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hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers
21.02.2016, 18:02
Beitrag: #1
hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers
Nachdem es in einem anderen Thread hier zu einer kurzen Diskussion gekommen ist, ob Herzog Ludwig VII. von Bayern-Ingolstadt tatsächlich ein "hochfahrendes und jähzorniges Wesen" hatte, wäre es vielleicht einmal interessant, solche Charakterisierungen auch einmal ein wenig zu diskutieren und vielleicht auch zu hinterfragen.

Über Personendarstellungen im Mittelalter findet sich immer wieder die Meinung, dass sie stark der Stereotype / dem Typus verpflichtet waren - es galt weniger den tatsächlichen Charakter eines Promis zu beschreiben, als ihn als Träger seines Amtes, seiner Position etc. zu typisieren.

Bei diesem Herzog Ludwig VII. von Bayern-Ingolstadt habe ich die Frage gestellt, ob er letztlich der Verlierer war, weil er ein tatsächlich ein "hochfahrendes und jähzorniges Wesen" besaß oder ob ihm dieses "hochfahrendes und jähzorniges Wesen" später "angedichtet" wurde, weil er eben der Verlierer war.

Da haben wir z. B. mit König Przemysl II. Ottokar von Böhmen und Herzog Karl dem Kühnen von Burgund neben dem Wittelsbacher Ludwig VII. zwei wesentlich bekanntere Herren, die beide übrigens, wie auch Ludwig, einen (Haupt-)Gegenspieler hatten, der als "kühlen und rationalen Rechner" gilt und letztlich auch der Sieger.

König Przemysl II. Ottokar von Böhmen contra König Rudolf I. (Graf Rudolf IV. von Habsburg)
Herzog Karl dem Kühnen von Burgund contra König Ludwig XI. von Frankreich
Herzog Ludwig VII. von Bayern-Ingolstadt contra Herzog Heinrich XVI. von Bayern-Landshut

(Auch die Konstellation: Richard III. von England contra Henry VII. von England lässt sich auf eine solche Formel reduzieren, bei Shakespeare: Monster und "Idealkönig", aber wenn wir uns einmal diesen Henry VII. genauer unter die Lupe nehmen, ist doch auffallend, dass wir da einiges finden, das auch auf Ludwig XI. zutrifft. War dieser nicht die einzige "Spinne" unter den zeitgenössischen Herrschern?)

Für auffallend ist jedenfalls, dass wir im Mittelalter mehrere Fürsten finden, die als Verlierer endeten, und denen ein "hochfahrendes und jähzorniges Wesen" nachgesagt wird. (Auffallend ist auch, dass es sich dabei durchaus um Personen handelt, die zunächst sehr erfolgreich waren und deren Dynastien mit ihnen oder nicht einmal 50 Jahre später in männlicher Linie ausgestorben waren.)

Aus religiöser Sicht, die im Mittelalter noch wichtig war, gelten Hochfahrt und Jähzorn als Todsünden (heute: Wurzelsünden). Sollte mit dieser Behauptung alles in den Augen der Zeitgenossen sozusagen als gerechtfertigt und Teil der "Normalität" verständlich gemacht werden?

In vielen Chroniken und bei vielen Mittelalter-Historiographen ist zumindest klar, dass sie selbst keineswegs den Durchblick hatten, den auch wir heute nur zum Teil haben.
Wenn nicht bewusst hier eine Parteinahme vorliegt, mag es für diese durchaus auch Erklärungsbedarf gegeben haben, wie es denn so weit kommen konnte, dass machtvolle und erfolgreiche Promis plötzlich zu Fall kommen, sich ihre Aufwärtskurve völlig unerwartet ins Gegenteil verkehrt. Also mussten sie wohl gegen den "göttlichen Heilplan" verstoßen haben, damit ihr Ende sozusagen als verdient gesehen werden konnte, und da mag sich eine Erklärung zu "Todsündern" gleich angeboten haben.

Interessant ist natürlich auch, ob diese Sicht bereits im Mittelalter eindeutig feststand oder sich erst später durchsetzte oder festgeschrieben wurde, so z. B. im 19. Jahrhundert durch literarische Werke wie z. B. das Drama von Franz Grillparzer "König Ottokars Glück und Ende" oder Walter Scotts Roman "Quentin Durward - Im Auftrag des Königs" oder auch durch die dortige Historiographie.

Bei einem Ludwig VII. wäre z. B. auch gut vorstellbar, dass er den preußischen Historikern bzw. denen des Wilhelminischen Kaiserreiches schon deswegen als Negativfigur passte, weil er doch als "Deutscher" in sehr engem Kontakt zum "deutschen" Erbfeind Frankreich gestanden hatte.

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Josephine Tey, Alibi für einen König
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21.02.2016, 18:40
Beitrag: #2
RE: hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers
(21.02.2016 18:02)Teresa C. schrieb:  Wenn nicht bewusst hier eine Parteinahme vorliegt, mag es für diese durchaus auch Erklärungsbedarf gegeben haben, wie es denn so weit kommen konnte, dass machtvolle und erfolgreiche Promis plötzlich zu Fall kommen, sich ihre Aufwärtskurve völlig unerwartet ins Gegenteil verkehrt. Also mussten sie wohl gegen den "göttlichen Heilplan" verstoßen haben, damit ihr Ende sozusagen als verdient gesehen werden konnte, und da mag sich eine Erklärung zu "Todsündern" gleich angeboten haben.
Ich denke, Du hast damit die richtige Erklärung getroffen. Auch noch im Spätmittelalter wurde ein grosser Teil der Chronisten von Mönchen und sonstigen Klerikern gebildet. Und diese liessen es sich nicht nehmen, den Untergang von mächtigen Fürsten als Gottes Strafe für Hochmut und Jähzorn darzustellen. Im Gegensatz dazu wurden siegreichen Fürsten schnell mal christliche Demut oder, wenn sich deren Verschwendungssucht nicht kaschieren liess, wenigstens ritterliche Grosszügigkeit attestiert.

