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Ab wann gibt es "Deutschland"? - Druckversion

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Ab wann gibt es "Deutschland"? - Dietrich - 18.10.2016 14:00

Es ist bis heute umstritten, wann die Bevölkerung des Ostfrankenreichs unter den ottonisch-salischen Herrschern zu einer deutschen Identität gefunden hat, bzw. wann die in ihm vereinigten Völker, die zum Teil seit mehr als einem halben Jahrtausend bekannten Franken, Sachsen, Baiern und Alemannen, zusätzlich zu ihrem bisherigen Volksnamen umfassend "Deutsche" genannt wurden.

Es handelt sich dabei sowohl um einen politischen Prozess des Herauswachsens aus einem Teilkönigtum des fränkischen Gesamtreichs zu eigenem Staatsbewusstsein, als auch um eine sprachliche Spiegelung in der Verwendung des Wortes "deutsch" und seiner lateinischen Entsprechungen. Unter diesen setzte sich rasch das antikisierende "teutonicus" durch und zwar in poltischer Bedeutung zur Bezeichnung dieses neuen Staates und seines Reichsvolks.

Um die Daten für die Etablierung einer eigenen staatlichen Identität ist viel gestritten geworden, wobei die Daten 843, 911, 919 und 925 genannt wurden. Manche sahen einen gestreckten Prozess bis zu Otto I. (936), andere setzten das Datum 911 (Ende der Karolinger, Nichtanerkennung des westfränkischen Karolingers) und 919 (Heinrich I. als "erster deutscher König" (!). Andere schlagen einen späteren Ansatz vor unter dem Gesichtspunkt, dass die Ottonen nicht das "Deutsche Reich" vorgefunden, sondern erst geschaffen haben. Im allgemeinen ist die Forschung heute der Ansicht, dass ein deutsches Bewusstsein kaum vor 1000, voll erst im 11. und 12. Jh. einsetzt.

Anders verhält es sich mit dem politischen Begriff "Deutschland". Die ostfränkisch-ottonischen Kaiser beanspruchten weiterhin "in Francia" - im Frankenreich - ebenso zu herrschen wie "in Italia". Sie betrachteten sich noch als Herrscher des Ostfrankenreichs, was demzufolge in Urkunden als regnum francorum orientalium bezeichnet wurde.

Vor allem aber sahen sie sich wie schon Karl der Große als Herrscher des "Heiligen Römischen Reichs", was seit Konrad II. 1034 amtlicher Titel des Reichs wurde. Als "Sacrum Imperium" wird das Reich seit 1157 in Urkunden Kaiser Friedrichs I. bezeichnet, um seine sakrale Würde zu betonen. Seit 1254 bürgerte sich in den Königsurkunden die Bezeichnung "Sacrum Romanum Imperium" ein.

Im Rahmen des Investiturstreits spricht Papst Gregor VII. erstmals im Hinblick auf Heinrich IV. vom "rex teutonicorum", um seinen Gegner auf die Ebene der anderen europäischen Könige herabzuziehen. Später findet man dann häufiger das "rex teutonicorum" oder aber "Teutonicum regnum" in Urkunden, vor allem wenn es darum geht, Unterscheidungen zu den Königreichen Burgund und Italien im Reichsverband herzustellen.

Im Ausland sind die Bezeichnungen für den Gesamtstaat vielfältig: Germania, Francia, Saxonia, Terra Teutonica, Alamannia, Regnum Germanicum, Saxonum usw.

Etwa um 1100 tauchen Umschreibungen wie "in diutischem lande", "diutisches lant" u.ä. auf, etwa ab 1500 spricht z.B. Ulrich Hutten von den "deutschen Landen". Singular "Deutschland" ist also noch nicht vertreten, wohl aber die "deutsche Nation". Sie tritt als "Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation" (Nationis Germanicae) im 15. Jh. auf und bezeichnete einschränkend die deutschen Teile des Reichsgebiets.im Unterschied zu Italien und Burgund.

Vom "Deutschen Reich" schließlich ist erst seit der wilhelminischen Reichsgründung 1871 die Rede, während das Gebilde nach dem Wiener Kongress 1815 den Namen "Deutscher Bund" führte.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Suebe - 18.10.2016 16:50

Zitat:Im allgemeinen ist die Forschung heute der Ansicht, dass ein deutsches Bewusstsein kaum vor 1000, voll erst im 11. und 12. Jh. einsetzt.
.

Sehe ich anders.
Und bin da ganz auf der Seite von Hugo von Hofmannsthal
"Wenn es stehts zu Schutz und Trutze,,,"

erste Hälfte des 10. Jahrhunderts.


Deutschland als Staatsidee war immer (wenn wir 1872-1945 mal weglassen)
ein defensives Schutzbündnis. Nichts anderes.
Vielleicht ist den Forenfreundinnen und Freunden zB bekannt, dass es vor 1935 nicht mal eine deutsche Staatsbürgerschaft gab.

Ob das Teil in den Quellen jetzt Ostfranzien, Südostgermanien[/quote] oder sonstwieähnlich genannt wird, ist doch egal. Eine deutschsprachige Quelle für das 10. Jahrhundert oder früher wird eh zum Thema keiner vorweisen können. Ergo reine Fremdbezeichnungen.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Dietrich - 18.10.2016 19:18

(18.10.2016 16:50)Suebe schrieb:  Ob das Teil in den Quellen jetzt Ostfranzien, Südostgermanien oder sonstwieähnlich genannt wird, ist doch egal. Eine deutschsprachige Quelle für das 10. Jahrhundert oder früher wird eh zum Thema keiner vorweisen können. Ergo reine Fremdbezeichnungen.

Diese Aussage ist einigermaßen kryptisch.

Ab wann existiert denn nach deiner Meinung eine frühe deutsche Identität?


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Suebe - 18.10.2016 19:35

(18.10.2016 19:18)Dietrich schrieb:  
(18.10.2016 16:50)Suebe schrieb:  Ob das Teil in den Quellen jetzt Ostfranzien, Südostgermanien oder sonstwieähnlich genannt wird, ist doch egal. Eine deutschsprachige Quelle für das 10. Jahrhundert oder früher wird eh zum Thema keiner vorweisen können. Ergo reine Fremdbezeichnungen.

Diese Aussage ist einigermaßen kryptisch.

Ab wann existiert denn nach deiner Meinung eine frühe deutsche Identität?


im Außenverhältnis seit der 1. Hälfte des 10. Jahrhunderts.
im Innenverhältnis? vermutlich bis heute nicht. Ich bin ja auch zuerstmal Schwabe. Und bis 1934 wäre ich sogar württembergischer Staatsbürger gewesen.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Dietrich - 18.10.2016 19:49

(18.10.2016 19:35)Suebe schrieb:  im Außenverhältnis seit der 1. Hälfte des 10. Jahrhunderts.

Woher soll denn das kommen?

Da taten sich innerhalb des Ostfränkischen Reichs verschiedene Völker zusammen, u.a. Baiern, Sachsen, Alemannen, Friesen und Lothringer, die sich weder untereinander verständigen konnten - oder nur mühsam - noch ein Zusammengehörigkeitsgefühl kannten. Das Gebilde firmierte noch lange unter den Ottonen und Saliern als Ostfränkisches Reich, denn ein Zusammengehörigkeitsgefühl und eine eigene Identität konnten sich erst nach langer Zeit entwickeln. Erst eine Schicksalsgemeinschaft mit gemeinsamer Vergangenheit kann eine solche Identität hervorbringen. und dazu mussten rund 200 Jahre ins Land gehen.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Suebe - 18.10.2016 19:58

Zitat:Da taten sich innerhalb des Ostfränkischen Reichs verschiedene Völker zusammen, u.a. Baiern, Sachsen, Alemannen, Friesen und Lothringer, die sich weder untereinander verständigen konnten - oder nur mühsam -

Das war ziemlich sicher nicht der Fall.
Wenn zB die Franken mit den Römern verhandelten, ist immer die Rede von Dolmetschern.
Verhandelten sie mit Schweden, dagegen nie!
Ergo: Die gesprochenen germanischen Sprachen haben sich erst langsam auseinander entwickelt. Was ja auch an Hand der Lautverschiebungen nachzuweisen ist.
Eine Entwicklung die erst wieder mit der Verschriftlichung, genauer der Schriftsprache mow zum stillstand kam.


Was ja auch den Sprachtheorien zB vom Indoeuropäischen zu den meisten heutigen europäischen Sprachen hin, entspricht.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Flora_Sommerfeld - 18.10.2016 21:43

(18.10.2016 19:35)Suebe schrieb:  im Innenverhältnis? vermutlich bis heute nicht. Ich bin ja auch zuerstmal Schwabe. Und bis 1934 wäre ich sogar württembergischer Staatsbürger gewesen.

Das würde ich mal bestätigen, die regionale Herkunft spielt eine wichtigere und tiefere Verwurzelung, als manch einer das gern haben möchte.

Da könnte man ja fast darauß schliessen, dass dieses Nationalbewusstsein für z.B. ein Deutschland, nur eine bzw. die überbewertete Rolle in der Zeit der Bildung von Nationalstaaten in Europa ab dem 19.Jahrhundert Form annahm.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Suebe - 19.10.2016 09:45

(18.10.2016 19:49)Dietrich schrieb:  
(18.10.2016 19:35)Suebe schrieb:  im Außenverhältnis seit der 1. Hälfte des 10. Jahrhunderts.

Woher soll denn das kommen?

./.


Woher das kommt?
in dem Fall von den Ungarn-einfällen.

"Wenn es stehts zu Schutz und Trutze...."
ich schrieb es glaube ich schon mal Idea


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Dietrich - 19.10.2016 12:05

(18.10.2016 21:43)Flora_Sommerfeld schrieb:  Das würde ich mal bestätigen, die regionale Herkunft spielt eine wichtigere und tiefere Verwurzelung, als manch einer das gern haben möchte.

Im Deutschland des Mittelalters - und auch noch später - gab es für politisch-gesellschaftliche Identitäten eine klare Rangfolge. An erster Stelle stand der souveräne Landesherr, der absolutistisch über das Wohl und Wehe seiner "Landeskinder" bestimmte. Und somit fühlten sich die Menschen in erster Linie als Schaumburger, Hessen, Nassauer, Schwarzburger, Anhaltiner oder Württesmberger. Erst danach kam eine deutsche Identität, die sich eher nebulös über dem Horizont der Untertanen wölbte; denn Kaiser und Reich waren fern und das Schicksal der Untertanen lag in der Hand der Landesfürsten.

(18.10.2016 21:43)Flora_Sommerfeld schrieb:  Da könnte man ja fast darauß schliessen, dass dieses Nationalbewusstsein für z.B. ein Deutschland, nur eine bzw. die überbewertete Rolle in der Zeit der Bildung von Nationalstaaten in Europa ab dem 19.Jahrhundert Form annahm.

Die Entstehung von Nationalstaaten im 19. Jh. ist eine historische Tatsache. Ob man das nun über- oder unterbewertet nennen soll, ist keine objektiv ztu beantwortende Frage, schon gar nicht für Historiker.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Suebe - 19.10.2016 12:58

(19.10.2016 12:05)Dietrich schrieb:  
(18.10.2016 21:43)Flora_Sommerfeld schrieb:  Das würde ich mal bestätigen, die regionale Herkunft spielt eine wichtigere und tiefere Verwurzelung, als manch einer das gern haben möchte.

