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Der "Anschluss" Österreichs
20.02.2018, 11:19
Beitrag: #1
Der "Anschluss" Österreichs
(18.02.2018 14:12)Teresa C. schrieb:  
(18.02.2018 11:49)Suebe schrieb:  ...
Auch das ist nicht korrekt. Die erste echte Eroberung fand erst im März 1939 durch die BEsetzung der sog "Resttschechei" statt.
Das Sudetenland und Österreich wurden ja mit Einverständnis der jeweiligen Bevölkerung kassiert. Österreich war total verarmt. In diesem Fall war es sogar umgegkehrt, Deutschland kurbelte die österreichische Wirtschaft an.
Davor musste alles finanziert werden! Nicht nur Rüstung, sondern auch die staatlichen Beschäftigungsprogramme bzw die Schaffung von Infrastruktur.
...

Das ist allerdings sehr ungenau, die Lage war damals wesentlich komplexer. Die damalige erste Republik Österreich wurde nicht mit dem Einverständnis der Bevölkerung "kassiert", sondern nur mit dem Einverständnis von Teilen der Bevölkerung. (Wobei sich für mich heute die Frage stellt: Welche reellen Alternativen hätte die österreichische Bevölkerung damals gehabt, nachdem Hitler einmarschierte und die von ihm gestürzte Regierung auf Widerstandsaktionen verzichtete, an denen sie sich hätte orientieren können?)

Auch wenn Hitler zugejubelt wurde, dass es so leicht sein würde, das hätte wohl Hitler selbst nicht erwartet. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass Hitler es nicht etwa riskiert hat, erst die von Kurt Schuschnigg geplante Volksabstimmung abwartete, sondern dessen Regierung beziehungsweise diesen zum Rücktritt nötigte, zugunsten eines "Strohmannes", der dann Hitler ganz legal ins Land holte. Eine Volksabstimmung fand erst statt, als er bereits da war, und es handelte sich nur scheinbar um eine "geheime" Abstimmung.

Eine wesentliche Rolle, die bis heute nicht wirklich berücksichtigt wird, war, dass diese erste Republik durch den Bürgerkrieg im Februar 1934 und den ("austrofaschistischen") Ständestaat zutiefst gespalten war, was ein gezieltes, gemeinsames Vorgehen aller politischen Akteure, das damals unbedingt notwendig gewesen wäre, um gegen Hitler und den "Anschluss" von 1938 etwas zu unternehmen, nicht möglich machte.

Ein schwerer Fehler war auch, dass Schuschnigg zwar einen verbalen Hilferuf an die anderen Staaten richtete, aber es leider vorzog, den Märtyrer zu geben und gewaltsamen Widerstand ausdrücklich untersagte.

Eine militärische Aktion, die Hitlers Einmarsch wirkungsvoll gestoppt hätte, wäre zwar mit dem damaligen Potential nicht wirklich möglich gewesen (deswegen dürfte sich Schuschnigg dagegen ausgesprochen haben), aber, abgesehen davon, dass sie einige Tote bedeutet hätte, hätte sie es auch den ausländischen Staaten nicht so leicht gemacht, da wegzuschauen. (Auf den Fall aber hätte ein solcher Schritt, schon wegen einiger zukünftiger Märtyrer, für die Nachwelt gut gemacht, da er die bis heute umstrittene Beurteilung des "Anschlusses" eindeutig zugunsten einer "Eroberung" entschieden hätte, wenn gleich eine "Eroberung", die von einem Teil der Bevölkerung gut geheißen wurde.

Ein weiterer schwerer Fehler war, dass es in der Folge nicht gelang, eine österreichische Exil-Regierung aufzubauen. Die meisten Politiker des Ständestaates, den Hitler beendete, schafften es nicht, ins Ausland zu flüchten oder zogen es vor zu bleiben. Die meisten wurden verhaftet. Sie waren also keineswegs imstande, für die frühere erste Republik Österreich dort einzutreten beziehungsweise diese zu vertreten.

Diejenigen Politiker, die ins Ausland flüchteten, dürften zwar für ihr Land eingetreten sein, aber es gelang, nicht, so etwas wie eine "Exilregierung" aufzubauen, auf die sich alle verständig hätten und damit von anderen Staaten hätte anerkannt werden können.