Noch etwas anders verhält es sich bei Fürsten, die als "der Böse" (z.B. Karl el Malo) in die Geschichte eingingen. Diese waren nicht unbedingt erfolglos sondern hatten meist das besondere Missfallen der Kirche auf sich gezogen - z.B. in dem sie Klöster teilenteigneten oder von ihnen Steuerleistungen forderten.
Die Herrscher mit dem Beinamen "der Fromme" hingegen mussten nicht unbedingt fromm oder sogar "gut" sein, sondern es reichte, wenn sich ihre Verschwendungssucht zu Gunsten der Kirche auswirkte (z.B. Klosterschenkungen) oder sie - wie z.B. Ludwig der Fromme - sich von der Kirche kommandieren liessen.

Im Fall von Ludwig VII dem Gebarteten ist das in den Chroniken gezeichnete Bild eines jähzornigen und hochmütigen Tyrannen insofern bemerkenswert, dass der Mordanschlag auf Ludwig VII durch Heinrich XVI den Reichen von Bayern-Landshut in Konstanz nicht dazu beigetragen hat, die Beurteilung seiner Person zu verbessern - die moralische Empörung gegenüber diesem Attentatsversuch hat sich, so weit mir bekannt, in den Quellen nur dürftig niedergeschlagen. Möglicherweise hat auch die Rolle seiner Schwester Isabeau, der man gelegentlich die "Schuld" an Karls VI Wahnsinn gegeben hat, etwas dazu beigetragen.

Was die Sichtweise Grillparzers hinsichtlich Ottokars und Scotts betrifft, nehme ich schon an, dass ihre Beurteilung der Persönlichkeiten zum Mindesten teilweise auf chronikale Einschätzungen beruhen - wie übrigens auch Ludwig Ganghofers Einschätzung von Ludwig VII und seinem Sohn, Ludwig VIII dem Höckrigen, im "Ochsenkrieg".
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27.02.2016, 16:11
Beitrag: #3
RE: hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers
Wahrscheinlich sollte bei einem Beinamen auch darauf geachtet werden, ob er schon zu Lebzeiten des/der Betroffenen aufgekommen ist, oder erst danach.

Hinzu kommt noch, dass manche Beinamen ursprünglich auch ganz anders verstanden werden konnten. Recht interessant sind da auch Übersetzungen, da wäre z. B. Æthelred the Unready, mir in der Buchliteratur untergekommen als Æthelred der Unrechtmäßige oder Æthelred der Schlechtberatene (auf Wikipedia finden sich als Übersetzung: Æthelred der Unberatene bzw. Æthelred der Unfertige)

Hinzu kommt noch, dass manche von diesen Herren zwei oder auch mehrere Beinamen hatten. Ganz lustig auch, wenn sich die eigentlich ausschließen, z. B. der Grausame oder der Gerechte.

Dass mancher Heilige ursprünglich der Fromme hieß, so z. B. Markgraf Leopold III. von Österreich, ist da eigentlich weniger überraschend.

Ob König Wilhelm I. der Böse von Sizilien (Familie Hauteville) tatsächlich böse und sein Sohn König Wilhelm II. der Gute wirklich gut war, wird inzwischen auch schon hinterfragt. Und wie war es wirklich um König Johann II. dem Guten von Frankreich und eben seinem Gegenspieler Karl dem Bösen von Navarra?
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Es wäre wirklich interessant zu wissen, was tatsächlich hinter diesem Mordanschlag in Konstanz gesteckt hat. Erstaunlich ist schon, dass der Mordanschlag nicht etwa dazu betrug, die Beurteilung von Ludwig VII. zu verbessern und dass Heinrich XVI. nicht irgendwie dafür zur Verantwortung gezogen wurde.

Da stellt sich schon die Frage, ob da nicht einiges vertuscht wurde (vielleicht im Interesse der Beteiligten oder anderer Reichsfürsten), wie man so schön sagt, oder ob der Mordanschlag vielleicht doch kein richtiger Mordanschlag war, sondern erst von denen, die darüber berichteten, zu einem solchen aufgebauscht wurde.
(Nebenbei wäre auch vorstellbar, dass ein Mordanschlag, auch wenn das auf uns etwas seltsam wirkt, vielleicht für die damlige Zeit Heinrich XVI. etwas "positiver" rübergekommen ließ, als wenn er Ludwig VII. lediglich eine Ohrfeige verpasst hätte.)

Hier wäre natürlich sehr wichtig zu wissen, wer darüber berichtet hat, wo darüber berichtet wurde und aus welcher Zeit die Informationen darüber sind.

Ich weiß nur, dass in der Konzilchronik des Ulrich von Richental darüber berichtet wird, die Hintergründe sind aber auch bei ihm im Dunkeln, was vermuten lässt, dass er da ebenfalls nicht so genau Bescheid gewusst hat. Dieser Ulrich von Richental war zumindest ein Zeitgenosse vor Ort (wenn auch kein Augenzeuge), aber selbst hier gibt es einige Dinge zu berücksichtigen sind. Die Chronik verfasste er erst einige Jahre später nach Ende des Konzils (in den 1420er Jahren), sein Original ist nicht erhalten. Die Versionen der Chronik, die überliefert sind, sind alle aus den 1460er Jahren und wurden zum Teil bearbeitet oder sogar umgeschrieben. (Wenn wir nur die Rosgarten-Fassung hätten, wüssten wir z. B. gar nicht, dass Ulrich von Richental ihr Autor ist.)

