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Wie verlief in der Spätantike die Immigration von Norden ins Römische Reich?
15.06.2012, 09:28
Beitrag: #1
Wie verlief in der Spätantike die Immigration von Norden ins Römische Reich?
.

Eine Immigration in das Römische Reich, die man als 'Völkerwanderung' bezeichnen kann, hat offenbar nie stattgefunden. Wie verlief in der Spätantike diese Immigration? Weshalb brachte sie 476 das Westreich zu Fall?

"Der Begriff „Völkerwanderung“ taucht im Deutschen zuerst Ende des 18. Jahrhunderts auf. Das Deutsche Wörterbuch verzeichnet dazu die Abhandlung Geschichte der Deutschen von Michael Ignaz Schmidt aus dem Jahr 1778, in der von der „sogenannten Völkerwanderung“ die Rede ist.[3] Als feste Epochenbezeichnung benutzt ihn 1790/92 Friedrich Schiller in seinem Aufsatz „Ueber Völkerwanderung, Kreuzzüge und Mittelalter“,[4] er fand dann im 19. Jahrhundert recht schnell allgemeine Verbreitung.[5] Außerhalb des deutschen Sprachraums wird bis heute der kriegerische Aspekt dieser Epoche, verbunden mit dem „Einfall der Barbaren“, hervorgehoben (barbarian invasions – nun verstärkt aber auch migration period –, invasion(s) barbare(s), invasioni barbariche).[6]

In der modernen Forschung wird der Begriff durchaus kritisch gebraucht, da nach neuerer Einschätzung das in der älteren Forschung entworfene Bild von „wandernden Völkern“ nicht haltbar ist (siehe auch den folgenden Abschnitt zur Ethnogenese).[7] Es kam zwar (aus ganz unterschiedlichen Gründen) in dieser Zeit zu Zügen von verschiedenen mehr oder weniger großen Gruppen, die aber in der Regel heterogen zusammengesetzt waren.[8] Von einem einheitlichen Prozess der „Wanderung“ ganzer Völker kann daher nicht die Rede sein. Ebenso besteht kein zwingender Grund, die Völkerwanderung ausschließlich als radikalen Einschnitt zu verstehen, da das Ende der Antike ein wesentlich vielschichtigerer Prozess war.[9] Davon war die Völkerwanderung ein Teilaspekt, zumal Elemente der antiken Kultur (bisweilen in anderer Form) noch nach dem 6. Jahrhundert fortbestanden. (...)"

http://de.wikipedia.org/wiki/Völkerwande...rwanderung

.
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15.06.2012, 09:59
Beitrag: #2
RE: Wie verlief in der Spätantike die Immigration von Norden ins Römische Reich?
Jetzt wird dein Ansatz in dem anderen Thread klarer. Dich stört also der Begriff Völkerwanderung mehr, als die akademische Abgrenzung der Epochen?
Der Begriff Völkerwanderung stammt aus dem vorletzten Jahrhundert, damals war es modern, die Menschen in Völker und Nationen einzuteilen.
Du hast recht, heute weiß man, dass damals keine kompletten Völker wanderten, sondern bunt gemischte Gruppen versuchten, während einer durch verschiedene Faktoren ausgelösten Krise, durch Mobilität ihre Lebensgrundlage zu verbessern. Eigentlich ein ganz normaler Migrationsvorgang, wie es ihn davor und danach immer wieder gegeben hat und weiter geben wird.
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24.06.2012, 10:04
Beitrag: #3
RE: Wie verlief in der Spätantike die Immigration von Norden ins Römische Reich?
Ihr Lieben,
es sind doch ganze Stämme gewandert. Von den Ost- und Westgoten, zu den Vandalen und Langebarden, die alle Reiche auf römischen Boden errichteten. Auch die Hunnen, die 375 mit dem Sieg über Ermanerich diese Völkerwanderung auslösten sind gewandert und zwar in die ungarische Tiefebene.Rolleyes

Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu
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24.06.2012, 12:36
Beitrag: #4
RE: Wie verlief in der Spätantike die Immigration von Norden ins Römische Reich?
(15.06.2012 09:28)Gotthelf schrieb:  .
Eine Immigration in das Römische Reich, die man als 'Völkerwanderung' bezeichnen kann, hat offenbar nie stattgefunden.