Im Deutschland des Mittelalters - und auch noch später - gab es für politisch-gesellschaftliche Identitäten eine klare Rangfolge. An erster Stelle stand der souveräne Landesherr, der absolutistisch über das Wohl und Wehe seiner "Landeskinder" bestimmte. Und somit fühlten sich die Menschen in erster Linie als Schaumburger, Hessen, Nassauer, Schwarzburger, Anhaltiner oder Württesmberger. Erst danach kam eine deutsche Identität, die sich eher nebulös über dem Horizont der Untertanen wölbte; denn Kaiser und Reich waren fern und das Schicksal der Untertanen lag in der Hand der Landesfürsten.
./.

Dem kann ich auch wieder nicht so ganz Folgen.
Nach der Auflösung der Stammesherzogtümer gab es "eigentlich" keinen Landesherrn, und die regionalen Fürsten waren nun keineswegs souverän.
(Souveräner ab 1648, aber das ist Neuzeit, und so richtig souverän auch da noch nicht)
Auch der Absolutismus ist eine neuzeitliche "Erfindung" die Fürstentümer waren doch mow ständisch organisiert.

Irgendwo ist mir die Äußerung eines schwedischen? Staatsmannes des 18. Jahrhundert untergekommen: "Deutschland wird auf deutsch regiert"
Soll heißen: Ohne Beispiel in anderen Staaten.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Bunbury - 19.10.2016 13:26

Ich habe ja sehr viel angelsächsiche Literatur gelesen, auch ältere. Dabei ist mir schon vor längerem aufgefallen, dass von "deutsch" immer nur dann die Rede ist, wenn es um ein eher unbedeutendes Fürstentum geht, das europäisch keine sonderliche Bedeutung gespielt hat.
Anna von Kleve wird z.B. als "deutsch" bezeichnet, obwohl sich zu ihr bei Wikipedia auch die Anmerkung findet, dass diesem Begriff zu ihrer Zeit (also um 1550) konkret jeder georgraphische Bezug fehlt.

Dagegen werden die an der Seite der Briten im amerikanischen Bügerkrieg kämpfenden Soldaten als "Hessen" bezeichnet, während der auf der Seite der Amerikaner kämpfende General Friedrich Wilhelm von Steuben als "Preuße" gilt.

Interessanter psychologischer Ansatz zur Beurteilung des Nationalbewußtseins...


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Dietrich - 19.10.2016 13:37

(19.10.2016 12:58)Suebe schrieb:  Nach der Auflösung der Stammesherzogtümer gab es "eigentlich" keinen Landesherrn, und die regionalen Fürsten waren nun keineswegs souverän.

Die Territorialisierung des Reichs begann im 13. Jh. und führte alsbald zu den unzähligen Kleinstaaten des Heiligen Römischen Reichs. Die Landeshoheit der Landesfürsten war in ihren Territorien unbestritten.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Dietrich - 19.10.2016 13:46

(19.10.2016 13:26)Bunbury schrieb:  Ich habe ja sehr viel angelsächsiche Literatur gelesen, auch ältere. Dabei ist mir schon vor längerem aufgefallen, dass von "deutsch" immer nur dann die Rede ist, wenn es um ein eher unbedeutendes Fürstentum geht, das europäisch keine sonderliche Bedeutung gespielt hat.
Anna von Kleve wird z.B. als "deutsch" bezeichnet, obwohl sich zu ihr bei Wikipedia auch die Anmerkung findet, dass diesem Begriff zu ihrer Zeit (also um 1550) konkret jeder georgraphische Bezug fehlt.

Eine interessante Beobachtung.

Das Heilige Römische Reich war kein Nationalstaat und zerfiel in eine Unmenge von Herzogtumern, Grafschaften, Herrschaften, Fürstentümern, Reichsstädten, Fürstabteien, Fürstbistümern usw. Das unmittelbare Oberhaupt des gemeinen Mannes und der gemeinen Frau war der Landesherr eines kleinen Territoriems und somit bildete nicht ein nebulöses "Deutschland" den Kosmos des Bauern, Handwerkers oder Leibeigenen, sondern der kleine Staat des Landesfürsten.

Ich denke, eine richtige deutsche Identität, so wie wir sie kennen, hat sich erst spät gebildet. Möglicherweise erst im 18. Jh. mit den Idealen der Französischen Revolution und den nationalen und liberalen Bewegungen des Vormärz, die dann zur Revolution von 1848 führten. Der Begriff des "deutschen Volks" war schon zur Zeit Luthers vorhanden, aber richtige Bedeutung erlangte er erst mit den nationalen Erhebungen.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Aguyar - 19.10.2016 14:49

(18.10.2016 14:00)Dietrich schrieb:  Es ist bis heute umstritten, wann die Bevölkerung des Ostfrankenreichs unter den ottonisch-salischen Herrschern zu einer deutschen Identität gefunden hat, bzw. wann die in ihm vereinigten Völker, die zum Teil seit mehr als einem halben Jahrtausend bekannten Franken, Sachsen, Baiern und Alemannen, zusätzlich zu ihrem bisherigen Volksnamen umfassend "Deutsche" genannt wurden.

Ich bin der Meinung, dass es im ganzen Mittelalter (sagen wir mal bis ca. 1550) keine "deutsche" Identität gab - wie es auch keine "französische", "englische", "polnische" etc., und schon gar keine "italienische" gab. Das Mittelalter war durch das Lehnssystem geprägt, und sehr viele Lehnsherren und Klöster besassen Güter, Bauern und unterschiedlich austradierte Herrschatfs- und Gerichtsrechte in verschiedenen, z.T. weit auseinanderliegenden Regionen - z.B. Lehen in Bayern, Lohtringen, Champagne, Hessen, Böhmen und der Lombardei. Die Territorialbildung war ein Prozess, der das ganze Mittelalter hindurch andauerte. Und nicht nur Adel und Klerus mit ihrem weit verstreuten Besitz waren betroffen, auch die lehnsabhängigen Hörigen und Pächter. Ein Klosterbauer beispielsweise konnte in seiner grundherrlichen Abhängigkeit ganz anders geprägt sein als sein unmittelbarer Nachbar, als Untertan eines Grafen. Dass man bei solchen Verhältnissen so etwas wie eine "nationale" oder "deutsche" Identität entwickeln konnte, sehe ich nicht ein (das gilt wie gesagt auch für andere europäische "Identitäten"). Der mittelalterliche Feudalismus mit Lehnsherrschaft und Gefolgschaftspflicht liess eine über die kleinräumige Regionalität hinausgehende Identität ger nicht erst aufkommen.

Das ganze lässt sich beispielsweise an einem spätmittelalterlichen Pilgerführer nach Santiago de Compostela nachvollziehen. Die "Völker", welcher der Autor beschreibt, nehmen mit zunehmender Distanz vom Wohnort des Autors immer schrecklichere, bösartigere und exotischere Züge an. Schon die Region, welche an die Nachbarregion des Autors angrenzt, scheint beinahe ausschliesslich von Räubern, Rüpeln, Dieben, Betrügern und Ketzern bewohnt gewesen zu sein. Dabei handelt es - nach heutigen Begriffen - wie beim Autor selbst, meist um Franzosen. Für den Autor aber sind diese nicht etwa eine Art "Mitbürger" sondern völlig exotische Wesen. Die am weitesten entfernt Lebenden, die Basken, sind dann das Allerletzte und werden des Kannibalismus verdächtigt. Diese werden vom Autor aber auch nicht als "Spanier", "Kastilier" oder "Aragonesen" angesprochen, sondern erscheinen unter ihrem Lokalnamen.

(18.10.2016 14:00)Dietrich schrieb:  Es handelt sich dabei sowohl um einen politischen Prozess des Herauswachsens aus einem Teilkönigtum des fränkischen Gesamtreichs zu eigenem Staatsbewusstsein, als auch um eine sprachliche Spiegelung in der Verwendung des Wortes "deutsch" und seiner lateinischen Entsprechungen.


Auch hier bezweifle ich die Existenz eines wie auch immer gearteten "Staatsbewusstseins". Und was Otto der Grosse geschaffen hatte, war nicht Deutschland sondern das Heilige Römische Reich, was mehr war als ein blosses Königreich. Und dieses ist es, was aus dem ostfränkischen Reich hervorgegangen war. Das HRR umfasste nicht nur die "Stammesherzogtümer" (der Begriff ist heute hist. ebenfalls umstritten) Sachsen, Bayern und Schwaben sondern auch Friesland, Lothringen, Brabant, Tschechien, Ober- und Mittelitalien, Teile von Burgund und, was offenbar nicht so bekannt ist, bis zu den Anfängen des Spätmittelalters auch die Provence (Arelat).

Der Begriff "deutsch" taucht meines Wissens erstmals im Vertrag von Verdun oder in den nachfolgenden Verträgen zur Teilung des Frankenreichs auf. Und dort hatte "deutsch" in etwa die Bedeutung von "volkstümlicher Sprache", womit man zum Ausdruck bringen wollte, dass in Ostfranken eben noch die fränkische Volkssprache und nicht wie in West- und Mittelfranken die latinisierte Form (französisch) gesprochen wurde. Deshalb wurden auch Dolmetscher benötigt. Dass auch ein Bayer oder Friese dieses "deutsch" (fränkische Volkssprache) nicht verstand, ist eine andere Sache. Ob sie von den nachfolgenden Ottonen verstanden wurde, kann ich nicht beurteilen, denn die haben "sächsisch" gesprochen (hat jetzt nichts mit dem heutigen säschsisch zu tun Smile

Das HRR ist aus Ostfranken hervorgegangen (weil Otto mit Adelheid von Burgund die Witwe des letzten Träger des karolingischen Kaisertitels geheiratet hatte). Ansonsten gibt es, abgesehen von der Sprache, keinen Unterschied zur Entwicklung in Frankreich. Der einzige Unterschied besteht darin, dass in Ostfranken die Karolinger resp. die entfernten Abkömmlinge der Karolinger etwas früher ausgestorben sind als in Westfranken. Deshalb war in Ostfranken der erste Nicht-Karolinger, der 911 zum König gewählt wurde, Konrad I von Franken (ist jetzt "Franken" ein Stammesherzogtum ? - in Westfranken waren es ja auch Franken Smile, während in Westfranken mit Hugo Capet erst 987 ein Nichtkarolinger gewählt wurde (Ausnahme: Odo von Paris).

Zusammengefasst behaupte ich: Eine überregionale deutsche Identität hat es im Mittelalter bis in die Neuzeit hinein nicht gegeben. Eine französische im Übrigen auch nicht.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Dietrich - 19.10.2016 15:55

(19.10.2016 14:49)Aguyar schrieb:  Ich bin der Meinung, dass es im ganzen Mittelalter (sagen wir mal bis ca. 1550) keine "deutsche" Identität gab -

Schon Luther und Ulrich von Hutten sprechen vom "deutschen Volk", sodass eine solche Identität nicht erst dann, sondern früher entstanden sein muss. Es ist davon auszugehen, dass sich dieses Bewusstsein seit den ottonisch-salischen Kaisern allmählich und nicht überall gleichzeitig entwickelt hat. Ab dem 12. Jh. existiert der Begriff "regnum Teuronicorum", so z.B. vom Papst zur Zeit des Investiturstreits gebraucht, um den Kaiser auf sein deutsches Königreich zu reduzieren. 1080 spricht er in diesem Zusammenhang vom "regnum Teutonicorum".

