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Historische Abweichungen von Fakten - wie weit darf das gehen?
28.07.2016, 14:05
Beitrag: #21
RE: Historische Abweichungen von Fakten - wie weit darf das gehen?
(21.07.2016 23:08)Sansavoir schrieb:  ... Was mich an der Serie aber wirklich geärgert hat, ist der leichtsinnige Umgang mit Fakten. Zum Beispiel die Verheiratung von Henrys Schwester mit dem König von Portugal. Weder die ältere Schwester Margarete, noch die jüngere Mary waren mit dem portugiesischen König verheiratet, der in diesem Fall ja Manuel I. sein müsste.

Was diese Eheschließung mit dem König von Portugal und dessen nachfolgende Ermordung betrifft, ist für mich vor allem unbefriedigend, dass diese Änderung keinen Sinn macht. Wenn historische Fakten verändert werden, sollte das doch wenigstens etwas bewirken, sei es, dass so die Dramaturgie einer Geschichte eine Stärkung / handlungsrelevante Verbesserung erfährt (weswegen ich z. B. oft Zeitraffer oder erfundene Beziehungen zwischen historischen Figuren, solange sie nicht absolut idiotisch sind, schon tolerieren kann) oder das Ganze eine Bereicherung für die Metaebenen / symbolische Ebenen bringt.

Allerdings ist mir eines wichtig - dass Veränderungen von historischen Fakten nicht die historische "Zielrichtung" verändern.

Hätten sie im Film Henrys Schwester z. B. mit dem König Ludwig von Frankreich verheiratet, und sie hätte ihn umgebracht, hätte ich das vielleicht eher tolerieren können, denn diese Ehe gab es tatsächlich, sie dauerte ungefähr 3 Monate und die Ehe mit Brandon / Suffolk wurde relativ bald darauf geschlossen. Auch wenn der Mord eine Erfindung ist, die wesentlichen Fakten wären dabei nicht verändert worden. Intelligenter hätte ich es allerdings in diesem Fall gefunden, auf den Mord mittels Bettkisten zu verzichten und den Tod des Königs z. B. darauf zurückzuführen, dass es seine junge und temperamentvolle Frau etwas zu wild mit ihm treibt. Eventuell hätten sie es auch nur bei der Möglichkeit eines etwas beschleunigten Endes durch diese Ehe belassen können.

So wie es im Film rüberkam, wurde nicht nur die "historische" Zielrichtung gänzlich verändert, der damalige König von Portugal war nicht mit einer Schwester von Henry VIII. verheiratet, sondern mit zwei von dessen Schwägerinnen und einer von deren Nichten, und er starb auch keines gewaltsamen Todes.
Zudem hat es auch keine wirklichen Auswirkungen auf die Handlung der Fernsehserie, da in der Folge Portugal und Portugiesen keine Rolle mehr spielen.

Für mich war diese Änderung daher unnötig und dazu vollkommen unsinnig.

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Nur die Geschichtenschreiber erzählen uns, was die Leute dachten.
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29.07.2016, 13:49
Beitrag: #22
RE: Historische Abweichungen von Fakten - wie weit darf das gehen?
Ich sehe das genauso. Diese Änderungen haben nichts gebracht und die Zuschauer in die Irre geführt.

Die historischen Fakten boten durchaus Filmreifes. Mary wurde an Ludwig XII. verheiratet, der erst seit wenigen Monaten verwitwet war. Und Mary wurde m.E. von Charles Brandon nach Frankreich begleitet. Nach drei Monaten starb Ludwig XII. und Mary konnte von Brandon geheiratet werden, der von Henry VIII. vorher noch zum Herzog von Brandon erhoben wurde. Spekulativ ist natürlich, dass eine Neunzehnjährige ihren zweiundfünzigjähigen Gatten im Bett überforderte. Das kann sein, muss aber nicht. Vorstellbar ist, dass Ludwig XII. noch eigene Nachkommen zeugen wollte und sich da bestimmten Mittelchen bedienten, die seinem Herzen nicht bekam. Vorstellbar ist auch, dass der spätere Franz I. für den Tod des Königs verantwortlich ist. Er wäre ja der große Verlierer gewesen, wenn Mary einen Sohn Ludwigs geboren hätte. Dies hätte man alles in einem TV-Drama einbauen können. Dass fast alle französische Könige des Mittelalters und der frühen Neuzeit höchstens 60 Jahre alt wurden, ist ein Fakt und der Tod Ludwigs XII. mit 52 Jahren kann deshalb nicht als ungewöhnlich angesehen werden. Auch sein Nachfolger Franz I. starb mit 52 - bei den Königen von England war es ähnlich: Henry VII. wurde 52 und Henry VIII. wurde 55 Jahre alt.