Selbstverständlich gab es den Einbruch germanischer Stämme ins Römische Reich, oder wie willst du den Durchzug der Westgoten, Ostgoten, Sueben, Vandalen, Langobarden, Burgunder anders bezeichnen?

Man muss sich allerdings von der Vorstellung frei machen, dass ethnisch geschlossene Völker auf Wanderschaft gingen. Es handelte sich vielmehr um den Zusammenschluss vielfältiger und ethnisch durchaus unterschiedlicher Gruppen und Volkssplitter, die sich einem namengebenden "Traditionskern" im Laufe der Wanderung anschlossen. Man hat das einmal mit einem Firmenschild verglichen, hinter dem sich eine unterschiedliche Belegschaft versammelte.

Manche Forscher sprechen sogar von einer zweiten Ethnogenese, die z.B. Goten oder Langobarden im Verlauf ihrer Wanderung und Reichsgründung auf römischem Boden durchmachten.

(15.06.2012 09:28)Gotthelf schrieb:  Es kam zwar (aus ganz unterschiedlichen Gründen) in dieser Zeit zu Zügen von verschiedenen mehr oder weniger großen Gruppen,

Wenn man einmal die frühen Züge der Kimbern und Teutonen außer acht lässt, so war die zentrale Ursache der germanischen Völkerwanderung der Einbruch der Hunnen 375 n. Chr. Er scheuchte germanische Stämme auf, riss andere mit, von denen einige Schutz im Römischen Reich suchten. Dieser Dominoeffekt löste die Wanderzüge germanischer Gruppen und ihre Reichsbildungen aus, die schließlich zum Untergang des Imperium führten.
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24.06.2012, 12:47
Beitrag: #5
RE: Wie verlief in der Spätantike die Immigration von Norden ins Römische Reich?
(24.06.2012 10:04)dieter schrieb:  Ihr Lieben,
es sind doch ganze Stämme gewandert.

Das ist wieder so eine Definitionsfrage, haben wir aktuell auch im Fundleere Schichten-Thema http://www.forum-geschichte.at/Forum/sho...136&page=3

Was sind ganze Stämme oder Völker?
Normalerweise migrieren Teile der jungen Generation, manchmal nur Krieger. Das können im Fall von Krisen auch mal alle Jüngeren sein. Deshalb frage ich mich, welche Gründe müssen vorliegen, dass sie beim Wegziehen auch die tatterige Oma und den lahmen Opa mitnahmen?
Selbst nomadisch lebende Hirten haben oft Winter- oder Basislagerplätze, an denen rudimentäre Landwirtschaft oder Handwerk betrieben wurde und an dem ein Teil der Gruppe dauerhaft lebte.
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24.06.2012, 13:56
Beitrag: #6
RE: Wie verlief in der Spätantike die Immigration von Norden ins Römische Reich?
(24.06.2012 12:47)Renegat schrieb:  Was sind ganze Stämme oder Völker?
Normalerweise migrieren Teile der jungen Generation, manchmal nur Krieger. Das können im Fall von Krisen auch mal alle Jüngeren sein. Deshalb frage ich mich, welche Gründe müssen vorliegen, dass sie beim Wegziehen auch die tatterige Oma und den lahmen Opa mitnahmen?
Selbst nomadisch lebende Hirten haben oft Winter- oder Basislagerplätze, an denen rudimentäre Landwirtschaft oder Handwerk betrieben wurde und an dem ein Teil der Gruppe dauerhaft lebte.

Ich sagte bereits: Man muss sich von der Vorstellung frei machen, dass ethnisch geschlossene Völker auf Wanderschaft gingen. Es handelte sich vielmehr um den Zusammenschluss vielfältiger und ethnisch durchaus unterschiedlicher Gruppen und Volkssplitter, die sich einem namengebenden "Traditionskern" im Laufe der Wanderung anschlossen. Man hat das einmal mit einem Firmenschild verglichen, hinter dem sich eine unterschiedliche Belegschaft versammelte.

