Richard III und seine Darstellung in der Literatur
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18.09.2016, 16:43
Beitrag: #1
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Richard III und seine Darstellung in der Literatur
In englischen Geschichtsbüchern gilt er als der Schurke schlechthin- Richard III, der Neid- und Ehrgeiz zerfressene letzte Herrscher aus dem Hause Plantagenet, der beschuldigt wird, die Krone Englands widerrechtlich an sich gerissen und dafür seine beiden Neffen, die Söhne seines Bruders Edward IV ermordet zu haben.
Richard III ist der letzte König aus dem Haus Plantagenet, der letzte König der Familie York, der den Thron innehat. Sein Nachfolger, Heinrich Tudor beendet als Lancaster König Heinrich VII das Zeitalter der Rosenkriege, in dem er Elizabeth von York heiratet und somit die Häuser Lancaster un York wiedervereint. Seine Geschichtsschreibung ist es, die seinen Vorgänger Richard als Monster auf dem Königsthron erscheinen läßt. Und doch... Seit ich mich in Bezug auf die Kelten mit Caesars gallischem Krieg beschäftigt habe, habe ich keinen historischen Text mehr gelesen, ohne mir die Frage zu stellen, welchen Zweck der Autor verfolgt. Und als ich bei meiner sommerlichen Lektüre über Richard III erneut mit dieser Frage konfrontiert war, war klar, dass ich dazu meinen Senf abgeben wollte. Ich werde den bereits vorverfaßten Text in mehreren aufeinanderfolgenden Beiträgen verfassen (lange Beiträge liest keiner) und nach und nach hier einstellen. Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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18.09.2016, 16:49
Beitrag: #2
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RE: Richard III und seine Darstellung in der Literatur | |||
18.09.2016, 16:57
Beitrag: #3
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Kurzer Überblick über Daten
Bevor ich an die literarische Darstellung gehe, ein ganz kurzer Abriß über die Fakten: (Manche Daten sind umstritten, ich folge hier Josephine Tey, die sich vermutlich auf Horace Walpole beruft)
Edward IV stirbt am 9. April 1483 völlig überraschend in London. Thronfolger ist sein damals 13 jähriger Sohn Edward. Zum Vormund und Protector hat Edward in seinem Testament seinen Bruder Richard von Gloucester ernannt, der sich zum Zeitpunkt von Edwards Tod in London aufhält. Der Bruder der Königin und Erzieher Edwards, Lord Rivers und der Sohn aus erster Ehe der Königin, Thomas Grey, der Earl of Dorset, versuchen, die Kontrolle über den Thronfolger sowie den Staatsschatz und das Militär zu übernehmen und erlassen ohne Zustimmung Richards Gesetze. Richard kommt von Norden und mit der Hilfe des Earl of Buckingham entwaffnet er Rivers und setzt ihn gefangen. Er nimmt seinen Neffen in Obhut und erreicht mit ihm am 4.Mai London. Am 8. Juni sprach der Bischof von Bath, Robert Stillington, vor der Ratsversammlung, am 9. Juni vor dem Parlament. Er gab an, Edward IV mit Eleanor Butler getraut zu haben, bevor dieser Elizabeth Woodward geheiratet habe. Die Ehe mit letzterer sei somit ungültig gewesen, die gemeinsamen Kinder illegitim. Am 20. Juni bezieht Richard mit kleinem Gefolge den Tower, um dort eine Verschwörung aufzudecken. Er läßt seinen früheren Freund Lord Hastings, Lord Stanley und John Morton, den Bischof von Ely wegen eines angeblichen Mordkomplottes gegen ihn verhaften. Am 25. Juni bestätigt das parlament Richards Thronanspruch mit dem "Titulus Regius". Es erklärt die Kinder Edward IV und Elizabeth Woodvilles für illegitim und Richard zum rechtmäßigen Thronfolger. Am 6. Juli wird Richard zum König gekrönt. Im Oktober 1483 scheitert eine Invasion Heinrich Tudors in England, der Earl of Buckingham, henry Stafford, bis dahin enger Vertrauter Richards, wird verhaftet und hingerichtet. Im April 1484 starb Richards Sohn, im März 1485 seine Frau Anne. Im Sommer startete Heinrich VII eine erneute Invasion in England, und am 22.8. 1485 fiel Richard in der Schlacht von Bosworth, nachdem Lord Stanley zu Heinrich übergelaufen war. Heinrich VII heiratete Elizabeth von York, die älteste Tochter Edwards IV und begründete die Linie der Tudors. Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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18.09.2016, 17:02
Beitrag: #4
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Darstellung bei Shakespeare
Die Darstellung bei Shakespeare hat Richards Bild über die Jahrhunderte geprägt. Da sie das ist, was den meisten geläufig ist, werde ich mich mit einer sehr kurzen Darstellung begnügen- es steht jedem frei, diese entsprechend zu ergänzen.
Shakespeares Richard ist ein skrupelloser, von Neid und Eifersucht zerfressener Bösewicht, innerlich wie äußerlich verkrüppelt, der sich seinen Weg zum Thron freigemordet hat. Er lässt erst seinen Bruder George, Herzog von Clarence ermorden, später dann seine beiden Neffen, um sich selbst zum König zu erklären. Als König verstößt er seine Frau, um seine Nichte Elizabeth heiraten zu können, und sein Weg ist gesäumt von Hinrichtungen. Shakespeares Richard ist paranoid, grausam, rachsüchtig. Shakespeares Bild von Richard III stürtzt sich auf die Darstellung von Thomas Morus, dem Lordkanzler Heinrichs VIII. Allerdings sollte bei beiden eines nicht außer Acht gelassen werden- Morus wie auch Shakespear wirkten unter den Tudors... Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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18.09.2016, 17:05
Beitrag: #5
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Darstellung bei Jean Plaidy I
Im Jahr 1950 verfasste die Schriftstellerin Eleanore Hibbert unter ihrem Pseudonym Jean Plaidy einen Roman mit dem Originaltitel „The Goldsmith Wife“. Hauptperson ihres Romans ist Jane Shore, die Hauptmätresse Edward IV. Das Hauptaugenmerk richtet sich in diesem Roman zwar vor allem auf Janes Beziehung zu den Männern (Richard ließ sie später wegen Hurerei zu einem Bußgang verurteilen), aber Plaidy beschreibt auch Edward und Richard. Edward wird als charmanter, leichtlebiger Charakter beschrieben, der das Leben vor allem genießen will, und Schwierigkeiten am liebsten nicht zur Kenntnis nimmt oder aber durch Mord beseitigt. Ohne ihn jemals so zu nennen, zeichnet Plaidy das Bild eines Größenselbst- Narzissten. (Edward IV weist in ihrer Darstellung viel Ähnlichkeit mit Henry VIII, dem sie ebenfalls einige Bücher gewidmet hat). Richard dagegen ist der stille, ernsthafte, dem das Wohl des Königreichs über alles geht. Je ausschweifender Edward sich verhält, umso mehr gelangt Richard zu der Überzeugung, besseres für England bewirken zu können. Zugleich leidet er darunter, dass sein Bruder so mühelos die Zuneigung der Menschen gewinnt, was ihm nicht möglich ist.
Ständiger Intrigant ist der mittlere Bruder, George, der Herzog von Clarence. Es ist ausschließlich dem Familiensinn seiner beiden Brüder zu verdanken, dass George überhaupt so lange am Leben bleibt. Als er jedoch eine letzte Intrige gegen Edward anzettelt, wird es seinem Bruder zu viel. In Plaidys Roman ist es George, der Bischof Stillington aufspürt, der die Eheschließung Edwards IV mit Eleanor Butler bezeugt und somit Edwards Ehe mit Elizabeth Woodville für ungültig erklärt. Die Kinder der beiden wären somit illegitim und George der Erbe seines Bruders. In Plaidys Darstellung beratschlagen Edward und Richard, was sie mit George anstellen sollen. Während Richard zwar erkennt, dass der Mord an George ihn zum König machen würde, sobald Edward stürbe, ist er zu diesem Schritt nicht bereit. Edward hingegen sieht seine Familie bedroht und gibt den Mordbefehl. Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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18.09.2016, 17:11
Beitrag: #6
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Darstellung bei Jean Plaidy II
Nach Edwards Tod gerät Jane unter den Einfluss von Thomas Grey, dem Earl of Dorset. Grey ist der Sohn Elizabeth Woodvilles aus erster Ehe. Grey und seine Mutter widersetzen sich Edwards Anordnung, die Richard zum Vormund für Edwards Sohn machen. Grey hat Hastings Vor-liebe für Jane erkannt und benutzt diese, um Hastings auf die Seite der Woodville Fraktion zu ziehen. Hastings bezahlt dafür mit seinem Leben, Jane wird zum Bußgang und Gefängnis verurteilt.
Durch Janes Haft drückt sich die Autorin um die Frage, warum Richard die Ehe Edwards IV mit Eleanor Butler bekannt gemacht hat. Jane erfährt in der Haft von dem Gesetz, das die Kinder Edwards IV zu Bastarden und Richard zum Thronfolger er-klärt. Obwohl die Autorin Richard Verfolgungswahn und Neid unterstellt (wenn auch nicht in dem Maße wie Shakespeare es tat) ist für sie ein anderer der wahre Bösewicht. John Morton, Bischof von Ely, plante den Sturz Richards und zog dafür den Herzog von Buckingham, Henry Stafford, den engsten Vertrauten Richards, auf seine Seite. Stafford stammte selbst von Edward III ab und galt als Thronanwärter (und wird bei Wikipedia als einer der Verdächtigen für den Tod der Prinzen gesehen). Gemeinsam schmiedeten sie ein Komplott, bei dem der ehrgeizige Bischof Stafford in dem Glauben ließ, es ginge darum, ihm den Thron zu verschaffen. In Wahrheit hatte Morton schon längst Kontakt zu Henry Tudor aufgenommen. Morton überzeugte Stafford davon, dass Richard am Ende als Usurpator dastehen müsse, der den Thron widerrechtlich an sich gerissen habe und der seine beiden erbberechtigten Neffen Edward und Richard hatte er morden lassen, damit er, Stafford den Thron bestei¬gen könne. Morton plant, die beiden Prinzen ermorden zu lassen, wenn Richard tot ist. Um es ihm aber anhängen zu können, streut er mit Staffords Hilfe schon vorher Gerüchte, die Prinzen seien tot. Stafford stachelt einen Aufstand an, der niedergeschlagen wird und für den er hingerichtet wird, aber Morton verfolgt seine Pläne mit Heinrich Tudor weiter. Nach der Thronbesteigung Henrys VII und seiner Hochzeit mit Elizabeth von York werden die beiden Jungen nachts im Schlaf ermordet und im Tower begraben, Plaidy lässt offen, ob auf Mortons oder Henrys Befehl. Als Quellen gibt Plaidy neben der Schrift des Thomas Morus das Geschichtswerk von James Gairdner an sowie die Schrift "Historic Doubts of the life of Richard III" von Horace Walpole Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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18.09.2016, 17:23
Beitrag: #7
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Darstellung bei Josephine Tey I
In kurzem zeitlichem Abstand zu Jean Plaidy veröffentlichte die schottische Schriftstellerin Elizabeth MacIntosh unter ihrem Pseudonym Josephine Tey 1952 den Roman "Daughter of Time."
