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Die Deutsche Frage im Verlauf des Zweiten Weltkriegs
18.07.2012, 16:51
Beitrag: #1
Die Deutsche Frage im Verlauf des Zweiten Weltkriegs
Das Deutschland wie wir es heute kennen - in den Grenzen von 1990 - resultiert aus einer Reihe von Entscheidungen und Entwicklungen, die auf Jalta 1945 ihren Ausgang hatten und im Deutschlandvertrag ihr Ende fanden.

Es hätte aber auch alles ganz anders kommen können, denn die Deutsche Frage beschäftigte die Kriegsgegner seit Bildung der Anti-Hitler-Koalition im Juni 1940 und sorgte für teils widersprüchliche Konzepte, nicht nur zwischen den Nationen, sondern auch innerhalb der jeweiligen Regierungen.

Besonders deutlich zeigt dies das Beispiel Großbritannien. Das Land stand mit Hitler am längsten im Krieg und hier wurde auch länger und systematischer über die Zukunft Deutschlands und Europas nachgedacht.
Auch wenn das Vereinigte Königreich nicht zu den Hauptsiegern des Zweiten Weltkriegs gehören sollte - das waren dann die USA und die SU - so wird rückblickend deutlich, dass sich London überraschend klar mit seinen Positionen durchgesetzt hat. Das ist zumal verblüffend, weil die Regierung gespalten in die Konferenz von Jalta ging.

Einig war man sich in dem Punkt, dass man das deutsche Imperium nachhaltig zerschlagen müsse, weil man keine, den Kontinent beherrschende Konkurrenzmacht dulden könne. Dafür war man auch bereit sich länger in Europa zu engagieren, auch wenn man dafür den Zusammenhalt und Bestand des eigenen Weltreichs aufs Spiel setzten müsse. Desweiteren stand außer Streit, dass man gründlicher als 1918/1919 darauf achten müsse, künftige Gefahren von Deutschland aus zu verhindern. Es ging also um die Frage, welche Lehren man aus dem Zerfall des Versailler Systems zu ziehen habe. Hier gingen die Meinungen bereits auseinander.

Die strategische Allianz mit Stalin barg bereits im Juni 1941 die Grundsatzentscheidung in sich, einen stärkeren russischen Einfluss im Nachkriegs-Europa in Kauf zu nehmen, "following the principle, Hitler is the foe we have to beat", wie es Churchill gegenüber Roosevelt ausdrückte. In dem gleichen Gespräch - eine Woche vor dem deutschen Überfall auf die SU - sicherte Roosevelt Churchill öffentliche Unterstützung für ein etwaiges militärisches Zusammengehen mit den Russen zu. Die Anti-Hitler-Koalition stand praktisch schon, ohne das Stalin etwas davon wußte. Der künftige Machtzuwachs der SU war also gewollt, andererseits warnte Churchill später, "Russian barbarism" dürfe sich nicht über die Kultur und Unabhängigkeit der europäischen Staatenwelt legen (zit. nach Kettenacker, Krieg zur Friedenssicherung).
Bis auf einige Einzelstimmen lehnte man daher eine völlige Zerschlagung Deutschlands ab. Im Foreign Office gab es die stärksten Befürworter, das Reich weitgehend zu erhalten. Churchill verfolgte dagegen eine andere Linie. In einer Unterhausrede vom 21.9.43 nannte er "Nazi-tyranny and Prussian militarism" als die beiden deutschen Grundübel, die es auszumerzen gelte. Für den Historiker Churchill stand fest, dass das deutschsprachige Mitteleuropa zur der Zeit in eine Schieflage geriet, als es unter preußischen Einfluss kam. Das Großbritannien nach dem Umsturz der Bündnisse eifrig dabei geholfen hatte den Aufstieg Preußens zu begünstigen erwähnte er nicht. Churchills Plan lief auf eine Revision des Jahres 1866 hinaus. Baden, Württemberg, Hessen, Sachsen und Bayern sollten mit Österreich und Ungarn (!) in Gestalt einer Donau-Union das Erbe des Reiches antreten. Die katholischen Süddeutschen, die Churchill für weniger agressiv hielt, sollten auf diese Weise belohnt werden. Preußen, das Hauptübel, sollte dagegen auf einen geschwächten und vom übrigen Deutschland isolierten ostelbischen Staat reduziert werden, der notfalls in die russische Einflusszone abdriften konnte. Im Übrigen sollte ein Nordwest-Staat entstehen, der dann unter westlicher Kontrolle gestanden hätte.