Und natürlich blieb in den ursprünglichen Siedlungsgebieten der abgezogenen germanischen Stämme eine mehr oder weniger große Restbevölkerung zurück. Archäologen haben das z.B. im Fall der Burgunder und Vandalen ganz eindeutig ermitteln können. Diese germanische Restbevölkerung wurde allerdings von den seit dem 5./6. Jh. allmählich vorrückenden Westlawen aufgesogen.
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24.06.2012, 14:09
Beitrag: #7
RE: Wie verlief in der Spätantike die Immigration von Norden ins Römische Reich?
(24.06.2012 13:56)Dietrich schrieb:  Ich sagte bereits: Man muss sich von der Vorstellung frei machen, dass ethnisch geschlossene Völker auf Wanderschaft gingen. Es handelte sich vielmehr um den Zusammenschluss vielfältiger und ethnisch durchaus unterschiedlicher Gruppen und Volkssplitter, die sich einem namengebenden "Traditionskern" im Laufe der Wanderung anschlossen. Man hat das einmal mit einem Firmenschild verglichen, hinter dem sich eine unterschiedliche Belegschaft versammelte.
Klar, die Traditionskerne kennen wir, irgendwann schaffen wir es auch, die Völkerwanderung umzubenennen. Smile

(24.06.2012 13:56)Dietrich schrieb:  Und natürlich blieb in den ursprünglichen Siedlungsgebieten der abgezogenen germanischen Stämme eine mehr oder weniger große Restbevölkerung zurück. Archäologen haben das z.B. im Fall der Burgunder und Vandalen ganz eindeutig ermitteln können. Diese germanische Restbevölkerung wurde allerdings von den seit dem 5./6. Jh. allmählich vorrückenden Westlawen aufgesogen.
Die Restbevölkerung ist ja gerade Thema im Fundleere Schichten-Thread.
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24.06.2012, 14:20
Beitrag: #8
RE: Wie verlief in der Spätantike die Immigration von Norden ins Römische Reich?
(24.06.2012 14:09)Renegat schrieb:  Klar, die Traditionskerne kennen wir, irgendwann schaffen wir es auch, die Völkerwanderung umzubenennen. Smile

Als "Umbenennung" würde ich das nicht bezeichnen. Es ist schon ein großer Unterschied, ob man die Wanderung eines ethnisch komplett einheitlichen Volks annimmt, oder eine zusammengewürfelte Gruppe vermutet, die sich lediglich um einen Kern des ursprünglichen Volks gruppiert. Von diesem Kern - als Beispiel seien die Goten genannt - bezogen dann alle anderen im Verlauf der Wanderung ihre Identität, sodass eigentlich ein neues Volk entstand, das lediglich dem Namen nach das "alte Volk" repräsentierte.

Aber dass da was "wanderte", ist natürlich unbestreitbar! Smile

(24.06.2012 14:09)Renegat schrieb:  Die Restbevölkerung ist ja gerade Thema im Fundleere Schichten-Thread.

Nach Abzug eines großen Teils der ostgermanischen Stämme gab es im Raum zwischen Oder und Weichsel zwar keine Fundleere, aber doch eine fundärmere Epoche. Das änderte sich erst, als westslawische Stämme den siedlungsarmen Raum ab dem 5./6. Jh. allmählich auffüllten,
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24.06.2012, 14:31
Beitrag: #9
RE: Wie verlief in der Spätantike die Immigration von Norden ins Römische Reich?
(24.06.2012 14:20)Dietrich schrieb:  
(24.06.2012 14:09)Renegat schrieb:  Die Restbevölkerung ist ja gerade Thema im Fundleere Schichten-Thread.

