Urheimat der Indoeuropäer
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15.11.2014, 15:31
Beitrag: #51
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(15.11.2014 15:10)Arkona schrieb: Es gibt ja eine Parallele, nämlich die ersten Konquistadoren mit Pferden. Da standen die Indios zunächst auch nur scheu mit offenem Mund da. Ich denke man muss sich vor der Vorstellung hüten, alle indigenen Stämme Europas seien expandierenden Indoeuropäern nun um den Hals gefallen. Mit Sicherheit hat es auch Kämpfe um die Vorherrschaft gegeben, die blutig verliefen. Dennoch müssen die einwandernden indoeuropäischen Gruppen den Autochthonen auch waffentechnisch überlegen gewesen sein, wobei das Sortiment nur klein war. 3000 v. Chr. verfügten die Eindringlinge noch nicht über Metallwaffen, was die Frage aufwirft, in welcher Hinsicht sie den Eingeborenen überlegen waren. |
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15.11.2014, 16:29
Beitrag: #52
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(15.11.2014 15:31)Dietrich schrieb: 3000 v. Chr. verfügten die Eindringlinge noch nicht über Metallwaffen, was die Frage aufwirft, in welcher Hinsicht sie den Eingeborenen überlegen waren. Wenn sie damals wirklich das Pferdemonopol besaßen, beantwortet sich das eigentlich von allein. „Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein) |
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15.11.2014, 16:47
Beitrag: #53
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(15.11.2014 16:29)Arkona schrieb: Wenn sie damals wirklich das Pferdemonopol besaßen, beantwortet sich das eigentlich von allein. Ich wei0 nicht, Arkona, ob allein das Pferd als Erklärung für die Durchsetzungskraft der Indoeuropäer ausreicht. Schriftquellen aus Indien (die Veden, Rigveda) zum Vordringen der Indoeuropäer um 1500 v. Chr, zeigen, dass diese Gruppen ziemlich aggressiv vorgingen. Als Nomaden waren diese Gruppen vermutlich ein rücksichtsloseres Vorgehen gewohnt, als es die einheimischen neolithischen Bauern kannten - sei es in Indien und im Iran, sei es in Europa. In Schleswig-Holstein finden wir zeitgleiche Bestattungen in Megalithgräbern und benachbarten Steinkisten-Einzelgräbern. Das deutet auf ein miteinander hin, wobei man nicht weiß, wie die Machtverhältnisse aussahen. Vielleicht hatten sich die Eliten beider Ethnien bereits zusammengetan und nur noch das Volk beharrte traditionell auf seinen "Hünengräbern". |
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15.11.2014, 16:50
Beitrag: #54
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
Nochmal zu Häussler: Ich habe das gestern mal überflogen. Er beschränkt sich bei der ganzen Ausbreitungsfrage auf Europa, was die ganze Problematik ziemlich einengt. Mir will auch nicht in den Sinn, warum das Speichenrad eine Erfindung aus den Bergen Vorderasien sein soll. Die frühesten Funde stammen jedenfalls von ganz woanders. http://de.wikipedia.org/wiki/Sintashta-Kultur
Wirklich effektiv sind Streitwagen doch nur in offenem Gelände gewesen. Wenn später Ramses II. sich damit durch Palästina quälte, war das wohl eher Prestige. Die berühmte Hethiterschlacht fand dann ja auch in der Orontesebene statt. Die vornehmen Kelten und davor die Helden Homers fuhren damit zwar angeberisch in den Kampf, saßen dann aber meist ab. „Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein) |
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15.11.2014, 16:59
Beitrag: #55
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(15.11.2014 16:47)Dietrich schrieb: Ich wei0 nicht, Arkona, ob allein das Pferd als Erklärung für die Durchsetzungskraft der Indoeuropäer ausreicht. Schriftquellen aus Indien (die Veden, Rigveda) zum Vordringen der Indoeuropäer um 1500 v. Chr, zeigen, dass diese Gruppen ziemlich aggressiv vorgingen. Das eine ergibt das andere. Moderne Pferdesportler tragen die Nase meist auch etwas höher als ihre latschenden Mitmenschen. ![]() Dass traditionelle Hirtenstämme selbst ohne Reittiere eher auf Krawall gebürstet sind, zeigt auch die Frühgeschichte Afrikas mit ihrer Bantuexpansion und das Verhältnis der Niloten (z.B. Massai) zu ihrer sesshaften Umgebung. „Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein) |
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15.11.2014, 19:45
Beitrag: #56
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(15.11.2014 16:50)Arkona schrieb: Nochmal zu Häussler: Ich habe das gestern mal überflogen. Er beschränkt sich bei der ganzen Ausbreitungsfrage auf Europa, was die ganze Problematik ziemlich einengt. Das ist ein Kritikpunkt, der mir als erstes auffiel. Wie lässt sich eine Ausbreitung der Indoeuropäer über die riesige Distanz von Mitteleuropa bis Indien erklären, wenn man eine "Urheimat" in Zentraleuropa annimmt? Recht hat Häusler wenn er sagt, dass irgendwelche Invasionen von Reiternomaden von Westasien nach Europa archäologisch nicht zu belegen sind. Insofern ist der Gedanke verführerisch, die Entstehung der Indoeuropäer aus einer ungestörten mesolithischen und neolithischen indigenen europäischen Bevölkerung heraus anzunehmen. Die einzige Einwirkung von außen wären neolithische Bauern, die vom Balkan her Richtung Norden zogen. Das vollzog sich allerdings in Mittel- und Norddeutschland vermutlich stark im Rahmen eines Kulturtransfers und sicher nicht mehr durch Einwirkung anatolischer Bauern. |
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15.11.2014, 20:02
Beitrag: #57
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
Wobei die anatolischen Bauern, die Renfrew ins Spiel brachte, ein paar tausend Jahre früher als die Indogermanen zu verorten sind, genau wie @Pauls Ertebölle-Leute.