Im Gegensatz zu Plaidys Roman ist "Daughter of Time", (dtsch: "Alibi für einen König") kein historischer Roman. Er spielt in London 1950 und Hauptakteur ist Alan Grant, der Polizeiinsepektor, über den Tey schon sechs weitere Bücher zuvor verfaßt hatte. "Daughter of Time" wurde von der Vereinigung britischer Krimiautoren zum besten Krimi aller Zeiten gewählt. Insepktor Alan Grant muss wegen eines Unfalls das Krankenhausbett hüten. Um sich die Zeit zu vertreiben, beauftragt er eine Freundin, ihm Rätsel der Vergangenheit zu besorgen, mit denen er sich beschäftigen kann. Unter den angebotenen Rätseln ist das Verschwinden der Prinzen im Tower, das in den englischen Geschichtsbüchern Richard III angekreidet wird. Ein zugehöriges Porträt von Richard III weckt Grants Neugier. Zuerst verschafft er sich einen Überblick durch die Geschichtsbücher. Erstaunt stellt er fest, dass Richard III politisch als ehrenwert und als Mann mit großen Fähigkeiten, im persönlichen Bereich aber von Neid und Ehrgeiz zerfressen beschrieben wird. Ein Buch über die parlamentarische Geschichte Englands bescheinigt Richard gar, das liberalste und fortschrittlichste Parlament geführt zu haben, das es in England je gegeben habe, der Vergleich zwischen dem Leben eines französischen und eines englischen einfachen Mannes fällt zu Richards Gunsten aus. Auch bescheinigem ihm auch seine ärgsten Feinde große Anhänglichkeit an seinen Bruder Edward. Grants Neugier ist jetzt erst recht geweckt und er nimmt die Ermittlungen auf. (Und wer in Erwägung zieht, dieses überaus lesenswerte Buch, das beste, das ich in den letzten Jahren gelesen habe, selbst zu lesen, sollte die nächsten Absätze am besten überspringen.) Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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18.09.2016, 17:28
Beitrag: #8
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Josephine Teys Ermittlungen: Thomas Morus
Wie in einem Kriminalfall wendet sich Grant jetzt dem wichtigsten Zeugen zu- Thomas Morus. Auf Morus geht Shakespeares Richard III zurück, es ist Morus, der Richards Bild in der Geschichte geprägt hat.
Aber Grant findet heraus, dass Morus zum Zeitpunkt, als Richard zum König erklärt wurde, erst fünf Jahre alt war und acht, als Richard starb. Morus hat sein Wissen also aus zweiter Hand- und ist als Zeuge in Grants Augen somit ungeeignet. Umso mehr, als Grant herausfindet, dass Thomas Morus im Haushalt John Mortons´,des Bischofs von Elys erzogen wurde. Genau jenes John Mortons, der gemeinsam mit Hastings und Stanley wegen der Verschwörung gegen Richard verhaftet wurde. Mit Hilfe Brent Carradines, eines jungen Mannes, der für Grant die Laufarbeit übernimmt) findet Grant heraus, dass die Schrift über Richard Thomas Morus überhaupt nur deshalb zugeschrieben wird, weil man sie nach seinem Tod in seiner Handschrift unter seinen Schriften fand. Da zu jener Zeit die Buchdruckerei noch nicht weitverbreitet war, gilt es heute als ziemlich wahrscheinlich, dass Morus gar nicht der Verfasser war, sondern dass es sich bei dem Bericht nur um die Kopie handelte, die Morus für sich selbst anfertigte. Grant spricht im folgenden dann auch von "John Mortons Bericht"- er glaubt, dass Morus den bericht von seinem Mentor abgeschrieben hat. Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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18.09.2016, 17:34
Beitrag: #9
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Josephine Teys Ermittlungen: Heinrichs VII Anklage gegen Richard & Richards Motiv
Für Grant ist Morus damit kein zuverlässiger Zeuge mehr. Seine Suche nach einer anderen zeitgenössischen Quelle bleibt insofern erfolglos, weil die Schreiber, die Richard noch gekannt hatten, für die Tudors schrieben.
Grants Adjutant Carradine stößt auf eine weitere Ungereimtheit. Nach Heinrichs VII Sieg über Richardbei Bosworth ließ Heinrich Anklage gegen Richard vor dem Parlament erheben. Er bezichtigte ihn der Grausamkeit und der Tyrannei. Wessen er ihn nicht anklagt ist- der Mord an den beiden Prinzen. Dies erscheint Grant und Carradine seltsam- Quellen berichten, Heinrich VII hätte sofort den Tower übernommen. Wenn die Prinzen verschwunden gewesen wären, warum schlug Heinrich daraus kein Kapital? Es wäre doch eine stärkere Anklage gegen Richard gewesen als wegen unbestimmter Tyrannei und Grausamkeit. Grant zieht daraus den Schluss, dass die Prinzen noch gelebt haben müssen, als Heinrich VII den Tower übernahm. Grant zieht seine eigene Schlussfolgerung in Zweifel, als er sich daran erinnert, dass ein Mann namens Tyrrell den Mord an den Prinzen gestanden hat und dafür geköpft wurde. Dann jedoch findet er heraus, dass Tyrrell den Mord erst im Jahr 1502 gestanden hat- also 19 Jahre nach dem angeblichen Mord und auch das erscheint ihm seltsam. Eine weitere Frage, die er sich stellt, ist die Frage nach dem Motiv. In der Tat fehlt für Richard das eindeutige Motiv. Er hatte seine Neffen für illegitim erklären lassen- und somit war sein Motiv für den Mord an ihnen nicht stärker als für mindestens weitere sieben Personen. Jeder von ihnen hätte als Thronanwärter herhalten können, um Richard zu stürzen. Der Mord an den beiden Jungen hätte diese Gefahr also nicht gebannt. Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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18.09.2016, 17:41
Beitrag: #10
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Josephine Teys Ermittlungen: Ablauf der Ereignisse
Grant und Carradine fangen an, nach Hinweisen in den Büchern zu suchen, die keine geschichtlichen sein sollen. Persönlich Briefe, Grundbücher, Haushaltsabrechnungen. Sie fangen damit an, zu überprüfen, was jeder einzelne tat, als Edward IV unerwartet starb.
Carradine ermittelt, dass Elizabeth Woodville, ihre Töchter und Prinz Richard in Westminster waren, als Edward am 9. April 1483 starb. Prinz Edward wurde vom Bruder der Königin, Lord Rivers in Ludlow erzogen und Richard war an der schottischen Grenze. Er ließ in York ein Requiem für seinen toten Bruder halten und leistete Edward V den Treueeid. Lord Rivers brach am 24.4. mit Edward, 2000 Mann und einer Menge Waffen nach London auf. Der älteste Sohn von Elizabeth Woodville, Halbbruder von König Edward V, Lord Dorset, übernahm den Befehl über das Arsenal und die Schatzkammer im Tower. Im Namen von Rivers und Dorset wurden Ratsbeschlüsse erlassen, wobei Richard entgegen dem Willen seines Bruders, der Richard zum Vormund seines Sohnes und Regenten für ihn ernannt hatte, völlig übergangen wurde. Richard traf am 29.4. mit 600 Edelleuten aus dem Norden in Ludlow ein, wo ihn der Herzog von Buckingham mit 300 Leuten erwartete. Gemeinsam nahmen sie Rivers und seine Gefolgsleute fest, Richard ritt mit seinem Neffen nach London, wo er am 4.Mai eintraf. Mit diesen Fakten gilt für Grant Morus Aussage widerlegt, dass Richard die Königin zu überredet versucht habe, den Prinzen nur mit einer kleinen Eskorte zu ihm zu schicken. Als Richard in London eintraf, hatte sich Elizabeth Woodville mit ihren Töchtern, ihrem jüngeren Sohn und Dorset in die Freistatt nach Westminster begeben. Richard brachte den Prinzen im Bischöflichen Palast unter und nahm selbst bei seiner Mutter Quartier, bis am 5. Juni seine Frau Anne Neville in London eintraf, danach bezog er ein eigenes Quartier. Dokumente belegen, dass es keine Einwände gegen Richard als Protektor gegeben hat, er wird sogar als Protektor anerkannt, bevor er in London eintraf. Am 5. Juni gab er detaillierte Anweisungen für die Krönung des Thronfolgers zum König am 22. Juni, Carradine spürt sogar eine Bestellung für die Krönungsroben für Edward auf. Alles sei normal gewesen bis zu einer Ratssitzung am 8. Juni, an der der Bischof von Bath vor der Ratsversammlung erschien, um eine wichtige Ankündigung zu machen. Carradine hat darüber einen zeitgenössischen Bericht in den Memoiren des Philippe de Commines gefunden- dem einzigen, der vor Richards Tod schrieb und somit nicht zur Tudor Zeit. Der Bischof von Bath, Robert Stillington, erzählte dem Rat am 8. Juni 1483, dass er Edward IV heimlich mit Eleanor Butler getraut habe, bevor Edward Elizabeth Woodville heiratete. Am 9. Juni wurde die Angelegenheit im Parlament besprochen, und am 10. Juni schickte Richard einen Brief an die Stadt York und bat um Truppen für seinen Schutz, am 11. Schickte er einen Brief gleichen Inhalts an seinen Cousin Lord Nevill. Am 20. Juni (bei Wikipedia steht 13. Juni) bezog Richard mit einem kleinen Gefolge den Tower, um eine Sitzung der Verschwörer zu sprengen. Er ließ Lord Hastings, Lord Stanley und John Morton, den Bischof von Ely verhaften. Es gab eine Proklamation, die Einzelheiten des Mordkomplotts gegen Richard enthielt, von der jedoch keine Abschrift enthalten ist. Carradine widerspricht Morus´ Aussage, Hastings sei in den Hof gezerrt und sofort hingerichtet worden, durch einen zeitgenössischen Brief, der das Datum der Hinrichtung eine Woche später nennt. Gleichwohl sprach Richard der Witwe von Hastings die eingezogenen Besitzungen wieder zu und sicherte seinen Kindern das Erbrecht, das mit der Hinrichtung automatisch verloren gegangen war. Stanley wurde begnadigt, Morton wurde unter Buckinghams Obhut in Ehrenhaft gegeben. Hingerichtet wurden der Earl of Rivers und seine drei Gehilfen. Jane Shore, die als Zwischenträgerin zwischen Hastings und den Woodvilles verhaftet wurde, wurde zur Buße verurteilt. Eine besondere Rachsucht seitens Richards ist hier also nicht festzustellen. Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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18.09.2016, 17:45
Beitrag: #11
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Josephine Teys Ermittlungen: Titulus Regius
Das Parlament erließ ein Gesetz, den Titulus Regius, der die Kinder Edwards IV mit Elizabeth Woodville für illegitim und Richard III zum rechtmäßigen König von England erklärte.