Nach Abzug eines großen Teils der ostgermanischen Stämme gab es im Raum zwischen Oder und Weichsel zwar keine Fundleere, aber doch eine fundärmere Epoche. Das änderte sich erst, als westslawische Stämme den siedlungsarmen Raum ab dem 5./6. Jh. allmählich auffüllten,
Super, jetzt machst du sogar die Kurve zu meinem Eingangspost in http://www.forum-geschichte.at/Forum/sho...hp?tid=136

Ich versuche das mal da rüberzukopieren und hoffe, dass ich Suebes schwäbische 55 Jahre damit nicht störe. Shy
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14.08.2016, 11:26
Beitrag: #10
RE: Wie verlief in der Spätantike die Immigration von Norden ins Römische Reich?
Neben der Wanderung und Ausbreitung großer Stammesteile gab es auch die Einwanderung von Einzelnen, Familien und Sippen. Das wissen wir z.B. von der sickernden Wanderung der Matthies/Chatten in die Gebiete südlich der Adrana. Es war keine Eroberung, so das sich die Einwanderer friedlich mit den einheimischen Ubiern arangierten und verschmolzen. Die Römer prägten dann den Begriff Chatten.
Die Archäologen konnten auch für andere Regionen eine dauernde Einwanderung von Norden nach Süden feststellen z.B. von nördlichen Germanen ins Gebiet der Latenekultur z.B. zu den Treverern. Eine Westwanderung z.B. von Ubierm ins Treverer Gebiet in vorrömischer Zeit läßt sich archäologisch nur schwierig feststellen. Erst danach war sie so massenhaft, das die Römer darüber schrieben und der Sprachgebrauch sich linksrheinisch änderte.
Die Elbgermanen z.B. Sueben/Hermunduren waren schon im 1. vorchristlichen Jahrhundert für eine kleinere Völkerwanderung mitverantwortlich. Sie selbst wurden sicherlich durch ihre Bevölkerungszunahme zum Wandern mötiviert, um nicht zu hungern. Die Sueben ergriffen nicht die Möglichkeit zu einer intensivierung ihrer Landwirtschaft. Die Hermunduren expandierten trotz intensiver Landwirtschaft Richtung Böhmen und Bayern, die Sueben(Quaden) teilweise auch nach Osthessen in das Gebiet der Tenkterer und Usipeter.

viele Grüße

Paul

aus dem hessischen Tal der Loganaha (Lahn)
in der Nähe von Wetflaria (Wetzlar) und der ehemaligen Dünsbergstadt
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18.08.2016, 17:14
Beitrag: #11
RE: Wie verlief in der Spätantike die Immigration von Norden ins Römische Reich?
Habe mich vor kurzem wieder mal mit dem Thema "Untergang Westroms" auseinandergesetzt (eigentlich eher am Rande). Das spannende an der Thematik ist das man immer wieder neue Aspekte und Blickwinkel entdeckt und auch auf neue Überlegungen kommt.

Möchte mal nach eurer Einschätzung zu folgender Überlegung fragen:

So gigantisch groß waren die eindringenden Völkermassen dann oft ja gar nicht - aber immerhin groß genug um für Unruhe zu sorgen. Unter Honorius und Valentinian III kam es vor das Personen groß gefeiert wurden, die zwar gegen die Germanen unterlagen, aber denen es gelang einen Gegenkaiser zu besiegen - irgendwie habe ich den Eindruck als sah man diese oft sogar als Gefährlicher an, als die eindringenden Völker.

Glaubt ihr war das so?

Und noch etwas: Auch später kann man ja beobachten das die Macht Westroms ziemlich schwankte je nachdem wer Heermeister oder Kaiser war. Genau das gleiche bei den Germanen. Viele Völker waren nur unter einer einzigen Führungsperson stark. Kann es sein das, dass ganze zumindest Teilweise auch ein hin und her war. So nach dem Motto "die Wandalen (nur als Beispiel)", haben einen erfolgreichen Anführer, da schließen wir uns jetzt an und wenn ein anderer kommt gehen wir halt zu den.