Nochmal was zum Thema Kulturtransfer: Das neolithische Paket trat ja keineswegs einen Siegeszug durch Europa an. Im Gegenteil, es dauerte selbst für damalige Verhältnisse quälend langsam. Das spricht in der Tat für Kulturtransfer und nicht für Völkerverschiebungen, hat aber mit der Indogermanen-Problematik primär erstmal nix zu tun. Sich ohne unmittelbare Not mit Landwirtschaft abzuknechten, war jedenfalls kein besonders attraktives Lebensmodell für die alteingesessenen Mesolithiker. „Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein) |
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16.11.2014, 14:50
Beitrag: #58
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(15.11.2014 20:02)Arkona schrieb: Wobei die anatolischen Bauern, die Renfrew ins Spiel brachte, ein paar tausend Jahre früher als die Indogermanen zu verorten sind, genau wie @Pauls Ertebölle-Leute. Wenn man davon ausgeht, dass die Indoeuropäer aus einer indigenen europäischen Bevölkerung heraus entstanden, stellt sich das Problem nicht. Als die frühen Ackerbauern etwa um 5500 v. Chr. Mitteleuropa erreichten, waren die indoeuropäischen Ethnien Zentraleuropas erst im Entstehen. Sie übernahmen später neolithische Wirtschaftsweisen von den Bandkeramikern bzw. deren Nachfolgern und zwar durch kulturelle Aneignung. (15.11.2014 20:02)Arkona schrieb: Nochmal was zum Thema Kulturtransfer: Das neolithische Paket trat ja keineswegs einen Siegeszug durch Europa an. Im Gegenteil, es dauerte selbst für damalige Verhältnisse quälend langsam. Das spricht in der Tat für Kulturtransfer und nicht für Völkerverschiebungen, hat aber mit der Indogermanen-Problematik primär erstmal nix zu tun. Sich ohne unmittelbare Not mit Landwirtschaft abzuknechten, war jedenfalls kein besonders attraktives Lebensmodell für die alteingesessenen Mesolithiker. Die ersten Ackerbauern auf europäischem Boden finden wir etwa um 6800 v. Chr. in Thessalien, wo sich die Proto-Sesklo-Kultur herausbildte mit zentralen Fundorten in Nea Nikomedia und Sesklo. Diese Kultur ist noch ganz anatolisch geprägt, was Überreste von Pflanzen, Haustieren und Geräten zeigen. Etwa um 5500 v. Chr. erreicht die Neolithisierung Mitteleuropa, was zahlreiche Fundorte und reichhaltige archäologische Überreste belegen. Umstritten ist, in welchem Ausmaß man sich von Süden nach Norden wandernde Bauern vorstellen muss, oder ob es lediglich eine Kulturtrift gab, also die Weitergabe von Kentnissen. Gegenwärtig nimmt man an, dass sich der Strom wandernder Bauern Richtung Norden stark abschwächte und im Verlauf der Ausbreitung des Ackerbaus immer stärker eine Kulturtrift in den Vordergrund trat. Hierzu gibt es eine Reihe von DNA-Analysen, die jedoch zum Teil widersprüchlich ausfallen. Sicher ist, dass auch die mesolithische Bevölkerung irgendwann zur sesshaften Lebensweise und zum Ackerbau überging, denn sie hat sich natürlich nicht in Luft aufgelöst. Eine gewisse zeit werden beide Lebensformen nebeneinander bestanden haben, doch dem sesshaften Bauerntum gehörte die Zukunft. |
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16.11.2014, 19:06
Beitrag: #59
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(16.11.2014 14:50)Dietrich schrieb: Etwa um 5500 v. Chr. erreicht die Neolithisierung Mitteleuropa, was zahlreiche Fundorte und reichhaltige archäologische Überreste belegen. Die Trichterbecherkultur entstand ohne die Indogermanen. Die Megalithbauweise hatte man aus Westeuropa übernommen, die Bauweise der Häuser sowie die Sitte, die Toten unter Langhügeln zu begraben, ist zuerst im heutigen Polen feststellbar. Die polnischen Langhäuser sind ohne Landwirtschaft nicht denkbar, ebensowenig die Megalithbauten - für letztere brauchte man eine Menge Leute, die über einen längeren Zeitraum in einem begrenzten Areal ernährt werden mussten. Das geht nur mit Hilfe von Landwirtschaft. Zwischen mesolithischer Kunst (und damit auch Religion), Grabbauweise (wieder in intensiver Zusammenhang mit Religion), Keramik und Werkzeugherstellung - z.B. der Äxte/Streitäxte - läßt sich kein Bruch feststellen. Die Bevölkerung hat sich also wohl nicht geändert. Wohl aber die Wirtschaftsweise. Statt vorwiegend Jagd betreiben die Menschen in Mitteleuropa jetzt vorwiegend Landwirtschaft. Das Wissen könnten die Trichterbecherleute von den Indogermanen vermittelt bekommen haben, aber sie waren wohl keine Indogermanen. Ein zusätzliches Indiz kommt von den Skeletten der Trichterbecherleute: Sie weisen zwei Besonderheiten auf, die vor und nach der Trichterbecherzeit in Europa so nicht mehr vorkommen. Eines ist genetisch: Die Trichterbecherleute hatten überproportional oft einen Überbiss. Anscheinend hat sich hier tatsächlich eine Bevölkerung ausgebreitet, aber sie war wohl nicht-indogermanisch (sonst wäre der Überbiss heute weiter verbreitet) und sie kam - wie die Bauweise der Häuser zeigt - wohl aus dem heutigen Polen. Das zweite hat mit Gewohnheiten, also Kultur zu tun: Die Schienbeine der Trichterbecherleute weisen charakteristische Abnutzungsspuren auf, die auf ein häufiges Hocken auf den Fersen hindeuten. Das war offenbar die typische Arbeits- und Ruhehaltung dieser Menschen. Auch das deutet wieder darauf hin, dass die Trichterbecherleute keine Indogermanen waren (von denen so etwas nicht bekannt ist) und dass sich hier wohl eine bestimmte Bevölkerung mitsamt ihrer Kultur über ganz Mitteleuropa verbreitet hat. VG Christian |
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16.11.2014, 19:25
Beitrag: #60
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
Die Landwirtschaft hat sich am Atlantik entlang und die Donau hinauf Nordwärts ausgebreitet. Den Atlantik nordwärts breiteten sich Kulturmerkmale aus, welche mit Megalithbauten verbunden waren. Irgendwo im heutigen Deutschland sind sie auf Indogermanen gestoßen, welche die Landwirtschaft übernahmen und sie wiederum nach Norden zu den Ertebölleleuten ausbreiteten. Als sie später mit diesen verschmolzen wurde Südskandinavien indogermanisch und die vorher südlich sitzenden Indogermanen übernahmen Teile der Sprache von den Ertebölleleuten. Dies vollzog sich in der zeitlichen Phase der Trichterbecherkultur.