Am 16. Juni schickte Elizabeth Woodville ihren Sohn Richard auf Wunsch des Erzbischofs von Canterbury zu seinem Bruder in den Tower. Carradine findet heraus, dass Heinrich VII nach seiner Thronbesteigung befahl, den Titulus Regius ungelesen zu widerrufen Die Urkunde sowie jede vorhandene Abschrift sollte vernichtet werden, auf behalten einer Abschrift stand eine Gefängnisstrafe. Grant liest erneut im Morus nach, den er nun für sich als „John Mortons Bericht“ bezeichnet. Morton musste genau gewusst haben, was sich im Juni 1483 abgespielt hatte- aber er erwähnt nichts davon. Weder den Titulus Regius noch Eleanore Butler. Er erwähnt eine Elisabeth Lucy, die mit Edward früher verheiratet gewesen sein solle, was diese aber geleugnet habe. Morton wurde Heinrich VII zum Erzbischof von Canterbury ernannt und galt als treuer Anhänger Heinrichs, und Grant wertet Mortons Bericht über den Juni 1483 als Versuch, Heinrichs Bemühen, den Titulus Regius in Vergessenheit geraten zu lassen, zu unterstützen. Grant findet heraus, dass Morton seine Gastfreundschaft bei Buckingham dazu genutzt hatte, eine weitere Verschwörung gegen Richard anzuzetteln, nach deren Niederschlagung er zunächst nach Ely und dann nach Frankreich geflohen war. Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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18.09.2016, 17:52
Beitrag: #12
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Josephine Teys Ermittlungen: Das verhalten der königlichen Familie
Obwohl Historiker (Tey nennt hier insbesondere Olliphant) den Mord an den Prinzen nicht in Zweifel ziehen, wundern sie sich dennoch darüber, dass Richard den Tod seiner Neffen nicht öffentlich gemacht hat. Tödliche Krankheiten waren zu jener Zeit nicht ungewöhnlich- Richard hätte einfach behaupten könne, die beiden seien einem Fieber zum Opfer gefallen, hätte sie öffentlich aufbahren lassen können. Grant befindet, dass jemand, der so viel Weitblick bewiesen habe wie Richard bei seinen militärischen Aktionen, könne unmöglich so dumm gehandelt haben. Laut Morus soll der Mord zwischen dem 7. Und 15. Juli geschehen sein, in einer Zeit, in der nicht ein einziges zeitgenössisches Dokument Unzufriedenheit mit Richard nahelegt.
Im Herbst danach fand die von John Morton geplante Invasion Heinrich VII statt, die mangels Unterstützung in der englischen Bevölkerung scheiterte und Grant fragt sich erneut, warum die Lancaster Anhänger die Morde nicht als Aufhänger benutzt hätten, wenn die Gerüchte doch angeblich schon überall im Land verbreitet waren? Grant überprüft, was mit Stillington nach seiner Aussage vor dem Parlament passierte. Stillington lebte normal weiter, ohne besondere Beförderung, ohne besondere Belohnung- für Grant ein Anzeichen dafür, dass Stillingtons Aussage der Wahrheit entspricht. Carradine und Grant ermitteln weiterhin, dass Elizabeth Woodville und ihre Töchter bald nach der Niederschlagung des Aufstandes die Freistatt in Westminster verließen und an Feierlichkeiten im Königlichen Schloss teilnahmen. Elizabeth Woodville schrieb ihrem Sohn Lord Dorset ins französische Exil, er solle heimkommen und seinen Frieden mit Richard machen. Beides für Grant und Carradine überzeugende Hinweise darauf, dass Edward und Richard zu jenem Zeitpunkt noch lebten. Carradine ermittelt weiter, dass aller Personen, die Ansprüche auf den Thron hätten erheben können, Richards Regierungszeit nicht nur überlebten, sondern während seiner Zeit sogar hervorragende Stellungen hatten und gut versorgt waren. Richard hatte nach dem Tod seines Sohnes Georges Sohn zum Erben bestimmt. Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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18.09.2016, 17:53
Beitrag: #13
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RE: Darstellung bei Shakespeare
(18.09.2016 17:02)Bunbury schrieb: Die Darstellung bei Shakespeare hat Richards Bild über die Jahrhunderte geprägt. Da sie das ist, was den meisten geläufig ist, werde ich mich mit einer sehr kurzen Darstellung begnügen- es steht jedem frei, diese entsprechend zu ergänzen. Kleine Ergänzung dazu: Richard III. ist vor allem als Hauptfigur des gleichnamigen Dramas von William Shakespeare bekannt, er spielt aber bereits eine Nebenrolle im dritten Teil der Trilogie "Henry VI.", die ebefalls Shakespeare zugeschrieben wird. (Muss man gelesen haben, ist aber tatsächlich so etwas wie eine Vorgeschichte von "Richard III."?) Die Charakteristik Richards ist bei Shakespeare jedenfalls in beiden Werken aufeinander abgestimmt. ---------------------------
Nur die Geschichtenschreiber erzählen uns, was die Leute dachten. Wissenschaftliche Forscher halten sich streng an das, was sie taten. Josephine Tey, Alibi für einen König |
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18.09.2016, 17:54
Beitrag: #14
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Josephine Teys Ermittlungen: Gerüchte
Als sie in ihren Ermittlungen so weit sind, kommt ein Rückschlag- Carradine entdeckt in einer zu Richards Lebzeiten verfassten Chronik (Croydon Chronicles) die Behauptung, die Prinzen seien tot. Aber Grant kommt ein Verdacht, und er beauftragt Carradine zu überprüfen, ob ein gleiches Gerücht in Frankreich kurze Zeit später auftaucht. Tatsächlich findet Carradine es (philippe des Commines)- und für Grant steht fest, dass der Urheber des Gerüchtes niemand anderer ist als John Morton. Die Chronik stammt aus der Gegend, in die Morton floh, nachdem Heinrichs VII Invasion gescheitert war, und es taucht in Frankreich auf, als Morton dort hin flüchtet.
Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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18.09.2016, 17:57
Beitrag: #15
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Josephine Teys Ermittlungen: Schlussfolgerungen
Grant zieht letztendlich den Schluss, dass die beiden Prinzen eben nicht im Sommer 1483 ermordet wurden. Das Verhalten aller Mitglieder der königlichen Familie weist nicht darauf hin, dass innerhalb der Familie ein Mord geschehen war. Richard hätte darüber hinaus keinen Vorteil vom Tod der Jungen gehabt.
Heinrich VII hingegen ließ den Titulus Regius annullieren. Und mit der Annullierung des Titulus Regius wäre Edward der rechtmäßige Thronfolger gewesen, sein Bruder Richard nach ihm. Heinrich VII, der die älteste Tochter Edwards IV, Elizabeth von York, geheiratet hatte, hatte also ein Motiv, die Prinzen zu ermorden. Um diese These zu überprüfen, überprüft Grant zweierlei: Was hat es mit dem Geständnis von Tyrrell auf sich? Und was wurde aus den Thronerben, die Richard überlebt hatten, unter Heinrich VII? Elizabeth von York wurde mit Heinrich VII verheiratet, drei ihrer jüngeren Schwestern mit zuverlässigen Lancaster Leuten, die jüngste Schwester wurde Nonne. Georges Sohn wurde wegen angeblicher Verschwörung verhaftet und hingerichtet. Georges Tochter wurde unter Heinrich VIII verhaftet und hingerichtet, ihr Tod gilt bis heute als Justizmord. Der älteste Sohn der ältesten Schwester von Edward und Richard kam bei einem Aufstand gegen Heinrich um, sein jüngerer Bruder wurde auch wieder von Heinrich VIII hingerichtet, nachdem sein Vater ihn „nur“ lebenslang einkerkern wollte. Richards illegitimer Sohn wurde von Heinrich VII hingerichtet, weil er eine Einladung nach Irland empfangen hatte. Die Ermittlungen über Tyrrell ergaben, dass er eine wichtige Persönlichkeit war und unter Edward IV viele Ämter innehatte. Unter Heinrich VII wurde er zum Festungskommandanten von Gusiness, später zum Gesandten nach Rom ernannt. Heinrich bewilligte ihm lebenslang die Einkünfte einiger Güter in Wales, später wurden sie gegen Einkünfte in Gusiness getauscht. Grant fällt sofort aus, dass alle Ehrenämter und später sogar alle Einnahme außerhalb Englands liegen. 1502 kommt Heinrich zu Ohren, dass Tyrrell bereit gewesen sei, einem Yorkisten zur Flucht zu ver-helfen, weswegen er die Burgfeste in Gusines zunächst belagerte. Dann schickte ihm Heinrich den Lord Siegelbewahrer und sicherte ihm freies Geleit zu, wenn er an Bord eines Schiffes käme und mit dem Schatzkanzler spräche. Tyrrell kam und landete im Verlies im Tower, wo er am 6.5.1502 ohne Verhandlung in großer Eile geköpft wurde. Ein schriftliches Geständnis von James Tyrrell ist nicht überliefert. Heinrichs Geschichtsschreiber behauptet zwar, Tyrrell habe den Mord gestanden, aber das Geständnis selbst existiert nicht. Von Tyrrell Geständnis erfuhr man also erst nach Tyrells Tod. Grants Recherchen ergeben weiterhin, dass Bischof Stillington unter Heinrich VII verhaftet und ein-gekerkert wurde. Ein Prozess findet nicht statt, und Stillington verschwindet. Im August 1485 besteigt Heinrich VII den Thron, im Januar 1486 heiratet er Elizabeth. Im September, bei der Taufe des Sohnes Arthurs, ist Elizabeth Woodville noch dabei- im Februar 1487 wird die für den Rest ihres Lebens in einem Kloster eingesperrt, ihre Besitztümer eingezogen. Am 16. Juni 1486 erhielt James Tyrrell Generalpardon, was nicht unüblich war, wenn ein neuer König auf dem Thron saß. Ungewöhnlich ist lediglich, dass James Tyrrell am 16.Juli 1486 ein zweites Mal ein Generalpardon erhielt- Kommandant der Burg Guisness wurde er beinahe unverzüglich danach. Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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18.09.2016, 17:59
Beitrag: #16
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Josephine Teys Ermittlungen: Quellen
Für Grant ist der Mörder der Prinzen Heinrich VII. Richard hatte kein Motiv- der einzige Sinn, den ihr Tod für Richard gehabt hätte, wäre es, einen Aufstand zu ihren Gunsten zu verhindern. Aber in dem Fall hätte ihr Tod öffentlich gemacht sein müssen.