In den Fassungen, die wir haben, fällt außerdem auf, dass der Fokus auf der Stadt Konstanz während des Exils liegt, die Besucher/innen des Konzils wird eigentlich fast nur berichtet, solange sie auch in Konstanz sind, wenn sie abreisen, wird fast in keinem Fall verfolgt, was sie dann noch gemacht haben.

Das bedeutet für mich nicht, dass die Chronik von Richental als Quelle jetzt unzulässig ist, aber es zeigt doch, dass wir vielleicht nicht alles, was dort berichtet und behauptet wird, unwiderfragt übernehmen sollten.

Wie gesagt, ich selbst habe mich nur peripher mit Herrn Ludwig VII befasst (und wie eigentlich sogar recht überrascht, dass der Herr gar nicht so "negativ" zu sehen ist, wie ich zuerst den Eindruck hatte. Aber ich bin sicher, dass Chris oder du da mehr Fachwissen zu ihm haben werdet.

Was zeitgenössische Quellen betrifft, wäre es für mich sicher interessant zu wissen, wie unparteiisch die tatsächlich sind, und auch wann die entstanden sind bzw. wer von wem abgeschrieben haben dürfte.

In Ganghofers "Ochsenkrieg" fällt jedenfalls auf, dass die beide Ludwige ziemlich zweifelhafte Charaktere sind und ihnen das "Münchner Trio" (die Herzoge Ernst, Wilhelm und Albrecht III. von Bayern-München) positiv Gegenpol gegenüber gestellt werden.

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27.02.2016, 17:24
Beitrag: #4
RE: hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers
Also, mir fallen da schon einige Herrscher ein, da als jähzornig bekannt sind UND erfolgreich herrschten...Iwan der Schrecklich...Ulrich von Württemberg...Heinrich der Zänker...Eberhard im Bart...
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03.03.2016, 14:58
Beitrag: #5
RE: hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers
(27.02.2016 17:24)913Chris schrieb:  Also, mir fallen da schon einige Herrscher ein, da als jähzornig bekannt sind UND erfolgreich herrschten...Iwan der Schrecklich...Ulrich von Württemberg...Heinrich der Zänker...Eberhard im Bart...

Wenn mich nicht alles täuscht wird diese Eigenschaft auch Mehmed II in jungen Jahren zugesprochen.
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03.03.2016, 15:19
Beitrag: #6
RE: hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers
hochfahrend und jähzornig, also nicht nur jähzornig - davon abgesehen aber, in der Fragestellung selbst geht es um Stereotypen bzw. deren Hinterfragung.
Stereotype - das bedeutet nicht, dass eine bestimmte Person tatsächlich hochfahrend und jähzornig gewesen sein muss, sondern nur, dass sie wurde von Zeitgenosse/n bzw. in Quelle/n mit dieser Eigenschaften bedacht wurde. (Was keineswegs tatsächlich zutreffen muss. Es bleibt noch immer zu berücksichtigen, woher die Information stammt.)

Abgesehen davon, auch wenn Heinrich der Zänker letztlich doch nicht als Verlierer geendet hat, es geht Zeiten in seinem Leben, soweit überliefert, wo ein positiver Ausgang für ihn keineswegs vorhersehbar war. Es wäre also bei ihm durchaus vorstellbar, dass die Stereotype (hochfahrend und jähzornig) sich auf diese Zeiten bezog und er in dieser "Rolle" letztlich auch in Erinnerung geblieben ist, und nicht seine Erfolge.

Insgesamt entsteht schon der Eindruck, dass eben die meisten Fürsten im Mittelalter hochfahrend waren, was vielleicht auch mit der politischen Rolle zusammenhängt. Umso interessanter also, warum das bei gerade einigen negativ hervorgehoben wird, bei anderen aber nicht.

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17.03.2016, 22:27
Beitrag: #7
RE: hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers
(03.03.2016 14:58)WDPG schrieb:  
(27.02.2016 17:24)913Chris schrieb:  Also, mir fallen da schon einige Herrscher ein, da als jähzornig bekannt sind UND erfolgreich herrschten...Iwan der Schrecklich...Ulrich von Württemberg...Heinrich der Zänker...Eberhard im Bart...

Wenn mich nicht alles täuscht wird diese Eigenschaft auch Mehmed II in jungen Jahren zugesprochen.

Was den Herzog Eberhard im Bart betrifft, nur eine Frage - ich bin keine Spezialistin für ihn, hatte aber bisher keineswegs den Eindruck, dass er sozusagen als jähzornig galt. Daher würde ich gerne mehr darüber wissen.

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18.03.2016, 10:21
Beitrag: #8
RE: hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers
Sorry, da lag eine Verwechslung meinerseits vor, ich meinte eigentlich "Eberhard den Rauschebart", offiziell Eberhard II. von Württemberg, genannt "der Greiner" (anderswo hätte man ihn wohl "den Zänker" genannt). Da waren bei näherer Lektüre seine Biographie aber wohl eher die häufigen - und notwendigen - Kriege Eberhards namensgebend.
Tatsächlich als jähzornig bekannt war der erste protestantische Herzog von Württemberg und Cousin Eberhards im Bart, Ulrich von Württemberg. Er - und auch seine Frau Sabina von Bayern - waren geradezu berüchtigt für ihre jähzornigen Ausbrüche (die Ehe war wohl keine Liebesheirat...Wink
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18.03.2016, 14:06
Beitrag: #9
RE: hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers
Wobei Ulrich von Württemberg jedenfalls zeitweise ebenfalls in die Kategorie Verlierer fällt. (Nur mit dem Unterschied zu anderen "Verlierern", das er letztlich die Kurve in die Gegenrichtigung doch geschafft hat. Was vielleicht ein Grund sein könnte, dass er als "Stereotyp" letztendlich recht widersprüchlich wirkt.)

