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Schwabenkrieg 1499
12.07.2020, 20:55
Beitrag: #23
RE: Schwabenkrieg 1499
(09.07.2020 22:31)Aguyar schrieb:  Nebenbei: dass die eidgenöss. Geschichtsschreibung Wilhelm Hertner verschwiegen hat (hat sie eigentlich gar nicht, nur Diebolds Chronik erwähnt ihn nicht), weil dieser ein Adliger war, ist absoluter Blödsinn. Mindestens die Hälfte aller eidg. Heerführer bis ca. 1560 entstammte dem lokalem Kleinadel (Freiherrengeschlechter, Dienstadel) und von den anderen (Söldnerführer) bemühte sich praktisch jeder um die Erhebung in den Adelsstand (meistens durch Ritterschlag), was natürlich nicht allen gelang. Auch die Bauern fanden Adel "chic".

Ob die eidgenössische Geschichtsschreibungen ihn seit Jahrhunderten verschwiegen haben, lässt sich diskutieren, wobei auch zu hinterfragen wäre, ob es sich um gezieltes Verschweigen handelt oder nur eine Folge der für die Geschichtsforschungen verwendeten Quellen war?

Es wäre zum Beispiel zu fragen, warum er im Historischen Lexikon der Schweiz zur Gänze fehlt oder warum er, falls er dort doch genannt ist, in seiner Bedeutung jedenfalls nicht entsprechend gewürdigt oder gezielt klein gemacht wurde?

Bedenkt man, dass die Chroniken und Überlieferungen für lange Zeit der Geschichtsforschung als Hauptquellen dienten (erst im 19. Jahrhundert ändert sich das entscheidend), stellt sich schon die Frage, warum ihm zum Beispiel eine Diebold-Chronik, die offensichtlich ursprünglich als eine Hauptquelle für die "Schweizer Geschichte" galt, weglässt.

Es stellt sich schon die Frage, warum Herter weggelassen wird, obwohl er offensichtlich eine wichtige und für die Siege gegen Karl den Kühnen entscheidende Rolle spielte. In diesem Kontext ist naheliegend, dass der Grund zunächst in der Schweizer Geschichtsschreibung zu suchen ist, auf der schließlich die Schweizer Geschichtsforschung aufbaut.

Welche Bedeutung haben die Siege über Karl dem Kühnen für die Schweizer Geschichtsinterpretation? Offensichtlich wird ihnen eine große Bedeutung zugestanden. Karl der Kühne war ein bedeutender Feldherr, ein Herrscher mit reichen Ressourcen und obwohl er "de jure" nur ein Lehensmann des Heiligen Römischen Reiches und der französischen Krone war, im Bezug auf Glanz und Glorie, um es einmal salopp auszudrücken, dem französischen König und dem Kaiser scheinbar überlegen. Zudem wird seine formale Abhängigkeit von den beiden nicht nur durch die Politik, welche er völlig selbständig von den beiden führte, stark relativiert. Als mächtiger Reichsfürst (wenn gleich kein Kurfürst), zudem an der Reichsgrenze, konnte er souverän agieren. Was seine Abhängigkeit als Lehensmann des französischen Königs betrifft, wurde von burgundischer Seite immer wieder betont, dass der französische König Johann der Gute Karls gleichnamigen Urgroßvater das Herzogtum Burgund (also das Land Herzogtum Burgund, somit nicht die burgundischen Lande, eine Landschaft Burgund oder die Freigrafschaft Burgund) als freies Eigen geschenkt hatte.

Wenn das überlegt wird, ist nachvollziehbar, warum der Burgunder Krieg in der Schweizer Geschichte einen so hohen Stellenwert einnimmt, obwohl er auf den ersten Blick nur Beute und Ruhm brachte. Einen solchen "Feldherren-Star" gleich mehrmals und jedes Mal eindeutig besiegt zu haben ...

Warum aber wollte Diebold Herter nicht in seiner Darstellung dieser großartigen Siege vorkommen lassen? Das ist doch die entscheidende Frage. Eine eindeutige Antwort ist wahrscheinlich nicht einmal dann möglich, wenn wir jetzt eine Zeitreise ins 15. Jahrhundert machen und Diebold dazu befragen. Schließlich gibt es keine Garantie, dass das, was er uns antwortet tatsächlich der Wahrheit entspricht. Vielleicht belügt er uns, aber genauso gut könnte es sein, dass er das, was er da behauptet und was gar nicht stimmt, selbst für die Wahrheit hält. (Natürlich könnte er uns auch ehrliche Antworten geben.)

Jedenfalls lassen sich seine Gründe nicht eindeutig klären, wir können lediglich mit Hilfe von Indizien eine vorsichtige Annäherung versuchen. Helfen würde uns wahrscheinlich eine kritische und genaue Untersuchung der Chronik, die folgenden Schwerpunkte prüft. Was wurde offensichtlich noch weggelassen? Was wird beschrieben? Wie wird etwas beschrieben? Auf welche Interpretation läuft es heraus etc. Dazu habe ich bisher keine Zeit gehabt.

Immerhin aber lassen sich auch mögliche Erklärungen mit Hilfe des gesunden Menschenverstandes oder durch das Einbeziehen ähnlicher Fälle finden, die zumindest in Betracht gezogen werden könnten.

Vorstellbar und kaum zu beweisen sind private Gründe wie zum Beispiel: Konnte Diebold (oder seine Auftraggeber - wer waren die eigentlich?) Herter vielleiht persönlich nicht ausstehen? War Neid im Spiel? War es die Rache dafür, dass Herter Diebold keine Handsalben zahlen wollte ...