viele Grüße Paul aus dem hessischen Tal der Loganaha (Lahn) in der Nähe von Wetflaria (Wetzlar) und der ehemaligen Dünsbergstadt |
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16.11.2014, 19:43
Beitrag: #61
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(16.11.2014 19:06)913Chris schrieb: Die Trichterbecherkultur entstand ohne die Indogermanen. Die Megalithbauweise hatte man aus Westeuropa übernommen, die Bauweise der Häuser sowie die Sitte, die Toten unter Langhügeln zu begraben, ist zuerst im heutigen Polen feststellbar. Genau das sagte ich bereits weiter vorn, als unser Paul seine Ertebölle-Kultur ins Spiel brachte. Dort hieß es: "Die Ertebölle-Kultur war eine Kultur des 6. und 5. Jahrtausends v. Chr. Sie kann demnach keinen Einfluss auf Indoeuropäer gehabt haben, da diese erst viel später - vermutlich ab etwa 3000 v. Chr. - nach Mitteleuropa einwanderten. Zu dieser Zeit war in Mittel- und Norddeutschland die Trichterbecherkultur verbreitet, der die großen Megalithbauten zuzuschreiben sind. In Süddeutschland finden sich spätneolithische Kulturen, die aus den vorangegangenen bandkeramischen Kulturen hervorgingen. Wenn wir eindringende indoeuropäische Gruppen postulieren wollen, so überlagerten die in erster Linie die Leute der Trichterbecher-Kultur und falls es ein sprachliches Substrat im Germanischen geben sollte (!?), so stammt es von von dort her." Bei den letzten Beiträgen ging es aber um etwas ganz anderes. Dort habe ich hypothetisch postuliert, dass die Indoeuropäer aus der mesolithischen Bevölkerung Europas hervorgegangen seien, ohne Invasionen oder Einwanderungen von außen. Das behauptet z.B. der Archäologe Alexander Häusler, den ich weiter oben mehrfach verlinkt habe. Folgt man einer solchen Hypothese, dann waren nicht nur die Trichterbecherleute bereits Indoeuropäer, sondern auch alle ihre Vorgänger bis hinein ins Mesolithikum - zumindest waren sie Proto-Indoeuropäer und repräsentierten die indigene Bevölkerung Europas. Man muss diesem Ansatz ja nicht folgen, aber es ist interessant, ihn einmal durchzuspielen und auf etwaige Schwächen oder auch Stärken abzuklopfen. |
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16.11.2014, 20:39
Beitrag: #62
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(16.11.2014 19:25)Paul schrieb: Die Landwirtschaft hat sich am Atlantik entlang und die Donau hinauf Nordwärts ausgebreitet. Den Atlantik nordwärts breiteten sich Kulturmerkmale aus, welche mit Megalithbauten verbunden waren. Irgendwo im heutigen Deutschland sind sie auf Indogermanen gestoßen, welche die Landwirtschaft übernahmen und sie wiederum nach Norden zu den Ertebölleleuten ausbreiteten. Nein. Kannst du dir gern so zusammenreimen, war aber nicht so. Alle Funde zeigen: Das „Neolithische Kulturrepertoire“ kam nicht als „Paket“, sondern als Bündel von Ideen, Ritualen, Kenntnissen und Bräuchen, die stückweise und auch nicht immer komplett von der einheimischen Bevölkerung übernommen wurden. Erst danach treten in Mitteleuropa relativ plötzlich Menschen auf, die ausweiselich ihres Kulturepertoires (Waffen, Pferde) eindeutig Indoeuropäer sind. Die sprachlichen Hinweise gehen in die gleiche Richtung (z.B. Versuche der Rekonstruktion einer indeoeuropäischen Ursprache). Regionale Unterschiede sind dabei wichtig, weil sie eben eine andere Entwicklung zeigen wie die, die du gerne hättest: Die Iberische Halbinsel, Frankreich, Britische Inseln, Norddeutschland, Skandinavien und Nordpolen waren bis 5000 v.Chr. von einer Jäger-Bauern-Kultur bestimmt, südwestlich dieser Regionen gab es eine fast reine Bauernkultur, die Linearbandkeramiker, die aber genetisch eindeutig keine Indogermanen waren. Grund für die Unterschiede in West und Ost waren unterschiedliche Klima- und Bodenverhältnisse. Die von Nordmarokko und Spanien aus sich ausbreitende Cardial-Kultur war eine neolithische Viehzüchterkultur und zeitgleich mit Bandkeramikkultur. Der größte Teil der Megalithanlagen in Spanien und Portugal stammt von dieser Kultur (= ältester Zweig der Megalithkultur, zweiter Zweig breitete sich offenbar über Polen von Osten her über Europa aus!). An der Westküste Spaniens und Frankreichs entstand ab 6000 v.Chr. die mit der Cardial-Kultur verwandte LaHoguette-Kultur (Schaf- und Ziegenzüchter), die sich bis in die Gegend von Stuttgart nach Osten ausbreitete (hier Zusammentreffen mit Linearbandkeramikern und gemeinsames, meist friedliches Zusammenleben und Austausch in Kontaktzone). Erst nach dieser Phase kamen die Trichterbecherleute und haben Kulturmerkmale der Megalithiker in ihre Kultur aufgenommen. Und das waren, wie gesagt, KEINE Indogermanen. Du kannst es drehen und wenden, die ersten, die als Indgermanen in Europa in Frage kommen, sind die Streitaxtleute. Und die tauchten erst auf, als die Ertebölle-Kultur schon fast 2000 Jahre Geschichte war, nämlich ab etwa 2800 v.Chr. |
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16.11.2014, 20:41
Beitrag: #63
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(16.11.2014 19:43)Dietrich schrieb: Man muss diesem Ansatz ja nicht folgen, aber es ist interessant, ihn einmal durchzuspielen und auf etwaige Schwächen oder auch Stärken abzuklopfen. Das schon. Aber, wie gesagt, vor allem die Schienbeine und der Überbiss, abgesehen von der zeitlichen Abfolge, sprechen massiv gegen diese Theorie. Sie hat große Schwächen und wenige Stärken... VG Christian |
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16.11.2014, 21:53
Beitrag: #64
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(16.11.2014 19:43)Dietrich schrieb: Genau das sagte ich bereits weiter vorn, als unser Paul seine Ertebölle-Kultur ins Spiel brachte. Dort hieß es: Laut Wikipedia wurde die Erteböllekultur aber 4100 vor Chr. direkt durch die Trichterbecherkultur abgelöst. http://de.wikipedia.org/wiki/Ertebølle-Kultur Ich lese überall, das die Trichterbecherkultur eine indogermanische Kultur war. Im Fernsehen kam mal eine Sendung darüber, das die Trichterbecherkultur aus der Vermischung dieser beiden Kulturen stammte, welche in Schleswig Holstein seinen Anfang genommen hätte und dann expandierte. Indogermanische Einwanderer aus der Michelsberger Kultur hätten sich mit den Ertebölleleute in Schleswig Holstein vermischt. viele Grüße Paul aus dem hessischen Tal der Loganaha (Lahn) in der Nähe von Wetflaria (Wetzlar) und der ehemaligen Dünsbergstadt |
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16.11.2014, 22:02
Beitrag: #65
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(16.11.2014 20:41)913Chris schrieb: Das schon. Aber, wie gesagt, vor allem die Schienbeine und der Überbiss, abgesehen von der zeitlichen Abfolge, sprechen massiv gegen diese Theorie. Sie hat große Schwächen und wenige Stärken...Für den Überbiss der Trichterbecher-Leute hätte ich gern mal eine Quelle. Den hatten Napoleons Soldaten auch fast alle, weil sie meist starke Pfeifenraucher waren. ![]() Ich will damit sagen, bestimmte an Skeletten sichtbare anatomische Merkmale müssen nicht genetisch, sondern können kulturell bedingt sein. Die potentielle Liste ist lang: abgenutzte Kniescheiben bei frommen Katholiken und Muslimen, O-Beine bei Reitern, Rundrücken bei heutigen Computer-Nerds... „Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein) |
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16.11.2014, 22:42
Beitrag: #66
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
Wo bitteschön liest du das "überall", lieber @Paul. In 75 Jahre alten Büchern aus dem 3.Reich? Die Trichterbecherkultur war ziemlich sicher nicht indogermanisch, bestenfalls am Ende indogermanisch beeinflusst. Bessere Kandidaten für frühe Indogermanen sind die nachfolgenden Schnurkeramiker, aber auch das trifft es wahrscheinlich nicht so recht.
„Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein) |
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16.11.2014, 23:59
Beitrag: #67
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(16.11.2014 22:02)Arkona schrieb: Für den Überbiss der Trichterbecher-Leute hätte ich gern mal eine Quelle. Sorry, hab´s grad noch mal nachgelesen: Es war kein Überbiss, es war ein Aufbiss. Quelle: Probst, Ernst: Das Rätsel der Großsteingräber. Die nordwestdeutsche Trichterbecher-Kultur. 2011. VG Christian |
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17.11.2014, 15:59
Beitrag: #68
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(16.11.2014 20:41)913Chris schrieb: Das schon. Aber, wie gesagt, vor allem die Schienbeine und der Überbiss, abgesehen von der zeitlichen Abfolge, sprechen massiv gegen diese Theorie. Sie hat große Schwächen und wenige Stärken... Du solltest vielleicht einmal die Argumente durchlesen, die Alexander Häusler für seine Autochthonen-Hypothese und gegen die Einwanderungs-Theorie der Indoeuropäer anführt. http://www.uni-leipzig.de/~diffint/index...view/36/23 Die Hypothese einer indoeuropäischen Einwanderung nach Europa steht auf schwachen Füßen, da es keine archäologischen Belege für solche Zuwanderungen gibt. Übrigens auch keine für eine so genannte "Urheimat" in Südrussland. Grabhügel - von Marija Gimbutas Kurgane genannt - gibt es auch bei anderen Kulturen. Vor allem sind sie kein Alleinstellungsmerkmal für Indoeuropäer. Diese Kultur ist seit langem bekannt unter dem Namen "Ockergrabkultur", oder "Jamnajakultur", ohne dass man indes archäologisch eine Expansion nach Europa und Indien beweisen könnte. Und - mit Verlaub - eine Theorie auf Überbiss und Schienbeine zu stützen, ist dann doch etwas wenig Butter bei die Fische. |
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17.11.2014, 16:29
Beitrag: #69
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(16.11.2014 21:53)Paul schrieb: Laut Wikipedia wurde die Erteböllekultur aber 4100 vor Chr. direkt durch die Trichterbecherkultur abgelöst. Ja und? 4100 v. Chr. gab es in Norddeutschland und Südskandinavien - Zentrum der Trichterbecherkultur - noch keine Indoeuropäer. Die saßen noch - folgt man Marija Gimbutas - in der südrussischen Steppe und führten ein lustiges Leben inmitten ihrer Kurgane. Insofern ist die Trichterbecherkultur vermutlich eine indigene Kultur, hervorgegangen aus der Bevölkerungsschicht, die dort schon seit dem Mesolithikum ansässig war. Was nicht ausschließt, dass es in dieser langen Zeitspanne immer wieder Bevölkerungsverschiebungen gab. Die Trichterberleute erlernten den Ackerbau und bildeten die erste neolithische Kultur des Nordens aus. Die alte Tante Wiki sagt dazu: "Im nördlichen Mitteleuropa, im mittleren Osteuropa und in Südskandinavien ist sie die erste, vom Ackerbau geprägte Kultur des (nordisches Frühneolithikums). Sie folgt im Norden der mesolithischen Ertebølle-Kultur (5100-4100 v. Chr.), im übrigen Verbreitungsgebiet den bereits bäuerlichen Kulturen der Bandkeramik und der Rössener Kultur." Marija Gimbutas - um dieser Dame weiter zu folgen - setzt die erste indoeuropäische Einwanderung in diese Region im 3. Jahrtausend an. Dort trafen indoeuropäische Gruppen auf die Trichterbecherleute, die sie assimilierten und deren Megalithkultur sie verdrängten. Die Megalithgräber verschwinden jetzt aus Norddeutschland und Skandinavien, denn die Indoeuropäer bestatteten ihre Toten nicht in Kollektiv- sondern in Einzelgräbern (auch als http://de.wikipedia.org/wiki/Einzelgrabkultur bezeichnet). Und darauf häuften sie vielfach - nicht immer - einen kleinen Kurganhügel. Damit haben wir jetzt die so genannte schnurkeramische oder auch Streitaxtkultur vor uns, die die erste indoeuropäische Kultur Mittel- und Norddeutschlands sowie Südskandinaviens ist. Wiki sagt zur Grablegung: "Typisch sind Einzelbestattungen in Hocklage unter Grabhügeln; d. h. die Toten wurden mit angezogenen Beinen auf der Seite liegend bestattet. Kennzeichnend für die Schnurkeramik ist eine konsequent „bipolare Bestattungsweise“. Das bedeutet, dass für Männer und Frauen entgegengesetzte Grablegungen üblich waren. Die Toten der mitteleuropäischen Schnurkeramik liegen meist in der Ost-West-Achse, dabei die Frauen linksseitig mit dem Kopf nach Osten, die Männer rechtsseitig mit dem Kopf nach Westen." Damit weichen die Indoeuropäer fundamental von den Trichterbecherleuten ab, die sie nun eindeutig überformt und assimiliert haben. Die alte Tante Wiki sagt abschließend zu den Schnurkeramikern lapidar: "Diskutiert wird hingegen, ob die Schnurkeramiker die älteste Einwanderergruppe der indogermanischen Sprachfamilie in Mitteleuropa darstellen." http://de.wikipedia.org/wiki/Schnurkeramik |
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04.12.2014, 03:56
Beitrag: #70
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
Die Trichterbecherkultur war sicherlich eine indigine Kultur, die aber kulturelle Einflüsse und wahrscheinlich auch Einwanderer aus dem Süden aufnahm, so das die Sprache indogermanisiert wurde. Sie behielt natürlich starke Anteile ihrer bisherigen Sprache. Gleichzeitig wanderten auch Bevölkerungen in den Süden und der Handel verstärkte sich. So breitete sich die Trichterbecherkultur auf eine große Region aus.