Bei Heinrich den Zänker ist übrigens anzumerken, dass er noch einem anderen Stereotyp zugeordnet werden könnte: dem jüngeren Sohn / Bruder, gewöhnlich sehr temperamentvoll / ehrgeizig, der im Clinch mit dem älteren Bruder / Familienoberhaupt um die Macht ist.

Übrigens gibt es da bei den Wittelsbachern zwei recht interessante Vertreter dieses Stereotyps. Da ist einmal Ludwig der Bayer, den es letztlich gelungen ist, tatsächlich die "erste Rolle" bei den Wittelsbachern seiner Generation zu übernehmen, und dann gibt es noch Herzog Albrecht IV. von Bayern-München, für den eigentlich eine geistliche Laufbahn vorgesehen gewesen wäre und dem es letztlich tatsächlich gelungen ist, seine Brüder "auszuschalten" und die alleinige Herrschaft zu übernehmen.

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18.03.2016, 15:49
Beitrag: #10
RE: hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers
(18.03.2016 10:21)913Chris schrieb:  Sorry, da lag eine Verwechslung meinerseits vor, ich meinte eigentlich "Eberhard den Rauschebart", offiziell Eberhard II. von Württemberg, genannt "der Greiner" (anderswo hätte man ihn wohl "den Zänker" genannt). Da waren bei näherer Lektüre seine Biographie aber wohl eher die häufigen - und notwendigen - Kriege Eberhards namensgebend.
Tatsächlich als jähzornig bekannt war der erste protestantische Herzog von Württemberg und Cousin Eberhards im Bart, Ulrich von Württemberg. Er - und auch seine Frau Sabina von Bayern - waren geradezu berüchtigt für ihre jähzornigen Ausbrüche (die Ehe war wohl keine Liebesheirat...Wink

Yaeh,
der Württemberger und die Wittelsbacherin sollen sich gelegentlich mit den Fäusten geliebkost haben. Wobei die Wittelbacherin keineswegs nur Opfer war.

Bei den württenbergischen "Eberharden" und ihren "Kriegsnamen"kann ich nur vor jeder Zeile die man schreibt, die Nachkontrolle empfehlen, selbst Uhland kam da durcheinander. Idea

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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18.03.2016, 15:52
Beitrag: #11
RE: hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers
Uhland kam zwar durcheinander, aber ohne ihn wären die Herren doch heute gar nicht mehr bekannt.Big Grin

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18.03.2016, 16:11
Beitrag: #12
RE: hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers
(18.03.2016 14:06)Teresa C. schrieb:  Wobei Ulrich von Württemberg jedenfalls zeitweise ebenfalls in die Kategorie Verlierer fällt. (Nur mit dem Unterschied zu anderen "Verlierern", das er letztlich die Kurve in die Gegenrichtigung doch geschafft hat. Was vielleicht ein Grund sein könnte, dass er als "Stereotyp" letztendlich recht widersprüchlich wirkt.)

./.


Herzog Ulrich von Württemberg war vermutlich weniger "jähzornig" hatte wohl eher einen "Hirndadderich" wobei er im Hause Württemberg der vermutlich letzte Befallene war. Eine Krankheit die die Visconti einschleppte.

Letztlich hatte er das Glück, das zdZ der "legitimistische dynastische Gedanke" unter den Reichsfürsten schon sehr verbreitet war.
Und man außerdem die habsburgische Machtvergrößerung in Schwaben keineswegs wollte.
Was nichts dran änderte, dass er sein Land zurückerobern musste, oder besser durfte.
Für die städtischen "Patrizier" und für den Landadel, soweit sie zur neuen Herrschaft gehalten hatten, wurde das sehr zum Problem.
Ulrich hatte anderes versprochen, aber es interessierte ihn dann einen "feuchten Staub".
Der Landadel erklärte sich für "Reichsunmittelbar" mit Deckung durch Reich und Fürsten, aber zB Dietrich von Späth bekam seine, dann reichsunmittelbaren, Besitzungen erst nach dem Tod Ulrichs zurück.
Die angesprochene städtische Oberschicht wurde schlicht verjagt.

Sorry, ich ging wohl ein bißchen sehr ins Detail. Blush

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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18.03.2016, 16:19
Beitrag: #13
RE: hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers
(17.03.2016 22:27)Teresa C. schrieb:  ./.
Herzog Eberhard im Bart betrifft, ./..

Ihm verdanken wir übrigens unsere "Nationalhymne"
Graf im Bart ihr seid der Reichste, Euer Land trägt Edelstein..."

Nach einer Episode auf dem Reichstag zu Worms, die Ph. Melanchton der Nachwelt übermittelte.

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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19.03.2016, 22:01
Beitrag: #14
RE: hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers
(18.03.2016 16:11)Suebe schrieb:  Herzog Ulrich von Württemberg war vermutlich weniger "jähzornig" hatte wohl eher einen "Hirndadderich" wobei er im Hause Württemberg der vermutlich letzte Befallene war. Eine Krankheit die die Visconti einschleppte.