In Heinrichs Fall war das anders- er musste verschleiern, wann oder wie sie gestorben waren. Für ihn war es nur wichtig, dass sie aus dem Weg waren und dass man ihr Verschwinden nicht mit ihm in Zusammenhang brachte. Für Heinrich gab es ein zwingendes Motiv für den Mord- er legitimierte seinen eigenen Thronanspruch auch damit, dass er mit Elizabeth von York die legitime Nachfolgerin Edward IV heiratete- wäre aber Elizabeth legitim gewesen, wären ihr älterer Bruder König und der jüngere Thronfolger gewesen. Teys Buch endet damit, dass Carradine herausfindet, dass Grant und er nicht die ersten sind, die Richards Unschuld ermittelten. Ein Mann namens Buck schrieb eine Rechtfertigung Richards nach dem Ende der Tudor- Linie, Horace Walpole eine im 18. Jahrhundert, ein gewisser Markham im 19. Jahrhundert. Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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18.09.2016, 18:18
Beitrag: #17
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Fazit
So, jetzt muss ich natürlich auch noch meinen Senf dazu geben.
Mich hat Inspektor Grant überzeugt. Zumindest davon, dass Richard III nicht schuldig ist. In vielen anderen Passagen, die ich hier natürlich nicht widergegeben habe, widerlegt er durch Briefe und Berichte das Bild, das die Geschichte von Richard gezeichnet hat. Tatsächlich, wenn man z.B. an Lord Stanley oder Jane Shore denkt, ist Richard erstaunlich wenig rachsüchtig. Und natürlich ist es nur sehr schwer vorstellbar, dass eine Frau dem Mörder ihrer Söhne ihre Töchter anvertraut und dem ältesten Sohn rät, sich diesem Mörder zu unterwerfen. Ob es wirklich Heinrich VII war, der die Prinzen ermordete? Dessen bin ich mir nicht so sicher. Er hat ein Motiv- aber Grants Ermittlungen zeigen auch, dass er gewisse Skrupel hatte. Stillington, der jüngere de la Pole- er ließ sie ins Gefängnis werfen, aber er brachte sie nicht um. ich frage mich, was mit John Morton war. Er war es, der die Gerüchte streute. Morton wurde unter Heinrich VII Erzbischof von Canterbury, Morton zettelte eine Invasion zugunsten der heinrichs und nicht der Prinzen an... Eine andere Frage, die ich mir stelle, ist die, was die Bücher von Jean Plaidy und Josephine Tey miteinander zu tun haben. Es ist wohl kein Zufall, dass beide relativ kurz nach einander erschienen und von der tendenz her den gleichen Inhalt- und den gleichen Bösewicht (John Morton) hatten. Aber einen Zusammenhang zwischen den beiden Büchern habe ich bisher nicht ermitteln können. Es gibt ein weiteres Buch zu dem Thema, das ich da liegen habe. Aber ich bringe es nicht fertig, es zu lesen. Es ist Philippa Gregorys "Die Königin der Weißen Rose". Hauptperson hier ist Elizabeth Woodville. Nur ins Ende habe ich reingeschaut. Auch hier ist Richard nicht der Bösewicht. Thomas Morus. Damit fing es an. Wenn Grant recht hat (und ich vermute, dass es eigentlich Horace Walpole war, der diesen Schluss zog- beide Autorinnen verweisen auf ihn als Quelle) so hat das gehässige, rachsüchtige Geschreibe eines Mannes- John Mortons- über die Jahrhunderte das Bild Richards in der Geschichte bestimmt. Genug Anlass zu fragen, ob das, was in Büchern so geschrieben steht, auch so stimmt... Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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19.09.2016, 14:57
Beitrag: #18
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RE: Richard III und seine Darstellung in der Literatur
Nun, Philippa Gregory ist das, was zurzeit am Buchmarkt als historischer Roman gilt. Während ich ein Buch wie "Das Erbe der Königin" noch ganz interessant fand, werde ich den Eindruck nicht los, dass sie sich zurzeit durch Ausschlachten der Rosenkriege eine goldene Nase verdient, indem sie zu allen möglichen weiblichen Persönlichkeiten ein eigenes Büchlein schreibt. Bringt auch mehr Kohle, als wenn sie daraus einen umfangreichen Roman gemacht hätte. Soll heißen, ich kann sie nicht mit gutem Gewissen empfehlen, und dass sie sich inzwischen bereits Deutungshoheit anmasst, hat endgültig zur Folge gehabt, dass ich nichts mehr von ihr lese.
Was Richard III. betrifft, ist er bei ihr nicht der Mörder. In "Die Königin der Weißen Rose" gelingt es Elizabeth Woodville einen ihrer Söhne zu retten, indem sie ihn durch ein anderes Kind austauschen lässt, was Gregory für sehr glaubwürdig hält. (Ich hatte eher den Eindruck, dass das vorkommt, weil es für ihr drittes Büchlein um Elisabeth of York notwendig war: "Das Erbe der weißen Rose". In "Die Königin der Weißen Rose" wird Elisabeth Woodville, nachdem die Prinzen verschwunden sind, von Richard III. besucht, der wissen will, ob sie es war, die ihre Söhne aus dem Tower geholt hat, was er übrigens hofft. Im Roman ist er ratlos, seine Neffen sind verschwunden, er hat keine Ahnung, was da passiert ist. Im Fortsetzungsroman "Der Thron der roten Königin" mit Margaret Beaufort, der Mutter von Henry VII. als Heldin, erfahren wir dann, dass diese Dame die Prinzen umgebracht und ihre Leichen verschwinden hat lassen. ---------------- Was Josephine Tey betrifft - für mich ist gar nicht entscheidend, ob sie in Bezug auf Richard III. recht hat oder nicht. Aber ich finde, dass ihr Roman auf großartige Weise zeigt, wie fragwürdig die gängigen Geschichtsdeutungen, selbst wenn sie sogar auf zeitgenössische Überlieferung zurückgehen, sind. Josephine Tey führt im Rahmen ihrer spannenden Kriminalhandlung alle möglichen Probleme in Bezug auf geschichtliche Überlieferung vor, und ihr Buch ist auf jedem Fall ein Plädoyer für eigenständiges Denken und kritische Hinterfragung dessen, was als geschichtliche Fakten verbreitet ist. Das erscheint mir gerade im 21. Jahrhundert sehr wichtig, wo zurzeit auf dem Unterhaltungssektor wieder mit fragwürdigen Optionen wie Deutungshoheit, angeblich tolle Autoren/innen-Recherche, der einzigen wahren Version etc. geworben wird. (Mich wundert daher auch nicht, dass eine zeitgenössische Autorin wie Rebecca Gablé auf ihrer Website Autoren/innen wie eben Tey für ihre Sicht auf Richard III. lächerlich macht. Gablé ist - meine Meinung - eine erfolgreiche Schreiberin von historischen Trivialromanen (Marke "Eskapismus). Dagegen wäre auch nichts einzuwenden, aber sie vermarktet sich (und als Erfolgsautorin verfügt sie bei ihren Verlag über entsprechende Extras wie Hardcover, Nachwort, Deutungshoheit etc.) als Historikerin. Das ideale Publikum, das Gablé benötigt, um nicht als "Märchentante", sondern eben als Historikerin auf dem Buchmarkt zu reüssieren, soll "träge" sein und vor allem, sich mit dem, was sie ihm gibt, begnügen, statt sich selbst eine Meinung zu bilden. Ein Buch wie das von Tey ist für Autoren/innen für sie eigentlich gefährlich. Übrigens gibt es inzwischen (nach Rezensionen bei Amazon schon Leser/innen, die maulen, wenn es Autor/in einmal wagt, Richard III. nicht als den "bösen" Onkel darzustellen. ---------------- Bei Rebecca Gablé "Das Spiel der Könige" (2009) ist Richard III. eindeutig böse und die Tudors die Guten. "Ginster und Schwert. Eine Liebe zur Zeit der Rosenkriege" (2005) von Kerstin Tomiak ist eine seichte, aber nette Liebesgeschichte mit Richard III. und Anne Neville als Hauptfiguren. Hier ist Richard ein ausgesprochen netter, anständiger Kerl. Positiv finde ich, dass dieser Roman auch keinen höheren Anspruch hat, als eben zu unterhalten. Empfohlen wurde mir immer wieder "The Sunne in Splendour" (1982) von Sharon Kay Penman, dieses Buch wurde allerdings bis heute nicht ins Deutsche übersetzt. Ich selbst habe es bisher nicht gelesen. Außerdem soll auch Edward Bulwer-Lytton ("Die letzten Tage von Pompeji") und erfolgreicher englischer Autor des 19. Jahrhunderts einen Roman über die Rosenkriege geschrieben haben, in dem Graf von Warwick "the kingsmaker" im Mittelpunkt steht. ------------------ Was Richard III. auf dem Buchmarkt betrifft, kann ich auch ganz gut mit einem bösen Richard leben, solange er im Mittelpunkt einer stimmigen Geschichte steht und als interessanter Charakter dargestellt ist, letzteres ist Shakespeaere zumindest gelungen. Was seine Schurkenrolle betrifft, finde ich Josephine Teys Argumentation überzeugend, aber selbst wenn Richard III. doch der Böse war, finde ich, dass ihr Buch als historischer Roman eines der besten ist, dem ich diese Bezeichung zugestehe. (Auch wenn sie vielleicht nicht ganz zutrifft.) Ob es gegenseitige Beeinflussung von Jean Plaidy und Josephine Tey gibt - vielleicht spielte eine Rolle, dass beide durch den Zweiten Weltkrieg geprägt waren. Immerhin war zu ihrer Zeit noch vieles, was inzwischen für (seriöse) Historiker/innen ein Muss ist, noch keineswegs üblich. Mag sein, dass die beiden Weltkriege (und der dort zu findende Missbrauch für Propaganda) wesentlich dazu beigetragen haben, dass die Fragwürdigkeit von geschichtlicher Überlieferung für sie ein Anliegen wurde. ---------------------------
Nur die Geschichtenschreiber erzählen uns, was die Leute dachten. Wissenschaftliche Forscher halten sich streng an das, was sie taten. Josephine Tey, Alibi für einen König |
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19.09.2016, 15:11
Beitrag: #19
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RE: Richard III und seine Darstellung in der Literatur
Erst einmal vielen Dank für die Infos- da muss ich ja doch nicht mehr alles lesen.
