dass auch schon in dieser Zeit Lesen und Schreiben in Deutschland verbreitetes Allgemeingut war, sind wir uns hoffentlich einig. Dazu bedarf es auch keiner zehnjährigen Schulzeit, zumal man damals die Aneignung dieser Fertigkeit nachdrücklich mit dem Rohrstock förderte. „Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein) |
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15.09.2014, 19:50
Beitrag: #35
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RE: Analphabetismus heute bei uns
(15.09.2014 19:18)Arkona schrieb: Da habe ich schon nach gesucht und leider im Netz nix gefunden. Die Zahl von 1880 kommt mir so niedrig vor, es müssen andere Kriterien als heute angewandt worden sein. Das Schreiben des eigenen Namens? Aber darüber worum es primär ging, nämlich dass auch schon in dieser Zeit Lesen und Schreiben in Deutschland verbreitetes Allgemeingut war, sind wir uns hoffentlich einig. Dazu bedarf es auch keiner zehnjährigen Schulzeit, zumal man damals die Aneignung dieser Fertigkeit nachdrücklich mit dem Rohrstock förderte. Ich hatte was vergleichbares an Zahlenmaterial gefunden, nur blöderweise alles schon wieder weggeklickt. Da muss ich nochmal in der Chronik schauen. Die Kriterien die da angewandt wurden, waren aber mit Sicherheit andere, da stimme ich dir absolut zu. Das mit dem Rohrstock ist auch ein guter Hinweis. Dieses sehr autoritäre "pädagogische Hilfsmittel" war ja ein ständig über den Schülern schwebendes Damoklesschwert, welches wohl so manchem verstockten und auf Faulheit zurückzuführenden "funktionalen Analphabeten" die Liebe zum Lesen, Schreiben und Rechnen nähergebracht haben muss. Ich stelle mir das ziemlich schrecklich und demütigend vor. Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte. Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land. Veilchen träumen schon, wollen balde kommen. – Horch, von fern ein leiser Harfenton! Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen! Eduard F. Mörike (1804-1875) |
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15.09.2014, 20:37
Beitrag: #36
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RE: Analphabetismus heute bei uns
(15.09.2014 17:48)Uta schrieb:Zitat:Mädchen im 19, Jahrhundert der Unterschicht konnten nicht lesen. (15.09.2014 18:26)Bunbury schrieb:(15.09.2014 16:34)Suebe schrieb: Nein, ich verstehe es auch nicht. (15.09.2014 19:18)Arkona schrieb:(15.09.2014 17:48)Uta schrieb: Was die andere Zahl in dieser Diskussion betrifft, die 0,024 Rekruten. Ich muss ehrlich sagen, dass mich das interessiert. Wäre doch mal interessant, die heutigen wehrtauglichen jungen Männer des gleichen Alters (also die zwei Jahrgänge die normalerweise jetzt eingezogen werden würden) gegenüber zu stellen. Dann würde a) der Vergleich stimmen, und b) könnte man daran wirklich sehen, wie sich die Grundbildung zumindest für junge Männer im Laufe der Zeit verändert (verbessert? verschlechtert?) hat. (15.09.2014 19:50)Avicenna schrieb:(15.09.2014 19:18)Arkona schrieb: Da habe ich schon nach gesucht und leider im Netz nix gefunden. Die Zahl von 1880 kommt mir so niedrig vor, es müssen andere Kriterien als heute angewandt worden sein. Das Schreiben des eigenen Namens? Aber darüber worum es primär ging, nämlich dass auch schon in dieser Zeit Lesen und Schreiben in Deutschland verbreitetes Allgemeingut war, sind wir uns hoffentlich einig. Dazu bedarf es auch keiner zehnjährigen Schulzeit, zumal man damals die Aneignung dieser Fertigkeit nachdrücklich mit dem Rohrstock förderte. Mal allen Antworten. Mit den "Rekruten" ist es wohl so, dass da vermutlich eher die Gesamtzahl der "Gemusterten" gemeint war. Es ist durchaus möglich, dass da gar nicht viel mehr als die Kunst des Namensschreiben und -lesen geprüft wurde. Ritter/Tenfelde vergleichen ja auch lediglich mit den Ergebnissen von ca. 1870, dass da noch 2-3% je Jahrgang nicht dazu fähig waren. Und machen an diesem Ergebnis fest, dass dies auf die Leistungen der dt. Volksschule