Letztlich hatte er das Glück, das zdZ der "legitimistische dynastische Gedanke" unter den Reichsfürsten schon sehr verbreitet war.
Und man außerdem die habsburgische Machtvergrößerung in Schwaben keineswegs wollte.
Was nichts dran änderte, dass er sein Land zurückerobern musste, oder besser durfte.
Für die städtischen "Patrizier" und für den Landadel, soweit sie zur neuen Herrschaft gehalten hatten, wurde das sehr zum Problem.
Ulrich hatte anderes versprochen, aber es interessierte ihn dann einen "feuchten Staub".
Der Landadel erklärte sich für "Reichsunmittelbar" mit Deckung durch Reich und Fürsten, aber zB Dietrich von Späth bekam seine, dann reichsunmittelbaren, Besitzungen erst nach dem Tod Ulrichs zurück.
Die angesprochene städtische Oberschicht wurde schlicht verjagt.

Sorry, ich ging wohl ein bißchen sehr ins Detail. Blush

Ob er wirklich eine Hirnschaden hatte, erblich belastet war oder unter psychisch gestörten Vater gelitten hat oder Sonstiges - gibt es da inzwischen irgendwelche wissenschaftlichen Beweise.

Was die "kranken" Visconti betrifft, wäre schon zu fragen, müssten da nicht andere Dynastien wie die Wittelsbacher, die Habsburger und einige weitere Dynastien (sowie auch weitere Württemberger Grafen und Herzöge) davon auch betroffen gewesen sein? (Oder anders formuliert: Warum sind eigentlich immer die Visconti schuld? Etwa ein weiteres Stereotyp?).

Ohne den Herzog Ulrich von Württemberg jetzt verteidigen zu wollen ("was nichts dran änderte, dass er sein Land zurückerobern musste, oder besser durfte"), aber gelten lassen könnten wir doch: Fakt bleibt aber doch, er hat es (mehrmals) versucht, er hatte letztlich offensichtlich eine wirkliche Chance, und ihm selbst ist es letztlich auch gelungen. (Da gibt es eine ganze Reihe von diversen Fürsten und Herren, die keine so gute Bilanz aufweisen.) Ob das für die Gebiete der Grafschaft / des Herzogtums Württemberg letztlich so gut war, ist natürlich eine andere Frage.Big Grin

Was die Ehe mit Sabina von Bayern betrifft (Liebesheiraten sind erst eine Erscheinung des 20. Jahrhunderts, als Folge einer Entwicklung, die im 18. Jahrhundert eingesetzt haben dürfte), stellt sich für mich die Frage, ob sie der "Zipfel des Eisberges" von dem ist, was im 15. / Beginn des 16. Jahrhunderts an schlechten fürstlichen Ehen Norm war oder ob das schlechte Verhältnis der beiden doch eine Ausnahme war.

Für die zweite Überlegung spricht, dass es zumindest relativ wenig Informationen über schlechte Ehen gibt, die tatsächlich eine überzeugende Quellengrundlage haben - vieles, was in früheren Forschungsarbeiten als Indiz für schlechte Ehen gesehen wurde, z. B. getrennte "Wohnsitze" fürstlicher Ehepaare, Vernunftsehe u. Ä. wurde inzwischen zu oft widerlegt, als dass es noch als relevant gelten kann. (Daneben halte ich es durchaus für vorstellbar, dass die Lebensbedingungen im Hochadel zu dieser Zeit für ein einigermaßen erträgliches Zusammenleben durchaus förderlich gewesen sein dürften.)

Andererseits stellt sich auch die Fragen, ob sich die Dynastien, Adelsfamilien und Herrscherhäuser da nicht auch einiges gerichtet haben. Ist es gänzlich auszuschließen, dass gewisse Probleme vertuscht oder nicht öffentlich wurden? Dass das bei Ulrich (und Sabina) anders ist, könnte mit seinem schlechten Ruf bzw. seiner prekären Position zusammenhängen, daher bestand kein Interesse hier ein wenig "Image-Pflege" zu betreiben oder er war deswegen nicht in der Lage, darauf Einfluss zu nehmen. (Hinzu kommt noch, dass ein brutaler Ehemann ganz gut zu seinem negativen "Image" gepasst haben dürfte, und eine "handgreifliche" Ehefrau ist ebenso wie eine "arme, misshandelte" Ehefrau auch ein beliebter Stereotyp, um einen Mann ins schlechte Licht zu rücken.)

Bitte, verstehen wir uns nicht falsch - mir geht es hier keineswegs darum, aus diesem Herzog Ulrich ein "Lämmchen" zu machen oder Herzogin Sabina als Opfer von Verleumdung darzustellen, die beiden dürften tatsächlich ein problematisches Ehepaar gewesen sein.

Aber ich versuche bei geschichtlichen Fakten und Überlieferungen auch ein wenig die Hintergründe für eine Auslegung / Interpretation / Überlieferung von Zeitgenossen und Nachwelt zu hinterfragen, mache mir auch Gedanken dazu, warum etwas in diesem Fall so überliefert wurde.

Bei diesem Paar stellt sich die Frage - warum ihre schlechte Ehe bekannt ist? Weil sie tatsächlich eine schlechte Ehe führten (im Gegensatz zu anderen Zeitgenossen, die im guten Einvernehmen miteinander lebten) oder weil bei ihnen Interesse da war, die Ehemisere nicht zu vertuschen?

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20.03.2016, 13:59
Beitrag: #15
RE: hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers
Also für die Tätlichkeiten gibt es Augenzeugen.
Wobei es vermutlich nur überliefert wurde, weil die Herzogin mit "Rausgeld" nicht sparte, was damals anscheinend nicht üblich war.