Wahrscheinlicher sind aber doch politische Gründe? Da stellt sich natürlich die Frage: Gab es etwas an Herter, weswegen ihn die Eidgenossenschaften (oder müsste es nicht vielleicht heißen: die Reichsstadt Bern oder die Berner Eidgenossenschaften) nicht bei ihrer "Heldenstory", von den glorreichen "Anfängen" der tapferen Schweiz dabei haben wollten? Lag es etwa daran, dass er eben kein Schweizer (oder Berner) war? Lag es daran, dass es eben nicht möglich war, ihn zu einem "Ehrenschweizer" oder "Ehrenberner" zu machen? Wollten die "Schweizer" (oder "Berner") den Ruhm für den Sieg für sich alleine beanspruchen und nicht mit den Verbündeten teilen? Fürchteten sie um ihre Beute, die sie nicht mit ihren Verbündeten teilen wollten?

In diesem Fall hätte der "Schwabe" Herter als "Vertreter" der "Vorderen Lande" oder des Habsburgers Siegmund gestört, Grund genug ihn, wegzulassen.
Das muss nicht so gewesen sein, wäre aber mit Blick auf die Geschichtsschreibung anderer "Staaten" jedenfalls vorstellbar. Auch dort findet sich die Tendenz, eigene Leute hervorzuheben und die Leistung der Verbündeten auf deren Kosten zu verringern und Ähnliches. Warum soll es in der Schweizer Geschichtsschreibung und Geschichtsforschung anders zugegangen sein?

Eine andere Überlegung könnte politische und ideologischen Gründe gehabt haben?
Passte er etwa nicht in das Geschichtsbild der "Schweiz", der "Eidgenossenschaften" oder der Stadt Bern, welches Diebold vorschwebte und welches er mit seiner Chronik schaffen wollte?

Herter war, nachdem, was Armer Konrad hier schreibt, aus Schwaben (beziehungsweise aus den Vorderen Landen), er könnte sogar als ein Mann von Erzherzog Siegmund beziehungsweise des Habsburger-Lager gesehen werden. Wenn wir berücksichtigen, dass die Schweizer Geschichtsschreibung damals und noch lange danach den "Erb- und Erzfeind Habsburg" für die eigenen Gründungslegenden einsetzte, ist naheliegend, dass Herter nicht in diese "Geschichtslüge" passte. Ein Habsburger-Herrscher als Verbündeter der Eidgenossen beziehungsweise Bern gegen Karl den Kühnen, und "dessen" Mann erbringt die entscheidende Leistung oder ohne einen Habsburg hätten der "Habsburger-Erzfeind" Schweiz niemals den "bedeutendsten" Feldherren seiner Zeit (Karl den Kühnen) besiegen können. Bei einer solchen Überlegung durchaus nachvollziehbar, dass Herter in Diebolds Chronik nichts zu suchen hatte, und somit aus der Chronik verschwinden musste ...

Wie gesagt, bei dieser Überlegung ist nicht entscheidend, dass die angebliche Erzfeindschaft Habsburg - Schweiz, soweit es sich beurteilen lässt, eigentlich historisch nicht haltbar ist und natürlich auch die Hintergründe von Beziehungen fast immer sehr komplex sind, sondern es geht hier nur darum, was Diebold (oder vielleicht auch seine Auftraggeber) ihren Zeitgenossen und der Nachwelt erzählen und überliefern wollten.

Insofern würde ich eine Überlegung, dass Herter vielleicht als Adliger keinen Platz in der Schweizer "Geschichtsinterpretation" hatte, nicht einfach als Blödsinn abtun. Zumindest wird in den Chroniken zur "Schweizer" Geschichte durchwegs die Vorstellung von einer Schweiz vermittelt, die vorwiegend als Kollektiv des Volkes und der "einfachen" Leute aufscheint. Das könnte vielleicht auch damit zusammenhängen, dass die angeblichen Akteure der "Schweizer" Geschichte gewöhnliche Reichsstädte und freie Städte sind. (Auch im Heiligen Römischen Reich lässt sich immer wieder beobachten, dass Städte und Orte eher als Kollektiv historisch rübergebracht werden, wobei einzelne Personen in diesem Aufgehen. Zum Vergleich: Fürst und sein Land, die Stadt beziehungsweise der Stadtrat und die Bürgerschaft, aber eher unüblich der Bürgermeister und seine Stadt ...)

Gerade in der "Schweizer" Geschichte gibt zwar immer wieder Helden, aber deren Wirken als Einzelpersonen wird meistens zugunsten der Masse relativiert, indem diese entweder ihren Heldenauftritt haben und dabei ihr Leben lassen oder danach wieder in der Masse aufgeht. Auffallend auch, dass die "Schweizer" Geschichte sehr viele fiktive Helden kennt ...

Geschichte ist die Lüge, welche Geschichtsschreibung aus dem Geschehenen gemacht hat und auf die sich die Geschichtsforschung geeinigt hat oder für dieses Mal einigt --- dazu passt durchaus auch eine Geschichtsschreibung, die den Eindruck vom stolzen einfachen Mann, Bauern oder Bürger vermittelt, während diese in Wirklichkeit großes Interesse hatten aus ihrer Stellung in den Adel aufzusteigen. Und spätere Geschichtsforschungen haben das dann gleich für bare Münze genommen ...

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Nur die Geschichtenschreiber erzählen uns, was die Leute dachten.
Wissenschaftliche Forscher halten sich streng an das, was sie taten.

Josephine Tey, Alibi für einen König
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