zurückzuführen sei. Auf die man sich im deutschen Reich sehr viel eingebildet hätte, da zdZ in den anderen europäischen Flächenstaaten dieses Level längst nicht erreicht gewesen wäre. Kritischer sehen Tenfelde/Ritter die Versuche über die Volksschule die Bevölkerung streng auf Kaiser und Reich auszurichten, wozu zB in Bayern die Lehrer nicht angewiesen worden wären. Dies aber aus innerer Überzeugung oft genug auch versucht hätten. Der Krieg 1870/71 sei auch ein Sieg des dt. Volksschullehrers gewesen. alles frei zitiert aus o.g. Wobei, es gibt anscheinend eine Untersuchung über das Leseverhalten des dt. Arbeiters vor 1914 von Langewiesche, ich muss mal schauen ob ich die besorgen kann. Die Regionalforscher oder Heimatkundler wie man sagen will, des 19. + 20. Jahrhunderts waren sehr häufig Lehrer, ergo kann man sich in regionalen historischen Publikationen recht sicher sein, dass da "immer" ein Kapitel "Schule" enthalten ist. Das Thema oft angerissen wird. Auch die Aktenlage, zumindest in Württemberg ist recht gut, die Herzöge (Beispiel der vielgescholtene Carl Eugen sah dies als seine Berufung) waren hinterher, dass ihre Vorgaben auch umgesetzt wurden. Daher gibt es Visitationsprotokolle ohne Ende ![]() Egal worin man schaut, amtl. Kreisbeschreibung von 1961 Ortsgeschichten usw. usf. Schule ist drin. Durchaus auch mit Infos zum Thema hier "Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966) |
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15.09.2014, 20:46
Beitrag: #37
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RE: Analphabetismus heute bei uns
Der Rohrstock....
Habe ich in der Grundschule noch erlebt. Nicht nur die "gesunde Ohrfeige" oder die gefürchtete Tatze, nein, Hosenspanne, über die voderste Bank legen..... Hat einer in meiner Klasse an die Schultüre ein Wort geschrieben, begonnen mit V und aufgehört mit tz. Kam der Rektor mit dem Rohrstock in der Hand, hat ihn mitgenommen wie einen zum Tod verurteilten, die Schreie waren im Klassenzimmer noch zu hören.... Und keiner hat gewusst, warum der verprügelt wurde.... Er hätte die Kreide geklaut, mit der er jenes ominöse Wort geschrieben hatte. Dass das Kappes war, habe ich mit meinen 8 Jahren geschnallt. War ein Flüchtlingskind Mutter alleinerziehend, die haben in einer Baracke gehaust und der Junge hat vermutlich manches mitbekommen, was für ein Kind nicht so gut ist. Aber den so verprügeln.... Sorry, war eine Abschweifung.. "Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966) |
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15.09.2014, 20:47
Beitrag: #38
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RE: Analphabetismus heute bei uns
(15.09.2014 19:50)Avicenna schrieb: Das mit dem Rohrstock ist auch ein guter Hinweis. Das kann man wohl annehmen. Hier mal aus der Sicht von jemandem, der dabei war: Zitat:„Die Lateinschule, welche auch mir viele Konflikte gebracht hatte, wurde für Hans mit der Zeit zur Tragödie, auf andere Weise und aus anderen Gründen als für mich, und wenn ich später als junger Schriftsteller in der Erzählung „Unterm Rad“ nicht ohne Erbitterung mit jener Art von Schulen abrechnete, so war das leidensschwere Schülertum meines Bruders dazu beinah ebenso sehr Ursache wie mein eigenes. Hans war durchaus gutwillig, folgsam und zum Anerkennen von Autorität bereit, aber er war kein guter Lerner, mehrere Lernfächer fielen ihm sehr schwer, und da er weder das naive Phlegma besaß, die Plagereien und Strafen an sich ablaufen zu lassen, noch die Gerissenheit des Sich-Durchschwindelns, wurde er zu einem jener Schüler, von denen die Lehrer, namentlich die Schlechten Lehrer, gar nicht loskommen können, welche sie nie in Ruhe lassen können, sondern immer wieder plagen, höhnen und strafen müssen. Es sind mehrere recht schlechte Lehrer dagewesen, und einer von ihnen, ein richtiger kleiner Teufel hat ihn bis zur Verzweiflung gequält. Dieser Mann hatte unter anderen bösen Gewohnheiten die, daß er sich