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Win -Win Situationen als neue Lehre
19.08.2015, 00:37
Beitrag: #17
RE: Win -Win Situationen als neue Lehre
Sorry, dass ich mich erst jetzt in die Diskussion einschalte, aber ich hatte einige Tage Probleme mit meinem Internet.

Zuerst möchte ich den Darlegungen widersprechen, in denen behauptet wird, dass Marx und Engels von einer Ressourcenknappheit und Umverteilungskämpfen ausgingen. Marx, Engels und auch Lenin leugnen in ihren Lehren ja nicht, dass Wirtschaftswachstum die Grundlage für Wohlstand ist. Mit Ressourcenknappheit beschäftigten sich erst die kommunistischen Machthaber im 20. Jahrhundert. Marx erkennt ja auch die Wirtschaftstheorien von Adam Smith und David Ricardo an. Ebenso wusste er, dass infolge der Kontinentalsperre sich z.B. die einheimische Eisen- und Stahlindustrie, Textilindustrie oder die chemische Industrie entwickelt hatte. Das Problem und letztlich das Menschenverachtende des Marxismus liegt woanders, es liegt vor allem in seiner Einstellung zum Privateigentum im Allgemeinen und im Besonderen an ihrer Einstellung zum Privateigentum an Grund und Boden, sowie an Produktionsmitteln wie Maschinen, Schiffe und Eisenbahnen.

Marx und Engels wuchsen in Trier bzw. Barmen auf, beides Städte, die erst nach 1815 zu Preußen gehörten. Beide waren Bürgersöhne, Marxens Vater war Anwalt, Engels Vater war ein Industrieller. Für Preußen hatte sich nach 1815 das Problem ergeben, dass man neben den protestantischen (vorwiegend deutschen) Preußen und den katholischen Polen eine dritte große Bevölkerungsgruppe dazukam, die katholischen Rheinländer, die sich kulturell und in ihrem Verhältnis zur Religion bzw. Kirche und Staat von den beiden anderen Gruppen unterschieden. Es fehlte praktisch das einende Band, das gleiche Ziel und in diesem Sinn stieg die Philosophie Hegels als preußische Staatsphilosophie auf. D.h. jeder Student in Preußen, also auch Marx und Engels, wurde mit Hegels Philosophie konfrontiert, ob er wollte oder nicht.

Hegel setzte sich in seiner Lehre auch mit dem Sein und dem Bewusstsein auseinander. Das Bewusstsein definiert er als Folge des Seins. Die höchste Form des Bewusstseins ist für ihn das Selbstbewusstsein. Das Selbstbewusstsein steigt lt. Hegel mit dem Eigentum, d.h. dass in Nomadengesellschaften der Besitzer von tausend Pferden selbstbewusster ist als der von zehn, auch weil der Besitzer von tausend Pferden in der Nomadengesellschaft höher angesehen ist, als der von zehn. Entsprechend verhält sich das auch mit dem Besitz von anderen Dingen, vor allem (bei Nichtnomaden) von Grund und Boden. Hegel erkannte natürlich das Dilemma seiner Lehre, dass nämlich die Besitzlosen dadurch kein Selbstbewusstsein haben dürften und demnach auch kein Bewusstsein für die Gesellschaft. Er entwickelte daraus die Idee, dass diese Besitzlosen ihr Selbstbewusstsein durch ihr Dienen für die Besitzenden erlangten. D.h., der Pferdeknecht war selbstbewusst, weil er alles über Pferde wusste, der Ackerbauer war selbstbewusst, wegen seiner landwirtschaftlichen Kenntnisse usw. Das gesellschaftliche Konstrukt Hegels endete damit, dass sowohl die Besitzenden als auch die Dienenden für das Gemeinwohl sorgten.

Marx und Engels waren zuerst Hegelianer. Aber sie sahen als junge Männer ab ca. 1840, dass diese Theorie im Gegensatz zur Praxis im Leben der Arbeiter oder, wie Marx sie nannte, Proletarier stand. Marx zäumte schließlich Hegels Lehre rückwärts auf. D.h., wenn die Arbeiter kein Selbstbewusstsein entwickeln können, liegt das letztlich an ihrem Sein, ihrer Besitzlosigkeit. Diese Besitzlosigkeit muss geändert werden und das geht nur durch Umverteilung. So wie der Franzose Louis Auguste Blanqui es um 1848 deutlich sagte: „Eigentum ist Diebstahl“. Als etwas ältere Herren nach 1848 propagierten Marx und Engels anstatt der Besitzlosigkeit für alle die Idee vom Volks- bzw. Staatseigentum, in dem jeder sein Selbstbewusstsein als gleichzeitiger Eigentümer und Dienender entwickeln kann. Ihr Verhältnis zum Privateigentum blieb aber im Sinne von Blanqui, obwohl Engels sein Geld als Textilunternehmer in Manchester verdiente und von seinen erzielten Profiten die Marx’sche Familie ernährte. Der Zweck heiligte auch hier die Mittel.

Ein weniger bekannter Fakt aus Marxens Leben ist sein Verhältnis zu russischen Revolutionären. Zwar ist bekannt, dass Marx und Engels den Anarchismus Bakunins ablehnten, aber nach dessen Tod im Jahr 1872 intensivierte zumindest Marx seine Kontakte nach Russland bzw. zu russischen Emigrantengruppen. Vereinfacht gesagt, gab es in Russland nur politische Strömungen, die auf Gewalt setzten. Auf Mäßigung bedachte Reformer wie Alexander II. waren irgendwie zum Scheitern verurteilt. Die eine gewalttätige Seite war der autokratische Zarismus, die andere Seite waren revolutionäre Untergrundorganisationen, wie Narodnaja Wolja, die sich einerseits in der Nachfolge von Kosaken- und Bauernaufständen, wie z.B. den Pugatschow-Aufstand sahen, andererseits sich auch als Erben der Dekabristen und deren elitären Gesellschaftskonzept betrachteten.

Diesen de facto Berufsrevolutionären bot die Lehre Marx praktisch einen Überbau, der von der nackten Gewaltausübung ablenken sollte. Sowohl Lenin und die Sozialrevolutionäre von 1917 beriefen sich auf Marx. Lenin und sein Nachfolger Stalin haben dann beide russischen – die zaristische und die revolutionäre - Gewalttraditionen vereint. Ebenso setzten sie rigoros die Abschaffung des von Marx und Engels abgelehnten Privateigentums um. Eine andere Sache ist allerdings, dass Marx und Engels Privateigentum ablehnten, aber persönliches Eigentum akzeptierten. Sie haben aber vergessen, beide Begriffe klar zu definieren und öffneten somit der Willkür alle Türen. Letztlich erlaubte man dann den einen, ein Häuschen (Datsche) als persönliches Eigentum auf meist gepachtetem Land und den anderen ließ man zuletzt nur noch die Zahnbürste. Oder auch nicht, wie es die Roten Khmer zeigten.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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