Das Problem dürfte gewesen sein, dass es weder der (ersten) Republik und auch dem Ständestaat Österreich in den fast zwanzig Jahren, die seit dem Friedensvertrag von Saint Germain vergangen waren, sich tatsächlich im Europa der Zwischenkriegszeit als neuer Staat zu etablieren und so etwas wie ein nationales Bewusstsein aufzubauen.

Die Rolle der ersten Republik als Nachfolgestaat des Kaiserreichs Österreich wurde dieser aus politischen Gründen von den Alliierten aufgezwungen, die einen (formal souveränen) Nachfolgestaat benötigten, dem die Lasten des Kriegsverlierers aufgehalst werden konnten.

Wäre 1919 der Anschluss dieser Republik Österreich an Deutschland zugestimmt worden, hätte es zwar keine zweite Republik Österreich (die einzige Zeit in der Geschichte des heutigen Landes Österreich, wo dieses tatsächlich ein souveräner Staat war) und kein EU-Land Österreich gegeben, ob es für das heutige Österreich besser gewesen wäre, hängt vom Blickwinkel ab.

Wäre der nach dem Weltkrieg entstandene Staat Österreich 1918/19 zu Deutschland gekommen, wäre er wahrscheinlich als ein "Freistaat Österreich" in Deutschland aufgegangen.

Die "Hypotheken" durch den Friedensvertrag von Saint Germain konnten die, die diese neue Land Österreich zu regieren versuchten, und auch die übrige Bevölkerung in den folgenden fast zwanzig Jahren nicht wirklich bewältigen. Dies ist sogar sehr bedauerlich, da die wissenschaftliche Forschung vom Ende des 20. Jahrhundert ergeben hat, dass die erste Republik Österreich sehr wohl Potential gehabt hätte, auf dem sie als neuer, eigener Staat hätte aufgebaut werden können. Doch offensichtlich gelang es nicht, dieses Potential zu nützen beziehungsweise fehlten den Politikern beziehungsweise der Bevölkerung der Glaube daran, so dass es nicht zur Ausbildung eines (vernünftigen) Österreichbewusstsein kommen konnte. (Es gehört zu den Ironie der Geschichte des heutigen Österreichs, das dies erst unter dem Zweiten Weltkrieg gelang.)
Die schweren politischen und wirtschaftlichen Probleme, die das Europa der Zwischenkriegszeit und nicht nur dieses heimsuchten, haben die Lage verschärft, und später kam noch im Ständestaat die Anlehnung auf die langfristig falschen Verbündeten hinzu.

(18.02.2018 21:14)Suebe schrieb:  Darf ich da korrigierend eingreifen, Teresa?

Das Statement auf das du hier antwortest, stammt von Titus Feuerfuchs,
nich von mir.

(18.02.2018 22:18)Teresa C. schrieb:  Die Antwort gilt aber auch nicht der Person, die gepostet hat, sondern dem Inhalt. "Zwinkern"

(18.02.2018 22:32)Suebe schrieb:  
(18.02.2018 22:18)Teresa C. schrieb:  Die Antwort gilt aber auch nicht der Person, die gepostet hat, sondern dem Inhalt. "Zwinkern"

Natürlich.
Nur ist das Posting des Österreichers Titus in dem Fall "mehr Wert" als das des von Detailkenntnissen völlig unbeleckten Sueben.

(19.02.2018 23:25)Titus Feuerfuchs schrieb:  
(18.02.2018 14:12)Teresa C. schrieb:  Das ist allerdings sehr ungenau, die Lage war damals wesentlich komplexer. Die damalige erste Republik Österreich wurde nicht mit dem Einverständnis der Bevölkerung "kassiert", sondern nur mit dem Einverständnis von Teilen der Bevölkerung.[...]

Dass die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung für einen Anschluss an D war, ist wohl unbestritten.
Und zwar nicht, weil alle überzeugte Nazis waren, sondern weil sie sich

1) als Deutsche fühlten und

2) weil wirtschaftliche Überlegungen diese Vereinigung nahelegten.

Goldene 20er hatte es in Ö nicht gegeben. (Und auch heute sind Österreich und Deutschland wirtschaftlicha auf's Engste verflochten)


Deshalb hieß es auch in Art 2 der provisorischen Verfassung vom November 1918:

Zitat:Deutschösterreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik.


1921 sprachen sich über 90% der Salzburger und Tiroler für einen Anschluss an die Weimarer Republik aus.
Daraus lässt sich die Meinung der damaligen BEvölkerung sehr gut abschätzen. Der breite Jubel 1938 und der quasi nonexistente Widerstand erhärten diesen Befund nochmals.