beim Abfragen dicht und drohend vor dem Schüler aufstellte, ihn mit schrecklichem Richtergesicht anbrüllte und dann, wenn der verängstigte Schüler natürlich versagte und ins Stottern geriet, seine Frage viele Male wiederholte, in einem rhythmischen Singsang, und dazu im Takt mit seinem eisernen Hausschlüssel auf des Schülers Kopf losschlug. Ich weiß aus späteren Erzählungen meines Bruders, daß dieser böse kleine Tyrann mit seinem Hausschlüssel zwei Jahre lang den kleinen Hans nicht nur Tag für Tag, sondern oft auch bis in die Angstträume der Nacht hinein gepeinigt hat. Oft kam er in einem hoffnungslosen Krampf von Kopfweh und Todesangst aus der Schule nach Hause.“ Hermann Hesse schrieb das mit 41 Jahren und bezieht sich auf seine Schulzeit und die seines 6 Jahre jüngeren Bruders in den späten 1890er Jahren. Es ist ein Nachruf an seinen kleinen Bruder, der sich im Jahr 1936 das Leben nahm. nicht ärgern, nur wundern... |
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15.09.2014, 21:21
Beitrag: #39
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RE: Analphabetismus heute bei uns
Ist zwar OT, aber wenn wir schon bei der alten Prügelpädagogik sind:
Ein älterer Lehrer in der Lausitz zeigte mir mal ein ausgefülltes Buch betr. Schulstrafen aus Kaisers Zeiten. Wurde damals ähnlich wie ein Klassenbuch geführt, mit vorgedruckter Tabelle. Datum / Name des Gezüchtigten / Art der Züchtigung / Begründung Bei Art der Züchtigung stand immer (sic!) 3 Schläge auf das Gesäß. Begründung alles Mögliche, von A wie Abschreiben bis Z wie Zaunkönigsnest ausgenommen. Auf meine Bemerkung, 3 Schläge wären doch eher ein Spaß für den Delinquenten gewesen, sagte er, das wäre nur der aktenkundige Eintrag gewesen. Ordnung musste sein. In der Praxis hat sich der Dorfschulmeister natürlich meist gewaltig "verzählt". „Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein) |
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16.09.2014, 08:25
Beitrag: #40
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RE: Analphabetismus heute bei uns
Jeder der diese Sadisten noch in Aktion erlebte, war wohl von dem selben Gedanken erfüllt.
Warte mal bloss, bis ich "gross und stark bin" und ich kann mich erinnern, wie die 8-Klässler in der Zeit mal den Oberschläger als er besoffen aus dem Gesangverein kam, in den Marktbrunnen schmissen. "Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966) |
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16.09.2014, 13:08
Beitrag: #41
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RE: Analphabetismus heute bei uns
Im "Tailfinger Heimatbuch" des Dr. Hermann Bizer von 1953
http://www.eurobuch.com/buch/nr/283b9704...52258.html ist von einem Kirchenbucheintrag vom Juli 1822 die Rede "Rekruten die nicht lesen und schreiben können: Tailfingen 1, Pfeffingen 1, Zillhausen 1, Ebingen 1, Winterlingen 3". In diesen Jahren war die Tailfinger Schule sehr in der Kritik, der Pfarrer, der vermt. auch den o.g. Kirchenbucheintrag verfasste, hat ein paar Jahre später in einem Schreiben an den Dekan 10 Punkte aufgeführt, warum die Tailfinger Schule bei der Visitation wieder so negativ aufgefallen war. Ich unterstelle mal, die geistliche Schulaufsicht war ja zu der Zeit längst nicht mehr unumstritten, es wurde von den weltlichen Behörden die Kunst des Lesens und Schreibens nicht zuletzt deshalb bei der Musterung geprüft, um eine gewisse Gegenprobe zur Schulaufsicht zu haben. Und anscheinend wurden die Ergebnisse der Schulaufsicht auch mitgeteilt, sonst wären sie kaum im Kirchenbuch gelandet. "Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966) |
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16.09.2014, 14:31
Beitrag: #42
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RE: Analphabetismus heute bei uns
Das ist, passend zum Thema, von dem auch heute noch sehr populären Heimatdichter Rudolf Tarnow (1867-1933). Den Globus von Mecklenburg gibt es übrigens als Touristengag zu kaufen.