(19.09.2016 14:57)Teresa C. schrieb: Was Richard III. betrifft, ist er bei ihr nicht der Mörder. In "Die Königin der Weißen Rose" gelingt es Elizabeth Woodville einen ihrer Söhne zu retten, indem sie ihn durch ein anderes Kind austauschen lässt, was Gregory für sehr glaubwürdig hält. (Ich hatte eher den Eindruck, dass das vorkommt, weil es für ihr drittes Büchlein um Elisabeth of York notwendig war: "Das Erbe der weißen Rose". Soweit ich weiß, gab es später die Verschwörung, Perkin Warbeck auf den Thron zu bringen, um den es immer auch Gerüchte gab, er sei in Wahrheit Richard gewesen. Das hat sich Gregory also nicht ausgedacht. (19.09.2016 14:57)Teresa C. schrieb: Im Fortsetzungsroman "Der Thron der roten Königin" mit Margaret Beaufort, der Mutter von Henry VII. als Heldin, erfahren wir dann, dass diese Dame die Prinzen umgebracht und ihre Leichen verschwinden hat lassen. Keine unwahrscheinliche Vermutung, wenn man bedenkt, in welche Ränkeschmiede die Dame verwickelt war... Sie taucht nur auf der Verdächtigenliste von Wikipedia nicht auf. Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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19.09.2016, 15:30
Beitrag: #20
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RE: Richard III und seine Darstellung in der Literatur
(19.09.2016 14:57)Teresa C. schrieb: Was Josephine Tey betrifft - für mich ist gar nicht entscheidend, ob sie in Bezug auf Richard III. recht hat oder nicht. Ich finde es vor allem hervorragend dargestellt, dass das Bild Richards wirklich nur auf dem Bericht von Thomas Morus beruht. Ob nun John Morton der wahre Verfasser war oder nicht, ist dabei zweitrangig. Was ich daraus gelesen habe, zeigt, dass der Verfasser über all die üblen Eingeschaften verfügt, die er seinerseits Richard andichtet, insbesondere Grausamkeit und Rachsucht. Hier zitiere ich jetzt einmal mich selbst, wenn ich sage, dass der geschriebene Text immer auch ein Abdruck der Seele des Verfassers ist. (Dagegen paßt der Brief, den Richard über Jane Shore geschrieben hat, überhaupt nicht in dieses Charakterbild.) (19.09.2016 14:57)Teresa C. schrieb: Was seine Schurkenrolle betrifft, finde ich Josephine Teys Argumentation überzeugend, aber selbst wenn Richard III. doch der Böse war, finde ich, dass ihr Buch als historischer Roman eines der besten ist, dem ich diese Bezeichung zugestehe. (Auch wenn sie vielleicht nicht ganz zutrifft.) Kommt es auf die Kategorie an? Ich habe seit Jahren beim Lesen nicht mehr so viel Vergnügen empfunden wie beim Lesen dieses Romans (19.09.2016 14:57)Teresa C. schrieb: Ob es gegenseitige Beeinflussung von Jean Plaidy und Josephine Tey gibt - vielleicht spielte eine Rolle, dass beide durch den Zweiten Weltkrieg geprägt waren. Immerhin war zu ihrer Zeit noch vieles, was inzwischen für (seriöse) Historiker/innen ein Muss ist, noch keineswegs üblich. Mag sein, dass die beiden Weltkriege (und der dort zu findende Missbrauch für Propaganda) wesentlich dazu beigetragen haben, dass die Fragwürdigkeit von geschichtlicher Überlieferung für sie ein Anliegen wurde. Abgesehen von der zeitlichen Nähe zueinander fällt halt auf, dass sie beide John Morton als den Hauptübeltäter sehen. Und da vermute ich, dass sie sich beide auf die Schrift von Horace Walpole berufen, den sie beide als Quelle angeben. Ich könnte mir fast vorstellen, dass Tey nach der Lektüre von Plaidys Buch festgestellt hat, dass diese dann einfach nicht genug Mut hatte, mit Richards hsitorischem Bild endgültig zu brechen. Ich glaube, dass es für Tey schon ein wichtiges Anliegen war, Gerüchte aufzudecken. Einer ihrer anderen Kriminalromane, "Die verfolgte Unschuld" dreht sich um genau das gleiche Thema- zwei bis dahin unbescholtene Frauen sehen sich dem Verdacht ausgesetzt, ein junges Mädchen entführt und versklavt zu haben. Auch weist Grants Schwester Laura auf einen Fall in Schottland hin, der sich in der Nähe von Teys Geburtsstadt Inverness ereignet hat. Ja, ich könnte mir gut vorstellen (aber das ist nur eine Vermutung), dass Tey sich darüber geärgert hat, dass Plaidy nur so halbherzig vorgegangen ist... Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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19.09.2016, 18:17
Beitrag: #21
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RE: Richard III und seine Darstellung in der Literatur
Ich glaube, dass Hauptproblem mit Philippa Gregory ist, dass mich die Umsetzung ihrer Ideen in den letzten Büchern, die ich noch von ihr gelesen habe, nicht überzeugt. Und wenn dann noch jemand den Eindruck vermittelt, dass seine / ihre Idee ohnehin die einzig Richtig ist ...
Ich habe gewöhnlich nichts gegen eine etwas andere Sicht einzuwenden, solange die Umsetzung interessant ist und mir Autor/in nicht vorschreibt, dass das die einzig Richtige Lösung sein kann. Ich fand in der "Königin der Weißen Rose" die Idee mit dem Kinderaustausch nicht überzeugend umgesetzt, da etwas zu einfach, und warum Richard beschließt, das Verschwinden seiner Neffen geheimzuhalten, nachdem er geklärt hat, dass sie nicht von Elizabeth Woodville versteckt gehalten werden, hat mir im Roman selbst auch nicht eingeleuchtet. Auch bei Margaret Beaufort als Mörderin hatte ich den Eindruck, dass es der Autorin mehr darum ging, eine völlig überraschende Lösung für ihren Roman zu bieten, als eine plausible weitere Möglichkeit dort zu zeigen. ------------------- Dass die Prinzen oder einer der beiden überlebt haben, wäre vorstellbar, immerhin gibt es bis heute keine Leichen und Skelett-Teile, die eindeutig als ihre identifiziert werden konnten. Selbst wenn Richard der Mörder gewesen wäre, würde er bei einem fairen Prozess sicher freigesprochen werden, schon aus Mangel an Beweisen, dass die Prinzen tatsächlich ermordet wurden. In diesem Zusammenhang mit "falschen" Prinzen fällt übrigens auf, dass Henry VII. diese gewöhnlich nicht sofort hinrichten ließ. Das deutet für mich zumindest daraufhin, dass er nur dort Brutalität und Grausamkeit demonstrierte, wo er es für notwendig hielt. Allerdings hatte er für die Beseitigung der Prinzen, falls sie noch am Leben waren, ein doch sehr starkes Motiv. Sie hatten eindeutig mehr Anspruch auf den Thron als er, und auch wenn er selbst offensichtlich versucht hat, seinen Thronanspruch nicht direkt aus seiner Abkunft herzuleiten, sondern aufgrund seines Sieges, zeigt die Ehe mit Elizabeth of York, dass ihm klar gewesen sein muss, dass ihre Ansprüche und die ihrer Famiilie eine Gefahr für ihn waren. Indem er geheiratet hat, konnte er nicht nur seine Herrschaft eine zusätzliche Legalisierung geben, sondern auch gleich verhindern, dass ein anderer sie heiratet und so Anspruch auf den Thron erheben kann. Die Tudor-Rose (so bei Shakespeare: Henry heiratet Elizabeth of York und vereinigt somit die beiden "rechtmäßigen" Königshäuser) dürfte erst ein Produkt späterer Generationen ist. ------------------ Dass es Josephine Tey schon ein wichtiges Anliegen war, in ihren Romanen Gerüchte zu hinterfragen und aufzudecken, habe ich nicht gewusst, aber so betrachtet, wäre es gut vorstellbar, dass sie durch Jean Plaidys Roman zu ihrer "Tochter der Zeit" angeregt wurde. ---------------------------
Nur die Geschichtenschreiber erzählen uns, was die Leute dachten. Wissenschaftliche Forscher halten sich streng an das, was sie taten. Josephine Tey, Alibi für einen König |
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20.09.2016, 00:26
Beitrag: #22
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RE: Richard III und seine Darstellung in der Literatur
Richard III. hatte als Regent u.a. die Aufgabe gehabt, das Leben der Prinzen zu schützen. deswegen hätte er nicht zulassen dürfen, dass sie unehelich erklärt werden. Dies ist ihm offensichtlich nicht gelungen. Als loyaler Regent hätte er tatsächliche oder fingierte Beweise über Eduards IV. Bigamie beseitigt. Der Affront gegen Elisabeth und ihre Kinder bedeutete das Ausschalten Anthony Woodvilles, des Earls of Rivers. Der Earl of Rivers hätte als Onkel durchaus auch Ansprüche auf eine Regentschaft stellen können. Meiner Ansicht ist dies eine Fortsetzung des Machtkampfes zwischen der Neville- und der Woodville-Fraktion, die bereits seit etwa 1464 besteht und zu den tragischen Ereignissen von 1469 bis 1471 führten. Man sollte auch beachten, dass die Woodvilles de facto das Erbe von John of Bedford besaßen und so zu den reichsten Familien Englands zählten.