In der lateinischen Geschichtsschreibung erscheint die Reichsbezeichnung "per totum ... Teutonicum regnum" 1038 in den Niederaltaicher Annalen.

(19.10.2016 14:49)Aguyar schrieb:  Auch hier bezweifle ich die Existenz eines wie auch immer gearteten "Staatsbewusstseins". Und was Otto der Grosse geschaffen hatte, war nicht Deutschland sondern das Heilige Römische Reich, was mehr war als ein blosses Königreich.

Die ottonischen und salischen Kaiser betrachteten sich noch lange als Herrscher des Ostfrankenreichs, und urkundeten demzufolge mit regnum francorum orientalium. Sie fanden also Deutschland nicht vor, sondern schufen es.

Man sollte die Bevölkerung Deutschlands nicht für so einfältig halten, dass sie nicht wusste, dass es neben den Reichsteilen Burgund und Italien auch ein deutsches Königreich gab. Da allerdings die Herrscher im diplomatischen Verkehr stets vom Sacrum Imperium Romanum sprachen, war die Bezeichnung "diütsche lante" blasser ausgeprägt. Ein Baier konnte kein Franke sein, wohl aber ein Deutscher.

(19.10.2016 14:49)Aguyar schrieb:  Zusammengefasst behaupte ich: Eine überregionale deutsche Identität hat es im Mittelalter bis in die Neuzeit hinein nicht gegeben. Eine französische im Übrigen auch nicht.

Dazu sagt das Lexikon des Mittelalters:

"Ein deutsches Bewusstsein setzt kaum vor 1000, voll erst im 11. und 12. Jahrhundert ein." (Lexikon des Mittelalters, Bd. III, Sp. 785)


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Suebe - 19.10.2016 16:03

(19.10.2016 13:46)Dietrich schrieb:  
(19.10.2016 13:26)Bunbury schrieb:  Ich habe ja sehr viel angelsächsiche Literatur gelesen, auch ältere. Dabei ist mir schon vor längerem aufgefallen, dass von "deutsch" immer nur dann die Rede ist, wenn es um ein eher unbedeutendes Fürstentum geht, das europäisch keine sonderliche Bedeutung gespielt hat.
Anna von Kleve wird z.B. als "deutsch" bezeichnet, obwohl sich zu ihr bei Wikipedia auch die Anmerkung findet, dass diesem Begriff zu ihrer Zeit (also um 1550) konkret jeder georgraphische Bezug fehlt.

Eine interessante Beobachtung.

Das Heilige Römische Reich war kein Nationalstaat und zerfiel in eine Unmenge von Herzogtumern, Grafschaften, Herrschaften, Fürstentümern, Reichsstädten, Fürstabteien, Fürstbistümern usw. Das unmittelbare Oberhaupt des gemeinen Mannes und der gemeinen Frau war der Landesherr eines kleinen Territoriems und somit bildete nicht ein nebulöses "Deutschland" den Kosmos des Bauern, Handwerkers oder Leibeigenen, sondern der kleine Staat des Landesfürsten.

Ich denke, eine richtige deutsche Identität, so wie wir sie kennen, hat sich erst spät gebildet. Möglicherweise erst im 18. Jh. mit den Idealen der Französischen Revolution und den nationalen und liberalen Bewegungen des Vormärz, die dann zur Revolution von 1848 führten. Der Begriff des "deutschen Volks" war schon zur Zeit Luthers vorhanden, aber richtige Bedeutung erlangte er erst mit den nationalen Erhebungen.


Ihr lasst hier die Unterscheidung Regnum - Imperium unbeachtet.
Sie hatte aber bis zum Ende des HRR Gültigkeit.

Natürlich hatte Luther ein anderes Verständnis vom "Deutschen Volk" wie wir heute.
Jedoch, der Begriff als Unterscheidungsmerkmal ist ein halbes Jahrtausend älter als Luther.
Die "deutsche Schrift" hat sich hat sich doch aus den karolingischen Minuskeln entwickelt, deutsch wurde seit dem Hochmittelalter "deutsch" geschrieben. Und Latein lateinisch.
Was ich explizit zu beachten bitte.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Dietrich - 19.10.2016 16:13

(19.10.2016 16:03)Suebe schrieb:  Natürlich hatte Luther ein anderes Verständnis vom "Deutschen Volk" wie wir heute.

Soviel anders wird das nicht gewesen sein.

Es handelte sich damals wie heute um Menschen mit deutscher Sprache, die in den "diütschen landen" lebten.

(19.10.2016 16:03)Suebe schrieb:  Ihr lasst hier die Unterscheidung Regnum - Imperium unbeachtet.
Sie hatte aber bis zum Ende des HRR Gültigkeit.

Niemand bestreitet, dass es bis 1806 ein Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation gab. Davon abgesehen gab es seit längerer Zeit Gruppierungen, die ein in einem Nationalstaat vereintes deutsches Volk anstrebten. Das wurde dann 1848 erneut die Devise der Revolution von 1848.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Suebe - 19.10.2016 16:20

Zitat:Der Begriff "deutsch" taucht meines Wissens erstmals im Vertrag von Verdun oder in den nachfolgenden Verträgen zur Teilung des Frankenreichs auf. Und dort hatte "deutsch" in etwa die Bedeutung von "volkstümlicher Sprache", womit man zum Ausdruck bringen wollte, dass in Ostfranken eben noch die fränkische Volkssprache und nicht wie in West- und Mittelfranken die latinisierte Form (französisch) gesprochen wurde. Deshalb wurden auch Dolmetscher benötigt. Dass auch ein Bayer oder Friese dieses "deutsch" (fränkische Volkssprache) nicht verstand, ist eine andere Sache. Ob sie von den nachfolgenden Ottonen verstanden wurde, kann ich nicht beurteilen, denn die haben "sächsisch" gesprochen (hat jetzt nichts mit dem heutigen säschsisch zu tu

Du gehst hier davon aus, dass sich die Sprachen "aufeinanderzu" entwickeln. Das Gegenteil ist aber der Fall.

Nur mal als Beispiel, so lange ist es noch gar nicht her, dass auch in Augsburg, Ulm oder Cannstatt vom "Huus" gesprochen wurde, oder vom "Chend" wie jenseits von Schwarzwald und Bodensee noch heute. (wo man die Lautverschiebung bis dato verschlafen hat Devil)

Die Germanen haben einander sehr wohl alle verstanden. 'Und von der Sprachtheorie her, siehe "Indoeuropäisch" kann es auch gar nicht anders sein.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Dietrich - 19.10.2016 16:38

(19.10.2016 16:20)Suebe schrieb:  Die Germanen haben einander sehr wohl alle verstanden.

Da habe ich meine Zweifel.

Deutsch, Schwedisch und Englisch sind germanische Sprachen. Dennoch können sich die Sprecher nicht untereinander verständigen.

Ich vermute, dass ein Alemanne um 1000 einen Friesen oder Sachsen wenn überhaupt nur mit Mühe verstehen konnte. Noch heute können sich plattdütsch Sprechende mit Leuten, die oberbayerischen Dialekt sprechen, nicht verständigen.

Lediglich in der höfischen Literatur gab es ab den Staufern so etwas wie eine mittelhochdeutsche Standardsprache. Aber schon ganz Norddeutschland sprach Niederdeutsch und das war im Süden völlig unverständlich.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Sansavoir - 19.10.2016 19:39

Heute gelten die Jahre 843 und 919 und zum Teil auch das Jahr 911 als wichtige Eckdaten der Entstehung Deutschlands. Für die Zeitgenossen hatte diese Ereignisse nicht die Bedeutung, die wir ihnen heute zugestehen. Ludwig der Deutsche hat seinen Beinamen erst später erhalten, von seinen Zeitgenossen wurde er nicht so genannt. Außerdem wurde nach seinem Tod das Ostfrankenreich erneut geteilt. Das diese Teilungen nicht dauerhaft blieben, ist dem frühen Tod seiner Söhne geschuldet.

Die Jahre 911 und 919 haben ihre Bedeutung hauptsächlich darin, dass im Ostfrankenreich nichtkarolingische Könige an die Macht kamen. Das Jahr 919 wird als Beginn der Ottonenherrschaft höher bewertet. Es kann aber nicht als Geburtsjahr Deutschlands gesehen werden. Spätestens seit 955 hatte die Erlangung der Kaiserkrone höchste Priorität, d.h. zumindest die drei Ottos betrieben eine Politik der Erneuerung des karolingischen Reiches. Das Ostfrankenreich war nur Teil, wenn auch Kern des Reiches.

Nach dem Tod Ottos III. (1002) erfolgte zwar eine Zäsur in der Außenpolitik, der Reichsgedanke wurde aber nicht aufgegeben. Die Politiker des letzten Ottonen Heinrich II. und des ersten Salier Konrad II. betrachteten ihr Reich eher in den Teilen Ostfrankenreich, Italien und ab 1032 folgte noch Burgund. Diese drei Teilreiche galten als Basis des HRR und des Kaisertums. Heinrich III. strebte dann wieder eher zu einem "Weltkaisertum", das offensichtlich nur von ihm selbst gehalten werden konnte. Sein früher Tod im Jahr 1056 leitete dann eine jahrzehntelange Reichskrise ein, in der die "Karten neu gemischt wurden".

Etwa um 1100 wird der Bezeichnung "ostfränkisch" durch "deutsch" ersetzt. Dies ist keine Eigenbezeichnung, sondern eine Fremdbezeichnung aus dem Umfeld des Papstes. In Frankreich wird die Herrschaft Ludwigs VI. von 1108 bis 1137 bzw. das Wirken des Abts Suger († 1151) als entscheidend für den Übergang vom westfränkischen Reich zu Frankreich gewertet. Deswegen ist es sicher nicht falsch Heinrich V., Lothar III. oder Konrad III. deutsche Könige zu nennen.

Ein weiterer Gedanke ist, dass sich um 1200 Dichter wie Walter von der Vogelweide, Hartmann von Au, Wolfram von Eschenbach als deutsche Dichter betrachteten. Dies sicher, weil sie sich von den französischen und den aquitanischen Troubadoren oder englischen Dichtern (Artussage) abgrenzen wollten. D.h. eine Schicht von Geistesschaffenden sah sich bereits im 12./13. Jahrhundert als deutsch, aber ein Nationalgefühl breiter Volksmassen bestand noch nicht.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Suebe - 19.10.2016 20:21

(19.10.2016 16:38)Dietrich schrieb:  
(19.10.2016 16:20)Suebe schrieb:  Die Germanen haben einander sehr wohl alle verstanden.

Da habe ich meine Zweifel.

Deutsch, Schwedisch und Englisch sind germanische Sprachen. Dennoch können sich die Sprecher nicht untereinander verständigen.

Ich vermute, dass ein Alemanne um 1000 einen Friesen oder Sachsen wenn überhaupt nur mit Mühe verstehen konnte. Noch heute können sich plattdütsch Sprechende mit Leuten, die oberbayerischen Dialekt sprechen, nicht verständigen.

Lediglich in der höfischen Literatur gab es ab den Staufern so etwas wie eine mittelhochdeutsche Standardsprache. Aber schon ganz Norddeutschland sprach Niederdeutsch und das war im Süden völlig unverständlich.

