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Deutsch eine Einwanderungssprache Presseschau
18.06.2015, 16:38
Beitrag: #2
RE: Deutsch eine Einwanderungssprache Presseschau
Nicht nur, dass Deutsch eine Einwanderungssprache ist. Nein, in mancen Fällen sind die deutschen Wörter sogar jüngeren Ursprungs als die fremdsprachigen. Grund dafür sind die ab dem 17. Jahrhundert entstehenden Sprachgesellschaften, die sich der Pflege der deutschen Sprache widmeten und dafür viele Alternativen für Fremdwörter erfanden. Um einige Beispiele zu nennen:

Philipp von Zesen († 1689) prägte unter anderem die Wörter Anschrift (statt Adresse), Bücherei (statt Bibliothek), Grundstein (statt Fundament), Nachruf (statt Nekrolog), Mundart (statt Dialekt), Glaubensbekenntnis (statt Credo), Vollmacht (statt Plenipotenz). Andere seiner Neuschöpfungen waren jedoch übertrieben und wirken heute lächerlich, wie zum Beispiel Tageleuchter (statt Fenster) oder Gesichtserker (statt Nase).
Der Philosoph Chr. Wolff († 1754) konstruierte Wörter wie Beweggrund, Bewusstsein, Begriff, Aufmerksamkeit, Verständnis, Umfang.
Der Turnvater Jahn († 1852) erfand zum Beispiel die Begriffe volkstümlich (statt populär) oder Schriftbild (statt Faksimile).
J. H. Campe († 1818) verfasste ganze Verdeutschungswörterbücher, durch die Bezeichnungen wie "Freistaat" (für Republik), "auswerten" (für evaluieren), "Erdgeschoss" (für Parterre), "Ergebnis" (für Resultat), "Voraussage" (für Prophezeiung) oder "Lehrgang" (für Kurs) entstanden.

Diese Beispiele entstammen dem "dtv-Atlas Deutsche Sprache" von Werner König (17. Auflage 2011), S. 106.

"Back to the roots" müsste also in sprachlicher Hinsicht eigentlich bedeuten, viele der rein deutschen Wörter zu verbannen und zu den Internationalismen zurückzukehren.

Als wichtigen Grund für diese oben skizzierte Bewegung würde ich das erstarkende Nationalgefühl der Deutschen in der Neuzeit sehen: Vorher war das Deutsche eine Volkssprache, die sehr variabel, nicht festgeschrieben und auch nur geringfügig verschriftlicht war. Nun jedoch versuchten diese Gelehrten, ihr sich herausbildendes Nationalgefühl durch die Stärkung und den Ausbau gemeinsamer Identifikationsmöglichkeiten bei breiteren Bevölkerungsschichten zu verbreiten.

Meiner Meinung nach ist die daraus resultierende Dopplung vieler Wörter aber kein Nachteil, sondern ein Fakt. Es ist falsch, sich für eine der beiden Wortgruppen (Fremdwörter oder Wörter deutschen Ursprungs) zu entscheiden, schließlich nimmt man sich dadurch zahlreiche Möglichkeiten, auszudrücken, was man will.
Oft haben sich die Bedeutungen der verschiedenen Wörter leicht voneinander gewandelt, wie zum Beispiel bei populär (was so etwas wie "modisch" heißt) und volkstümlich (was eher "traditionell", also fast das Gegenteil meint). Evaluieren klingt viel hochgestochener als auswerten; ein Credo muss längst nicht mehr unbedingt ein Glaubensbekenntnis sein. Meiner Meinung nach hat dieser Reichtum der Sprache historische Gründe und ist außerdem eine ganz schöne Sache.

Viele Grüße,
der Maxdorfer

Wäre ich Antiquar, ich würde mich nur für altes Zeug interessieren. Ich aber bin Historiker, und daher liebe ich das Leben. (Marc Bloch)
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RE: Deutsch eine Einwanderungssprache Presseschau - Maxdorfer - 18.06.2015 16:38

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