Antwort schreiben 
 
Themabewertung:
  • 0 Bewertungen - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Der "Anschluss" Österreichs
20.02.2018, 22:13
Beitrag: #3
RE: Der "Anschluss" Österreichs
Der Staatsvertrag von St. Germain-en-Laye vom 10. September 1919 beinhaltet folgende Bestimmungen:
1. Gebietsabtretungen
- Südtirol und Kärntner Kanaltal fallen an Italien
- Die Südsteiermark unf das Kärnter Mießtal kommen an das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenien (SHS-Staat, seit 1929 Königreich Jugoslawien)
- Den niederösterreichischen Grenzstreifen um Feldberg und Böhmzell erhält die Tschechoslowakei
- Das Sudetenland fällt an die Tschechoslowakei.

Von den ca. 10 Mio. Deutschösterreicher müssen ca. 4 Mio. als nationale Minderheiten in den angrenzende Nationalstaaten leben. Oft erfolgte eine Enteignung der Deutschösterreicher.

2. Österreich erhält das Burgenland (ehemaliges Westungarn), in gemischsprachigen Gebieten in Kärnten soll eine Volksabsprache stattfinden. (Beachte: Im Mai 1919 besetzten SHS-Truppen Gebiete in Kärnten, z.B. das Klagenfurter Becken. Auf Druck der Franzosen zogen sich die SHS-Truppen Ende Juli 1919 südlich einer Linie vom Wörthersee bis Völkermarkt zurück. Am 10. Oktober 1920 entschieden sich 59 % der Abstimmungsberechtigten für den Verbleib bei Österreich.)

3. Der Name des Staates soll statt Deutschösterreich nur Österreich sein. (Beachte: Am 12. November 1918 wurde die Republik Deutschösterreich ausgerufen. Während der Verhandlungen in St. Germain kursierten auch Vorschläge wie "Norische Republik", "Ostalpinische Republik", "Ost-Alpenlande" oder "Deutsch Alpenland")

4. Der Anschluss an Deutschland wird untersagt.

5. Österreich muss die neu entstandenen Staaten Polen, Tschechoslowakei, Ungarn und das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenien in den festgelegten Grenzen anerkennen.

6. Eine allgemeine Wehrpflicht wird verboten. Jedoch wurde die Aufstellung eines 30.000 Mann starken Söldnerheeres gestattet.

7. Österreich wird zu Wiedergutmachungsleistungen verpflichtet.

Der Vertrag wurde am 17. Oktober 1919 vom Wiener Parlament ratifiziert.

Karl Renner war bereit die Verantwortung "als eines der Teile des besiegten und untergegangenen Reiches" zu übernehmen. Dies stieß auf Widerstand des tschechoslowakischen Außenministers Edvard Benes, der Deutschösterreich nicht nur eine teilweise, sondern die volle Verantwortung anlastete. Ebenso hoffte Renner: "Wir setzen voraus, dass die praktische Vernunft der Welt auch unseren wirtschaftlichen Untergang nicht wünschen und ertragen kann." Im August 1919 äußerte er: "Es ist eben nicht möglich, dass 6 Mio. Menschen den größten Teil der 30 Mio. Einwohner eines früheren Staates tragen. Wie erst nach einem tödlich erschöpfenden fünfjährigen (!) Krieg! Wie erst nach der Auflösung des Jahrhunderte alten Wirtschaftsgebietes, welche die wirtschaftlichen Kräfte Deutschösterreichs so außerordentlich geschwächt hat!"

Infolge der Gebietsabtretungen konnte Deutschösterreich nur noch 25 % der benötigten Nahrungsmittel produzieren, der Rest musste importiert werden. Es war erforderlich, 12 Mio Tonnen Kohle zu importieren. Ebenso mussten Zucker, Textilien, Glas, Porzellan oder Produkte der chemischen Industrie im Ausland gekauft werden. Wegen diesen wirtschaftlichen Problemen reiste Renner im Dezember 1919 zu Clemenceau, in dessen Privatwohnung der Staatskanzler untergebracht war. Ihm wurde Hilfe zugesagt, aber es erfolgten keine genaue Angaben über die Höhe des Kredits oder Lieferungen bzw. Termine. Praktisch kehrte Renner ergebnislos nach Wien zurück.

Renner hatte um die Gewährung eines langfristigen Kredits von 100 Mio. Dollar und um die Freigabe von österreichsischer Vermögenswerte aus dem Generalpfandrecht gebeten, um weitere Kredite und Rohstoffe für den Wiederaufbau zu beschaffen.

Im Januar 1920 verständigten sich Renner mit dem tschechoslowakischen Außenminister Benes. Am 12. Januar 1920 wurde ein Geheimprotokoll unterzeichnet, in dem man sich gegenseitige diplomatische und politische Unterstützung gegen Ungarn versprach. Hintergrund war, dass der neue ungarische Machthaber Nikolaus von Horthy eine revisionistische Politik gegen Österreich führte. Hier ist zu beachten, dass noch während der Verhandlungen in St. Germain Teil des Burgenland sowohl von den Kommunisten um Bela Kun, dem später die Truppen Horthys folgte. Besonders der "weiße Terror" des ehemaligen k. u. k. Admirals forderte sehr viele Opfer unter den Sympathisanten Deutschösterreichs. (Beachte: Der Vertrag von Trianon wurde erst am 4. Juni 1920 unterzeichnet.)

Renner und Benes vereinbarten, dass keine Waffen nach Ungarn geliefert werden. Viel wichtiger war aber, dass die CSR sich verpflichtete täglich 500 Waggons Kohle und in einer Frist von 2,5 Monaten 2500 Waggons Zucker zu liefern. Die Versorgung - vor allem mit Nahrungsmittel - konnte erst ab Mai 1920 übewunden werden, nachdem US-Schiffe die Versorgung Österreichs über den Hafen in Triest sicherte. Am 16. Dezember 1921 unterzeichnete Bundeskanzler Johannes Schober den Vertrag von Lana, der eine Annäherung zwischen Österreich und der Tschechoslowakei einleitete. Dieser Vertrag wurde von den Großdeutschen heftig angegriffen, sodass Schober einige Wochen nach der Unterzeichnung zurücktreten musste.

Am 4. Oktober 1922 wurde Österreich eine Völkerbundanleihe in Höhe von 650 Mio. Goldkronen auf 20 Jahre gewährt. die Verzinsung war sehr hoch - zwischen 9,46 % und 10,20 % jährlich. Tatsächlich bekamen die Österreicher nur 631 Mio. Goldkronen, wofür sie 789 Mio. zurückzahlten. Die Anleihe erfolgte im Juni 1923 und führte zum Anstieg der Börsenkurse. Am 18. November 1923 wurden die österreichischen Notenpressen gemäß den Genfer Protokollen versiegelt und stillgelegt. Die folgende Sparpolitik verlief unglücklich, am 8. November 1924 wurde Bundeskanzler Ignaz Seipel gestürzt. Am 12. Dezember 1924 erfolgte eine Währungsreform, der Schilling sollte zum 1. Januar 1925 eingeführt werden. Tatsächlich erfolgte die Einführung erst am 1. März 1925. 1 Schilling entsprach 10.000 Papierkronen, 1 Goldkrone entsprach 1,41 US-Dollar. Die Einführung des Schillings beendete die Inflation.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
Antwort schreiben 


Nachrichten in diesem Thema
RE: Der "Anschluss" Österreichs - Sansavoir - 20.02.2018 22:13

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste

Kontakt    |     Startseite    |     Nach oben    |     Zum Inhalt    |     SiteMap    |     RSS-Feeds