(18.02.2018 14:12)Teresa C. schrieb:  Eine wesentliche Rolle, die bis heute nicht wirklich berücksichtigt wird, war, dass diese erste Republik durch den Bürgerkrieg im Februar 1934 und den ("austrofaschistischen") Ständestaat zutiefst gespalten war, was ein gezieltes, gemeinsames Vorgehen aller politischen Akteure, das damals unbedingt notwendig gewesen wäre, um gegen Hitler und den "Anschluss" von 1938 etwas zu unternehmen, nicht möglich machte.

Letztendlich war der Anschluss nicht vermeidbar. Lediglich erschweren hätte man ihn können.

Zwei der drei relevanten Parteien der Ersten Republik traten vehement für einen Anschluss ein. Deutschnationale und Sozialdemokraten.

Die Christlich Sozialen waren vehement dagegen. Aber nicht weil sie so wackere Antifaschisten waren, sondern weil sie nicht nur schwarz, sondern auch zu einem erheblichen Teil gelb waren.
Katholische Habsburger hatten für protestantische Preußen nicht viel übrig. Und auch keinerlei Lust, unter deren Pfeife zu tanzen. Sie wollten selbstbetimmt Macht ausüben.




(18.02.2018 14:12)Teresa C. schrieb:  Ein schwerer Fehler war auch, dass Schuschnigg zwar einen verbalen Hilferuf an die anderen Staaten richtete, aber es leider vorzog, den Märtyrer zu geben und gewaltsamen Widerstand ausdrücklich untersagte.

Aus seiner damaligen Position gesehen, war das auch die richtige Entscheidung. Er vermied damit Gewalt unt Tote. Dass ein Weltkrieg und Völkermord ins Haus stand, an dem sich Österreich maßgeblich mitschuldig machte konnte Schuschnigg 1938 vermutlich nicht abschätzen.
Es post weiß man es freilich besser. Österreich hätte nach dem Wk 2 viel bessere Karten bei den Alliierten und auch vor den Augen der Welt gehabt, als es Widerstand leistete.
Ein paar Staaten gab es aber, die gegen den Anschluss diplomatisch protestierten, ua. Mexiko.





(18.02.2018 14:12)Teresa C. schrieb:  (Auf den Fall aber hätte ein solcher Schritt, schon wegen einiger zukünftiger Märtyrer, für die Nachwelt gut gemacht, da er die bis heute umstrittene Beurteilung des "Anschlusses" eindeutig zugunsten einer "Eroberung" entschieden hätte, wenn gleich eine "Eroberung", die von einem Teil der Bevölkerung gut geheißen wurde.

Von einem sehr großen Teil. Aus den genannten Gründen.


(18.02.2018 14:12)Teresa C. schrieb:  Ein weiterer schwerer Fehler war, dass es in der Folge nicht gelang, eine österreichische Exil-Regierung aufzubauen. Die meisten Politiker des Ständestaates, den Hitler beendete, schafften es nicht, ins Ausland zu flüchten oder zogen es vor zu bleiben. Die meisten wurden verhaftet. Sie waren also keineswegs imstande, für die frühere erste Republik Österreich dort einzutreten beziehungsweise diese zu vertreten.
[...]

Es fehlte vermutlich nicht nur das Personal, sondern auch der entsprechende Rückhalt aus Österreich. Der wäre mutmaßlich frühestens '43, als die ersten Bomben auf Wien fielen, zu finden gewesen.
Nichtsdestotrotz ist die Frage der Exilregierung eine spannende, die ich mir so noch nicht gestellt habe.



(18.02.2018 14:12)Teresa C. schrieb:  Das Problem dürfte gewesen sein, dass es weder der (ersten) Republik und auch dem Ständestaat Österreich in den fast zwanzig Jahren, die seit dem Friedensvertrag von Saint Germain vergangen waren, sich tatsächlich im Europa der Zwischenkriegszeit als neuer Staat zu etablieren und so etwas wie ein nationales Bewusstsein aufzubauen.

Wie soll man in 20 Jahren ein nationales Bewusstsein aufbauen, besonders unter solch widrigen Umständen?

