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Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion?
20.08.2016, 21:03
Beitrag: #1
Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion?
In einem zeitgenössischen Roman (nach meiner persönlichen Einstufung im Grenzbereich zwischen Trivial- und Unterhaltungsliteratur) meint die Autorin im Nachwort, dass es ihr ein großes Anliegen war, zu zeigen, wie schlecht es den Frauen (selbst den hochadeligen Frauen) im Mittelalter ergangen ist, wozu sie das Beispiel von Sabina von Bayern gewählt hat. Die Autorin geht davon aus, dass das Schicksal Sabinas typisch für eine Frau ihrer Zeit war. Aber ist das tatsächlich der Fall?

Dafür, dass die Ehe zwischen Sabina und Ulrich ausgesprochen schlecht war, gibt es doch recht überzeugende Belege.

Trotzdem aber stellt sich zumindest für mich die Frage, wie typisch diese Ehe für ihre Zeit war. Erlaubt uns diese Ehe einen Blick hinter die "Kulissen" und zeigt uns, wie es damals in fürstlichen Ehen (und nicht nur dort) wirklich zugegangen ist, weil hier ausnahmsweise einmal (politisches) Interesse bestand, nichts zu vertuschen, oder eine Vertuschung nicht möglich war, was die Autorin in ihrem Nachwort auch annimmt. Oder dürfte es sich dabei um einen Ausnahmefall handeln?

Im 14. und 15. Jahrhundert und noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts sind kaum zulässige Informationen zu fürstlichen Ehen überliefert, die eindeutig belegen würden, dass die eine oder andere Ehe recht unglücklich war bzw. ist dieses Thema vielleicht auch noch nicht aufgearbeitet. (Dort, wo von einer unglücklichen Ehe oder zweifelhaften ehelichen Dingen berichtet wird, dürfte es sich in den meisten Fällen um Klatsch bzw. symbolisch ausgeschmückte Erfindung von Zeitgenossen handeln, zum Teil auch nur um gezielt eingesetzte Rhetorik im Zusammenhang mit Propaganda bzw. parteiischer Berichterstattung.

Sachquellen, soweit sie zugänglich sind, so z. B. Rechnungsbücher sind in diesem Fall nicht allzu ergiebig, ebenso Korrespondenzen.

Hinzu kommt noch, dass eine Menge zum fürstlichen Eheleben erst im 18. und 19. Jahrhundert durch Historiker-Interpretation entstanden ist, und in der populärwissenschaftlichen Geschichtsforschung ist die Vorstellung einer unglücklichen Ehe ohnehin beliebter als von der Ehe, in der sich die Eheleute recht gut arrangiert haben.

Als Beispiel dafür könnte die Ehe zwischen Kaiser Maximilian I. und Bianca Maria Sforza angeführt werden, die als Paradebeispiel für eine unglückliche Ehe gilt. Wie die populärwissenschaftliche Autorin in Grössing in der Kronenzeitung zitiert wird: Sie brachte ihm das Geld und er machte sie nicht glücklich, eine Meinung, die sich auf etwas anderem Niveau und zu Lasten von Bianca Maria auch bei Wiesflecker findet. Wie aber eine neuere Arbeit (Sabine Weiss: Die vergessene Kaiserin, 2010) zeigt, dürfte es sich in diesem Fall zwar um keine Traumehe gehandelt haben, insgesamt aber scheint diese Ehe doch letztlich besser als gewesen zu sein, als uns in den meisten Büchern weisgemacht wird. (Vielleicht eine Bestätigung für Weiss: Bianca Marias Statue findet sich unter den "Schwarzmandern", die am Maximilian-Kenotaph in der Hofkirche in Innsbruck sozusagen auf "Wache" sind.)

Erst im 16. Jahrhundert und 17. Jahrhundert finden wir dann Ehen, die eindeutig unglücklich waren oder unglücklich endeten, z. B. Anna von Sachsen (Ehefrau von Wilhelm von Oranien) oder Sidonia von Sachsen (Ehefrau von Herzog Erich II. zu Braunschweig-Lüneburg (1528–1584).

Hängt das damit zusammen, dass zu dieser Zeit eine bessere Quellenlage war und dass es nicht mehr möglich war, schlechte Ehen zu vertuschen oder hatte das mit veränderten gesellschaftlichen Strukturen zu tun.

Ein Beispiel, wie schwierig es ist, wirklich abzuschätzen, ob eine Ehe im 14. oder 15. Jahrhundert unglücklich war, ist die Ehe zwischen Georg von Bayern-Landshut und Hedwig (Jadwiga) von Polen. Die Argumente für eine unglückliche Ehe sind in den letzten Jahren von der neueren Forschung gründlich widerlegt wurden. So ist z. B. inzwischen nachgewiesen, dass Hedwig keineswegs nach Burghausen abgeschoben wurde, sondern dass Burghausen damals der Wohnsitz der Herzoginnen von Bayern-München war und dass es zu dieser Zeit durchaus noch üblich war, dass Fürstinnen nicht ständig gemeinsam Hof mit ihrem Ehemann hielten. (Freilich, ob die Ehe nun glücklich war, lässt sich daraus auch nicht belegen.)

Eines vorweg, ich bin sicher, dass wir heute sicher nicht mehr in vielen Fällen entscheiden können, wie glücklich bzw. unglücklich so manche Ehe im Mittelalter tatsächlich war.

Eine eindeutige Beantwortung dieser Frage ist wohl kaum möglich, aber was ist euer Eindruck diesbezüglich.

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Nur die Geschichtenschreiber erzählen uns, was die Leute dachten.
Wissenschaftliche Forscher halten sich streng an das, was sie taten.

Josephine Tey, Alibi für einen König
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