Dass die Wittelsbacherin nach Hause zu Mutti floh, wirst du als Nachweis auch nicht gelten lassen Undecided
Es war aber so, dass die Flucht unter Duldung und mit Wissen des Kaisers geschah, organisiert von Dietrich von Späth.Omg

Und dies ist dann schon ein Knaller und unumstößlicher BeweisHeart

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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20.03.2016, 16:16
Beitrag: #16
RE: hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers
Lieber Suebe,

bitte versteh mich nicht falsch. Es ist doch nicht der Fall, dass ich etwa Nachweise nicht gelten lasseIndifferent, ganz im Gegenteil. (Das Einzige, was ich versuche, ist, dass ich Überliefertes auch erst einmal im Bezug auf Glaubwürdigkeit kritisch sehe und hinterfrage. (Das kommt vielleicht daher, dass ich inzwischen zu viele Entdeckungen zu "historischen Fakten" gemacht habe, die nicht nur das, was als "historischer Fakt" verbreitet ist, widerlegen, sondern oft auch feststellen durfte, dass der "historische Fakt" auf einer Grundlage aufbaut, die oft fragwürdig, in einigen Fällen sogar lachhaft ist. (Daher halte ich mich lieber an Informationen, die sich z. B. aus Rechnungsbüchern, Botschafterberichte (soweit nicht für die Öffentlichkeit bestimmt) und Urkunden ergeben, nicht aber an Briefe (die vielleicht sogar für die Nachwelt bestimmt waren), Chroniken (bei denen neben einem parteiischen Chronisten, eine bestimmte Schwerpunktsetzung etc. auch immer wieder zu berücksichtigen ist, dass ihre Verfasser keineswegs den Durchblick hatten oder über alles informiert gewesen sein könnten bzw. vieles aus einer anderen Chronik übernommen haben) und Ähnliches.

Vor kurzem habe ich z. B. einen Aufsatz über die Stadt Konstanz in den Appenzellerkriegen gelesen, in dem sehr deutlich gezeigt wurde, dass Konstanz in jeden dieser Kriege verwickelt war und eine wichtige Rolle spielte, obwohl die bisherige Geschichtsforschung vom Gegenteil ausgegangen ist, weil es aus dieser Zeit kaum Quellenbelege dafür gibt, was die stadtgeschichtlichen Quellen von Konstanz selbst betrifft. (Der Verfasser hatte allerdings das Quellenmaterial anderer beteiligter Konfliktparteien über diese Kriege aufgearbeitet, und er zeigt, dass sich da eindeutig Hinweise dazu finden, dass die Stadt Konstanz in jedem dieser Kriege einer der Hauptakteure war. (Er verwendet allerdings Quellenmaterial, auf das die Stadt Konstanz keinen Zugriff hatte, und es drängt sich da sogar in seiner Darstellung der Verdacht auf, dass das weitgehende Fehlen von Konstanzer Quellen für die Appenzellerkriege kein Zufall ist.)

Außerdem beziehe ich bei einer Überlegung auch immer den Hintergrund bzw. vergleichbare Situationen ein, weil ich inzwischen den Eindruck habe, dass viele historische Fehlinformationen / Ungenauigkeiten / Quark auch auf eine isolierte Betrachtung zurückzuführen ist.

Bei Ulrich von Württemberg und Sabina von Bayern ist sicher, dass die Ehe nach den damaligen Maßstäben keine gute Ehe war. Immerhin haben wir da auch noch die "Mordgeschichte" um diesen Herrn von Hutten, und wie du selbst anführst, flüchtete Sabina nicht nur vom Hof ihres Ehemannes, sondern diese Flucht wurde von Mitgliedern der eigenen Familie geduldet und sogar möglich gemacht, ihr wurde auch Zuflucht gewährt.

Wir haben es hier also mit einem historischen "Ehefall" zu tun, der nicht nur überliefert wird, sondern eindeutig bewiesen ist.

Wobei auffällt, dass die Überlieferung nicht(?) einseitig ausgefallen ist, da nicht nur Ulrich, sondern auch Sabina fragwürdiges Verhalten unterstellt wird: also nicht der "Wüterich" / "Psychopath" und das "arme Opfer". (Inwieweit Sabinas "zweifelhafter" Ruf gerechtfertigt ist, wäre allerdings eine andere Frage. Offensichtlich hat sie sich gegen Ulrich gewehrt, mag sein, dass das vor allem für die Nachwelt besonders "shocking" war, etwa im Sinne von: "weibliches Opfer verharrt nicht brav in der Opferrolle, sondern wagt es, Widerstand zu leisten.)

Auffallend ist für mich aber, dass sich die Fälle "misshandelte" und als "Ehebrecher/innen bestraften" Ehefrauen (vorwiegend bei den Wettinern finden, so z. B. Anna von Sachsen / Ehefrau von Moritz von Oranien, Sidonia von Sachsen / Ehefrau von Erich von Braunschweig-Lüneburg etc.) erst später, zwar im 16. Jahrhundert, abervor allem in der zweiten Hälfte) finden. Bei Ulrich und Sabina dürfte es sich mit Blick auf vergleichbare Fälle in dieser Zeit um einen Ausnahmefall gehandelt haben.

Da stellt sich schon die Frage:
War die schief gegangene Ehe tatsächlich für ihre Zeit eine Ausnahme?
So scheint es jedenfalls.