Ist nur wieder mal so ein Eindruck, den mir ein Buch, gegeben hat. Was sagt ihr stimmt dieser Eindruck?
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20.08.2016, 13:57
Beitrag: #12
RE: Wie verlief in der Spätantike die Immigration von Norden ins Römische Reich?
(18.08.2016 17:14)WDPG schrieb:  So gigantisch groß waren die eindringenden Völkermassen dann oft ja gar nicht - aber immerhin groß genug um für Unruhe zu sorgen. Unter Honorius und Valentinian III kam es vor das Personen groß gefeiert wurden, die zwar gegen die Germanen unterlagen, aber denen es gelang einen Gegenkaiser zu besiegen - irgendwie habe ich den Eindruck als sah man diese oft sogar als Gefährlicher an, als die eindringenden Völker.

Der Untergang Westroms ist ein vielschichtiges und mehrdimensionales Problem, bei dessen Entwirrung Schlachten und Armeen nur einen Faktor von mehreren bilden.

In der Spätantike und im Mittelalter sah man mögliche Erklärungen im Verfall alter römischer Werte und Tugenden und in der Vergänglichkeit irdischer Macht. Ein Staat, so glaubte man, würde wie ein lebender Organismus nach der Geburt einen kraftvollen Höhepunkt erreichen, schließlich aber dem Zerfall und einem unaufhaltsamen Tod entgegengehen (Dekadenztheorie).

Dieses Denken in moralischen und christlichen Kategorien hat die moderne Geschichtswissenschaft natürlich in vieler Hinsicht erweitert. Heute besteht kein Zweifel daran, dass soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme des spätantiken römischen Staats ebenso für seinen Niedergang verantwortlich sind, wie die äußere Bedrohung durch die germanische Völkerwanderung.

Eine wesentliche Rolle spielt dabei der Niedergang der Landwirtschaft und eine unerhörte steuerliche Belastung, die die Kosten der Reichsverteidigung und andere staatliche Leistungen aufbringen sollte. Die Steuerreform des Diokletian verstärkte den Druck auf die Reichsbewohner, die sich inzwischen einer übermächtigen Bürokratie und unerträglichen Steuerlast gegenüber sahen. Besonders hart traf es die Landpächter, die Kolonen. Zur Verhinderung der Landflucht fesselte sie der Staat durch Gesetze an die Scholle und erzwang damit - oft vergeblich - die Bebauung des Landes und Steuerzahlungen.

Die städtischen Eliten verarmten inzwischen, da der Staat alle Leistungen auf die Kommunen abzuwälzen suchte und dafür städtische Senate und Bürgermeister in Haftung nahm. Das führte schließlich dazu, dass sich niemand mehr für den römischen Staat verantwortlich fühlte, der nur noch als immense Belastung im täglichen Leben wahrgenommen wurde.

Als nach dem Hunneneinfall germanische Völker auf die Reichsgrenzen vorrückten, trafen sie im Raum des Weströmischen Reichs auf eine zerrüttete Landwirtschaft mit unzureichender Nahrungsbasis, stellenweise entvölkerte Regionen mit unbebauten Äckern sowie niedergehende Städte. Die Armee bestand sowohl diesseits als auch jenseits der Reichsgrenze aus vielfach unzuverlässigen Barbaren - abgesehen von den Führungskadern - , und an der Spitze des Staates standen entweder Kinderkaiser, die oft korrupte oder unfähige Vormünder hatten, oder rasch wechselnde Kaiser von Gnaden des Militärs.

Diese totale Desintergration Westroms, hervorgerufen durch unterschiedliche Faktoren, bewirkte damit zwangsläufig seinen Untergang. Es ist bezeichnend, dass das Oströmische Reich, das innenpolitisch und wirtschaftlich stärker gefestigt war, noch eine weitaus längere Lebensdauer hatte.

Der britische Historiker Peter Heather [1] stellt ein anderes Problem in den Vordergrund. Er sagt, nachdem die Germanen ihre Reiche in Gallien, Spanien und Afrika errichtet hätten, habe Westrom kaum noch Steuern eingenommen. Immherhin waren beträchtliche Teile des Imperiums entglitten. Somit fehlte das Geld, um Armeen in ausreichender Zahl aufzustellen, die Rom hätten verteidigen und die Germanen vertreiben können.

