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Richard I. - tatsächlich ein Homosexueller?
04.02.2020, 05:45
Beitrag: #28
RE: Richard I. - tatsächlich ein Homosexueller?
Ich bin jetzt zufällig in einer Richard-Biographie auf eine Zusammenfassung der Eremitenepisode gestoßen, die mit Blick auf das Thema hier auf jeden Fall interessant ist.

Nach der Zusammenfassung des Autors, der diese Biographie geschrieben hat, finden die Begegnung Richard - Eremit und Richards Selbstbezichtigung im Frühjahr 1195 statt, ein geographischer Ort wird nicht genannt.

Nach der Zusammenfassung erscheint eines Tages ein Einsiedler bei Richard und ermahnt ihn, sich an die Zerstörung von Sodom zu erinnern und auf unerlaubte Akte zu verzichten, da ihn Gott sonst bestrafen werde. Richard schenkt dieser Prophezeiung zunächst keine besondere Beachtung. Als er bald darauf erkrankt, kommt ihm die Warnung jedoch wieder in den Sinn, den Anfang April 1195 bekennt er seine Sünden und nimmt seine vernachlässigte Ehefrau wieder zu sich, um den ehelichen Pflichten in stärkeren Maß zu entsprechen. Außerdem besucht er fortan täglich die Kirche und spendet für die Armen.

Als Autor ist der Chronist Roger von Howden angeführt, den der Autor dieser Biographie in einem Teil seines Buches als einen königstreuen Chronisten einstuft.

Quelle: Robert-Tarek Fischer: Richard I. Löwenherz 1157-1199. Ikone des Mittelalters. Böhlau Verlag, Wien / Köln / Weimar, 2. überarbeitete Auflage 2019. ISBN 978-3-205-20980-5, S. 254

Was ergibt sich aus dieser Zusammenfassung? Zunächst einmal wäre es vermutlich wirklich wichtig, den Originaltext zu kennen beziehungsweise, wenn die Chronik nicht im Original überliefert ist, die frühesten Fassungen, die von ihr überliefert sind.

Denn die Zusammenfassung von Fischer unterscheidet sich zum Beispiel doch in einem wesentlichen Punkt den bisherigen Zusammenfassungen, die hier angeführt wurden. Während dort der Eindruck entsteht, dass Richard in der Chronik direkt der Sodomie bezichtigt wurde, wird ihm in dieser Zusammenfassung der Einsiedler-Episode nur eine Bestrafung für "unerlaubte Akte" angedroht. Nicht uninteressant ist auch, dass die Bestrafung nur dann zu befürchten ist, wenn Richard mit den "unerlaubten Akten" nicht aufhört, sondern sie weiter begeht. Die Stadt Sodom ist in dieser der Zusammenfassung nur ein Beispiel für den strafenden Gott. Was mit den "unerlaubten Akten" konkret gemeint ist, bleibt in der Chronik offen. Im diesem Kontext ist nur eindeutig klar, dass es sich um Sünden handelt.

Sodom und Gomorrha sind in der Bibel aber nur lasterhafte Städte, die von Gott bestraft werden. Allerdings wäre Gott bereit gewesen, sie zu schonen, wenn ihre Einwohnerschaft von ihrem lasterhaften Tun abgelassen hätte. Offensichtlich wird Sodom in dieser symbolischen Bedeutung angeführt.

In dieser Darstellung jedenfalls, wenn wir uns nur an den Text halten, werden Richard lediglich Sünden vorgeworfen und der Verweis auf Sodom deutet an, was ihm droht, wenn er weiterhin sündigt, aber auch, dass Gott Gnade walten lässt, wenn er mit dem sündigen aufhört. Das tut Richard aber erst, als er plötzlich erkrankt.

Die daraufhin beschriebenen Maßnahmen (Rückholung der Ehefrau, regelmäßiger Besuch der Messe, Armenspeisung / Akte der Barmherzigkeit) symbolisieren Richards Umkehr und seine Rückkehr zu einem christlichen Leben, nachdem er öffentlich die Beichte abgelegt hat.

Der Hinweis, dass Richard daraufhin wieder seine Ehefrau zu sich holt und seinen ehelichen Pflichten nachkommt, legt nahe, dass es sich bei den "unerlaubten Akten" um sexuelle Verfehlungen handelt, allerdings legt die Rückkehr zur Ehefrau Ehebruch nahe.

Mit Blick darauf, welche Akte der nun mehr geläuterte Richard hier setzt, fällt auf, dass sie eigentlich recht milde ausfallen. Es reicht, dass Richard offiziell seine Sünden bekennt, dass er seine Ehefrau wieder zu sich holt, dass er ab sofort regelmäßig wieder den Gottesdienst besucht und dass er die Armen öfter speist. Wenn es bei den "unerlaubten Akten" tatsächlich um das Ausleben von Homosexualität gehandelt hätte, das im Mittelalter und danach als "widernatürlich" angesehen wurde, hätte der Chronist Richard wohl doch etwas drastischere Maßnahmen ergreifen lassen.

Auf jeden Fall bietet Fischer eine Zusammenfassung dieser Episode, die so gestaltet ist, dass sie für jemanden, der noch nie etwas davon gehört, dass Richard ein Homosexueller gewesen sein soll, sicher keine diesbezüglichen Assoziationen bietet.

Entscheidend ist hier natürlich, wie genau Fischer die Episode zusammengefasst hat. Im Quellen- und Literaturverzeichnis hat er jedenfalls eine Ausgabe der "Chronica magistri Rogeri de Hoveden" (Ausgabe von William Stubbs, 4 Bände, 1868-1871) angeführt, sodass doch naheliegend, dass er den Originaltext in der Fassung dieser Ausgabe selbst gelesen haben wird. (Inwieweit diese Ausgabe allerdings wirklich dem Originaltext beziehungsweise den überlieferten Fassungen gerecht wird, wäre natürlich zu prüfen, da die Ausgabe aus dem 19. Jahrhundert ist.

Was zeigt das Beispiel aber?
Es deutet jedenfalls an, dass die "Hauptquelle", die gewöhnlich für Richards mögliche Homosexualität angeführt wird, in Wirklichkeit gar keine Ansätze zu einer solchen Sicht bietet. (Wie gesagt, hier wäre es halt wichtig, im ursprünglichen Text, soweit das aufgrund der Überlieferung möglich ist, selbst nachzusehen.)

Zusammen mit den Hinweisen von Sansavoir auf Quellen des Mittelalters für Richard stets sexuelle Vergehen mit Frauen unterstellt werden, sprechen die Indizien in diesem Fall doch gegen eine Homosexualität. Dazu passt auch, dass diese Theorie erst nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals auftaucht und offensichtlich erst in den letzten 30 Jahren zu einem "Fakt" gemacht wurde.

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Josephine Tey, Alibi für einen König
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RE: Richard I. - tatsächlich ein Homosexueller? - Teresa C. - 04.02.2020 05:45

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