Wenn die Prinzen zwischen dem 9. April 1483 und 22. August 1485 starben, ist er der Hauptverantwortliche, egal ob er einen Mordauftrag gab oder nicht. Henry Tudor oder seine Mutter Margaret Beaufort kämen als Täter erst nach dem 22. August 1485 in Frage. Denn Henrys Legitimation als König bestand nur in seinem Sieg gegen Richard III. Ich denke aber, dass die beiden Prinzen bereits vor dem 9. April 1484 - dem Todestag von Richards Sohn Eduard of Middlesham - gestorben sind. Hätten sie zu diesem Zeitpunkt noch gelebt, wäre nicht Clarences Sohn zum Erbe bestimmt wurden. "Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero |
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20.09.2016, 03:47
Beitrag: #23
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RE: Richard III und seine Darstellung in der Literatur
(20.09.2016 00:26)Sansavoir schrieb: Richard III. hatte als Regent u.a. die Aufgabe gehabt, das Leben der Prinzen zu schützen. deswegen hätte er nicht zulassen dürfen, dass sie unehelich erklärt werden. Dies ist ihm offensichtlich nicht gelungen. Als loyaler Regent hätte er tatsächliche oder fingierte Beweise über Eduards IV. Bigamie beseitigt. Da letztlich gar nicht klar ist, was mit seinen Neffen tatsächlich geschehen ist, bleibt auch die Frage offen, ob Richard III. wirklich als Regent versagt hat, weil er seine Neffen nicht schützen konnte. Hätte er vorhandene Beweise einfach verschwinden lassen, wäre das auf jedem Fall Betrug gewesen, und das galt damals sehr wohl als Verbrechen und außerdem als Sünde. Dass er als loyaler Regent solche Beweise hätte beseitigen lassen müssen, dieser Ansicht bin ich nicht, es sei denn, wir gehen davon aus, dass der Zweck in der Politik bei einem Herrscher jedes Mittel rechtfertigte, und das lasse ich auch bei einem Herrscher aus dem Mittelalter nicht gelten. Wenn die Beweise über die Bigamie seines Bruders fingiert waren, hätte er höchstens dafür sorgen müssen, dass dies geklärt wird. Waren sie nicht fingiert, war es wahrscheinlich sogar die sinnvollste Lösung, selbst die Herrschaft zu übernehmen, um sie in der Familie zu halten. (Auch wenn das die Erfüllung seines Traumes gewesen ist, kann nicht übersehen werden, dass diese Rosenkriege den Yorks bereits eine ganze Menge gekostet hatten, so z. B. seinen Vater und einem seiner Brüder und anderen Verwandten das Leben.) Möglicherweise hat er, indem er zuließ, dass seine Neffen für unehelich erklärt wurde, diese sogar erst einmal geschützt. (Da es keineswegs gesicherter Fakt ist, dass er ihre Schwester selbst heiraten wollte, soweit ich das beurteilen kann, wird das lediglich von unseren Verfasser/innen historischer Trivialromane zurzeit behauptet, hat das Argument, dass die Prinzen als uneheliche Kinder keine Gefahr für seine Herrschaft bedeuteten, sehr wohl Gewicht.) Letztlich wird sich diese Frage nicht mehr lösen lassen, da es für beide Sichten gute Argumente gibt: - "Böser" Richard III.: Will Thron, Neffen für unehelich erklären lassen, Weg zum Thron für ihn frei, da so der Erbe. - "Guter" Richard III.: Will Herrschaft der Familie halten und stützen, Erben (Neffen) wegen der Bigamie seines Bruders unehelich, lässt sich ohne Rechtsbruch / Betrug nicht mehr hinbiegen oder vertuschen, Richard III. muss in die Bresche springen. Eines muss man Tey jedenfalls lassen: Da Henry VII. eigentlich auch kein legaler Lancaster war, wären auch uneheliche Söhne Edwards IV. für ihn, im Unterschied für Richard III. für ihn tatsächlich eine Gefahr gewesen. Wie das Beispiel eines William I. oder eines Henry VII. oder später einer Mary I. oder Elizabeth I. zeigte, musste eine "uneheliche" bzw. nicht eindeutig legale Herkunft zumindest in England (unter gewisssen Voraussetzungen) keineswegs ein Hindernis für den Thron sein. Abgesehen davon, stellt sich übrigens die Frage, wenn Edward tatsächlich eine frühere Ehe geschlossen hatte, da die Frau bereits längst verstorben war, warum er sich nicht einfach nach dem Tod mit Elizabeth Woodville ein zweites Mal trauen und in diesem Zusammenhang seine zuvor geborenen Kinder legalisieren hat lassen. Weil sie einfach nur erfunden war, weil er gar nicht mehr wusste, dass er da einmal bereits eine Ehe eingegangen war, weil er es nicht für notwendig hielt ..., nun, soweit ich das beurteilen kann, lässt sich das heute auch nicht mehr klären. Wie auch immer, wenn Richard III. eine mehr oder weniger gültige erste Ehe seines Bruders nutzte, um die Neffen um die Krone zu bringen, weil er diese selbst tragen wollte, sie für unehelich erklären zu lassen, so fällt jedenfalls auf, dass er dazu auf einen fingierten Unfall oder tatsächlichen Mord zunächst verzichtet hat. Sollte er es nachträglich doch für sicherer gehalten haben, sie töten zu lassen, stellt sich schon die Frage, warum er sie einfach verschwinden und ihren Tod geheimhalten ließ. (Wäre ein angeblicher Unfall oder wenigstens eine offizielle Todesmeldung klüger gewesen?) (20.09.2016 00:26)Sansavoir schrieb: Der Affront gegen Elisabeth und ihre Kinder bedeutete das Ausschalten Anthony Woodvilles, des Earls of Rivers. Der Earl of Rivers hätte als Onkel durchaus auch Ansprüche auf eine Regentschaft stellen können. Meiner Ansicht ist dies eine Fortsetzung des Machtkampfes zwischen der Neville- und der Woodville-Fraktion, die bereits seit etwa 1464 besteht und zu den tragischen Ereignissen von 1469 bis 1471 führten. Man sollte auch beachten, dass die Woodvilles de facto das Erbe von John of Bedford besaßen und so zu den reichsten Familien Englands zählten. Wobei auch hier die Überlieferung nicht eindeutig ist - hatte Anthony Woodville tatsächlich solche Pläne und Richard III. ist ihm da zuvorgekommen oder hat Richard III. diese Möglichkeit "vorsorglich" gleich verhindert. (Mir sind beide Sichten untergekommen, wieder ist ausschlaggebend, ob Historiker/in pro oder contra Richard ist, vermutlich sind auch hier die Faktenlage nicht sicher oder die angeblichen "Belege" sind erst "aus späterer Zeit".) Irgendwie hatte Edward IV. schon Pech, dass er es nicht geschafft hat, noch ein oder zwei Jahre länger am Leben zu bleiben. Dann hätte sich nämlich das Problem mit der Regentschaft erübrigt. (Edward IV. ist da übrigens kein Einzelfall.) Und ein bereits volljähriger Edward V. hätte, illegal oder nicht, eindeutig bessere Chancen gehabt, seine Nachfolge anzutreten. (20.09.2016 00:26)Sansavoir schrieb: Wenn die Prinzen zwischen dem 9. April 1483 und 22. August 1485 starben, ist er der Hauptverantwortliche, egal ob er einen Mordauftrag gab oder nicht. Henry Tudor oder seine Mutter Margaret Beaufort kämen als Täter erst nach dem 22. August 1485 in Frage. Denn Henrys Legitimation als König bestand nur in seinem Sieg gegen Richard III. Margaret Beaufort hielt sich bereits vor dem 22. August 1485 in England auf, sie käme also als Täterin zumindest theoretisch in Frage. Mit dem Sieg gegen Richard III. verschaffte sich Henry VII. seine Legitimation als König, aber die Königswürde hatte er bereits vorher angestrebt. Warum soll er also nicht schon früher damit begonnen haben, mögliche Rivalen (durch Handlanger) auszuschalten? (20.09.2016 00:26)Sansavoir schrieb: Ich denke aber, dass die beiden Prinzen bereits vor dem 9. April 1484 - dem Todestag von Richards Sohn Eduard of Middlesham - gestorben sind. Hätten sie zu diesem Zeitpunkt noch gelebt, wäre nicht Clarences Sohn zum Erbe bestimmt wurden. Wenn sie tatsächlich unehelich waren, warum hätte Richard III. sie sozusagen nach dem Tod seines eigenen Sohnes wieder für legal erklären lassen sollen? (Hätte er da nicht sofort, als er selbst König wurde, eine diesbezügliche Regelung treffen können, wie z. B. er löst das Legalitätsproblem seiner Neffen, indem er sie adoptiert und als so als seine Erben einsetzt, wenn er keinen eigenen Sohn haben sollte.) Dass er übrigens seinen anderen Neffen zum Erben bestimmt hat, ist nicht uninteressant, da dieser in der Thronfolge eigentlich vor ihm gewesen wäre. Nachdem Edwards Söhne für unehelich erklärt worden waren, hätte Richard III. da nicht für ihn als Nachfolger eintreten können und als sein Regent die Herrschaft zu übernehmen. War bei Richards Machtübernahme ausschlaggebend, dass er eben bereits ein erwachsener Mann war, der zudem gezeigt hatte, dass er zum Herrscher taugen würde? Was der aktuellen politischen Lage vielleicht als die bessere Lösung gesehen wurde, als die nominelle Herrschaft von unmündigen Kindern? ---------------------------
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20.09.2016, 10:22
Beitrag: #24
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RE: Richard III und seine Darstellung in der Literatur
(20.09.2016 00:26)Sansavoir schrieb: Richard III. hatte als Regent u.a. die Aufgabe gehabt, das Leben der Prinzen zu schützen. deswegen hätte er nicht zulassen dürfen, dass sie unehelich erklärt werden. Dies ist ihm offensichtlich nicht gelungen. Als loyaler Regent hätte er tatsächliche oder fingierte Beweise über Eduards IV. Bigamie beseitigt. Die Möglichkeit hatte er nach der Dokumentation von Josephine Tey gar nicht. Die vorliegenden Fakten- Dass Bischof Stillington am 8. Juni vor dem Thronrat und am 9. Juni vor dem Palrament sprach und dass Richard erst am 10.und 11. Juni von seinen Verbündeten Truppen zur Unterstützung anforderte, ist schon ein Hinweis darauf, dass Richard keine Ahnung davon hatte, was Stillington mitzuteilen hatte. Dass das Parlament daraufhin Richard zum Thronfolger bestimmte, hatte mit Sicherheit auch den Grund, dass Edward zu dem Zeitpunkt minderjährig war und Richard ohnehin als sein Vormund eingesetzt war. England war seit Jahren vom Bürgerkrieg zerrissen, es brauchte nicht noch einen umstrittenen König wie es Edward V gewesen wäre. Ich stimme hier auch Theresa C. zu, dass Richard u.U. sogar davon ausging, dass die Prinzen als illegitime geschützt gewesen wären. Sie wären in der unruhigen Zeit der Rosenkriege als erklärte Nichthtonfolger tatsächlich sicherer gewesen. (20.09.2016 00:26)Sansavoir schrieb: Der Affront gegen Elisabeth und ihre Kinder bedeutete das Ausschalten Anthony Woodvilles, des Earls of Rivers. Der Earl of Rivers hätte als Onkel durchaus auch Ansprüche auf eine Regentschaft stellen können. Allerdings hatte Edward IV nun mal eindeutig seinen Bruder zum Regenten bestimmt, nicht den Bruder seiner Frau. Und Richard ließ Rivers ja auch erst hinrichten, nachdem die Woodville- Hastings- Verschwörung aufgeflogen war. (20.09.2016 00:26)Sansavoir schrieb: Meiner Ansicht ist dies eine Fortsetzung des Machtkampfes zwischen der Neville- und der Woodville-Fraktion, die bereits seit etwa 1464 besteht und zu den tragischen Ereignissen von 1469 bis 1471 führten. Man sollte auch beachten, dass die Woodvilles de facto das Erbe von John of Bedford besaßen und so zu den reichsten Familien Englands zählten. Diese Deutung ist mit Sicherheit richtig, sagt aber nichts über den Charakter von Richard III aus... Darüberhinaus zeigt Richards Verhalten nach seiner Krönung, dass er nicht von besonderer Rachsucht gegen die Woodvilles geprägt war. Er traute ihnen nur nicht... Für mich völlig verständlich... (20.09.2016 00:26)Sansavoir schrieb: Wenn die Prinzen zwischen dem 9. April 1483 und 22. August 1485 starben, ist er der Hauptverantwortliche, egal ob er einen Mordauftrag gab oder nicht. Das ist eine Frage des Standpunktes. Richard selbst wurde mehrfach Opfer eines Verrats- und wenn die Prinzen starben, weil er ein weiteres Mal verraten wurde, dann tue ich mich schwer, ihn auch noch dafür verantwortlich zu machen. ich habe es eh nicht so mit dem ewigen "Wer ist schuld"? Für mich gibt es nur Ursachen und Wirkungen. Und mit Sicherheit war das Verschwinden eine Wirkung, deren Ursache nicht Richard alleine zu verantworten hatte... (20.09.2016 00:26)Sansavoir schrieb: Henry Tudor oder seine Mutter Margaret Beaufort kämen als Täter erst nach dem 22. August 1485 in Frage. Denn Henrys Legitimation als König bestand nur in seinem Sieg gegen Richard III. Damit hättest du wohl recht, wenn du nicht eine Person vergessen hättest- und das ist nun mal John Morton, der zwielichte Bischof von Ely, der zweimal eine Verschwörung gegen Richard anzettelte und das Bild Richards über sein Protege Thomas Morus (sei es nun direkt oder indirekt) über Jahrhunderte prägte. Morton könnte bereits früher als 1485 der Drahtzieher der Morde gewesen sein und es gibt auch einige Anzeichen aus Heinrichs VII Regierungszeit, dass John Morton wenn nicht gar die führende Hand hinter dem Thron, dann zumindest Heinrichs VII rechte Hand war. Wenn Richard III nicht der Täter war und die Prinzen nach dem Sommer 1483 noch lebten, dann deutet alles darauf hin, dass Morton den Tod der Prinzen bereits 1483 im Auge hatte.... (20.09.2016 00:26)Sansavoir schrieb: Ich denke aber, dass die beiden Prinzen bereits vor dem 9. April 1484 - dem Todestag von Richards Sohn Eduard of Middlesham - gestorben sind. Hätten sie zu diesem Zeitpunkt noch gelebt, wäre nicht Clarences Sohn zum Erbe bestimmt wurden. Nein, wieso? Edward und Richard galten als illegitim. Clarences Sohn war legitim. Richard selbst hatte einen illegitimen Sohn, den er anerkannt hatte und der in seinem Haushalt lebte. Wenn er ihn also nicht zu seinem Thronfolger erklärte, warum die illegitimen Söhne seines Bruders? Anscheinend bedeutete es Richard sehr viel, auf welcher Seite des Bettlakens jemand geboren war.... Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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20.09.2016, 17:11
Beitrag: #25
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RE: Richard III und seine Darstellung in der Literatur
So, jetzt begebe ich mich mal auf ganz, ganz dünnes Eis und führe etwas an, was einem echten, faktenbasierten Historiker einen Schauder über den Rücken jagt... Es muss auch keiner ernst nehmen, aber ergänzend gehört es dazu.