[1] Peter Heather, Der Untergang des Römischen Weltreichs, London 2005/Hamburg 2010
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20.08.2016, 17:47
Beitrag: #13
RE: Wie verlief in der Spätantike die Immigration von Norden ins Römische Reich?
(20.08.2016 13:57)Dietrich schrieb:  Der Untergang Westroms ist ein vielschichtiges und mehrdimensionales Problem, bei dessen Entwirrung Schlachten und Armeen nur einen Faktor von mehreren bilden.

In der Spätantike und im Mittelalter sah man mögliche Erklärungen im Verfall alter römischer Werte und Tugenden und in der Vergänglichkeit irdischer Macht. Ein Staat, so glaubte man, würde wie ein lebender Organismus nach der Geburt einen kraftvollen Höhepunkt erreichen, schließlich aber dem Zerfall und einem unaufhaltsamen Tod entgegengehen

Als jemand, der sich in der Antike nicht so auskennt, habe ich für den Untergang Roms eine vereinfachende Erklärung: Solange Rom expandierte wurden Gewinne gemacht - auf Kosten der eroberten Völker und Regionen. Irgendwann nach der Adoptivkaiser-Zeit oder schon davor, war das Imperium dann zu gross geworden, um noch expandieren zu können. Dabei spielten nicht nur die Germanen im Westen sondern auch die Völker in Osten (Persien) eine Rolle. Um die bestehenden Grenzen des Imperiums zu erhalten, mussten nach wie vor grosse Heere und Armeen unterhalten werden, die von da an allerdings keine Gewinne mehr einbrachten. Die Macht und auch die Wirtschaftspotenz von Rom war eigentlich auf ständiges Wachstum ausgerichtet. Als dieses ins Stocken kam, weil das ganze eine Dimension erreichte, die auch Roms Möglichkeiten überstieg, begann der Niedergang. Das "Prinzip" Roms war auf Expansion ausgerichtet, nicht auf Verteidigung und Erhalt.
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21.08.2016, 12:23
Beitrag: #14
RE: Wie verlief in der Spätantike die Immigration von Norden ins Römische Reich?
(20.08.2016 13:57)Dietrich schrieb:  Der britische Historiker Peter Heather [1] stellt ein anderes Problem in den Vordergrund. Er sagt, nachdem die Germanen ihre Reiche in Gallien, Spanien und Afrika errichtet hätten, habe Westrom kaum noch Steuern eingenommen. Immherhin waren beträchtliche Teile des Imperiums entglitten. Somit fehlte das Geld, um Armeen in ausreichender Zahl aufzustellen, die Rom hätten verteidigen und die Germanen vertreiben können.

Auch ich bin der Meinung das es ein Bündel an Faktoren war, die zum Untergang Westroms geführt hatten. Ein ganz wichtiger Faktor ist einfach das man mit den Fronten die man zu verteidigen hatte irgendwann überlastet war - das führte auch zu der Sache mit den Steuern die du erwähnt hast.

Was den Verlust von Provinzen betrifft: Stimmt und es gibt für mich auch den Beweis, dass man es damals so gesehen hat: Die letzten Kaiser die versuchten Westrom wieder Glanz zu verleihen, haben alle Versucht die wirtschaftlich bedeutenden Provinzen in Nordafrika wiederzuerobern - vergebens.