Da haben sich schon Sachkundige darüber ausgelassen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Germanische_Sprachen#Entwicklung_des_Deutschen

aus dem LInk
Zitat:Die folgenden Tabellen stellen einige Wortgleichungen aus den Bereichen Verwandtschaftsbezeichnungen, Körperteile, Tiernamen, Umweltbegriffe, Pronomina, Verben und Zahlwörter für wichtige alt- und neugermanische Sprachen zusammen. Man erkennt den hohen Grad der Verwandtschaft der germanischen Sprachen insgesamt, die besondere Ähnlichkeit der westgermanischen und nordgermanischen Sprachen untereinander, die stärkere Abweichung des Gotischen von beiden Gruppen und letztlich die Beziehung des Germanischen zum Indogermanischen (letzte Spalte, hier sind die Abweichungen natürlich größer). Hier können auch die Gesetze der germanischen (ersten) und hochdeutschen (zweiten) Lautverschiebung überprüft werden (ausführliche Behandlung im nächsten Abschnitt). Da die germanischen und indogermanischen Formen nur rekonstruiert sind, sind sie mit einem * versehen.

dann noch hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Germanische_Sprachen#Entwicklung_des_Deutschen

aus dem link
Zitat:In der Periode des Althochdeutschen erschien auch zum ersten Mal das Wort deutsch in seiner heutigen Bedeutung. Das Wort ist germanischer Herkunft; diot bedeutete im Althochdeutschen Volk und diutisc – volksmäßig, zum eigenen Volk gehörig. Das Wort wurde auch sehr früh in lateinische Quellen in der Form theodiscus übernommen und diente zur Unterscheidung romanischer und germanischer Einwohner des Frankenreiches. Ein interessantes Beispiel seiner Nutzung finden wir im Bericht von einer Reichsversammlung von 788, wo der Bayernherzog Tassilo zum Tode verurteilt wurde. Der Schreiber der Kanzlei erklärte, dies geschah wegen eines Verbrechens, quod theodisca lingua harisliz dicitur (das in der Volkssprache harisliz [Fahnenflucht] genannt wird). Zuerst wurde das Wort nur in Bezug auf die Sprache benutzt; bei Notker von Sankt Gallen finden wir zum Beispiel um 1000 in diutiscun – auf Deutsch. Erst fast ein Jahrhundert später, im Annolied, das um 1090 im Kloster Siegburg entstand, lesen wir von diutischi liuti, diutschi man oder diutischemi lande.



RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Aguyar - 20.10.2016 10:57

(19.10.2016 15:55)Dietrich schrieb:  Schon Luther und Ulrich von Hutten sprechen vom "deutschen Volk", sodass eine solche Identität nicht erst dann, sondern früher entstanden sein muss. Es ist davon auszugehen, dass sich dieses Bewusstsein seit den ottonisch-salischen Kaisern allmählich und nicht überall gleichzeitig entwickelt hat. Ab dem 12. Jh. existiert der Begriff "regnum Teuronicorum", so z.B. vom Papst zur Zeit des Investiturstreits gebraucht, um den Kaiser auf sein deutsches Königreich zu reduzieren. 1080 spricht er in diesem Zusammenhang vom "regnum Teutonicorum".

Man sollte die Bevölkerung Deutschlands nicht für so einfältig halten, dass sie nicht wusste, dass es neben den Reichsteilen Burgund und Italien auch ein deutsches Königreich gab. Da allerdings die Herrscher im diplomatischen Verkehr stets vom Sacrum Imperium Romanum sprachen, war die Bezeichnung "diütsche lante" blasser ausgeprägt. Ein Baier konnte kein Franke sein, wohl aber ein Deutscher.

Dazu sagt das Lexikon des Mittelalters:

"Ein deutsches Bewusstsein setzt kaum vor 1000, voll erst im 11. und 12. Jahrhundert ein." (Lexikon des Mittelalters, Bd. III, Sp. 785)
[/quote]

Nun hatten aber bereits die deutschen Könige - auch wenn sie es nicht zum Kaiser geschafft hatten - Anspruch auf Oberitalien erhoben. Und mich würde ja schon interessieren, was das Mittelalter-Lexikon unter "deutschem Bewusstsein" versteht. Hutten und Luther meinten, da bin ich überzeugt, mit "deutschem Volk" die Sprache und zwar analog zu "welschem Volk", mit welchem wahlweise französisch- oder italiensprachiges "Volk" gemeint war.
In der mittelalterlichen Eidgenossenschaft beispielsweise (und die gehörte ja auch zum "deutschen" Volk) wurde auch der König meist nicht "deutscher König" sondern "römisch Chüng" genannt - also "römischer König".

PS: Was ich nicht ganz verstehe, in deinen obigen Beiträgen gehst Du ja auch von einer "lokalen Identität" (Landesherr) und höchstens "nebulös" von einer deutschen Identität aus.

Was ich in diesem Zusammenhang noch hinzufügen möchte: Für das Mittelalter ähnelten sich m.M diese "Flickenteppich-Verhältnisse" und sind keine spezifischen Merkmale des HRR. Auch in Frankreich beispielsweise war es nich anders (Herzogutm Aquitanien, Grafschaft Anjou, Königreich Navarra, Herzogtum Bretagne, Grafschaft Foix, Grafschaft Albret). Sowenig sich ein Bayer als Deutscher und dadurch einem Friesen verwandt fühlte, fühlte sich ein Gascogner als Franzose und leitete daraus einen gemeinsame Identität mit einem Bretonen ab. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass diese mittelalterlichen Verhältnisse in Deutschland (und auch in Italien - Garibaldi ist ein etwas älterer Zeitgenosse von Bismarck) am längsten überlebt hatten.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Aguyar - 20.10.2016 11:20

(19.10.2016 16:20)Suebe schrieb:  Du gehst hier davon aus, dass sich die Sprachen "aufeinanderzu" entwickeln. Das Gegenteil ist aber der Fall.

Nur mal als Beispiel, so lange ist es noch gar nicht her, dass auch in Augsburg, Ulm oder Cannstatt vom "Huus" gesprochen wurde, oder vom "Chend" wie jenseits von Schwarzwald und Bodensee noch heute. (wo man die Lautverschiebung bis dato verschlafen hat Devil)

Die Germanen haben einander sehr wohl alle verstanden. 'Und von der Sprachtheorie her, siehe "Indoeuropäisch" kann es auch gar nicht anders sein.

Ich bin diesbezüglich der Meinung von Dietrich und überzeugt davon, dass ein Alemanne einen Friesen sowenig verstanden hat einen "Welschen". Die ersten Anfänge zur Entstehung einer "deutschen" Sprache, die auch von allen verstanden wurde, geht meines Wissens auf die Bibelübersetzung Luthers zurück, der für diese "neue Sprache" vornehmlich Ausdrücke und Wendungen aus Tühringen, Sachsen, Anhalt und Bayern verwendet hat (also in etwa aus derGrossregion, in welcher er Exil resp. Schutz gefunden hatte). Wenn sich die "Deutschen" sprachlich verstanden hätten, wäre die Schaffung einer solchen Sprache bestimmt nicht nötig gewesen. Mann nennt so etwas "Ausgleichsprache" und ist kein spezifisches Merkmal des "Deutschen". Dieselben Verhältnisse findest Du im Mittelalter in den meisten Sprachen, auch ein Lombarde hat einen Sizilianer nicht verstanden. Die "italienische Sprache" beispielsweise entstand ebenfalls als Ausgleichsprache - hier war es keine Bibelübersetzung sondern Dantes "Inferno", wobei Dantes florentinisch zu "italienisch" wurde.

https://de.wikipedia.org/wiki/Ausgleichssprache


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Suebe - 20.10.2016 12:25

Mal Butter bei die Fische.

Die Althochdeutschen Dialekte haben sich erstaunlich wenig unterschieden, wenn überhaupt sind Unterschiede lediglich in Nord-Süd Richtung festzustellen.

Das Wort "deutsxch" (lassen wir mal die alten Schreibweisen einfach weg) hat sich nur sehr langsam durchgesetzt. Von einer "allgemeinverbindlichkeit" kann frühestens ca. 1100 gesprochen werden.
Bis dahin haben die Bewohner des Ostfränkischen Reiches ihre Sprache als "fränkisch" bezeichnet (auch hier lassen wir die altertümlichen Schjreibweisen einfach weg) dies änderte sich erst, als die Bezeichnung "französich" für die romanische Sprache in Westfranken sich durchgesetzt hatte.

maW es ist per se müßig nach einem "deutschen Bewusstsein" zu fragen, zu einer Zeit in der "deutsch" als Wort noch gar keine Rolle spielt, "Fränkisch" das aussagt nach was gefragt wird.

Mine Quelle: dtv.Atals Deutsche Sprache Ausgabe 2004


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Aguyar - 20.10.2016 12:49

(20.10.2016 12:25)Suebe schrieb:  Mal Butter bei die Fische.

Die Althochdeutschen Dialekte haben sich erstaunlich wenig unterschieden, wenn überhaupt sind Unterschiede lediglich in Nord-Süd Richtung festzustellen.

Das Wort "deutsxch" (lassen wir mal die alten Schreibweisen einfach weg) hat sich nur sehr langsam durchgesetzt. Von einer "allgemeinverbindlichkeit" kann frühestens ca. 1100 gesprochen werden.
Bis dahin haben die Bewohner des Ostfränkischen Reiches ihre Sprache als "fränkisch" bezeichnet (auch hier lassen wir die altertümlichen Schjreibweisen einfach weg) dies änderte sich erst, als die Bezeichnung "französich" für die romanische Sprache in Westfranken sich durchgesetzt hatte.

maW es ist per se müßig nach einem "deutschen Bewusstsein" zu fragen, zu einer Zeit in der "deutsch" als Wort noch gar keine Rolle spielt, "Fränkisch" das aussagt nach was gefragt wird.

Mine Quelle: dtv.Atals Deutsche Sprache Ausgabe 2004
Hinsichtlich "deutschem Bewusstsein" bin ich mit Dir einverstanden (mittelalterliche Verhältnisse). Was aber "fränkisch" angeht nicht. "Fränkisch" war die Sprache der Franken, die Ottonen aber beispielsweise, die Könige des "ostfränkischen" Reiches, sprachen "sächsisch" - d.h. ich bin der Ansicht, dass sich Karl der Grosse und Widukind nicht so ohne weiteres verstanden (sprachlich) hatten.
Ich komme natürlich schlecht an gegen den "Atlas Deutsche Sprache" und Wikipedia ist tatsächlich keine Quelle, die in jedem Fall über jeden Zweifel erhaben ist. Ich zitiere dennoch darausSmile (Fettdruck durch mich)

Das Althochdeutsche ist keine einheitliche Sprache, wie der Begriff nahelegt, sondern die Bezeichnung für eine Gruppe westgermanischer Sprachen, die südlich der sogenannten „Benrather Linie“ (die heute von Düsseldorf-Benrath ungefähr in west-östlicher Richtung verläuft) gesprochen wurden. Diese Dialekte unterscheiden sich von den anderen westgermanischen Sprachen durch die Durchführung der Zweiten (oder Hochdeutschen) Lautverschiebung. Die Dialekte nördlich der „Benrather Linie“, das heißt im Bereich der norddeutschen Tiefebene und im Gebiet der heutigen Niederlande, haben die Zweite Lautverschiebung nicht durchgeführt. Diese Dialekte werden zur Unterscheidung vom Althochdeutschen unter der Bezeichnung Altsächsisch (auch: Altniederdeutsch) zusammengefasst. Aus dem Altsächsischen hat sich das Mittel- und Neuniederdeutsche entwickelt. Jedoch hat auch das Altniederfränkische, aus dem später das heutige Niederländisch entstanden ist, die zweite Lautverschiebung nicht mitgemacht, wodurch dieser Teil des Fränkischen nicht zum Althochdeutschen zu zählen ist.