Dem Foreign-Office gingen diese Pläne zu weit. Hier stand die Annahme von John Maynard Keynes im Zentrum, wonach die deutsche Volkswirtschaft für die Wohlfahrt des übrigen Europas fundamental sei. Nur ein zusammenhängendes Deutschland könne die wirtschaftliche Stabilität Europa gewährleisten, andererseits bestünde die Gefahr eines bolschewistischen Umsturzes in Mitteleuropa. Der Sieg über Hitler wäre zum billigen Preis der Rache an Stalin und seine Schergen verspielt worden. Allerdings bezog sich das Eintreten für einen gesamtdeutschen Staat nur auf die wirtschaftliche Einheit. So wurden völkerrechtliche Kontakte ausschließlich zu deutschen Teilstaaten erwogen, ebenso eine Zerschlagung Preußens. Auch bei dem Verlauf der künftigen Ostgrenze zeigte man sich flexibel. Sollte Anfangs nur Ostpreußen an Polen fallen, bezog man in spätere Planungen auch Oberschlesien und Danzig mit ein. Für das Ruhrgebiet und den Nord-Ostssee-Kanal war ein internationaler Status vorgesehen. Neben dem wirtschaftlichen Argument hatte dieser Plan gegenüber Churchills Drei-Staaten-Lösung einen erheblichen Vorteil. Gesamtdeutschland könne höhere Reparationsleistungen schultern als mehrere Einzelstaaten zusammen.

Die öffentliche Meinung in England kippte unter dem Beschuss mit V2 Raketen zugunsten einer Teilung Deutschlands. Die Presse dagegen, namentlich "The Times", "The Guardian", "The Observer" und "The Economist" übernahm in der Mehrheit die Argumente des Foreign Office und warb für den Erhalt Deutschlands. Außenminister Eden sprach auf der Konferenz im Oktober 1943 den Dissens innerhalb seiner Regierung offen an. In London schaltete sich derweil das Militär in die politische Debatte ein und befürwortete eine Teilung Deutschlands. Die Generalstäbe rieten bei einer Sitzung in Whitehall den Beamten, eine völkerrechtliche Teilung Deutschlands entlang der - damals noch drei - Besatzungszonen vorzunehmen. Die beiden westlichen Staaten könnten dann eine Union bilden, der östliche blieb unter russischen Einfluss. Eden warnte, eine solche Zweiteilung Deutschlands könne auch zur Bildung von zwei Blöcken im Nachkriegseuropa führen, man sollte den Zusammenhalt der Anti-Hitler-Koalition für Neuordnung des internationalen Systems möglichst lange nutzen.

Einen Gegner von Eden innerhalb der Regierung möchte ich hier noch zu Wort kommen lassen: Lord Roundell Selbourne, Minister für Wirtschaftsfragen. Er trat entschieden für eine Teilung Deutschlands ein. Das Argument, man müssen die deutsche Volkswirtschaft zugunsten Europas stützen hielt er für falsch. Die Deutschen seien doch "Meister der Diversion", schon wenige Jahre nach einer militärischen Niederlage und einem wirtschaftlichen Zusammenbruch würden sie wieder über die neusten Fabriken, die leistungsfähigsten Maschinen und die absatzstärksten Produkte verfügen...
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Die Deutsche Frage im Verlauf des Zweiten Weltkriegs - Marco - 18.07.2012 16:51

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