Ich habe mehrfach geschrieben, dass ich mich die letzten beiden Jahre weniger mit Geschichte als mit Psychologie und dem Thema genealogische Übertragung beschäftigt habe. Alles, was ich in dem Zusammenhang erforscht habe, weist auf John Morton und Heinrich VII hin. Sofern John Morton für die Aussagen von Thomas Morus verantwortlich war (dies wird laut Wikipedia auch von Ivan Lesny, ehemaliger Professor an der Universität Karlowic 1921-2002- soviel habe ich zumindest dem tcheschischen Wikipedia- Eintrag entnommen- behauptet), hat Morton seine negativen Eigenschaften in das Bild von Richard III projiziert, um sich vor sich selbst rechtfertigen zu können. Morton wird von Zeitgenossen nicht gerade als netter Mann beschrieben, obwohl er sich als Vertreter des Humanismus in Schriften einen Namen gemacht hat. Aber gerade diese Diskrepanz spricht dafür, dass er seine negativen Eigenschaften projizierte. Im vergangenen Jahr habe ich dreimal an Familienaufstellungen teilgenommen und sehr, sehr verblüffende Erfahrungen gemacht, die sich rational nicht erklären lassen. Dem ganzen liegt der Gedanke zu Grunde, dass wenn ein (familiäres) System eine massive Störung erlebt, sich diese über mehrere Generationen auswirkt. Schaut man sich die Familie von Heinrich VII an, insbesondere Heinrich VIII und seine Besessenheit von einem Thronfolger, sowie, dass dessen drei Kinder kinderlos starben, so findet sich hier eine familiäre Störung, die auf ein Verbrechen seitens Heirnichs VII hinweist. Ein Verbrechen, das einen Bezug zur Thronfolge und Nachkommen aufweist. Immerhin hätte dann der Vater Heinrichs VIII seine beiden Onkel ermordet. Heinrich VIII hat ja auch das Vergehen seines Großvaters Edward IV wiederholt, als er Anne Boleyn heiratete. Wie gesagt, wissenschaftlich ist das natürlich nicht. Nur eine Gedankenspielerei... Aber eine, dir mir zugegebenermaßen Spaß macht... Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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21.09.2016, 06:52
Beitrag: #26
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RE: Richard III und seine Darstellung in der Literatur
(20.09.2016 10:22)Bunbury schrieb: ... Vielleicht hatte das einfach auch mit der aktuellen Lage zu tun, und es hatte für Richard einfach Priorität, einen Nachfolger zu haben, der aufgrund seiner Herkunft eindeutig berechtigt war. Wir dürfen auch nicht übersehen, dass ein Henry VII. zwar kein illegaler Sohn war, aber seine Herkunft als Lancaster bzw. als Erbe der Lancaster (mit der spätere Generationen in der Legende der "Tudor-Rose" seinen Thronanspruch erklärt, womit übrigens die "Rosenkriege" auch ein versöhnliches Ende bekamen: Erbe der Lancaster heiratet die Erbin der York, so z. B. bei Shakespeare) stand eindeutig auf wackligen Füßen, wie es so schön heißt. Über seine Mutter Margaret Beaufort war Henry VII. ein Nachfahre von König Edward III. bzw. John of Gaunt (Gent) (dem Vater von Henry IV., Großvater von Henry V. und Urgroßvater von Henry VI.), allerdings aus dessen Ehe mit Katherine Swynford, bei der nicht so ganz klar ist, ob es sich tatsächlich um eine gültige Ehe handelt. Eine weitere Legitimierung wird gewöhnlich von Vaterseite dadurch gesehen, dass sein Vater Edmund Tudor ein Halbbruder von Henry VI. war. Allerdings war dieser Vater kein Sohn von Henry V., sondern stammte aus der Verbindung von dessen Witwe Katharina von Frankreich (Valois) mit dem (keineswegs standesgemäßen) Waliser Adeligen Owen Tudor. Hätte Richard III. einen Erben benannt, der auf der "falschen" Seite des Kissens geboren worden war, hätten die Anhänger von Henry VII. das auch für sich ausnützen können, und zwar bereits vor der Schlacht bei Bosworth. ------------------------------- (20.09.2016 17:11)Bunbury schrieb: So, jetzt begebe ich mich mal auf ganz, ganz dünnes Eis und führe etwas an, was einem echten, faktenbasierten Historiker einen Schauder über den Rücken jagt... Es muss auch keiner ernst nehmen, aber ergänzend gehört es dazu. Mal abgesehen davon, dass vieles, was als Fakt "verkauft" wird, in Wirklichkeit gar nicht (oder auf einer "fragwürdigen" Grundlage) belegt ist, finden sich bei Josephine Tey ohnehin einige der intelligentesten Sätze zum Thema Geschichte, die mir je untergekommen sind, siehe z. B. meine Signatur. Inwieweit allerdings hat Henry VIII. das Vergehen seines Großvaters Edward IV. wiederholt? Wir sollten nicht übersehen, dass wir anders als bei Henry VIII. keineswegs gesicherte Informationen haben, wie Edwards Beziehung zu Elizabeth Woodville zunächst wirklich gelaufen ist. Er wollte sie offensichtlich, und wie später Anne Boleyn scheint sie auf einer Ehe bestanden zu haben. Berücksichtigt man allerdings, dass Elizabeth Woodville über ihre Mutter Jacquetta eine "internationale" Herkunft aus dem höherem Adel aufwies und die Familien ihres Vaters und ihres ersten Ehemannes aus dem Lancaster-Lager waren, mag Edward mit dieser Eheschließung vielleicht auch politische Ziele verfolgt haben. Die Heirat mit einer Adeligen aus dem feindlichen Lager lässt sich durchaus auch als ein erstes Zeichen einer Versöhnung interpretieren, ein Versuch, die Anhängerschaft der Lancaster auf die eigene Seite zu ziehen. Elizabeth war im Vergleich zu der vom Grafen von Warwick für Edward IV. geplanten Ehe mit der verwitweten Schwägerin des französischen Königs sicher die schlechtere Partie (nicht zuletzt, da der Sohn von Henry VI. damals noch am Leben war und das Haus Lancaster "international" vernetzt war), aber die Ehe mit ihr, einer adeligen Dame aus dem Lager der Lancaster (mit hochadeligen Vorfahren), hatte zumindest aus "innenpolitischer" Sicht auch politisches Potential. Was Henry VIII. und Anne Boleyn betrifft, abgesehen davon, dass er sie offensichtlich wollte und überzeugt war, dass sie ihm den Thronfolger gebären würde, hatte Anne in politischer Hinsicht für Henry VIII. nichts zu bieten. Sollte Edward IV. sich übrigens zum Zeitpunkt seiner Hochzeit darüber klar gewesen sein, dass es da noch eine frühere Verbindung gab, die möglicherweise als gültige Ehe gesehen werden konnte, mag er vielleicht bereits von Anfang an die Möglichkeit einer späteren Auflösung der Ehe mit Elizabeth erwogen haben, falls diese nicht seine Erwartungen erfüllen würde. (Jedenfalls hätte er sich in diesem Fall ein Schlupfloch gelassen.) Allerdings bleibt in diesem Fall etwas seltsam, warum Edward nach dem Tod des "ersten Ehefrau" nicht diese Ehe und somit seine Söhne legalisiert hat. ---------------------------
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21.09.2016, 12:15
Beitrag: #27
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RE: Richard III und seine Darstellung in der Literatur
Das mit den gültigen Ehen scheint sich irgendwie durch die Geschichte zu ziehen....