viele Grüße Paul aus dem hessischen Tal der Loganaha (Lahn) in der Nähe von Wetflaria (Wetzlar) und der ehemaligen Dünsbergstadt |
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04.12.2014, 18:24
Beitrag: #71
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(04.12.2014 03:56)Paul schrieb: Die Trichterbecherkultur war sicherlich eine indigine Kultur, die aber kulturelle Einflüsse und wahrscheinlich auch Einwanderer aus dem Süden aufnahm, so das die Sprache indogermanisiert wurde. Sie behielt natürlich starke Anteile ihrer bisherigen Sprache. Gleichzeitig wanderten auch Bevölkerungen in den Süden und der Handel verstärkte sich. So breitete sich die Trichterbecherkultur auf eine große Region aus. Einflüsse aus dem Süden gehen zunächst von der bandkeramischen Kultur aus, denn von ihr übernahmen die Trichterbecherleute den Ackerbau - vermutlich im Rahmen eines Kulturtransfers, wobei es sicher auch zu Vermischungen mit den Bandkeramikern kam. Das geschah etwa um das Jahr 4000 und später, denn von da ab datiert die Trichterbecherkultur. An Indoeuropäer war zu diesem Zeitpunkt nicht zu denken. Die sickerten ab etwa 3000 ein, brachten ihre schnurkeramische Kultur mit und verdrängten die Megalithkultur der Trichterbecherleute. Ob es ein Sprachsubstrat im Germanischen gibt, ist bis heute umstritten. |
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04.12.2014, 19:14
Beitrag: #72
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
Ich weiß, dass bei der Thematik sehr viel Spekulation und kreative Phantasie mit reinspielt.
Was ich mich immer wieder frage - was war der Antrieb, die Triebkraft, die es ermöglichte, dass sich ein bestimmtes ähnliches Grundvokabular in völlig unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen in einem derart riesigen Gebiet in relativ kurzer Zeit verbreiten konnte. Irgendein "evolutionärer" Grund im weitesten Sinne. Kriegerische Expansionstheorien fallen für mich da völlig aus. Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte. Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land. Veilchen träumen schon, wollen balde kommen. – Horch, von fern ein leiser Harfenton! Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen! Eduard F. Mörike (1804-1875) |
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04.12.2014, 19:35
Beitrag: #73
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
Tausende Jahre sind aber keine kurze Zeit. Die Sprachfamilie breitete sich im diesen langen Zeiträumen aus, sie war aber nicht mehr einheitlich.
Ich war völlig überrascht, als ich von Stefan Jakob einen Satz in Ururalisch( über 10000 Jahre alt), mit deutscher Übersetzung las, welcher leicht verständlich war, also dem modernen deutsch ähnelte. viele Grüße Paul aus dem hessischen Tal der Loganaha (Lahn) in der Nähe von Wetflaria (Wetzlar) und der ehemaligen Dünsbergstadt |
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04.12.2014, 20:05
Beitrag: #74
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(04.12.2014 19:35)Paul schrieb: Tausende Jahre sind aber keine kurze Zeit. das kann man sehen wie man will. Kurz und lang sind relative Begriffe. Man weiß nicht, wie und warum es diese Indogermanisierung der Sprache in dem betreffenden Gebiet gab oder wo sie möglicherweise ihren Ursprung hatte. Von daher kann man auch keine genauen Angaben über die Dauer dieses Prozesses machen -sprich, der genannte Zeitraum ist auch nur eine mehr oder minder gut begründete Vermutung. (04.12.2014 19:35)Paul schrieb: Ich war völlig überrascht, als ich von Stefan Jakob einen Satz in Ururalisch( über 10000 Jahre alt), mit deutscher Übersetzung las, welcher leicht verständlich war, also dem modernen deutsch ähnelte. Das würde ich auch gerne mal sehen. Es gibt ja einige Verbindungen der uralischen Sprachen mit dem Indogermanischen Wortstämmen, aber dass das dann gleich "deutschähnlich" ausgesehen haben soll, ist natürlich schwer zu glauben. Sei so gut und verlink da mal was brauchbares. Oder meinst du die deutsche "Übersetzung", die dann leicht verständlich war ... ![]() Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte. Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land. Veilchen träumen schon, wollen balde kommen. – Horch, von fern ein leiser Harfenton! Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen! Eduard F. Mörike (1804-1875) |
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05.12.2014, 11:21
Beitrag: #75
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(04.12.2014 19:14)Avicenna schrieb: Ich weiß, dass bei der Thematik sehr viel Spekulation und kreative Phantasie mit reinspielt. Ich könnte mir gut vorstellen, ohne jetzt große Beweise zu haben, daß sich die Lebensbedingungen im genannten zeitraum in erheblichem Umfang veränderten. Ich denke jetzt nur an die Orkneys, wo es ja eine Hochkultur gab, die ca. 2300 v Chr. plötzlich verschwand. Die Siedlungen wurden einfach aufgegeben, die Menschen wanderten nach Süden, was darauf hindeutet, daß hier vielleicht tatsächlich ein Klimawandel oder ein Vulkanausbruch, der zur Abkühlung des Klimas führte, stattgefunden hat. (und auf den Orkneys blieb das auch weitestgehend erhalten, weil das Klima dort oben erst jetzt allmählich wieder eine so großzügige Bebauung zuläßt). Wenn dem so war, dann war Boden, der zur Verfügung stand und die Menschen ernähren konnte, plötzlich viel knapper- und das hat natürlich zu gesellschaftlichen Veränderungen geführt. Man konnte ja nicht so weitermachen wie bisher. Und wenn sich die Gesellschaft verändert, verändert sich die Sprache. Vielleicht brachten die Indoeuropäer Worte mit, die viel leichter beschrieben, was jetzt gesellschaftlich passierte... Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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05.12.2014, 17:42
Beitrag: #76