Da das Althochdeutsche eine Gruppe naheverwandter Mundarten war und es im frühen Mittelalter keine einheitliche Schriftsprache gab, lassen sich die überlieferten Textzeugnisse den einzelnen althochdeutschen Sprachen zuweisen, so dass man oft treffender von (Alt-)Südrheinfränkisch, Altbairisch, Altalemannisch etc. spricht. Diese westgermanischen Varietäten mit der Zweiten Lautverschiebung weisen allerdings eine unterschiedliche Nähe zueinander auf, in der die späteren Unterschiede zwischen Ober-, Mittel- und Niederdeutsch begründet sind.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Suebe - 20.10.2016 18:11

Sorry wegen meiner Rechtschreibung heute morgen.
Ein Schamane hat mir Zeugs in die Augen getropft, dass ich wenig bis nix sehen konnte.

Das ist meine Quelle
https://www.dtv.de/buch/werner-koenig-dtv-atlas-deutsche-sprache-3025/

ich habe es darin nochmals nachgelesen.
Die Dialekt-Unterschiede der althochdeutschen Sprache werden als sehr gering beschrieben. Was daran liegen würde, dass die "Volksstämme" sich aus unterschiedlichsten Gruppierungen zusammengesetzt hätten, und wie geschrieben Unterschiede nur nord-süd zu verorten wären, wie du ja auch schreibst.
Interessant ist auch, dass "deutsch" zwischen der ersten Nennung, 853 und der Mitte des 11. Jahrhundert fast nur (Ausnahmen zB Notker) als Fremdbezeichnung in Latein auftritt. Da gibt es anscheinend ein "Heldenlied" auf althochdeutsch aus der Mitte des 10. Jahrhundert, wo selbstverständlich von "fränkisch" die Rede ist, während die angefügte Latein-Übersetzung von "deutsch" schreibt.
Erst im 11. Jahrhundert ist dann von "deutscher Sprache von deutschen Leuten in deutschen Landen" die Rede.

maW vorher gab es natürlich kein "Deutschland" weil man sich als Franke im Fränkischen Reich verortete.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Suebe - 21.10.2016 10:53

NS:
Das Annalied ist das oben erwähnde "Heldenlied" zweisprachig.

TT:
Zu Zeiten von Cäsar, Plinius usw. geht man übrigens noch von der Existenz einer "Gesamt-Germanischen" Sprache aus.

Die Auffächerung des Indoeuropäischen (meinetwegen auch Indogermanischen) wird zeitlich etwa 3.000 vor Chr. verortet.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Dietrich - 21.10.2016 14:03

(20.10.2016 12:49)Aguyar schrieb:  Hinsichtlich "deutschem Bewusstsein" bin ich mit Dir einverstanden (mittelalterliche Verhältnisse). Was aber "fränkisch" angeht nicht. "Fränkisch" war die Sprache der Franken, die Ottonen aber beispielsweise, die Könige des "ostfränkischen" Reiches, sprachen "sächsisch" - d.h. ich bin der Ansicht, dass sich Karl der Grosse und Widukind nicht so ohne weiteres verstanden (sprachlich) hatten.

Natürlich sprachen die Sachsen im Mittelalter "sächsisch", und bezeichneten das auch so. Kein Sachse wäre auf die Idee gekommen, er spräche "fränkisch". Das gilt ebenso für die Baiern oder Alemannen (Schwaben). Gerade die sächsische Ottonendynastie war stolz auf ihr Sachsentum, auch wenn sie den neuen Staat als "Ostfränkisches Reich" bezeichnete. Dass dort nicht überall "Franken" wohnten, dürfte den damaligen Zeitgenossen klar gewesen sein.

(20.10.2016 12:49)Aguyar schrieb:  Nun hatten aber bereits die deutschen Könige - auch wenn sie es nicht zum Kaiser geschafft hatten - Anspruch auf Oberitalien erhoben.

Italien war Teil des HRR und wurde somit von seinen Herrschern als "Reichsitalien" bezeichnet.

(20.10.2016 12:49)Aguyar schrieb:  Und mich würde ja schon interessieren, was das Mittelalter-Lexikon unter "deutschem Bewusstsein" versteht.

Dazu sagt das Lexikon des Mittelalters:

"Ein deutsches Bewusstsein setzt kaum vor 1000, voll erst im 11. und 12. Jahrhundert ein." (Lexikon des Mittelalters, Bd. III, Sp. 785)

(20.10.2016 12:49)Aguyar schrieb:  Hutten und Luther meinten, da bin ich überzeugt, mit "deutschem Volk" die Sprache und zwar analog zu "welschem Volk", mit welchem wahlweise französisch- oder italiensprachiges "Volk" gemeint war.

Wenn Luther oder Hutten vom "deutschen Volk" sprachen, so meinten sie Menschen mit deutscher Sprache im Gegensatz zu Italienern oder Franzosen, zeitgenössisch gern als "Welsche" bezeichnet.

(20.10.2016 12:49)Aguyar schrieb:  PS: Was ich nicht ganz verstehe, in deinen obigen Beiträgen gehst Du ja auch von einer "lokalen Identität" (Landesherr) und höchstens "nebulös" von einer deutschen Identität aus.

Es gab gespaltene Identitäten. An erster Stelle stand der Landesherr, der über Wohl und Wehe seiner Untertanen bestimmte, die Hohe Gerichtsbarkeit besaß und zahlreiche andere Rechte, die seine Landeshoheit ausmachten. Daneben gab es aber auch ein zunächst sehr schattenhaftes Bewusstsein, dem deutschen Volk anzugehören. Gegenüber Franzosen, Italienern, Dänen oder Tschechen war das "deutsche Volk" eine eigene Einheit, die sich von diesen Völkern absetzte. Daran kann kein Zweifel bestehen, denn die Unterschiede waren auch für den "gemeinen Mann" offensichtlich.

(20.10.2016 12:49)Aguyar schrieb:  Was ich in diesem Zusammenhang noch hinzufügen möchte: Für das Mittelalter ähnelten sich m.M diese "Flickenteppich-Verhältnisse" und sind keine spezifischen Merkmale des HRR. Auch in Frankreich beispielsweise war es nich anders (Herzogutm Aquitanien, Grafschaft Anjou, Königreich Navarra, Herzogtum Bretagne, Grafschaft Foix, Grafschaft Albret).


Da gibt es zwischen Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich einen gewaltigen Unterschied.

Im HRR waren die Reichsfürsten Landesherren mit Landeshoheit. Die Landeshoheit gab dem Landesherrn die Gewalt über alle Einwohner, die auf seinem Territorium ansässig waren, über die Untertanen und Landstände. Diese Herrschaftsgewalt war grundsätzlich allumfassend und wurde nur beschränkt durch die Reichsgrundgesetze. Die Begriffe Landesherrschaft und Landeshoheit sollen also das Phänomen beschreiben, dass im römisch-deutschen Reich die Staatsgewalt zu einem guten Teil nicht vom König ausgeübt wurde, sondern von adeligen und geistlichen Reichsfürsten

Eine solche Macht übte der hohe Adel in Frankreich nie aus, ganz abgesehen davon, dass sich die französische Königsdynastie am Ende des Mittelalters aller französischen Territorien bemächtigt hatte. Sie waren nur noch Sekundogenituren, bzw. im Besitz von Nebenlinien des Königshauses.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Suebe - 21.10.2016 14:27

Zitat:Natürlich sprachen die Sachsen im Mittelalter "sächsisch", und bezeichneten das auch so. Kein Sachse wäre auf die Idee gekommen, er spräche "fränkisch". Das gilt ebenso für die Baiern oder Alemannen (Schwaben). Gerade die sächsische Ottonendynastie war stolz auf ihr Sachsentum, auch wenn sie den neuen Staat als "Ostfränkisches Reich" bezeichnete. Dass dort nicht überall "Franken" wohnten, dürfte den damaligen Zeitgenossen klar gewesen sein.

Das hast du nun schon öfter geschrieben.
Wie wäre es mal mit einem Nachweis?
Denn wie gesagt, der dtv-Atlas Deutsche Sprache schreibt, zumindest zu den Baiern und Alemannen das genaue Gegenteil. Sachsen müsste ich nochmals nachlesen.

Im Norden sind wohl sprachliche Spuren einer indogermanischen Vorbevölkerung zu finden die weder keltisch noch germanisch war, und wohl auch einen Niederschlag gefunden hat.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Dietrich - 21.10.2016 14:40

(21.10.2016 14:27)Suebe schrieb:  [quote]Natürlich sprachen die Sachsen im Mittelalter "sächsisch".
Das hast du nun schon öfter geschrieben.
Wie wäre es mal mit einem Nachweis?


Altsächsisch und Altniederdeutsch. https://de.wikipedia.org/wiki/Alts%C3%A4chsische_Sprache

(21.10.2016 14:27)Suebe schrieb:  Norden sind wohl sprachliche Spuren einer indogermanischen Vorbevölkerung zu finden die weder keltisch noch germanisch war, und wohl auch einen Niederschlag gefunden hat.

Das ist korrekt.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Suebe - 21.10.2016 14:49

Ich denke du hast es schon verstanden, es ging mir vorrangig um die Baiern und Alemannen.
Hier hätte ich gerne den Nachweis.

Mein Hinweis war auf eine vermutete weitere indogermanische Sprache im Norden (Niedersachsen und co.) gemeint, die weder keltisch noch germanisch war, aber sehr wohl Indogermanisch!

Aber vorrangig täte mich ein Nachweis interessieren, dass die Baiern und Alemannen zdZ der Meinung waren, die würden nicht! fränkisch reden.
Was du hier schon mehrfach eingeworfen hast.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Dietrich - 21.10.2016 15:04

(21.10.2016 14:49)Suebe schrieb:  Mein Hinweis war auf eine vermutete weitere indogermanische Sprache im Norden (Niedersachsen und co.) gemeint, die weder keltisch noch germanisch war, aber sehr wohl Indogermanisch!

Der Sprachwissenschaftler Hans Krahe war von der indogermanischen Herkunft der von ihm entdeckten Sprachschicht, die er Alteuropäisch nannte, überzeugt. In seiner Alteuropäischen Hydronomie postulierte er eine vorgermanische und vorkeltische jedoch indogermanische Sprachschicht. https://de.wikipedia.org/wiki/Alteurop%C3%A4ische_Hydronymie

(21.10.2016 14:49)Suebe schrieb:  Aber vorrangig täte mich ein Nachweis interessieren, dass die Baiern und Alemannen zdZ der Meinung waren, die würden nicht! fränkisch reden.
Was du hier schon mehrfach eingeworfen hast.