http://www.glowe.de/geschichte/index2.php „Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein) |
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16.09.2014, 15:28
Beitrag: #43
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RE: Analphabetismus heute bei uns
Um zur Ausgangsfrage zurückzukommen:
Das Thema ist auch hier in Ö absolut virulent. Es wird Bildungskosmetik betrieben und diverses für teures Geld verschlimmbessert, während die wahren Probleme ignoriert werden. Jeder vierte Schüler zwischen 15 und 16 kann nicht sinnerfassend lesen, das ist die traurige Tatsache. http://diepresse.com/home/bildung/schule...send-lesen MfG, Titus Feuerfuchs |
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16.09.2014, 15:28
Beitrag: #44
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RE: Analphabetismus heute bei uns
Ich würde gerne noch mal kurz zum Ausgangspunkt der Diskussion zurück, bzw. zum Threadtitel.
Ich bin jetzt die ganze Zeit über die 14,2% gestolpert. Ich habe daher gesucht und eine schöne Zusammenfassung der Studie gefunden, auf die sich der verklinkte Artikel aus Die Zeit bezieht. : http://site.alpha-z.de/et_dynamic/page_f...1299942236 Da sieht man dann auch, was in dem Artikel nicht passt, der ist nämlich nur auf die 14,2 % bzw. 7,5 Mio. erwerbsfähigen Menschen beschränkt, und impliziert so ein völlig verzerrtes Bild. /1/ Es sind rund 4% der erwerbsfähigen die als Analphabeten angesehen werden müssen: "Davon wird bei Unterschreiten der Satzebene gesprochen, d.h., dass eine Person zwar einzelne Wörter lesend verstehen bzw. schreiben kann – nicht jedoch ganze Sätze. Zudem müssen die betroffenen Personen auch gebräuchliche Wörter Buchstabe für Buchstabe zusammensetzen." /2/ Es sind rund 25 % der erwerbsfähigen, die bei gebräuchlichem Wortschatz fehlerhaft schreiben und lesen. (Immerhin 13 Mio Bundesbürger) Kumuliert aus /1/ und /2/ ergibt sich dann ein Anteil von 14,2% der erwerbsfähigen, die als "funktionale Analphabeten" angesehen werden müssen. Graphisch ist es hier auch noch mal schön dargestellt: http://de.statista.com/statistik/daten/s...utschland/ (wenn auch die Zahlen etwas anders sind, in der Tendenz stimmen sie jedenfalls) So, das sieht nun ganz anders aus, oder? Wenn ich Arkona richtig verstanden habe, sollte in dieser Diskussion um die rund 4% Analphabeten gehen und weniger um die orthographischen und grammatikalischen Schwierigkeiten, mit denen wohl jeder 4. Bundesbürger zu kämpfen hat. Ebenso sollte es um die Frage nach den Ursachen und einem Vergleich (sofern möglich) zu früheren Zeiten und evtl. auch anderen Bildungssystem aus früheren Zeiten gehen. Was Ursachen für Analpabetismus heute sein können, da wurden bereits ein paar genannt. Beispiel von Avicienna, der von Migranten spricht, die in ihrer Kultur eine völlig andere Schrift haben, also faktisch gesehen auch keine Analphabeten sind. Mir fallen Menschen ein, die aufgrund von Behinderungen/Einschränkungen nicht lesen und schreiben können, aber dennoch im Arbeitsprozess eingebunden sind oder sein könnten. Nicht erkannte Dyslexie/Legasthenie kann Ursache sein usw. Wenn man diese "erklärbaren" Fälle dann auch noch aus der Statistik rausrechnen würde, verbliebe ein Rest, der Hinweise auf Schwächen und Lücken im Bildungssystem geben kann. Diese Schwächen und Lücken ließen sich dann eventuell besser mit vorausgegangenen Zeiten und den damals etablierten Schulsystemen vergleichen. Ist so eine Diskussion machbar? nicht ärgern, nur wundern... |
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16.09.2014, 16:24
Beitrag: #45
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RE: Analphabetismus heute bei uns
Ich kannte in den 70ern einen ehemaligen kriegsgefangenen Polen, der 1945ff in Deutschland hängen blieb.