Österreich war aus einem zusammenhängenden Wirtschaftsraum herausgeschnitten worden. Der Großteil der Industrie und alle Kohlegruben lagen lag ebenso im Ausland (Sudetengebiet) wie der Großteil der Nahrungsmittelversorgung (Ungarn). Dazu noch der fehlende Meerzugang, zerschnittene Bahnlinien, Kriegsschulden, ein radikaler politischer Systemwechsel, Umstellung von Kriegswirtschaft (Schwerindustrie) auf Friedenswirtschaft (Leichtindustrie), usw...



(18.02.2018 14:12)Teresa C. schrieb:  Die Rolle der ersten Republik als Nachfolgestaat des Kaiserreichs Österreich wurde dieser aus politischen Gründen von den Alliierten aufgezwungen, die einen (formal souveränen) Nachfolgestaat benötigten, dem die Lasten des Kriegsverlierers aufgehalst werden konnten.


Was Renner (zurecht!) in St. Germain schrf kritisierte. Er setzte sich dafür ein, das (Deutsch)Österreich genauso behandelt werden soll, wie die übrigen Nachfolgestaaten (außer Ungarn).

Es gab rein objektiv keine Rechtfertigung dafür, Ungarn als Kriegsverlierer und die Tschechen als Gewinner zu behandeln.



(18.02.2018 14:12)Teresa C. schrieb:  Wäre 1919 der Anschluss dieser Republik Österreich an Deutschland zugestimmt worden, hätte es zwar keine zweite Republik Österreich (die einzige Zeit in der Geschichte des heutigen Landes Österreich, wo dieses tatsächlich ein souveräner Staat war) und kein EU-Land Österreich gegeben, ob es für das heutige Österreich besser gewesen wäre, hängt vom Blickwinkel ab.
[...]

Das ist kontrafaktische Geschichte. Wenn der Wk2 dadurch zB glimpflicher verlaufen wäre oder überhaupt verhindert worden wäre, wäre das nat zu begrüßen gewesen.

Eine Vereinigung von Ö und D hätte die Kriegsverlierer gestärkt aus dem Weltkrieg hervorgehen lassen. Dass da die Entente nicht mitspielte, ist nachvollziehbar.


(18.02.2018 14:12)Teresa C. schrieb:  Die "Hypotheken" durch den Friedensvertrag von Saint Germain konnten die, die diese neue Land Österreich zu regieren versuchten, und auch die übrige Bevölkerung in den folgenden fast zwanzig Jahren nicht wirklich bewältigen. Dies ist sogar sehr bedauerlich, da die wissenschaftliche Forschung vom Ende des 20. Jahrhundert ergeben hat, dass die erste Republik Österreich sehr wohl Potential gehabt hätte, auf dem sie als neuer, eigener Staat hätte aufgebaut werden können. Doch offensichtlich gelang es nicht, dieses Potential zu nützen beziehungsweise fehlten den Politikern beziehungsweise der Bevölkerung der Glaube daran, so dass es nicht zur Ausbildung eines (vernünftigen) Österreichbewusstsein kommen konnte. (Es gehört zu den Ironie der Geschichte des heutigen Österreichs, das dies erst unter dem Zweiten Weltkrieg gelang.)
Die schweren politischen und wirtschaftlichen Probleme, die das Europa der Zwischenkriegszeit und nicht nur dieses heimsuchten, haben die Lage verschärft, und später kam noch im Ständestaat die Anlehnung auf die langfristig falschen Verbündeten hinzu.

Nicht nur verschärft, sondern letztendlich sogar ausgelöst. Ohne Weltwirtschaftskrise wäre die NSDAP eine Fußnote der Geschichte geblieben.

Während sie bei den Wahlen Anfang/Mitte der 20er einige Stimmen erringen konnten, verlor sie im Laufe des Wirtschaftsaufschwunges immer mehr Zuspruch und musste sich 1928 mit lediglich 2,6% zufrieden geben. Ihr Wahlprogramm gründete sich abseits de sattsam bekannten Positionen auf die Warnung vor Auslandskrediten und wirtschaftlicher Abhängikeit vom Ausland. 1928 hatte die NSDAP "fertig". Aber dann kam 1929 der schwarze Freitag, der die NSDAP-Position (scheinbar) bestätigte, als Geschenk für Hitler.
Und 1930 waren es dann nicht mehr 2,6% sondern 18,3%....

[Bild: ergebnisse-der-reichstagswahlen-in-der-w...9-1933.jpg]


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Der "Anschluss" Österreichs - Steppenwolf - 20.02.2018 11:19

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