Meine Frage war aber eher die ob es nicht sein könnte das man weniger die Stämme wie Franken, Burgunder, Wandalen, Westgoten usw. als die wichtigste Bedrohung für die "Zentrale" in Ravenna/Rom gesehen hat, sondern eher Einzelpersonen wie Geiserich, Alarich oder auch die zahlreichen Gegenkaiser? Und ob es nicht vielleicht auch so war das der eine oder andere Stamm oder Familienclan einfach mal das Volk Gewechselt hat, wenn eine starke Führungsperson, den Schutz bot, den eben Rom nicht mehr bieten konnte?
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21.08.2016, 12:26
Beitrag: #15
RE: Wie verlief in der Spätantike die Immigration von Norden ins Römische Reich?
(20.08.2016 17:47)Aguyar schrieb:  Als jemand, der sich in der Antike nicht so auskennt, habe ich für den Untergang Roms eine vereinfachende Erklärung: Solange Rom expandierte wurden Gewinne gemacht - auf Kosten der eroberten Völker und Regionen. Irgendwann nach der Adoptivkaiser-Zeit oder schon davor, war das Imperium dann zu gross geworden, um noch expandieren zu können. Dabei spielten nicht nur die Germanen im Westen sondern auch die Völker in Osten (Persien) eine Rolle. Um die bestehenden Grenzen des Imperiums zu erhalten, mussten nach wie vor grosse Heere und Armeen unterhalten werden, die von da an allerdings keine Gewinne mehr einbrachten. Die Macht und auch die Wirtschaftspotenz von Rom war eigentlich auf ständiges Wachstum ausgerichtet. Als dieses ins Stocken kam, weil das ganze eine Dimension erreichte, die auch Roms Möglichkeiten überstieg, begann der Niedergang. Das "Prinzip" Roms war auf Expansion ausgerichtet, nicht auf Verteidigung und Erhalt.

Für viele Großreiche gilt das was du hier schreibst, ein ganz typisches Beispiel dafür ist jenes der Osmanen. Aber bei Rom habe ich irgendwie eher nicht den Eindruck als wäre, das der wesentliche Faktor beim Niedergang gewesen. So groß waren die Expansionen seit Augustus auch nicht mehr und dennoch erlebt man unter den Adoptivkaisern noch eine Blütezeit.
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21.08.2016, 13:30
Beitrag: #16
RE: Wie verlief in der Spätantike die Immigration von Norden ins Römische Reich?
Ich denke, Aguyar hat schon nicht so ganz unrecht. Die großen Expansionen blieben nach Augustus zwar aus, aber das lag eher daran, dass Rom bereits zu diesem Zeitpunkt seine "ideale" Ausdehnung gefunden hatte. Rom hatte die Regionen, die sich wirklich gelohnt haben, geschluckt- bei jeder weiteren Eroberung, insbesondere, wenn man an den Norden denkt- war das Kosten- Nutzen Verhältnis schlechter.
Rom profitierte davon, dass es seine Infrastruktur überall hin exportierte und die eroberten Regionen möglichst nach römischen Vorbild gestaltete. Je weiter die eroberten Regionen aber vom Mittelmeer entfernt lagen, um so schwieriger und kostenintensiver wurde das- der Ertrag nahm ab. Klima und geographische Verhältnisse wichen zunehmend von Rom ab.
Ein paar Eroberungen gab es noch, aber wenn ich z.B. an Britannien denke, waren sie langfristig eher eine Last. Die Römer konnten es nicht wissen- wenn man von unten nach Britannien sieht, muss Britannien lohnend gewirkt haben- der fruchtbare Süden Englands, die weiten Flüsse und einfachen Transportwege, die Metalle Cornwalls. Sieht man von Norden darauf nieder, wird klar, dass es langsfristig zu teuer ist, die Grenzen zu sichern. Britannien und Irland sind, vom Norden her betrachtet, nämlich Seekönigreiche, die zu Boot sehr viel einfacher zu beherrschen sind als zu Lande...Und langfristig hat sich das auch ausgewirkt...Die Römer haben Britannien verlassen. Es war zu teuer, zu aufwändig die Grenzen des Reiches hier zu schützen....

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21.08.2016, 19:51
Beitrag: #17
RE: Wie verlief in der Spätantike die Immigration von Norden ins Römische Reich?
Rom verlor doch auch die nach römischen Muster erschlossenen Regionen z.B. Gallien und Afrika. Es waren dicht besiedelte reiche Regionen und sie schafften es nicht die Verteidigung zu organisieren.
Es war ein falsches Konzept die Sicherheit in die Hände von Fremdenlegionäre zu legen und das darunter die Germanen in Italien dominierten.
Zum Thema: In den linksrheinischen und süddeutschen Gebieten bereitete die Germanisierung durch Einwanderung die Machtübernahme durch Germanen vor.

viele Grüße

Paul

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21.08.2016, 22:45
Beitrag: #18
RE: Wie verlief in der Spätantike die Immigration von Norden ins Römische Reich?
(21.08.2016 19:51)Paul schrieb:  Rom verlor doch auch die nach römischen Muster erschlossenen Regionen z.B. Gallien und Afrika. Es waren dicht besiedelte reiche Regionen und sie schafften es nicht die Verteidigung zu organisieren.