Er hatte, als ich ihn kennenlernte, einen Job in einer Werkzeugfabrik, "innerbetrieblicher Transport" nannte sich das. Sonderanforderungen an Material und Werkzeugen in die Abteilungen und umgekehrt in den Versand hatte der aufzunehmen und zu erledigen. Er konnte "kein Wort schreiben" auf deutsch nicht, und wie sich später herausstellte vermutlich auch nicht auf polnisch. Die Anforderungen und Lieferungen hat er aber überaus sorgfältig, zuverlässig und schnell erledigt. Wobei er sich einer Anzahl Zeichen und Ziffern bediente, die außer ihm keiner kannte. Es waren hunderte Artikel ,darunter teuerste Sonderstähle die er auseinanderhalten musste. Es hat immer geklappt. Was ich damit sagen will, wenn sich einer heute, auch schon 1976, als Analphabet mehr oder weniger unerkannt durchs Leben schlägt, erfordert dies einen sehr hohen Intelligenzeinsatz. "Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966) |
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16.09.2014, 18:51
Beitrag: #46
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RE: Analphabetismus heute bei uns
(16.09.2014 15:28)Uta schrieb: Ist so eine Diskussion machbar? Vielleicht noch ein paar Beiträge, um die Diskussion noch zu "unterfüttern", alle aus http://ieg-ego.eu/de/threads/hintergruen...etisierung "In Schweden und anderen skandinavischen Ländern gab es [in der Frühen Neuzeit] aufgrund der über große Gebiete verstreuten, überwiegend ländlichen Bevölkerung nur wenige Schulen, so dass die in weiten Schichten der Bevölkerung verbreitete Lesefähigkeit dieser Regionen beinahe ausschließlich dem Heimunterricht zu verdanken war.5 Auch die Alpen- und Pyrenäenregionen hatten eine lange Tradition von Heimunterricht und umherreisenden Pädagogen – und einen hohen Alphabetisierungsgrad.6 Am Beispiel dieser nördlichen Gebieten und dieser Gebirgsregionen sieht man, dass ein im Vergleich zu den ökonomischen Kerngebieten Europas geringer wirtschaftlicher Entwicklungsstand nicht unbedingt ein Hindernis für die Alphabetisierung sein musste. (...) Tatsächlich war die Alphabetisierung in protestantischen Ländern im Allgemeinen weiter fortgeschritten als in katholischen und wo beide Glaubensrichtungen nebeneinander bestanden, wie etwa in Frankreich, Irland und in den Niederlanden, waren die Calvinisten meist gebildeter als die Katholiken.8 (...) Der dynamische Katholizismus der Gegenreformation führte teilweise zu ähnlichen Ergebnissen wie in den protestantischen Kerngebieten. Während in den 1560er und 1570er Jahren nur 40 Prozent der von der spanischen Inquisition angeklagten Erwachsenen eine genaue Kenntnis der Zehn Gebote besaßen, waren es in den 1590er Jahren 80 Prozent. Im gleichen Zeitraum fiel der Anteil der von der Inquisition als vollkommen ungebildet beurteilten Angeklagten von 50 auf unter 10 Prozent(...) Die Alphabetisierung war keineswegs ein homogener, durchgängig verlaufender Prozess. Während die Alphabetisierung im 18. Jahrhundert in den meisten Teilen Europas voranschritt, ging in Polen die Zahl der Menschen, die mit ihrem Namen unterschreiben konnten, aufgrund politischer und militärischer Krisen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sogar zurück. (...)" Interessanterweise belegen Houstons Zahlen gerade für das Spanien der Inquisition, dass ALLE - also Männer und Frauen - gebildeter wurden! Aber das sind alles Angaben zur Frühen Neuzeit. Für das 19.Jh. suche ich noch nach Quellen... VG Christian |
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16.09.2014, 19:00
Beitrag: #47
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RE: Analphabetismus heute bei uns
Was zum wilhelminischen Deutschland (aus http://www.wilhelm-der-zweite.de/kaiser/...vorn.php):
"Eine entscheidende Ursache dieses „ersten deutschen Wirtschaftswunders“ (Ehrhardt Bödecker) lag in dem modernen und leistungsfähigen Bildungswesen der wilhelminischen Epoche. Lichthof der Münchener Universität, erbaut 1905-1909 vom Berliner Architekten German BestelmeyerDas dreistufige Bildungssystem (Volksschule, Realschule, Universität) erwies sich als zeitgemäß und effizient, da es nicht nur gesellschaftlichen Eliten zugute kam, sondern in der Breite wirkte und damit den immensen Bedarf einer jungen dynamischen Wirtschaftsmacht an gutausgebildeten Menschen erfüllen konnte. Die deutsche Analphabetenquote betrug um die Jahrhundertwende weniger als 1% (Frankreich: 10%, USA: 12%, England 9,6%). Entscheidende Weichenstellungen für die Schulpolitik waren die beiden Schulkonferenzen von 1890 und 1900, die beide auf Initiative des Kaisers zustande