Mir ist nicht klar, was du meinst. Die Baiern sprachen bis etwa 1100 https://de.wikipedia.org/wiki/Altbairisch, die Franken und Alemannen ndere westgermanische Sprachen, d.h. Altalemannisch https://als.wikipedia.org/wiki/Altalemannisch und Altfränkisch https://de.wikipedia.org/wiki/Altfr%C3%A4nkische_Sprache

Alle diese Idiome zählen zum Zeithorizont des Althochdeutschen. Das Althochdeutsche ist aber keine einheitliche Sprache, wie der Begriff nahelegt, sondern die Bezeichnung für eine Gruppe westgermanischer Sprachen.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Suebe - 21.10.2016 16:05

Dietrich versteht mich nicht. (heul)

Zitat:ir ist nicht klar, was du meinst. Die Baiern sprachen bis etwa 1100 https://de.wikipedia.org/wiki/Altbairisch, die Franken und Alemannen Vorgängeridiome ihrer Dialekte, d.h. Altalemannisch https://als.wikipedia.org/wiki/Altalemannisch und Altfränkisch https://de.wikipedia.org/wiki/Altfr%C3%A...he_Sprache

Alle diese Idiome zählen zum Zeithorizont des Altdeutschen. Das Althochdeutsche ist aber keine einheitliche Sprache, wie der Begriff nahelegt, sondern die Bezeichnung für eine Gruppe westgermanischer Sprachen.

noch mal, zum Mitschreiben.
Die Bevölkerung des Ostfränkischen Reiches sprach eine gemeinsame Sprache, die im Süden nur sehr geringe Dialektunterschiede hatte, zum Norden größere. Dass die Sprache, trotz der dialektunterschiede, sehr ähnlich war, und völlig anders als die der Welschen (Westfranken - Romäer usw.) haben die aber sehr gut gemerkt. Und nannten die gemeinsame Sprache "Fränkisch". Soweit meine mehrfach angeführte Quelle.

Du jedoch vertrittst die Meinung, dass die Allemannen, Frnaken, Baiern usw. usf. keine gemeinsame Sprache sprachen, im Gegenteil Dolmetscher brauchten. (Womit du nicht zuletzt die Sprachentwicklung von den Füssen auf den Kopf stellst.)

Und dafür bist du bis dato den Nachweis schuldig geblieben.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Dietrich - 21.10.2016 16:14

(21.10.2016 16:05)Suebe schrieb:  Die Bevölkerung des Ostfränkischen Reiches sprach eine gemeinsame Sprache, ...

Nein, sprach sie nicht.

Wie du den verschiedenen Wiki-Artikeln entnehmen kannst, waren Altbairich, Altsächsisch, Altfränkisch und Altalemannisch verschiedene westgermanische Sprachen. Und die waren durchaus unterschiedlich, wie das bei verschiedenen Sprachen nun mal so ist.

Die früheste Stufe des Deutschen beginnt mit dem Mittelhochdeutschen, das unter den Staufern zur ersten standardisierten Sprache bei Hof wurde. Die Idiome der Bevölkerung unterschieden sich nach wie vor erheblich voneinander. So sprach der ganze Norden Niederdeutsch, was für Alemannen und Baiern völlig unverständlich war.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Paul - 21.10.2016 23:10

Ich habe das Vaterunser in Altbairich, Altfränkisch, Altallemanisch und Gotisch gelesen. Sie waren für mich weitgehend verständlich und ähnelten sich. Im Gotischen waren einige Worte wirklich anders, also eine ansere Wortverwendung. Ich halte sie deshalb für Dialekte des frühen Deutschen. Man muß nicht jeden Dialekt gleich zu einer anderen Sprache erklären.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Dietrich - 22.10.2016 13:33

(21.10.2016 23:10)Paul schrieb:  Ich halte sie deshalb für Dialekte des frühen Deutschen. Man muß nicht jeden Dialekt gleich zu einer anderen Sprache erklären.

Für die Speachwissenschaft werden Altsächsisch, Altbairisch, Altgränkisch usw. als wesrgermanische Sprachen und nicht als Dialekte klassifiziert. So kann man z.B. bei Wiki lesen:

"Das Altbairische ist eine westgermanische Sprache, die zur Zeit der ersten schriftlichen Quellen bereits vollständig die Zweite Lautverschiebung vollzogen hat. ... Zum Altalemannischen bestehen in dieser Zeit ebenfalls noch wenig Unterschiede. Erst im 12. Jahrhundert driften das Alemannische und das Bairische auf Grund unterschiedlicher Lautentwicklungen auseinander (Diphthongierung)...

Innerhalb der westgermanischen Sprachen wird das Altbairische zur Gruppe der Elbgermanen gezählt und hat zusätzlich noch kleinere ostgermanische Einflüsse, ..."

Von einer deutschen Sprache kann man vermutlich erst ab der Zeit des Mittelhochdeutschen, d.h. etwa seit dem 10./11. Jh. sprechen. Aber mir fehlen da exakte sprachwissenschaftliche Kenntnisse und ich kann mich nur auf Wiki verlassen.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Flora_Sommerfeld - 22.10.2016 19:16

Was macht die Frage nach einem als Staatengebilde benannten Deutschland aus? Wozu muß man wissen, ab wann es Deutschland war?
Wieso soll ein Deutschland vor 1871 bestanden haben, waren es doch viele selbstständige Staaten, die sich in ihrer Regionalität identifizierten, nicht aber mit einem "Deutschland".


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Suebe - 22.10.2016 20:28

-Nix gegen Wiki, als schnelle 1. Information unübertroffen.
Jedoch, wenn es ans Eingemachte geht, ist die gedruckte Quelle in jedem Fall vorzuziehen.

Quelle: dtv-Atlas Deutsche Sprache ISBN 978-3-423-03025-0
17. Korrigierte und durchgesehene Auflage 2011

Seite 43 rechte Spalte c. Mitte
Die ältesten germ. Sprachzeugnisse sind uns von römischen Autoren überliefert.
Diese Einzelwörter repräsentieren einen Sprachzustand, den man als Gemeingermanisch bezeichnetBei CAESAR ... bei TACITUS ..... bei PLINIUS D. Ä. .... An ihrem Lautstand erkennt man, dass damals ds Germanische noch als Einheitssprache vorhanden gewesen sein muss, dass eine Auseinanderentwicklung erst später stattgefunden hat.


zum Althochdeutschen
Seite 61 rechte Spalte 2. Abschnitt
Die ahd. Dialekte sind fast nur durch Unterschiede zwischen Nord und Süd, nicht zwischen Ost und West greifbar. Ihre relative Einheitlichkeit ist dadurch bedingt, dass die Besiedelung des Südens durch einwandernde Gruppen aus vielen verschiedenen Gebieten erfolgten. Das führte zu Ausgleichserscheinungen mit der Folge, dass die regionalen Sprachen des ahd. Südens in der Zeit in der sie erstmals aufgeschrieben wurden, keine großen Unterschiede aufweisen.

zum "deutschen" ./. "fränkischen"
Seite 59 rechte Spalte Mitte
Es (theudisc) wird zunächst nur für die Sprache angewandt, und zwar nur in rechtssprachlichem Zusammenhang. Es bezeichnet dabei das Volkssprachlich-Germanische im Gegensatz zu Latein. Das ahd. Normalwort zur Bezeichnung der Volkssprache Mitteleuropas ist frencisg wie z.B. in Otfrieds ahd. Evangeliendichtung von 865.

Wörtlich Zitate
von mir (leise fluchend) abgetippt


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Aguyar - 23.10.2016 18:09

(21.10.2016 14:03)Dietrich schrieb:  Da gibt es zwischen Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich einen gewaltigen Unterschied.

Im HRR waren die Reichsfürsten Landesherren mit Landeshoheit. Die Landeshoheit gab dem Landesherrn die Gewalt über alle Einwohner, die auf seinem Territorium ansässig waren, über die Untertanen und Landstände. Diese Herrschaftsgewalt war grundsätzlich allumfassend und wurde nur beschränkt durch die Reichsgrundgesetze. Die Begriffe Landesherrschaft und Landeshoheit sollen also das Phänomen beschreiben, dass im römisch-deutschen Reich die Staatsgewalt zu einem guten Teil nicht vom König ausgeübt wurde, sondern von adeligen und geistlichen Reichsfürsten

Eine solche Macht übte der hohe Adel in Frankreich nie aus, ganz abgesehen davon, dass sich die französische Königsdynastie am Ende des Mittelalters aller französischen Territorien bemächtigt hatte. Sie waren nur noch Sekundogenituren, bzw. im Besitz von Nebenlinien des Königshauses.

Wenn wir vom Mittelalter sprechen (sagen wir bis zu etwa 1550) so ist das Bild von "Landesherren mit Gewalt über alle Einwohner" m. W. nach falsch.
Auch die Macht eines mittelalterlichen Landesherrn war nicht einheitlich und meistens äusserst kompliziert. Der grösste Teil eines mittelalterlichen Landesherrn bestand auch innerhalb "seines Territoriums" aus unterschiedlichen Herrschaftsrechten. Ïn der Regel bestand der grösste Teil seiner Herrschaft aus Lehen - und zwar aus Lehen unterschiedlicher Herkunft. Dabei waren Reichslehen, d.h. Lehen, welche vom HRR stammten, aber auch Lehen anderer Adligen. Und die Lehen resp. die damit verbundenen Rechten glichen sich kaum. Beispielsweise konnte der hier angenommene, hypothetische Landesherr die hohe Gerichtsbarkeit über ein Dorf ausüben, während er von einem benachbarten Gutshof lediglich bestimmte Abgaben zu erwarten hatte und vom Nachbardorf wiederum nur einige Regale verliehen (z.B. das Zollregal) bekommen hatte. Dazwischen lagen - "in seinem Territorium" - Klosterherrschaften, von denen er, wenn er Glück hatte, die Kastvogtei inne hatte, oder aber sie entzogen sich ganz seiner Herrschaft. Weiter konnten in seinem Territorium Städte liegen, sogenannte "Reichsstädte" oder "reichsunmittelbare Städte", welche in ihrem Territorium ebenfalls Lehnsgewalt ausübten und direkt dem Reich unterstellt waren. Weiter konnten in seinem Territorium auch Besitzungen von Freiherren liegen, deren Herrschaft sich oft sogar auf sogenannten "Eigen", d.h. Eigenbesitz, stütze, mit welchem sich nicht einmal dem Reich lehnspflichtig waren (desshalb Eigen und Lehen).

Im Verlauf des spätmittelalterlichen Landesausbaus waren die grossen Terrfitorialherren natürlich bestrebt, die fehlenden Rechte zu erwerben (Heirat, Erbfall, Kauf) - etwa, indem ein verarmter Kleinadliger seinen Eigenbesitz an den Territorialherrn verkaufte und ihn als Lehen von diesem zurück erhielt - um eine lückenlose Territorialherrschaft zu Erreichen. Dies gelang aber meist erst nach dem Mittelalter, als der Absolutismus die Lehnsherrschaft ablöste.