Zwangsläufig. Wenn etwas über die Grenzen hinaus gewachsen ist, dann gibt es keinen langsamen Zusammenbruch. Dann gibt es einen Kollaps.

(21.08.2016 19:51)Paul schrieb:  Es war ein falsches Konzept die Sicherheit in die Hände von Fremdenlegionäre zu legen und das darunter die Germanen in Italien dominierten.

Es gab aber nicht mehr genug römische Soldaten, um die römischen
Grenzen zu schützen. Rom mußte Söldner anheuern, und tat dies auch. Das einzige andere Konzept wäre gewesen, sich frühzeitig um Rückzug zu bemühen....

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22.08.2016, 18:50
Beitrag: #19
RE: Wie verlief in der Spätantike die Immigration von Norden ins Römische Reich?
(21.08.2016 12:23)WDPG schrieb:  Meine Frage war aber eher die ob es nicht sein könnte das man weniger die Stämme wie Franken, Burgunder, Wandalen, Westgoten usw. als die wichtigste Bedrohung für die "Zentrale" in Ravenna/Rom gesehen hat, sondern eher Einzelpersonen wie Geiserich, Alarich oder auch die zahlreichen Gegenkaiser?

Ich verstehe die Frage nicht ganz.
Ob nun Stammesführer oder Stamm - das kommt doch aufs gleiche heraus. Der Stammesführer kann seine Forderungen nur aufgrund der hinter ihm stehenden militärischen Macht erheben. Und die durchs Römerreich wandernden Stämme waren vor allem auf Beute und Plünderung aus. Es ist ja bezeichnend, dass in den Germanenreichen der Völkerwanderung kein Germane mehr den Pflug in die Hand nahm und Ackerbau betrieb. Sie alle lebten als Parasiten von den Abgaben und Steuern der einheimischen Bauern, von denen nach dem Usus der Hospitalitas zwei drittel der römischen Elite und ein drittel der germanischen Kriegerkaste hörig war.

Dass allerdings charismatische Anführer stets in der Geschichte Wirkung zeigen, ist eine bekannte Tatsache. Aber ohne Macht im Rücken sind auch sie erfolglos.
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22.08.2016, 20:15
Beitrag: #20
RE: Wie verlief in der Spätantike die Immigration von Norden ins Römische Reich?
(21.08.2016 13:30)Bunbury schrieb:  Ich denke, Aguyar hat schon nicht so ganz unrecht. Die großen Expansionen blieben nach Augustus zwar aus, aber das lag eher daran, dass Rom bereits zu diesem Zeitpunkt seine "ideale" Ausdehnung gefunden hatte. Rom hatte die Regionen, die sich wirklich gelohnt haben, geschluckt- bei jeder weiteren Eroberung, insbesondere, wenn man an den Norden denkt- war das Kosten- Nutzen Verhältnis schlechter.
Rom profitierte davon, dass es seine Infrastruktur überall hin exportierte und die eroberten Regionen möglichst nach römischen Vorbild gestaltete. Je weiter die eroberten Regionen aber vom Mittelmeer entfernt lagen, um so schwieriger und kostenintensiver wurde das- der Ertrag nahm ab. Klima und geographische Verhältnisse wichen zunehmend von Rom ab............

Ja die Lage wie du in sie in Großbritannien beschrieben hast war in anderen Gegenden wohl ähnlich. Bei vielen Gebieten lohnte sich eine Eroberung wohl nicht.

Aber war es denn auch so dass, das römische Steuer- und Wirtschaftssystem die ständige Expansion brauchte. Meiner Meinung nach eher nicht.

Denke ein Faktor war es, aber ich sehe es nicht als den Hauptfaktor.
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