kamen und seine modernen Ideen in der Lehrplangestaltung berücksichtigten." Kaum zu glauben, unter Berücksichtigung der z.B. von mir dargestellten räumlichen und personellen Ausstattung der Dorfschulen (für die die von Ebenhausen in Bayern ein Beispiel ist) und der pädagogischen Qualitäten der Lehrer (siehe die vielen Beispiele von hemmungslos prügelnden Lehrern - wobei die eigenen Eltern sicher auch nicht zimperlich waren). Aber offenbar war´s so: Nur 1% aller Männer und Frauen im Deutschen Reich konnte nicht lesen und schreiben (wobei hier wie gesagt die Definition von Analphabetismus entscheidend ist: Dieses 1% konnte wohl kein einziges Wort schreiben bzw. lesen...) VG Christian |
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16.09.2014, 19:16
Beitrag: #48
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RE: Analphabetismus heute bei uns
Noch was:
http://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/ha...o,-182,260 (= Rainer Block: Determinanten der preußischen Alphabetisierung im 19.Jahrhundert. In: Historical Social Research 21 (1996), 1, pp. 94-121. ) Hier steht (S.100, Anm.), dass bei den Rekruten nur die als Analphabeten galten, die wirklich gar nichts, nicht mal ihren Namen schreiben konnten. Funktionelle Analphabeten wurden hier nicht erfasst. Weiterhin passen die Zahlen für die Rekruten gut zu denen der Bräutigame und denen der männlichen Bevölkerung nach der Volkszählung von 1871. Auf S.101/102 schreibt der Autor, dass die Analphabetenzahlen bei den preußischen Rekruten in den 1830er und 1840er Jahren stark rückläufig waren (wohl eine Folge der preußischen Maßnahmen zur Steigerung der militärischen Stärke des Landes nach der Niederlage von Jena und Auerstedt), danach wieder leicht anstieg (in Preußen setzte damals vor dem Hintergrund der politischen Restauration ein Rückrudern in Sachen Volksbildung ein), um in den 1860er Jahren wieder auf dem Niveau der 1840er Jahre zu landen (ein Ausdruck der zunehmenden Industrialisierung Preußens plus wirtschaftlichem Aufschwung). Erst seit den 1870er Jahren sinkt die Analphabetenquote wieder langsam, um in den 1890er Jahren einen Tiefpunkt von 1% aufzuweisen (die "Bildungsoffensive" des neu gegründeten Deutschen Reichs zeigte also Erfolge). Das sind wohl gemerkt alles Zahlen über MÄNNER. Frauen waren ja keine Rekruten. Die Studie zeigt weiterhin krasse regionale Unterschiede: Im Rheinland z.B. waren die Regierungsbezirke Köln, Aachen und Düsseldorf in Sachen Alphabetisierung viel schlechter gestellt als die Bezirke Koblenz und Arnsberg. Ähnliche Mischverhältnisse zeigen sich in Schlesien und anderswo in Preußen. Wenn man also aus den nur 1% Analphabeten um 1890 herum schlussfolgert, dass dann auch bei den Frauen eine sehr niedrige Analphabetenquote geherrscht haben muss (wenn er auch evtl. etwas höher lag als bei den Männern), muss man demzufolge auch schlussfolgern, dass man die einzelnen Regionen sehr genau betrachten muss, um schlüssige Aussagen machen zu können. Mein bayerisches Dorf mag eine viel höhere Quote an Analphabeten gehabt haben als z.B. die Stadt München. Ich tippe mal, dass sich diese Aussage auf die meisten ländlichen Gebiete des damaligen Bayern erweitern ließe. VG Christian |
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17.09.2014, 15:58
Beitrag: #49
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RE: Analphabetismus heute bei uns
(16.09.2014 19:16)913Chris schrieb: Noch was: Den Lehrer, die Schule usw. usf was da alles dran hing, musste die Gemeinde bezahlen. Und im ländlichen landwirtschaftlichen Bereich sah man keinen Vorteil der aus der Bildung resultiert hätte. Das war keine Bildungsfeindlichkeit in dem Sinn, lediglich pragmatisch gedacht. In den Städten war es ca. 1800 schon anders, im Handwerk ließ sich nicht mehr alles durch "abschauen" erlernen. Da war die Bereitschaft zur Besoldung eines Lehrers natürlich deutlich größer. Natürlich hat man trotzdem immer versucht, den Schulmeister um einen Teil seines Salärs zu bescheißen. Stand von Staats wegen dem Schulmeister 250 Gulden im Jahr zu, hat man ihn mit 210 abgefunden, die schlechten Zeiten..... Wobei, das geschriebene gilt für die "deutsche Schule" die Lateinschule ist ein anderes Thema. "Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966) |
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17.09.2014, 16:45
Beitrag: #50
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RE: Analphabetismus heute bei uns
Es war am Ende des 18. Jahrhunderts etwas geschehen, das ganz erhebliche Auswirkungen auf die Schule hatte.
