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Troja, was ist wahr an dem Mythos?
20.04.2016, 13:08
Beitrag: #12
RE: Troja, was ist wahr an dem Mythos?
(20.04.2016 12:38)Bunbury schrieb:  Ich glaube nicht so recht daran, daß sowohl die Hethiter als auch die mykenischen Griechen zufälligerweise zeitnah von innen heraus zusammenbrachen. Bei der relativen geographischen und zeitlichen Nähe hing beides sicherlich miteinander zusammen.

Die Seevölkerbewegung und die "ägäische Wanderung" sind ein komplexes Problem. Das Bündel möglicher Ursachen umfasst Systemzusammenbruch, Aufstände, Missernten und Seuchen, Einbruch kriegerischer Bevölkerungsgruppen in Griechenland usw.

Dass "Seevölker" etwa um 1200 v. Chr. tatsächlich im Raum des östlichen Mittelmeers "wanderten", ist gegenwärtig Stand der Diskussion.

Sicher ist der ägyptische Bericht von Ramses III. über die Seevölker im Grabtempel von Medinet Habu nicht eine neutrale und unmittelbare historische Quelle. Doch gibt es inzwischen Ausgrabungen in Süd- und Westanatolien, Zypern, Syrien und Israel, die eine Präsenz ägäischer Einwanderer zu Beginn des 12. Jh. v. Chr. nachweisen. Die ägäischen Artefakte zeigen allerdings, dass die Migration ägäischer Einwanderer nicht immer mit einer Zerstörung der lokalen Kultur einherging, sondern dass man vielfach von einer friedlichen Koexistenz mit der lokalen Bevölkerung ausgehen kann, die später zu einer Verschmelzung von Autochthonen und Zuwanderern geführt haben wird. Lediglich im Fall der Philister, d.h. der in den Quellen genannten Peleset/Pelischtim, ist ein autonomer Staat mit ethnisch benannter Bevölkerung entstanden.

Der US-Professor Assaf Yaser-Landau sagt dazu in einem Aufsatz über die "Seevölker":

Zitat:Die Wanderung der "Seevölker", unter ihnen auch die Philister, von der Ägäis in die Levante während des frühen 12. Jh. v. Chr., ist eines der faszinierendsten Ereignisse in der Geschichte des Ostmittelmeerraums. Aus kulturgeschichtlicher Sicht ist es ein Wendepunkt, an welchem die Kluft zwischen dem Zusammenbruch der spätbronzezeitlichen Zvilisationen und dem Beginn der Ära der Nationalbewegungen überbrückt wird.

Eine Inschrift aus dem achten Regierungsjahr von Ramses III. in Medinet Habu (ca. 1175 v. Chr.) zeichnet ein dramatisches Bild der Ankunft der fremden Eroberer, die von "Inseln" (offenbar im ägäischen Raum) stammen und auf ihrem Weg durch Anatolien und Syrien in Richtung Ägypten eine Spur der Zerstörung hinter sich ließen. [...]

Während der ägyptische Bericht nicht als unparteiisches und unmittelbares Dokument akzeptiert werden sollte, haben Ausgrabungen in West- und Südanatolien (z.B. Bademgedigi Tepe und Tarsus), Zypern (z.B. Enkomi und Maa Palaeokastro), Syrien (z.B. Ras Ibn Hani) und Israel (z.B. Aschdod, Askalon und Ekron) einen dramatischen Anstieg in der Menge der lokal entstandenen ägäisch geprägten materiellen Kultur zu Beginn des 12. Jh. v. Chr. aufgedeckt.

Die Präsenz ägäischer Einwanderer kann aus dem Auftauchen ägäischer häuslicher Verhaltensmuster geschlossen werden: Essen wurde in Kochtöpfen ägäischer Art gekocht, Wein in Krateren mykenischen Stils gemischt und aus Skyphoi (schüsselartigen Gefäßen) getrunken. Auch die Textilherstellung änderte sich mit der Einführung des Webgewichts ohne Öse zum Aufhängen. Sogar die Wohnarchitektur wandelte sich, und Häuser in Zypern und Israel wurden mit rechteckigen Herdstellen ausgestattet - ein gemeinsamer Zug traditionller ägäischer Architektur der mykenischen Nachpalastzeit (Späthelladisch IIIC). Diese neuen ägäischen Merkmale gingen aber immer Hand in Hand mit dem Fortbestand der jeweils lokalen materiellen Kultur. Nur selten erscheinen sie in der unmittelbaren Folge der Zerstörung eines Ortes der Einheimischen.

Daher ist es wahrscheinlich, dass die ägäische Ansiedlung zumeist nicht gewaltsam verlief, wie von Ramses III. beschrieben, sondern dass sie hauptsächlich durch friedliche Koexistenz mit der lokalen Bevölkerung des Ostmittelmeerraums gekennzeichnet war.

Der genaue Grund für den Aufbruch einer beträchtlichen Zahl an Bewohnern der ägäischen Welt zur Kolonisierung des Ostens wird möglicherweise für immer im Dunkeln liegen. Möglich ist, dass innere Rivalität und Streit in der nachpalastzeitlichen Gesellschaft kulturelle Mobilität ermöglichte und Ansporn für Einzelne wie auch Gruppen bedeutete, ihr Glück auswärts zu versuchen. Die Ost- und Südbewegung wurde zweifellos durch den Untergang des Hethiterreichs und seiner Vasallenstaaten entlang der anatolischen und syrischen Küste kurt nach 1200 v. Chr, bedeutend vereinfacht.

Rückblickend stellt sich das Phänomen "Seevölker" als Erscheinung des unmittelbaren Beginns der Dark Ages Griechenlands dar und es beleuchtet die frühesten Anfänge der Wiederherstellung gesellschaftlicher Strukturen nach dem Ende der mykenischen Paläste. [...]

(Assaf Ysur-Landau, Die Seevölker, in: Zeit der Helden. Die "dunklen Jahrhunderte" Griechenlands 1200-700 v. Chr, Ausstellungskatalog, Karlsruhe 2008, S. 56 f.)

Welche Auslöser im einzelnen für die Seevölkerbewegung maßgebend waren, liegt im Dunkeln. Das sagt auch der von mir oben zitierte Yasur-Landau in seinem Aufsatz zu den "Seevölkern".

Allerdings lassen sich einige konkrete Umrüche nennen, die diese Wanderungen ausgelöst haben könnten. Dazu zählt vor allem das von Brandkatastrophen begleitete Ende der mykenischen Palastkultur und der Untergang des Hethiterreichs. Beide Ereignisse erfolgten um 1200 v. Chr., sodass ein chronologischer Zusammenhang mit dem Auftauchen der Seevölker in Ägypten, Kreta, Zypern und Palästina besteht.

Was sonst noch die Migration bewirkt haben könnte - Klimakatastrophen, Seuchen, Übervölkerung u.ä. - steht in den Sternen und ist bloßer Spekulation überlassen.

Die beiden von mir genannten Ereignisse - Mykene und Hethiter - stehen bei allen Autoren, die sich mit den Seevölkern beschäftigen, an prominenter Stelle. Umwälzungen in Mesopotamien hingegen dürften schon aus geografischen Gründen keine Rolle gespielt. Wie Yasur-Landau oben überzeugend beschreibt, handelte es sich um ägäische Einwanderer, was entsprechende archäologische Funde aus neuerer Zeit eindrucksvoll bestätigen. Betroffen war die gesamte Ägäis einschließlich der großen Inseln Kreta und Zypern.
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RE: Troja, was ist wahr an dem Mythos? - Dietrich - 20.04.2016 13:08

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