Allerdings wäre natürlich vorstellbar, dass keine weiteren schweren Ehekonflikte gesichert überliefert sind, weil es gewöhnlich im Hochadel (HRR, und vielleicht nicht nur dort) üblich war, dass so etwas diskret und unter Ausschluss der Öffentlichkeit gelöst oder wenigstens geregelt wurde.
Wenn diese Annahme doch stimmt, dann war die Ehe zwischen Ulrich und Sabina insofern eine Ausnahme, als sie eben nicht von den Dynastien vertuscht wurde. In diesem Fall stellt sich natürlich die Frage: Warum wurde dieser "Eheskandal" nicht vertuscht oder, wenn das nicht möglich war, wenigstens halbwegs zurechtgebogen?

Mögliche Antworten:

- Weil weder Ulrich noch Sabina (und vor allem sie) nicht (mehr) bereit waren, sich an die "Regeln" zu halten, wonach "Ehekrisen" im Hochadel nicht publik werden dürfen. (Was auch die schlechte "Presse" erklären würde, die sie hatte - "Regelbrecher/innen" kommen meistens nicht gut weg.)

- Weil der Eheskandal letztlich ein Ausmaß angenommen hatte, so dass eine Vertuschung / eine diskrete Lösung nicht mehr möglich war?

- Weil es Personen gab, die durchaus ein Interesse daran hatten, dass der "Skandal" publik wurde: Vorstellbar wäre das, um z. B. den Herzog Ulrich noch zweifelhafter wirken zu lassen, als er auf seine Zeitgenossen ohnehin gewirkt haben dürfte. (Ein Ehemann, der seine Frau misshandelt und schlägt, ist schon zweifelhaft, einer, dessen Frau es wagt, ihn ebenfalls zu schlagen, macht eine noch schlechterer Figur.) Seine Anhängerschaft, die er offensichtlich auch hatte, könnte wiederum durch die "Diffamierung" seiner Frau versucht haben, ihn zu verteidigen.

...

Aber das wäre vielleicht wieder ein Thema für einen neuen Thread wie z. B. Ehekrisen im Spätmittelalter.

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Nur die Geschichtenschreiber erzählen uns, was die Leute dachten.
Wissenschaftliche Forscher halten sich streng an das, was sie taten.

Josephine Tey, Alibi für einen König
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20.03.2016, 18:29
Beitrag: #17
RE: hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers
(19.03.2016 22:01)Teresa C. schrieb:  Was die "kranken" Visconti betrifft, wäre schon zu fragen, müssten da nicht andere Dynastien wie die Wittelsbacher, die Habsburger und einige weitere Dynastien (sowie auch weitere Württemberger Grafen und Herzöge) davon auch betroffen gewesen sein? (Oder anders formuliert: Warum sind eigentlich immer die Visconti schuld? Etwa ein weiteres Stereotyp?).
Hinsichtlich der Visconti meine ich, hast Du recht. Soweit ich weiss, hatten die Württemberger (mit Ausnahme der Linie Grüningen-Landau) nur einmal eine Visconti (Eberhard III der Milde war mit Antoina Visconti verheiratet) in der Familie. Die zweifelhafte geistige Gesundheit der Visconti beschränkt sich meines Wissens lediglich auf die Nachkommen von Gian Galeazzo (er war mit einer Cousine verheiratet) nicht aber auf die Nachkommen seines Onkesl Bernabo (Antonia war eine Tochter Bernabos).

(19.03.2016 22:01)Teresa C. schrieb:  Ohne den Herzog Ulrich von Württemberg jetzt verteidigen zu wollen ("was nichts dran änderte, dass er sein Land zurückerobern musste, oder besser durfte"), aber gelten lassen könnten wir doch: Fakt bleibt aber doch, er hat es (mehrmals) versucht, er hatte letztlich offensichtlich eine wirkliche Chance, und ihm selbst ist es letztlich auch gelungen. (Da gibt es eine ganze Reihe von diversen Fürsten und Herren, die keine so gute Bilanz aufweisen.) Ob das für die Gebiete der Grafschaft / des Herzogtums Württemberg letztlich so gut war, ist natürlich eine andere Frage.Big Grin

Der schlechte Ruf Ulrichs ist erklärbar und zwar nicht nur aufgrund seiner misslungenen Ehe oder seiner Opposition gegen den Schwäbischen Bund sondern vermutlich, wie Du es ansprichst, wegen "Württemberg", d.h. wegen seinen Untertanen selbst. Seine Innenpolitik war katastrophal. Um seinen aufwendiger Lebensstil und seine Fehden (z.B. Landshuter Erbfolgekrieg, Feldzug nach Burgund) trotz defizitärem Haushalt finanzieren zu können, führte er Sondersteuern in Form einer Art Vermögenssteuern ein. Auf Druck des städtischen Patriziats, der Fernkaufleute und des lokalen Kleinadels, welche ursprünglich die Leidtragenden dieser neuer Steuern hätten sein sollen, wurde die Steuer auf die Bauern und die städtische Unterschicht in Form einer Verbrauchssteuer umgewälzt. Dies hatte dann prompt den Aufstand des Bauern- und Bürgerbundes des "Armen Konrad" Big Grin zur Folge - die Bauern, Handwerker und das städtische Gesinde müssen ihren Landesherrn gehasst haben.
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20.03.2016, 22:31
Beitrag: #18
RE: hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers
Teresa:
Es ist das Salz in der Suppe des historisch Interessierten, Ungereimtheiten im "Schulbuchwissen" aufzufinden und nachzuprüfen.
Soll heißen ich verstehe Dich sehr gut. Heart

Aguyar:
Zitat: - die Bauern, Handwerker und das städtische Gesinde müssen ihren Landesherrn gehasst haben.