Ebenso hätte das Leben der älteren Schwester Margarete Filmreifes geboten. In ihrer Kindheit waren Margaret und Henry unzertrennlich. Wie war ihr Verhältnis nach der Schlacht von Flodden? Hat sich Henry VIII. seinen Neffen James V. als Thronfolger vorstellen können? Ich könnte noch weiter fortfahren. Letztlich waren die tatsächlichen Ereignisse so interessant, dass man nichts verfälschen muss.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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01.08.2016, 17:05
Beitrag: #23
RE: Historische Abweichungen von Fakten - wie weit darf das gehen?
Und was könnte der Grund für die Verfälschungen gewesen sein, die in diesem Fall nicht einmal aus dramaturgischer Sicht notwendig gewesen wären? Das dürfte hier noch die interessanteste Frage sein.Confused

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01.08.2016, 21:11
Beitrag: #24
RE: Historische Abweichungen von Fakten - wie weit darf das gehen?
Wenn ich das wüsste! Arglosigkeit, nach dem Motto: Es wird schon niemand merken.

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08.08.2016, 07:48
Beitrag: #25
RE: Historische Abweichungen von Fakten - wie weit darf das gehen?
Es zeigt vielleicht auch, wie sehr sich die Zeiten in den letzten 25 Jahren verändert haben. Als in den 1990er Jahren die Fernsehserie "Die Strauß-Dynastie" über die Bildschirme flatterte, weiß ich, dass ich damals in meinem Bekanntenkreis die einzige war, die den Film verteidigt hat. Ich fand damals die Idee der Filmemacher lustig: Familie Strauß als österreichisches "Dallas" und "Dynasty" - mal eine andere Sicht auf geschichtliche Akteure. (In den 1980er Jahren waren "Dallas" und "Dynasty" zwei sehr beliebte Soap Operas, allerdings galten allerdings auch als ziemlich fragwürdige amerikanische Unterhaltung).

Für mich war diese vierteilige Soap Opera mit Intrigen, Sex, Inzest und andere reißerische Fragwürdigkeiten aber auch keine seriöse Unterhaltung mit wirklichen Anspruch auf Historizität oder etwa die gelungene Umsetzung eines historischen Stoffes. Die anderen waren allerdings aufgebracht darüber, wie hier geschichtliche Fakten verändert und verfälscht worden waren. (Am nettesten war da noch die Kritik, dass der Hauptdarsteller von Johann Strauss Sohn, immerhin ein erfolgreicher Komponist, Geiger und Dirigent, offensichtlich keine Ahnung hatte, wie ein Geigenbogen gehalten wird.)

Heute habe ich den Eindruck, wie eben eine Serie wie "The Tudors" zeigt, dass sich das inzwischen ins Gegenteil verkehrt hat. Oder liegt es etwa daran, dass sich die historische Bildung und das historische Wissen bei der Bevölkerung inzwischen wesentlich verschlechtert hat?

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08.08.2016, 21:31
Beitrag: #26
RE: Historische Abweichungen von Fakten - wie weit darf das gehen?
Das könnte sein. Vielleicht möchte man nur noch unterhalten werden ...

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13.08.2016, 16:53
Beitrag: #27
RE: Historische Abweichungen von Fakten - wie weit darf das gehen?
Eine Frage ist natürlich: Wieweit darf dichterische Freiheit gehen? Ich habe gerade einen Kommentar zu einer Rezension gelesen, wo kritisiert wurde, dass eine Figur aus dem frühen Mittelalter 20 Jahre vor ihrem tatsächlichen Tod (überliefert scheint nur das Todesjahr) ein gewaltsames Ende findet. Die Kritikerin war der Ansicht, dass so eine Abweichung auf Geschichtsverfälschung herausläuft. Ich selbst habe das in diesem Fall übertrieben gefunden, da gleich mit Geschichtsverfälschung zu kommen, da über die zwanzig Jahre, die diese Person noch gelebt hat, eigentlich nicht viel überliefert ist, und da seine Heirat und seine Nachkommen im Roman zumindest Erwähnung finden, fand ich nicht, dass dadurch seine Rolle als Ahnherr einer Familie einfach unterschlagen wurde.