Die mittelalterlichen Machtverhältnisse waren aufgrund der Lehnsherrschaft viel komplizierter. Zudem waren Lehen keine umfassenden Herrschaftsrechte. Abgaben, Gerichtsbarkeit, Regalien etc. konnten auch einzeln verliehen werden und sogar weiter verliehen werden - sogenannte Afterlehen, was zu Aftervasallen führte (ja ich weiss, der Begriff kann zweideutig aufgefasst werden Big Grin). Hinzu kam, dass der Lehensinhaber in der Regel Lehen verschiedener Lehensherren inne hatte. Da mit den meisten Lehen auch gewisse Gefolgschaftspflichten verbunden waren, konnte das für den Lehnsträger rasch peinlich werden, wenn er Lehen von zwei miteinander verfeindeten Lehensherrn inne hatte (wem musste er jetzt die Treue halten ?).

Für den Lehnsherrn ("Territorialherr"), welcher die Lehen verlieh, war die Situation auch nicht überschaubarer. Die Lehen waren erblich, d.h. der Lehnsherr konnte den Besitz erst wieder neu verleihen, wenn die Familie des Lehensinhabers in männlicher Linie ausgestorben war. Oft war es zudem möglich, dass der Lehnsinhaber das Lehen verkaufen konnte, so dass der usprüngliche Lehnsinhaber plötzlich zu einem anderen Vasallen kam - der ihm möglicherweise gar nicht genehm war. Wenn jetzt das Lehen noch an einen Feind des Lehnsherrn verkauft oder verpfänder wurde ...

Die Lehnsherrschaft, die sich über einen grossen Teil des mittelalterlichen Europas verbreitet hatte (inkl. einiger slawischer Regionen) war im Wesentlichen eine Erfindung des Frankenreiches. Und gerade deshalb waren sich die Verhältnisse im HRR und in Frankreich am Ähnlichsten. Die Herrschaft eines Herzogs von Bayern war genauso Stückwerk und kompliziert wie die Herrschaft eines Grafen von Champagne. Und der französische König war genauso wenig ein unumschränkter Herrscher über sein Königreich wie es der deutsche König oder Kaiser war. Der ganze Hundertjährige Krieg war letztendlich mehr oder weniger "nur" eine Auseinandersetzung um die Frage, wer als rechtmässiger Lehnsherr über Aquitanien anzusehen sei.

Den Unterschied zwischen HRR und Frankreich, da bin ich mit Dir einig, liegt darin, dass die zahlreichen Nebenlinien des französischen Königshauses im Verlauf des Spätmittelalters die Macht in den verschiedenen Herrschaften übernehmen konnten. Das war aber gewissermassen Zufall. Die französichen Nebenlinien der Capetinger (auch die Valois und Bourbonen sind Nebenlinien der Capetinger) hatten das Glück, dass die französischen Grossadligen nach und nach ausstarben und die Lehen an das Königreich zurückfielen oder, noch häufiger, dass beim Aussterben ein Vertreter einer capetingischen Nebenlinie gerade mit der hinterbliebenen Erbtochter verheiratet war. Das hatten zwar auch die spätmittelalterlichen Habsburger-Kaiser versucht, doch leider starben weder die Welfen, Wittelsbacher, Hessen, Wettiner oder Mecklenburger aus. Dafür die Kastilier/Aragonesen, weshalb die Habsburger nicht über Deutschland als Territorialherren herrschen konnten, dafür über Spanien (etwas vereinfacht und plakativ ausgedrückt).


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Aguyar - 23.10.2016 19:09

(21.10.2016 16:14)Dietrich schrieb:  
(21.10.2016 16:05)Suebe schrieb:  Die Bevölkerung des Ostfränkischen Reiches sprach eine gemeinsame Sprache, ...

Nein, sprach sie nicht.

Wie du den verschiedenen Wiki-Artikeln entnehmen kannst, waren Altbairich, Altsächsisch, Altfränkisch und Altalemannisch verschiedene westgermanische Sprachen. Und die waren durchaus unterschiedlich, wie das bei verschiedenen Sprachen nun mal so ist.

Die früheste Stufe des Deutschen beginnt mit dem Mittelhochdeutschen, das unter den Staufern zur ersten standardisierten Sprache bei Hof wurde. Die Idiome der Bevölkerung unterschieden sich nach wie vor erheblich voneinander. So sprach der ganze Norden Niederdeutsch, was für Alemannen und Baiern völlig unverständlich war.

(22.10.2016 20:28)Suebe schrieb:  -Nix gegen Wiki, als schnelle 1. Information unübertroffen.
Jedoch, wenn es ans Eingemachte geht, ist die gedruckte Quelle in jedem Fall vorzuziehen.

Quelle: dtv-Atlas Deutsche Sprache ISBN 978-3-423-03025-0
17. Korrigierte und durchgesehene Auflage 2011

Seite 43 rechte Spalte c. Mitte
Die ältesten germ. Sprachzeugnisse sind uns von römischen Autoren überliefert.
Diese Einzelwörter repräsentieren einen Sprachzustand, den man als Gemeingermanisch bezeichnetBei CAESAR ... bei TACITUS ..... bei PLINIUS D. Ä. .... An ihrem Lautstand erkennt man, dass damals ds Germanische noch als Einheitssprache vorhanden gewesen sein muss, dass eine Auseinanderentwicklung erst später stattgefunden hat.


zum Althochdeutschen
Seite 61 rechte Spalte 2. Abschnitt
Die ahd. Dialekte sind fast nur durch Unterschiede zwischen Nord und Süd, nicht zwischen Ost und West greifbar. Ihre relative Einheitlichkeit ist dadurch bedingt, dass die Besiedelung des Südens durch einwandernde Gruppen aus vielen verschiedenen Gebieten erfolgten. Das führte zu Ausgleichserscheinungen mit der Folge, dass die regionalen Sprachen des ahd. Südens in der Zeit in der sie erstmals aufgeschrieben wurden, keine großen Unterschiede aufweisen.

zum "deutschen" ./. "fränkischen"
Seite 59 rechte Spalte Mitte
Es (theudisc) wird zunächst nur für die Sprache angewandt, und zwar nur in rechtssprachlichem Zusammenhang. Es bezeichnet dabei das Volkssprachlich-Germanische im Gegensatz zu Latein. Das ahd. Normalwort zur Bezeichnung der Volkssprache Mitteleuropas ist frencisg wie z.B. in Otfrieds ahd. Evangeliendichtung von 865.

Wörtlich Zitate
von mir (leise fluchend) abgetippt

Mir scheint, wir stossen hier auf Interpretationen, die auch unter Historikern nicht geklärt sind. Mir selbst ist wie Dietrich (und Wikipedia) eigentlich geläufig, dass altfränkisch, altsächsisch, altbayrisch etc. als Sprachen zu definieren seien und althochdeutsch demgemäss den Versuch Karls des Grossen und seiner Nachfolger darstellt, zwecks Verschriftlichung eine einheitliche Volkssprache zu schaffen.

Es gibt aber trotzdem recht starke Hinweise darauf (nicht nur Suebes dtv-Atlas), dass sich die Sprecher der verschiedenen Sprachen (oder eben doch Dialekte ?) trotz der unterschiedlichen Idiome verstanden haben:

1) In den sogenannten Strassburger Eiden 842, in welchen sich die beiden Enkel Kars des Grossen, Ludwig der Deutsche und Karl der Kahle im Streit um das Reichserbe zu einigen versuchten und in denen erstmals der Begriff "deutsch" (resp. die Vorläuferbezeichnung) auftaucht, verstand es das gesamte ostfränkische Heer - bestehend aus Franken, Sachsen, Bajuwaren, Thüringern, Allemannen, Friesen - als Karl der Kahle in der "lingua theodisca" schwörte. Und dies offenbar trotz der bereits bestehenden Lautverschiebung. Zum Mindesten utnerstellt dies die zeitgenössische Quelle.

2) Etwas über 100 Jahre vor den Strassburger Eiden missionierte der Angelsachse Bonifatius Sachsen, Thüringer und Friesen. Gemäss den Quellen soll er dabei keine Verständigungsschwierigkeiten gehabt haben, ganz im Gegensatz zu seinen Vorgängern, den "keltisch" sprechenden iro-schottischen Mönchsmissionare.

Es sind dies immerhin zwei Punkte - wenn die zeitgenössischen Quellen nicht lügen - die dafür sprechen, dass sich die einzelnen "germanisch" sprechenden Einwohner des heutigen Deutschlands durchaus verstanden haben. Für Gotisch dürfte das allerdings nicht gelten, den dieses scheint sich bereits vor der Lautverschiebung zu stark entfernt zu haben.

Für ein Zusammengehörigkeits-Gefühl aufgrund dieser entfernten Sprachgemeinschaft sprechen hingegen m. M., wie weiter oben beschrieben, die mittelalterlichen Verhältnisse. Und dieses fehlende Zusammengehörigkeits-Gefühl umfasste nicht nur die "Deutschsprachigen". Es gilt ebenso für alfranzösisch, italienisch und die slawischen Sprachen.

Es ist ein das ganze Mittelalter hindurch hindurch bestimmendes Merkmal, dass die Volkssprachen nicht mit sozialen Gruppen und Verbänden zu identifizieren waren. Weil eine Sprache mehrere Völker umfasste wehrte sich bereits Isidor von Sevilla (560 - 636) gegen die Gleichung, dass Sprache gleich Volk sei. Und weil sogar in einer Stadt mehrere Sprachen existierten, wies Dante (1265 - 1321) ebenso die Gleichung, dass eine Sprache einer Stadt entspreche, zurück. Menschen gleicher Sprache lebten nicht täglich zusammen weshalb Sprachunterschiede nur selten zu sozialen Konflikten führten und die Herren zwangen ihren Knechten auch nicht ihre Sprache auf. Die Normannen beispielsweise regierten Süditalien auf italienisch und England auf französisch. Nur eine Gleichung galt unbestritten: Alle Kleriker sprachen und schrieben Latein, und wer über örtliche Mundart und augenblickliche Situation hinaus gehört werden wollte, tat es ihnen nach.

Das Volk nicht gleich Sprache resp. Sprachgemeinschaft ist resp. im Mittelalter war, zeigen die oben erwähnten Einschätzungen von Isidor und Dante (u.a. nachzulesen bei Arno Borst "Lebensformen im Mittelalter"). Dass heisst, zum Mindesten das Mittelalter definierte Volk nicht über Sprachgemeinschaft (trotz Luther und Hutten - und die sprechen von "deutschen Landen", nicht vom "deutschen Volk").

Heute ist das Anders, und wenn man die deutsche Identität bereits im Frühmittelalter verorten möchte, so ist sind dies lediglich moderne Ansichten und Standpunkte. Die mittelalterlichen Menschen definierten "Volk" offensichtlich nicht nach Sprache, also fühlten sich die deutsprachigen Bewohner des HRR auch nicht als "Deutsche". Wenn ihre modernen Nachkommen das anders sehen (gilt wie gesagt auch für Franzosen, Italiener, Polen, Spanier, Serben etc). ist das deren Angelegenheit und hat mit Nationalismus zu tun, und den kannte das Mittelalter nicht.

PS:
Was Tacitus und die "germanisch" Sprechenden angeht (Antike und Spätantike kenne ich wenig) resp. ob sich deren Sprecher verstanden haben oder nicht, kann m. M. in diesem Zusammenhang nicht so relevant sein. Der zeitliche Abstand zum Karolingereich ist meiner Einschätzung nach einfach zu gross, um von Tacitus auf die germanischen Stammesverbände zur Zeit des fränkischen Reichs schliessen zu können. Ich bin in einem anderen Zusammenhang mal selbst auf die Nase gefallen, als ich versucht habe, Gründe für bestimmte frühmittelalterlichen Verhältnisse von Aussagen von Tacitus herzuleiten.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Suebe - 23.10.2016 21:23

Moment mal, nix reininterpretieren, was ich nun keineswegs geschrieben habe.

