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Analphabetismus heute bei uns
14.09.2014, 00:07
Beitrag: #16
RE: Analphabetismus heute bei uns
Um das von Suebe zitierte Elementarschulrecht von 1810 und die Bildungsmöglichkeiten von Mädchen in Württemberg noch mal ins richtige Verhältnis zu rücken, ein paar Fakten aus meiner Stadt - liegt in Württemberg.

Eine Schulpflicht bestand zwar, sowohl für Jungen als auch für Mädchen, diese ging aber nicht über die Elementarschule - Grundschule hinaus.

Eine Knabenoberschule (vergleichbar Realschule) existierte seit ca. 1850 eine Mädchenoberschule kam rund 100 Jahre später.

Eine Lateinschule für Knaben (vergleichbar Gymnasium) existierte seit 1495, eine Lateinschule für Mädchen gab es nie. Erst ab 1959 mit Eröffnung des städtischen Gymnasiums hatten die Mädchen in der Stadt Zugang zum Abitur. Davor mussten teilweise sehr weite Wegstrecken zurückgelegt werden.

Um 1870 herum wurden die Lateinschule für Knaben und die Knabenoberschule zu einem "Real-lyzeum" zusammengeschlossen. Die für die Zusammenlegung der Schule erforderlichen Räume wurden beschafft, in dem man die Mädchen-Elementarschule ausquartierte, übrigens das 4. Mal innerhalb weniger Jahre, und nun sogar ein ganzes Stück außerhalb der Stadttore.

1871 wurde eine neuartige Bildungsstätte durch einen Bürger (Niederländischer Generalkonsul ab 1850) in der Stadt geschaffen - "als Pflanzstätte wahrer und einziger Volksbildung" - zu der jeder ab 14. Jahren Zugang haben sollte, gleich welchen Geschlechts (!).(Allerdings war das Bildungsangebot für den interessierten und fortbildungswilligen Erwachsenen ausgelegt und war als Basis im Sinne einer schulischen Bildung nicht geeignet. Der Generalkonsul durfte nun mal keine Schule aufmachen, es blieb also bei einer Art Vorläufer-VHS) Für den Generalkonsul war ganz klar ein großer Handlungsbedarf hinsichtlich Bildungsgerechtigkeit für finanzschwächere Bürger bzw. deren Sprösslinge und vor allem für Mädchen erkennbar. Doch leider reichten seine Möglichkeiten nicht aus, um da nachhaltig etwas daran zu ändern.

1872 taten sich 3 Frauen der Stadt zusammen und eröffneten in oben genannter Bildungsstätte mit Unterstützung der Frau Generalkonsul ein "Arbeiterinnensemiar" um Mädchen aus einfacher Herkunft oft mit nur äußerst rudimentärer Schulbildung überhaupt eine Perspektive - sich nämlich bis zu einer halbwegs erträglichen Heirat als Hausmädchen in einem der besseren Häuser zu verdingen - zu geben.

Soviel zu den Bildungsmöglichkeiten, die Mädchen aus einfachen Verhältnissen bis ins 20. Jahrhundert hinein hatten.

Für die Mädchen, die aus besser gestellten Familien kamen, sah das im Zweifelsfall ganz anders aus. Da wurden gerne auch mal Privatlehrer eingestellt oder die Frau Pastorin bemüht. Bei entsprechender Hartnäckigkeit und gesellschaftlichem Rang der Familie war vielleicht auch mal tatsächlich mehr drin - siehe Maria von Linden.

Erstaunlich und bewundernswert, wie sich das Mädel durchgebissen hat, aber ich wage zu bezweifeln, dass sie als Tochter eines einfachen Schusters oder Landarbeiters diesen Bildungsweg auch nur im Ansatz hätte beschreiten können.

nicht ärgern, nur wundern...
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RE: Analphabetismus heute bei uns - Uta - 14.09.2014 00:07

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