Für mich wäre hier eher der Diskussionspunkt gewesen:
Warum muss gerade er der Schurke in dieser Geschichte sein?

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13.08.2016, 17:52
Beitrag: #28
RE: Historische Abweichungen von Fakten - wie weit darf das gehen?
(09.07.2016 11:17)Teresa C. schrieb:  Wie seht ihr das?
Ich habe das Buch auch nicht gelesen, deshalb hier nur generell zur Andichtung von unehelichen Kindern: als Unterstellung kann man dies in einem Roman nicht bezeichnen, insbesondere wenn irgendwo ein Vermerk steht, dass die Geschichte trotz historischem Hintergrund fiktiv ist.

Wie bereits von Aguyar erwähnt, wäre die Sache halb so schlimm gewesen. Bin aber auch der Meinung, dass ein historischer Roman bekannte Begebenheiten nicht verfälschen, sondern nur ausschmücken darf. Die Frage ist also, ob ein uneheliches Kind zuviel des Ausschmückens ist, was nur sehr subjektiv, aus der eigenen Sichtweise heraus beantwortet werden kann.

Da sich Jan Hus gerade mit seinen Ansichten zur Religion einen Namen gemacht hat, ist die Sache nicht ganz unproblematisch und kann m.M.n. durchaus als Affront gegen seine Religiosität aufgefasst werden, aus einer Zeit heraus, wo Religions-Bashing zur Tagesordnung der Boulevardpresse gehört. Und genau da sehe ich den eigentlichen Haken. Devil
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13.08.2016, 23:49
Beitrag: #29
RE: Historische Abweichungen von Fakten - wie weit darf das gehen?
Ich kenne das Buch auch nicht. Ich bin aber der Meinung, - wie ich mich schon geäußert habe - das historische Ereignisse (ob Film oder Buch) oft nicht so wiedergegeben werden können. ABER... es sollte nicht zu stark abweichen, ich meine, entweder im Ablauf wichtige historische Ereignisse unerwähnt bleiben lassen, oder mehr hinzugefügt wird, was historisch überhaupt nicht stimmt, oder sogar diese völlig verdreht.
Man müsste schon m. E. "halbwegs" die Kirche im Dorf lassen...

Einem Haus eine Bibliothek hinzuzufügen heißt, dem Haus eine Seele zu geben.

Marcus Tullius Cicero
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14.08.2016, 05:47
Beitrag: #30
RE: Historische Abweichungen von Fakten - wie weit darf das gehen?
Ich habe das Buch selbst auch noch nicht gelesen, könnte mir aber vorstellen, dass es in diesem konkreten Fall vielleicht auch von der Umsetzung abhängt. Wenn es so umgesetzt ist, wie es Aguyar als Möglichkeit beschreibt, nämlich als handlungstragendes Detail, das mit Blick auf die zeitlichen Umstände, soweit über sie einiges vorliegt, was gesichert scheint, durchaus glaubwürdig wäre und keineswegs im Widerspruch zu dem steht, was über eine historische Figur bekannt ist, könnte ich mir vorstellen, dass das Ganze mich persönlich gar nicht stören würde: ein Jan Hus, der z. B. in seiner Jugend da eine Erfahrung gemacht hat, wäre jedenfalls vorstellbar.

Mein Verdacht (da kann ich allerdings falsch liegen), ist allerdings, dass diese Idee nur verwendet wurde, um so zusagen den Schluss, der hier nun einmal nicht kein Happyend sein kann, abzumildern.

Eine weitere Möglichkeit, die vielleicht den Ärger des Rezensenten erklären könnte, wäre, dass die weibliche, offensichtlich fiktive Hauptfigur letztlich nur eingeführt wurde, um eben dem Roman auch eine typische weibliche Hauptfigur á la "Vergolderin", "Wanderhure" etc. zu geben.

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