Die Ideen von Rousseau fanden Eingang in Kindererziehung und Schule. Zuvor, und bei der Schilderung der Prügelmonster weiter oben, könnte man vermuten, dass diese Denke noch lange latent vorhanden war, ging man davon aus, dass das Kind "schlecht" war. Die guten Eigenschaften anerzogen - angeprügelt werden mussten. Erst nach Rousseau kehrte die Überzeugung ein, dass das Kind von sich aus "gut" ist. Das vornehmste Ziel der Erziehung die Förderung dieser guten Eigenschaften ist. Pestalozzi ist der bekannteste frühe Interpret dieser Erziehungsziele. Für Württemberg und Preußen war der wichtigste Überbringer dieser neuen Ideen Pestalozzis Mitarbeiter Carl August Zeller, geboren auf der Burg Hohenentringen (der Suebe und vermutlich auch Chris haben sich dort einst im Kreise fröhlicher Menschen am Most gütlich getan) also auch gebürtiger Württemberger.. König Friedrich von Württemberg ist 1807 in die Schweiz zu Zeller gefahren, und hat sich kpl. 5 Stunden seines Kurses, mit dem er Pfarrer und Lehrer in den neuen Erziehungs-Idealen unterrichtete, angehört. Er bot ihm sodann eine Stelle in Württemberg an, zur Abhaltung dieser Kurse vor württ. Lehrern und Pfarrern. Zeller nahm an, bekam aber wenig später vom preuß. König ein ähnliches Angebot, aber Württ. bestand auf der Erfüllung des Vertrages. 1809 wurde das preuß. Angebot an Zeller erneuert, diesmal ließ Württ. ihn nach Erfüllung einiger Auflagen ziehen. Zeller hat ca. 200 Lehrer und Pfarrer in seinen Kursen gehabt. Und es ist in die württ. Schulhäuser ein ganz neuer Geist eingezogen. Schule hat Spass gemacht... die Kinder gingen zT tatsächlich gerne in die Schule. Nun will ich hier nicht das Wirken Pestalozzis oder Zellers beschreiben und einordnen, das können andere besser. Aber in Württemberg gab es anschließend etwas typisches. Von Hohenlohe bis zum Bodensee ging ein Raunen durch die evangelischen "Stündle": "der König will einen evangelisch-katholischen Mischglauben einführen, deshalb werden die Pfarrer zu Kursen geschickt, man will uns den Paptisten ausliefern". Ganz ähnlich bei den Katholischen, mit umgekehrten Vorzeichen. Im Februar 1812 hat der König resigniert (wohlgemerkt, es war Friedrich der Dicke der absoluteste aller Herrscher Württembergs) und hat die Pestalozzi-Zellersche Pädagogik verboten! Aber es war Gott sei Dank zu spät, sie wurde weiter betrieben, die Pestalozzi-Pädagogik, trotz Verbot. Trotz den Schulbänken, (eine originale Pestalozzi-Erfindung) die Geld kosteten, den Schautafeln die Geld kosteten usw. usf. Und hier ist nicht zu letzt einer der Gründe für die starke Bildungslawine des 19. Jahrhunderts zu sehen. "Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966) |
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