Zum "Bewusstsein" habe ich ganz zu Anfang dieses 3nds nachstehendes geschrieben.
Schicksalsgemeinschaft würde ich dies nennen.


(18.10.2016 16:50)Suebe schrieb:  
Zitat:Im allgemeinen ist die Forschung heute der Ansicht, dass ein deutsches Bewusstsein kaum vor 1000, voll erst im 11. und 12. Jh. einsetzt.
.

Sehe ich anders.
Und bin da ganz auf der Seite von Hugo von Hofmannsthal
"Wenn es stehts zu Schutz und Trutze,,,"

erste Hälfte des 10. Jahrhunderts.


Deutschland als Staatsidee war immer (wenn wir 1872-1945 mal weglassen)
ein defensives Schutzbündnis. Nichts anderes.
Vielleicht ist den Forenfreundinnen und Freunden zB bekannt, dass es vor 1935 nicht mal eine deutsche Staatsbürgerschaft gab.

Ob das Teil in den Quellen jetzt Ostfranzien, Südostgermanien
oder sonstwieähnlich genannt wird, ist doch egal. Eine deutschsprachige Quelle für das 10. Jahrhundert oder früher wird eh zum Thema keiner vorweisen können. Ergo reine Fremdbezeichnungen.
[/quote]

(18.10.2016 19:18)Dietrich schrieb:  
(18.10.2016 16:50)Suebe schrieb:  Ob das Teil in den Quellen jetzt Ostfranzien, Südostgermanien oder sonstwieähnlich genannt wird, ist doch egal. Eine deutschsprachige Quelle für das 10. Jahrhundert oder früher wird eh zum Thema keiner vorweisen können. Ergo reine Fremdbezeichnungen.

Diese Aussage ist einigermaßen kryptisch.

Ab wann existiert denn nach deiner Meinung eine frühe deutsche Identität?

(18.10.2016 19:35)Suebe schrieb:  
(18.10.2016 19:18)Dietrich schrieb:  Diese Aussage ist einigermaßen kryptisch.

Ab wann existiert denn nach deiner Meinung eine frühe deutsche Identität?


im Außenverhältnis seit der 1. Hälfte des 10. Jahrhunderts.
im Innenverhältnis? vermutlich bis heute nicht. Ich bin ja auch zuerstmal Schwabe. Und bis 1934 wäre ich sogar württembergischer Staatsbürger gewesen.
Das ist noch immer meine Meinung.

Der ganze Sermon seither ist doch nur den von Euch beiden behaupteten
"Allemannisch-Bairischen-Dolmetschern" geschuldet.
Was nun hoffentlich ausgeräumt ist.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Dietrich - 24.10.2016 13:30

(23.10.2016 18:09)Aguyar schrieb:  Wenn wir vom Mittelalter sprechen (sagen wir bis zu etwa 1550) so ist das Bild von "Landesherren mit Gewalt über alle Einwohner" m. W. nach falsch.
Auch die Macht eines mittelalterlichen Landesherrn war nicht einheitlich und meistens äusserst kompliziert. Der grösste Teil eines mittelalterlichen Landesherrn bestand auch innerhalb "seines Territoriums" aus unterschiedlichen Herrschaftsrechten.

Das ist ja alles unbestreitbar, was du da sagst.

Die Territorien der reichsunmittelbaren Herren waren durchsetzt von zahlreichen anderen Gewalten und Herrschaften. Dennoch waren die Inhaber dieser kleinen und kleinsten Territorien unumschränkte Herrscher über ihre Untertanen. Somit war die Identität eines Bauern in der Grafschaft Schaumburg, der Grafschaft Oettingen oder im Fürstentum Hohenzollern zuerst und unmittelbar mit dem Territorium und seinem Herrscher verknüpft. Er bestimmte über das Wohl und Wehe seiner Untertanen, lenkte die wirtschaftliche Entwicklung seines Territoriums, hatte die Blutgerichtsbarkeit, beaufsichtigte Aufbau und Wirken der Landesinstitutionen, sodass das Schicksal der Bewohner seiner Grafschaft oder seines Fürstentums in seiner Hand lag.

Auisgangspunkt der föderalen Entwicklung im deutschen Herrschaftsraum war das "Statutum in favorem principum", das Kaiser Friedrich II. 1231 seinen Reichsfürsten gewährt hatte. Darin verzichtete er auf zentrale herrschaftliche Rechte und übertrug sie seinen Fürsten. Die Urkunde war eine Garantieerklärung der aufgeführten Privilegien für die Zukunft, wie Selbstständigkeit bei der Verwaltung des eigenen Territoriums, Gerichtsbarkeit und Erhebung von Zöllen. Gemeinsam mit der Confoederatio cum principibus ecclesiasticis von 1220 bildete die Abtretung zentraler königlicher Rechte den Ausgangspunkt der föderalistischen Entwicklung im Reich und seinen Nachfolgestaaten.

Das Heilige Römische Reich gelangte durch diesen verfassungsrechtlichen Verzicht seiner Herrscher zu einer föderalen Ordnung und ging einen anderen Weg als die übrigen europäischen Reiche, die sich – mit Ausnahme Italiens, dessen Reichseinigung erst im 19. Jahrhundert erfolgte – zentralisierten.

Obwohl die Reichsfürsten und die übrigen reichsunmittelbaren Herren über die Jahrhunderte bestrebt waren, ihre Territorien zu geschlossenen Herrschaftsgebieten auszubauen, ist ihnen das bis zum Untergang des Heiligen Römischen Reichs nie völlig gelungen.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Dietrich - 24.10.2016 13:51

(23.10.2016 21:23)Suebe schrieb:  Der ganze Sermon seither ist doch nur den von Euch beiden behaupteten
"Allemannisch-Bairischen-Dolmetschern" geschuldet.
Was nun hoffentlich ausgeräumt ist.

Der gesamte Norden sprach alt- und mittelniederdeutsch, was für den Süden völlig unverständlich war,


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Suebe - 24.10.2016 16:35

(24.10.2016 13:51)Dietrich schrieb:  
(23.10.2016 21:23)Suebe schrieb:  Der ganze Sermon seither ist doch nur den von Euch beiden behaupteten
"Allemannisch-Bairischen-Dolmetschern" geschuldet.
Was nun hoffentlich ausgeräumt ist.

Der gesamte Norden sprach alt- und mittelniederdeutsch, was für den Süden völlig unverständlich war,

Dann kauf dir doch den dtv-Atlas "Deutsche Sprache" das Teil kostet keine 15 €, und du kriegst doch Sonderkonditionen.

Grundsätzlich: entwickeln sich die Sprachen im Laufe der Jahrunderte/tausende auseinader, nicht auf einander zu. Siehe die Indogermanische Sprache, die es vermutlich tatsächlich gab.
Prof. Werner König, Herausgeber der o.g. "Deutsche Sprache" vertritt zumindest die Meinung.

Und wegen der einen Lautverschiebung die da dazwischen war, wird aus "Sächsisch" noch lange kein Sanskrit. Die Allemannen im Südschwarzwald, Vorderösterreich und der Schweiz, die auch eine Lautverschiebung verschlafen haben Angel verstehe ich dem zum Trotz ohne Dolmetscher Lol


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Dietrich - 24.10.2016 18:59

(24.10.2016 16:35)Suebe schrieb:  Grundsätzlich: entwickeln sich die Sprachen im Laufe der Jahrunderte/tausende auseinader, nicht auf einander zu. Siehe die Indogermanische Sprache, die es vermutlich tatsächlich gab.
Prof. Werner König, Herausgeber der o.g. "Deutsche Sprache" vertritt zumindest die Meinung.

Wenn du jemals richtig Plattdütsch gehört hast, dann weißt du, dass das kein Baier oder Schwabe cerstehen kann. Svhon gar nicht die vorangegangenen alt- und mittelniederdeutschen Idiome. Die niederdeutschen Dialekte weisen noch heute Ähnlichkeiten mit dem Englischen und dem Friesischen auf, die auf einer gemeinsamen Herkunft dieser Sprachen beruhen.

Das ämderte sich erst ab Luther, als mit ihm das Hochdeutsch im Norden Einzug hielt.


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Suebe - 24.10.2016 19:08

(24.10.2016 18:59)Dietrich schrieb:  Wenn du jemals richtig Plattdütsch gehört hast, dann weißt du, dass das kein Baier oder Schwabe cerstehen kann. Svhon gar nicht die vorangegangenen alt- und mittelniederdeutschen Idiome. Die niederdeutschen Dialekte weisen noch heute Ähnlichkeiten mit dem Englischen und dem Friesischen auf, die auf einer gemeinsamen Herkunft dieser Sprachen beruhen.

Das ämderte sich erst ab Luther, als mit ihm das Hochdeutsch im Norden Einzug hielt.

Hab ich Dietrich, hab ich.
Schwiegermama war ne Pommersche.

Die Hoch"deutschen" Dialekte und die Nieder"deutschen" Dialekte trennte im 10. Jahrhundert gerade mal 1 Lautverschiebung. Mehr nicht.
Einen Dolmetscher brauchte man im 10. Jahrhundert garantiert nicht.

Das "Hochdeutsche" von dem du bei Luther schreibst, nennt man korrekt Schrift- oder Standartdeutsch. Einen Hochdeutschen Dialekt rede ich.
Das wird oft und gerne verwechselt.

Dietrich, investier die 15 Teuronen, Es lohnt sichInnocent

OT: Schreiben tu ich Schriftdeutsch


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Dietrich - 24.10.2016 19:24

(24.10.2016 19:08)Suebe schrieb:  Einen Dolmetscher brauchte man im 10. Jahrhundert garantiert nicht.

Kannst di dreihen as du wullt!


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Flora_Sommerfeld - 24.10.2016 19:26

(24.10.2016 19:24)Dietrich schrieb:  
(24.10.2016 19:08)Suebe schrieb:  Einen Dolmetscher brauchte man im 10. Jahrhundert garantiert nicht.

Kannst di dreihen as du wullt!

Dietrich, ich glaube deine Tastatur ist kaputt ... Tongue


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Dietrich - 24.10.2016 19:30

(24.10.2016 19:26)Flora_Sommerfeld schrieb:  Dietrich, ich glaube deine Tastatur ist kaputt ... Tongue

Tja - so hört sich Platt an! Huh


RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Flora_Sommerfeld - 24.10.2016 19:59

(24.10.2016 19:30)Dietrich schrieb:  
(24.10.2016 19:26)Flora_Sommerfeld schrieb:  Dietrich, ich glaube deine Tastatur ist kaputt ... Tongue

Tja - so hört sich Platt an! Huh

Okay und welches? Leer, Emden, Oldenburg, Borkum, Bremen, Neuwerk, Glückstadt, Flensburg, Kiel, Wismar usw. (aber dran denken, bei der Memel ist Schluss) Wink
Gerade diverse Dialekte sind in der Regionalität doch schon sehr unterschiedlich. Oder versuche mal einen Balinger und einen Stuttgarter auf Schwäbisch zu verstehen ... Wink