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(04.12.2014 19:14)Avicenna schrieb: Ich weiß, dass bei der Thematik sehr viel Spekulation und kreative Phantasie mit reinspielt. Wenn man davon ausgeht, dass sich die Indoeuropäer von einem bestimmten Druckzentrum nach West und Ost ausbreiteten, dort die indigene Bevölkerung überschichteten und ihr ihre Sprache aufzwangen, bietet eine solche Hypothese eine Erklärung für das Phänomen. Wanderungen von Hirten- oder Steppenreitervölkern, die sich über große Gebiete ausbreiteten, hat es in der Geschichte mehrfach gegeben. Man denke nur an die Mongolen oder die Hunnen. Allerdings verschwanden die Sprachen der alteingesessenen Völker nicht vollständig. Es gab eine Vermischung mit der Sprache der Indoeuropäer, die zur Übernahme von Begriffen führte. Das können Sprachwissenschaftler noch heute anhand eines vorindoeuropoäischen sprachlichen Substrats erkennen, das z.B. im Griechischen recht umfangreich ist. Erst durch die Einflüsse einheimischer Idiome entwickelten sich die verschiedenen indoeuropäischen Sprachen, aus denen man gleiche Grundbestandteile herausfiltern kann. So schuf die Sprachwissenschaft die hypothetische indoeuropäische Grundsprache, die natürlich nur ein Konstrukt sein kann. http://de.wikipedia.org/wiki/Indogermanische_Ursprache |
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06.12.2014, 19:47
Beitrag: #77
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(05.12.2014 17:42)Dietrich schrieb: Wenn man davon ausgeht, dass sich die Indoeuropäer von einem bestimmten Druckzentrum nach West und Ost ausbreiteten, dort die indigene Bevölkerung überschichteten und ihr ihre Sprache aufzwangen, bietet eine solche Hypothese eine Erklärung für das Phänomen. Wanderungen von Hirten- oder Steppenreitervölkern, die sich über große Gebiete ausbreiteten, hat es in der Geschichte mehrfach gegeben. Man denke nur an die Mongolen oder die Hunnen. Wie ich schon schrieb, glaube ich nicht an eine physische Expansion von "Urindoeuropäern" bzw. dem massenhaften Wandern von Sprechern eines urindogermanischen Dialekts. Eben weil das Urindogermanische eine (re)konstruierte und von daher auch mehr oder weniger theoretische Sprache ist, fällt es ohnehin schwer, sich eine solche Sprechergemeinschaft vorzustellen. Mir ist schon klar, dass die Sprachen der alteingesessenen Bevölkerungsgruppen nicht einfach verschwanden, sondern mit indogermanischen Wortstämmen und den zugehörigen Flektionen überschichtet wurden und in dieser Kombination die Basis für die einzelnen indogemanischen Sprachen bildeten. Die Beispiele mit den Hunnen und Mongolen haben insofern ihre Berechtigung, als dass sie riesige geographische Gebiete überrannten und eine zeitlang auch partiell beherrschten, aber sprachlich ist da, zumindest im europäischen Raum, nicht viel geblieben. Ich halte es da mehr mit der Herangehensweise von Alexander Häusler, auf den du ja auch schon verwiesen hast, und seiner Sicht eines autochthon entstandenen indogermanischen Sprachkontinuums in großen Teilen Europas. Mit der matrilinearen Lebensweise eines "friedlichen Alteuropas", wie sie von Marija Gimbutas postuliert wurde und auf der ihre Kurganhypothese aufsetzt, kann ich mich einfach nicht anfreunden. Dann schon eher mit Teilen der Anatolien-Hypothese von Renfrew, obwohl diese in der Forschung mehr als umstritten ist und als überholt gilt. Ich habe mich aber seit gut zwei Jahren nicht mehr groß mit der Materie beschäftigt und muss mich erst wieder etwas einlesen. Insbesondere auch was die ursächlichen Zusammenhänge zwischen den Vorläufern der altiranischen Sprachen oder auch dem Vedischen bzw. Sanskrit und dem Indogermanischen betrifft. Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte. Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land. Veilchen träumen schon, wollen balde kommen. – Horch, von fern ein leiser Harfenton! Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen! Eduard F. Mörike (1804-1875) |
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06.12.2014, 21:45
Beitrag: #78
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
Eine gewisse physische Expansion muss es gegeben haben. schließlich verbreiten sich Sprachen und Kulturen nicht völlig unabhängig von ihren Trägern, den Menschen per Windbestäubung. An eine Masseninvasion aus der Steppe glaubt kein ernstzunehmender Wissenschaftler (mehr), etwas anderes ist ein Elitetransfer. Der Gedanke ist mir sympathisch und erklärt vieles.
Anatolien als Urheimat sollte man besser vergessen, da passt fast gar nichts. „Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein) |
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06.12.2014, 22:13
Beitrag: #79
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(06.12.2014 21:45)Arkona schrieb: Eine gewisse physische Expansion muss es gegeben haben. schließlich verbreiten sich Sprachen und Kulturen nicht völlig unabhängig von ihren Trägern, den Menschen per Windbestäubung. An eine Masseninvasion aus der Steppe glaubt kein ernstzunehmender Wissenschaftler (mehr), etwas anderes ist ein Elitetransfer. Der Gedanke ist mir sympathisch und erklärt vieles. Da hast du natürlich vollkommen Recht. Irgendwer hat sich aus irgendwelchen Gründen bewegt, aber eben nicht in dieser Art von Masseninvasion, wie du schon geschrieben hast. Der Elitetransfer und damit auch ein entsprechender Sprach- oder Begrifflichkeitsexport, wie soll das in diesem riesigen Gebiet, über das wir ja schlussendlich reden, funktioniert haben. Prinzipiell ja, dafür gibt es auch andere historische Parallelen, aber ziemlich flächendeckend für ein so großes Gebiet, dann schon wieder eher unwahrscheinlich. Was wäre der Antrieb für einen immer wieder neuen und fortschreitenden Elitetransfer gewesen. Im Einzelfall ja, aber nicht für das in Frage kommende Gesamtgebiet. (06.12.2014 21:45)Arkona schrieb: Anatolien als Urheimat sollte man besser vergessen, da passt fast gar nichts. was die Ausbreitung des Indogermanischen betrifft, stimme ich dir zu. Aber die Anatolien-Hypothese ist ja eine Kombination aus Indogermanisierung und der Neolithisierung Europas. In der Gänze nicht passend, aber in Teilen nicht völlig von der Hand zu weisen. Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte. Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land. Veilchen träumen schon, wollen balde kommen. – Horch, von fern ein leiser Harfenton! Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen! Eduard F. Mörike (1804-1875) |
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06.12.2014, 23:27
Beitrag: #80
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
In dem Zusammenhang habe ich eine Frage. Inwieweit gibt es einigermaßen gesicherte Erkenntnisse über den zeitlichen Ablauf der Indogermanisierung? Wäre ein solcher Ablauf dann auch auf ein bestimmtes Modell bzw. eine bestimmte gerade gängige Ausbreitungshypothese bezogen oder unabhängig davon. Das wäre ja schon irgendwie wichtig.
Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte. Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land. Veilchen träumen schon, wollen balde kommen. – Horch, von fern ein leiser Harfenton! Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen! Eduard F. Mörike (1804-1875) |
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07.12.2014, 00:07
Beitrag: #81
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
Leichtes Speichenrad + Pferdezähmung waren m.E. die entscheidenden Erfindungen. Gemacht in der Steppe. Die Megalithiker schleppten ihre Brocken noch auf Schlitten per Hand oder mit Ochsen.
„Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein) |
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07.12.2014, 00:28
Beitrag: #82
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
War das jetzt 'ne Zeitangabe oder der angesprochene Antrieb für den fortschreitenden Elitetransfer ...?
Was hältst du von der zeitlichen Analyse (2003) von Russell D. Gray u. Quentin D. Atkinson bezüglich des Beginns der Ausbreitung des Indogermanischen? --> http://www.nature.com/nature/journal/v42...02029.html ich seh da nicht viel, aber vielleicht hast du da ein Abo oder noch einen Zugriff über die Uni...? Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte. Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land. Veilchen träumen schon, wollen balde kommen. – Horch, von fern ein leiser Harfenton! Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen! Eduard F. Mörike (1804-1875) |
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07.12.2014, 13:17
Beitrag: #83
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(05.12.2014 11:21)Bunbury schrieb: Ich könnte mir gut vorstellen, ohne jetzt große Beweise zu haben, daß sich die Lebensbedingungen im genannten zeitraum in erheblichem Umfang veränderten. Ich denke jetzt nur an die Orkneys, wo es ja eine Hochkultur gab, die ca. 2300 v Chr. plötzlich verschwand. Die Siedlungen wurden einfach aufgegeben, die Menschen wanderten nach Süden, was darauf hindeutet, daß hier vielleicht tatsächlich ein Klimawandel oder ein Vulkanausbruch, der zur Abkühlung des Klimas führte, stattgefunden hat. Das ist durchaus denkbar. Was im Einzelnen geschah, kann man nur erahnen. Zu etwa dieser Zeit gab es klimatische Veränderungen, die aber nicht an allen Stellen zu den gleichen Effekten geführt haben. Man bringt diesen kleinen Klimawandel z.B. mit dem Ende des Alten Reichs in Ägypten und dem Niedergang des Akkadischen Reichs in Mesopotamien in Verbindung. Wie das im Gebiet der Orkneys aussah, kann man wahrscheinlich nur schlecht nachvollziehen. Erhöhte/erniedrigte mittlere Temperaturen oder weniger oder mehr Niederschlag - keine Ahnung. Dazu müsste man wahrscheinlich Klimadaten von genau dieser Region haben. Hier nur mal ein (nicht verifiziertes) Temperaturdiagramm mit Kurven aus unterschiedlichen Regionen, welches auch das in Frage kommende Subboreal umfasst, wobei die hellblaue Kurve (schwer zu unterscheiden vom grün) grönländische Temperaturen - aus einem grönländischen Eiskern gewonnen - widerspiegeln, was den Orkneys wohl am nächsten kommt. Das wäre der negative Peak genau über dem letzten 'm' von 'Klimaoptimum'. Ob und wie dieser Abzug der Orkneyurbevölkerung in irgendeinem Zusammenhang mit einer Indogermanisierung stand, kann ich absolut nicht einschätzen. Zu der Zeit haben sie ja noch ein altes vorkeltisches Idiom gesprochen. ![]() (Bild: Global Warming Art auf WikiCommons) Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte. Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land. Veilchen träumen schon, wollen balde kommen. – Horch, von fern ein leiser Harfenton! Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen! Eduard F. Mörike (1804-1875) |
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07.12.2014, 16:01
Beitrag: #84
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
Wie gesagt, es nur der Anfangspunkt einer Vermutung.
Das Zusammenbrechen der Neolithkultur an jenem Zeit und in jenem Raum ist erwiesen, was danach passierte, ist spekulation. Man hat es aber mit Kulturen zu tun, die ziuvor in einem bestimmten Landstrich erfolgreich war, und deren Population daher auch enorm gewachsen ist. Auch das beweisen die Funde. Wenn diese Menschen abwandern mußten, weil das Klima schlecht wurde, mußten sie in südliche Richtungen wandern, wo aber schon Menschen waren, deren Populationen ihrerseits gewachsen waren. Deswegen, so meine Überlegung, fällt die Ausbreitung der indoeuropäischen Sprache vielleicht mit jender Zeit zusammen, als es zum ersten Mal so war, daß Menschen nicht in weitestgeehend "leere" oder dünn besiedelte Landstriche wanderten (auch Nischen), sondern wirklich großflächig Konkurrenz um Boden und Lebensraum bestand, was zu einer ganz anderen Art des Umgangs miteinander führen mußte. Für diese andere Art fehlten dann in den alten Sprachen vielleicht einfach die Worte- und die Ursprache der Indoeuropäer lieferte sie. Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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07.12.2014, 16:29
Beitrag: #85
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
@Bunbury, ganz so haut das nicht hin. Sonst würden wir heute Finnisch sprechen.