Die wichtigste Übereinstimmung sprichst du hier an: (21.09.2016 06:52)Teresa C. schrieb: Er wollte sie offensichtlich, und wie später Anne Boleyn scheint sie auf einer Ehe bestanden zu haben. Genau das meine ich. Ob da seitens Edwards politisches Kalkül mit eine Rolle gespielt hat... die Woodvilles haben ihren Aufstieg ja eigentlich erst der Tatsache zu verdanken, dass EdwardIV Elizabeth geheiratet hat- nur so war sie im Stande, die ganzen Hochzeiten einzufädeln, die den Woodvilles Macht eingebracht haben. Vorher waren die Woodvilles reich, aber von unbedeutendem Adel. Die Tatsache, dass Elizabeth irgendwie in gewisser Weise auch Lancaster war, war für Edward sicher nicht ausschlaggebend- es war eher etwas, was er im Nachhinein als Bonbon in der Hand hatte oder mit dem er sein schlechtes Gewissen beruhigen konnte. Was die Interpretation mit der Versöhnung mit dem lancaster Lager anbetrifft- nun Edward scheint keine weiteren Schritte zur Aussöhnung übernommen zu haben. Und ehrlich gesagt- so stark haben sich die Woodwilles für eine Aussöhnung auch nicht gemacht. Ich denke eher, dass die meisten York oder Lancaster Anhänger einer der beiden Parteien auch nicht aus Überzeugung anhingen, sondern weil man da jetzt erst mal zufälligerweies hineingeboren wurde und wenn man auf der anderen Seite halt die bessere Zukunft auf der anderen Seite sah, dann war es kein Problem, jetzt gerade einen von der anderen Seite zu unterstützen. Wie du halte ich die Versöhnung der Häuser York und Lancaster eher für eine dichterische Vorstellung. Als Heinrich VII Elizabeth von York heiratete, war sein Ziel nicht, die Rosenkriege zu beenden, sondern seine Dynastie auf sichere Beine zu stellen. Das läuft zwar im Endeffekt aufs gleiche raus, aber die Aussöhnung Lancaster und York war dabei nur der Nebeneffekt. Nein, die Ähnlichkeit besteht schon. Sowohl Edward IV als Heinrich VIII wollten eine Frau, die eigentlich dem niederen Adel entstammte. Die Frauen wollten die Ehe, und beide Könige heirateten, um diese Frauen zu bekommen- völlig ungeachtet der Konsequenzen. Klar hat Heirnich VIII, das Beispiel seines Großvaters vor Augen, versucht, die Folgen seines Handelns zu kontrollieren, aber das, was am einfachsten war, hat er nicht getan- Anne eben nicht zu heiraten. Die Umstände mögen anders gewesen sein, aber das grundsätzliche Handlungsmuster bleibt das gleiche. Was Edward jetzt anbetrifft, so denke ich, dass am wahrscheinlichsten war, dass er es einfach für nicht so wichtig hielt, Elizabeth ein zweites Mal zu heiraten. Es war ja wohl keine richtige Eheschließung mit Eleanor Butler, sondern "nur" ein Versprechen, es tun zu wollen. Möglicherweise hat Edward es gar nicht so ernst genommen. Plaidy beschreibt Edward als einen Charakter, der unangenehmen Dingen lieber aus dem Weg ging. Ich kenne selbst solche Charaktere genug. Hätte Edward Elizabeth ein zweites Mal geheiratet ( wann ist Eleanor übrigens gestorben? Wenn Edward schon geboren gewesen wäre, wäre er mit einer erneuten Heirat seiner Eltern nicht automatisch legitimiert gewesen....), hätte er sich eingestehen müssen, dass er beim ersten Mal nicht richtig gehandelt hat. Es gibt Menschen, die können sich dem nicht stellen. Die verdrängen so etwas lieber...Möglich, dass Edward so ein Charakter war. Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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22.09.2016, 03:05
Beitrag: #28
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RE: Richard III und seine Darstellung in der Literatur
(21.09.2016 06:52)Teresa C. schrieb: Wir dürfen auch nicht übersehen, dass ein Henry VII. zwar kein illegaler Sohn war, aber seine Herkunft als Lancaster bzw. als Erbe der Lancaster (mit der spätere Generationen in der Legende der "Tudor-Rose" seinen Thronanspruch erklärt, womit übrigens die "Rosenkriege" auch ein versöhnliches Ende bekamen: Erbe der Lancaster heiratet die Erbin der York, so z. B. bei Shakespeare) stand eindeutig auf wackligen Füßen, wie es so schön heißt. Wenn man die Beziehungen der englischen Könige und des englischen Hochadels im 14. und 15. Jahrhundert betrachtet, stellt man fest, dass einerseits die alten feudalen Strukturen formal noch bestanden, andererseits neue Partnerschaften, Abhängigkeiten usw. entstanden sind. Deshalb kann man die einzelnen Personen nicht nur als Einzelpersonen, sondern auch als Vertreter von Interessengruppen oder Personenverbänden sehen. Deswegen möchte ich zuerst einige Zeilen zu John of Gaunt, Duke of Lancaster schreiben. Seinen politischen Aufstieg verdankte er nicht nur der Tatsache, dass er der drittälteste Sohn Edwards III., sondern seiner ersten Ehe mit Blanche von Lancaster, der Tochter von Henry of Grosmont, Duke of Lancaster. Dieser wiederum war ein Enkel von Edwards I. jüngeren Bruder Edmund Crouchback, 1. Earl of Lancaster. Edmund Crouchback erhielt nach der Niederlage von Simon de Montfort im Jahr 1265 (Schlacht bei Evesham) dessen Vermögen und auch das Vermögen des Earls of Derby und anderer Rebellen. So besaß er nicht nur Ländereien und Burgen in England, sondern auch in Wales, wie die Burgen in Grosmont oder Monmouth. Diese Besitzungen in Wales könnten ein Grund sein, dass später Henry IV. Krieg gegen Wales führte, aber auch die Parteinahme der Tudor für die Lancaster könnte damit im Zusammenhang liegen. Edmund führte jedoch nicht die Titel der ehemaligen Aufständischen, sondern er nannte sich Earl of Lancaster. Dieses Earldom war der Vorläufer des späteren Herzogtums. Solange der Earl oder Herzog von Lancaster loyal waren, bestand keine Gefahr für den König. Allerdings konnte ein Lancaster dem König gefährlich werden, wenn er sich Aufständischen anschloss oder sich gar an die Spitze des Aufstandes stellte. Bereits die Söhne des 1. Earls Thomas, der 2. Earl und Henry, der 3. Earl of Lancaster rebellierten gegen König Edward II. Thomas musste zwar seine Rebellion mit dem Leben bezahlen, aber anders als die Rebellen um Montfort wurde er nicht enteignet, so dass sein Bruder Henry seine Politik fortsetzen konnte und sich später mit der Königin Isabella und deren Liebhaber Roger Mortimer verband. Der Sturz Edwards II. und dessen darauffolgende Ermordung ist m.E. das Vorbild für den Sturz von Richard II. und Heinrich VI. und wenn man will, kann man die Ereignisse um 1483/85 auch dazu rechnen. Inwieweit sich dann noch Verbindungen zu den Hinrichtungen Maria Stuarts oder Charles I. ziehen lassen, ist sicher interessant zu diskutieren, würde aber vom Thema zu weit abgleiten. Fakt ist, dass 1400 ein Chef eines Personenverbands einen legitimen König entmachten konnte. Da Henry IV. in den späten 1390er Jahren verbannt war und letztlich 1399/1400 keinen direkten Zugriff auf das Erbe seines Vaters hatte, kann sein Erfolg nur mit der Loyalität und den Erwartungshaltungen der in diesem Personenverband wirkenden Menschen zu erklären sein. John of Gaunt heiratete nach dem Tod der Blanche von Lancaster († 1368) Konstanze von Kastilien († 1394). Gleichzeitig führte er eine langjährige Beziehung mit Catherine Swynford, die er 1397 auch heiratete. Erst zu diesem Zeitpunkt legitimierte er die bereits erwachsenen Kinder aus dieser Beziehung. Diese legitimierten Kinder bekamen den Namen Beaufort verliehen. Die jüngste Tochter Joan heiratete Ralph Neville, Earl of Westmoreland. Beide sind die Vorfahren aller Nevilles im 15. Jahrhundert (Earl of Warwick, Cecily, Anne usw.). Die Lancasters (Plantagenets) stammten aus der 1. Ehe, während aus der 2. Ehe nur Katharina von Lancaster das Erwachsenenalter erreichte. Sie war die direkte Vorfahrin der 1. Ehefrau Heinrichs VIII. Katharina von Aragon. Die Person Henry VI. bzw. dessen Untauglichkeit zum Herrschen stellte für die Lancaster-Beaufort-Fraktion ein großes, letztlich nicht zu lösendes Problem dar. Ihr Herrschaftsanspruch begründete sich u.a. auch darauf, dass sie die besseren Könige waren oder dessen Regenten (in Frankreich) wie evtl. John of Bedford es waren. Aber schon die Regentschaft (in England) von Bedfords Bruder Humphrey of Gloucester und die militärischen Niederlagen gegen die Franzosen, stellte die Herrschaft der Lancaster in Frage. Da ist es kein Wunder, dass sich Richard von York sich als Alternativkandidat profilieren konnte. Auch hinter ihm standen ein Personenverband und natürlich das entsprechende Vermögen. Edmund of Langley, der 1. Duke of York war mit Isabella von Kastilien, Konstanzes Schwester, verheiratet. Diese Ehe diente der Stärkung des Bündnisses zwischen England und Kastilien sowohl im Krieg gegen Frankreich als auch im kastilischen Thronfolgekrieg zwischen Legitimisten und den Anhängern des (illegitimen) Hauses Trastamara. Edmunds Söhne starben jung im Jahr 1415, der kinderlose Ältere, der 2. Duke of York fiel bei Azincourt, der Jüngere Richard, Earl of Cambridge, wurde als Verräter hingerichtet. Richard of Cambridges Sohn – der vierjährige Richard – wurde Erbe des Titels 3. Duke of York – zu diesem Zeitpunkt völlig bedeutungslos. Entscheidend für Richard of York war, dass er 1425 seinen Onkel Edmund Mortimer, 5. Earl of March beerben konnte. Er und seine Schwester Anne (Richards Mutter) waren die Kinder von Roger Mortimer, 4. Earl of March und der Eleonore Holland, einer Enkelin der Joan of Kent. Roger Mortimers Eltern waren Edmund Mortimer, 3. Earl of March und Philippine Plantagenet, die wiederum eine Tochter von Edwards III. zweiten Lionel of Antwerpen und dessen Ehefrau Elizabeth of Burgh war. Ähnlich wie John of Gaunt verfügte Richard of York aufgrund seines Erbes, vor allem dem Mortimer-Erbe, eine königsgleiche Stellung. Seinen Anspruch auf die Krone konnte er auf seine Abstammung von Lionel of Antwerpen, John of Gaunts älteren Bruder, begründen. Die Ehe zwischen Richard of York und Cecily Neville führte zu einem Bündnis, das schließlich den Aufstand oder den Kampf gegen die Krone aufnehmen konnte. "Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero |
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22.09.2016, 10:03
Beitrag: #29
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RE: Richard III und seine Darstellung in der Literatur
Vielen Dank für die Infos. Bei dem ganzen Kuddelmuddel ist es eigentlich kein Wunder, dass Heinrich VII sich durch Throneroberung zum König erklärte und seine Dynastie damit sichern wollte, dass er Edwards IV Tochter heiratete.
Und es ist genauso wenig ein Wunder, dass Richard nach dem Zweifel an der Legitimität seiner Neffen lieber selbst die Thronfolge antrat und den legitimen Sohn seines Bruders und nicht seinen illegitimen Sohn zum Thronfolger erklärte. Anmerkung am Rande: Maria Stewart kam mir auch in den Sinn- allerdings erst einmal deswegen, weil sie den Mörder ihres Gatten heiratete. Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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22.09.2016, 13:35
Beitrag: #30
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RE: Richard III und seine Darstellung in der Literatur
(22.09.2016 10:03)Bunbury schrieb: Anmerkung am Rande: Falls er tatsächlich der Mörder ihres Gatten war, aber das wäre wohl ein Thema für einen eigenen Thread. -------------------- ---------------------------
Nur die Geschichtenschreiber erzählen uns, was die Leute dachten. Wissenschaftliche Forscher halten sich streng an das, was sie taten. Josephine Tey, Alibi für einen König |
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