Sollte man meinen, aber das Gegenteil war wohl der Fall. Während des Bauernkrieges 1525 war einer seiner Versuche zur Rückeroberung der vermutlich auch die besten Chancen hatte. eigentlich nur an nicht rechtzeitiger Koordination scheiterte.
Es sind etliche Lieder und Reime überliefert, die im Landvolk kursierten und auf eine baldige Rückkehr des Herzogs hofften.
Es sind auch etliche Sagen überliefert, siehe die bekannteste mit dem Aufenthalt des Herzogs in der Nebelhöhle, die Hauff in seinem Roman Lichtenstein verarbeitet hat. (der heutige Lichtenstein ist insofern Stein gewordene Literatur)
Wer mit gutem Grund seine Rückkehr fürchtete war Adel und Patriziat der Städte. Dass Württemberg bis zum Reichsdeputationshauptschluss keinen Adel hatte, die Herzöge ihre Hofschranzen aus Mecklenburg holen mussten, ist die Folge der Schlacht bei Lauffen.

Teresa: zur Sabina morgen mehr.

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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21.03.2016, 10:33
Beitrag: #19
RE: hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers
Das Bild das die Chronisten über beide, Ulrich und Sabina, überliefern, ist sehr hell-dunkel.

Sabina soll überaus "ungebärdig" gewesen sein, so hätten sie ihre Brüder in den 1540er Jahren mehrere Monate "einsperren müssen" damit sie in einen Erbverzicht einwilligte. (wie ich vom hörensagen weiß, täte auch heute dieses Mittel so mancher gerne anwenden...Devil)
Auf der anderen Seite wird Sabina als überdurchschittlich gebildet und belesen geschildert. Eine Seite die dem Herzog wohl vollständig fehlte.

Ulrich soll das Schlafzimmer Sabinas üblicherweise nur mit gezogenem Schwert betreten haben.... was soll man sich da für einen Reim draus machen???
Die Drohungen ihr gegenüber überaus wild, aber anscheinend durchaus glaubwürdig gewesen sein. Und wie geschrieben, die Flucht ging evtl. sogar auf den Kaiser zurück, zumindest hat er sie im voraus gebilligt.
Nach der Flucht Sabinas war Ulrich dann auf zwei Hoftagen beim Kaiser, an der Seite seiner Schwäger........

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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21.03.2016, 10:42
Beitrag: #20
RE: hochfahrend und jähzornig - oder das Stereotyp des Verlierers
(20.03.2016 22:31)Suebe schrieb:  Aguyar:
Zitat: - die Bauern, Handwerker und das städtische Gesinde müssen ihren Landesherrn gehasst haben.

Sollte man meinen, aber das Gegenteil war wohl der Fall. Während des Bauernkrieges 1525 war einer seiner Versuche zur Rückeroberung der vermutlich auch die besten Chancen hatte. eigentlich nur an nicht rechtzeitiger Koordination scheiterte.
Es sind etliche Lieder und Reime überliefert, die im Landvolk kursierten und auf eine baldige Rückkehr des Herzogs hofften.
Es sind auch etliche Sagen überliefert, siehe die bekannteste mit dem Aufenthalt des Herzogs in der Nebelhöhle, die Hauff in seinem Roman Lichtenstein verarbeitet hat. (der heutige Lichtenstein ist insofern Stein gewordene Literatur)

Da habe ich meine Zweifel. Unbestritten dürfte wohl sein, dass Ulrich 1514 den Aufstand des Armen Konrad provozierte. Dass der Herzog dann 1525, 11 Jahre später, beim "gemeinen Mann" wieder beliebt gewesen sein soll, kann ich mir schwer vorstellen. Auch dann nicht, wenn man die Spontanität und extreme Widersprüchlichkeit des mittelalterlichen Menschen berücksichtigt.

Aus diesem Grund habe ich auch den Verdacht, das die Beliebtheit Ulrichs ein späteres literarisches Konstrukt und nicht historisch ist. Gerade Hauff hat die Gestalt Ulrichs idealisiert, weshalb ich meine, die angebliche Popularität des Herzogs bei seinem Volk ist im Wesentlichen auf ihn zurückzuführen.

Allerdings ist es lange her, dass ich den "Lichtenstein" gelesen habe, dennoch meine ich, mich daran zu erinnern, dass Ulrich dort vom einem "Pfeifer von Hardt" unterstützt wird, der sich für ihn auffopfert. Mit dieser Gestalt, die wie Sturmfeder selbst ebenfalls nicht historisch ist, hat Hauff aber erfolgreich eine positive Beziehung zwischen Ulrich und seinen Bauern konstruiert - um so mehr, als er den Pfeifer von Hardt als ehemaligen Aufständischen beschreibt, der vom Herzog begandigt worden war. Ich vermute, Hauff liess sich bei dieser "Schlüsselgestalt" von Hans Böheim, dem Pauker von Niklashausen, wlecher im 19. Jahrhundert zum "Pfeiferhänslein" gemacht wurde, inspirieren.
Jedenfalls spricht m.E. alles dafür, dass die positive Sicht auf Ulrich - und besonders seine angebliche Popularität bei seinen Untertangen - auf die romantische Literatur zurückzuführen ist.

Was allerdings gegen meine Behauptung spricht, sind die von Dir erwähnten Sagen und Lieder. Man müsste jetzt versuchen, deren Herkunft zurückzuverfolgen d.h. untersuchen, ob diese bereits im Spätmittelalter entstanden sind oder ob es sich bei ihnen nicht doch um Produkte der Romantik handelt.
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