Der Laden war auch schon in der Altsteinzeit voll, jede Gründerpopulation erreicht ihre maximale Dichte in 3-4 Generationen, also fast sofort. Also musste man irgendwelchen Nachbarn ans Bein pieseln. „Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein) |
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07.12.2014, 17:10
Beitrag: #86
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(06.12.2014 19:47)Avicenna schrieb: Wie ich schon schrieb, glaube ich nicht an eine physische Expansion von "Urindoeuropäern" bzw. dem massenhaften Wandern von Sprechern eines urindogermanischen Dialekts. Hüten muss man sich vor der Vorstellung, indoeuropäische Kriegerscharen hätten auf breiter Front Europa überrannt. Das ist heute vom Tisch und ins Reich der Fantasy zu verweisen. Vielmehr muss man sich ein allmähliches Einsickern indoeuropäischer Sprachträger in mehreren Wellen vorstellen, die keineswgs flächendeckend waren. Nachdem Indoeuropäer in einigen Gebieten ihre Sprache und Teile ihrer Kultur durchgesetzt hatten, wurden auch andere ethnische Gruppen "indoeuropäisiert". So breitete sich ein indoeuropäischer Formenkreis großräumig aus, ohne dass indessen überall ethnisch originäre Indoeuropäer am Werk waren. Der Sprachwissenschaftler Harald Haarmann meint, es hätte u.a. auch ein Elitetransfer stattgefunden, ähnlich wie bei der Romanisierung Europas: Herrschaftsträger brachten römische Kultur und Sprache, die einheimischen Eliten übernahmen das, weil sie auch künftig an der Macht bleiben wollten - und weil die neue "Mode" schick war. Ein ähnliches Szenario ist hinsichtlich der Ausbreitung indoeuropäischer Sprachen und Kulturen denkbar. (06.12.2014 19:47)Avicenna schrieb: Ich halte es da mehr mit der Herangehensweise von Alexander Häusler, auf den du ja auch schon verwiesen hast, und seiner Sicht eines autochthon entstandenen indogermanischen Sprachkontinuums in großen Teilen Europas. Das ist ein durchaus plausibles Szenario. Es bleibt dabei die Frage, wie sich indoeuropäische Sprachen von Europa bis nach Indien ausbreiten konnten. Keine Sprache verbreitet sich allein durch Kulturkontakte über solche Entfernungen. Rein geografisch gesehen ist ein Raum wahrscheinlicher, der zwischen Vorderindien und Europa liegt - und da wären wir dann wieder bei einem Ausgangszentrum in den Gebieten nördlich des Schwarzzen und Kaspischen Meers. Verwirrend ist, dass alle Hypothesen Pferdefüße haben und somit keine bislang auf ungeteilte Zustimmung der Fachwissenschaft gestoßen ist. (06.12.2014 19:47)Avicenna schrieb: Mit der matrilinearen Lebensweise eines "friedlichen Alteuropas", wie sie von Marija Gimbutas postuliert wurde und auf der ihre Kurganhypothese aufsetzt, kann ich mich einfach nicht anfreunden. Dann schon eher mit Teilen der Anatolien-Hypothese von Renfrew, obwohl diese in der Forschung mehr als umstritten ist und als überholt gilt. Die Mär von den "friedlichen" Ackerbauern des neolithischen Europas ist längst Legende und wird heute nicht mehr ernsthaft vertreten. Richtig ist allerdings, dass diese bäuerliche Bevölkerung überhaupt nicht die Möglichkeit hatte, über weite Entfernungen Invasionen voranzutreiben. Das machten Steppenreiter mit Pferden und kräftiger Bewaffnung, deren Gesellschaft hierarchisch gegliedert war. Die jungsteinzeitlichen Bauern hingegen waren auf ihr Dorf und ihre Felder fixiert, es gab einen Dorfältesten und damit hatte sich das. Wenn du so willst, war das also eine weitgehend erzwungene Friedlichkeit, herrührend aus den gesellschaftlichen und ökonomischen Gegebenheiten. Die Anatolien-Hypothese von Renfrew passt chronologisch nicht zur Ausbreitung der Indoeuropäer. Zwischen der Ausbreitung der frühen Ackerbauern und der (vermuteten) Ausbreitung der Indoeuropäer liegen etwa 2000 bis 3000 Jahre! Renfrew hat daher sein Modell inzwischen modifiziert und abgeschwächt. Ernsthaft in der Diskussion ist es nicht mehr. Gegenwärtig gibt es nur noch zwei Hypothesen, die ernsthaft diskutiert werden: 1. Indoeuropäer = indigene Bevölkerung Mittel- und Osteuropas. 2. Ausgangsraum der Indoeuropäer Südrussland mit Stoßrichtung nach Ost und West. |
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07.12.2014, 19:03
Beitrag: #87
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
"Pferdefüße" im wahrsten Sinne, @Dietrich. Weil ich das Pferd für entscheidend in der ganzen Diskussion halte.
...und da gucken wir doch mal, wo es nach der Eiszeit diese Tierchen noch herdenweise gegeben hat. Jedenfalls nicht in Anatolien oder weiter südwärts. ![]() „Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein) |
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07.12.2014, 19:09
Beitrag: #88
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
"Friedlich" ist spätestens seit Eulau passé. Und dass schon die Trichterbecherleute begonnen haben, ihre Siedlungen zu befestigen, spricht auch eine deutliche Sprache. Der Wissenstransfer von Megalithbauten einerseits und Landwirtschaft andererseits lief auch schon bei den Trichterbecherleuten, also vor den Indogermanen, quer durch Europa.
Was für die "Eliten-Übernahme"-Theorie spricht - die im Falle der Indogermanen eher Waffentechnik, Metallverarbeitung und neue landwirtschaftliche Techniken betreffen dürfte - ist, dass es das auch schon früher gab: Wieder mal die Trichterbecherleute haben Steinäxte gemacht, die exakt den Bronzeäxten nachgebildet waren, die es im Mittelmeerraum schon gab - inklusive den kleinen Stutzen und Nähte, die beim Gießen der Bronze in Formen übrigbleiben! VG Christian |
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07.12.2014, 21:40
Beitrag: #89
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
Ohne große Erwartung auf wirklich neue Informationen werfe ich beide Fragestellungen doch noch einmal ins Rennen.
Kann oder will mir keiner darauf antworten? Wird das als zu trivial oder naiv abgetan? (07.12.2014 00:28)Avicenna schrieb: Was hältst du von der zeitlichen Analyse (2003) von Russell D. Gray u. Quentin D. Atkinson bezüglich des Beginns der Ausbreitung des Indogermanischen? (06.12.2014 23:27)Avicenna schrieb: In dem Zusammenhang habe ich eine Frage. Inwieweit gibt es einigermaßen gesicherte Erkenntnisse über den zeitlichen Ablauf der Indogermanisierung? Wäre ein solcher Ablauf dann auch auf ein bestimmtes Modell bzw. eine bestimmte gerade gängige Ausbreitungshypothese bezogen oder unabhängig davon. Das wäre ja schon irgendwie wichtig. Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte. Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land. Veilchen träumen schon, wollen balde kommen. – Horch, von fern ein leiser Harfenton! Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen! Eduard F. Mörike (1804-1875) |
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07.12.2014, 21:55
Beitrag: #90
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(07.12.2014 16:29)Arkona schrieb: @Bunbury, ganz so haut das nicht hin. Sonst würden wir heute Finnisch sprechen. Wieso finnisch? Ganz ernsthaft und interessehalber. Ich glaube ja nicht, daß die Nordländer ihre Sprache in den Süden transportiert haben. Darum geht es gar nicht. Sondern eher um so etwas wie, daß man plötzlich Worte für Dinge brauchte, die vorher im Leben nicht notwendig gewesen waren. (Vielleicht so etwas wie "Brandschatzen" "Überfallen". Auch wenn as naütrlich alles ganz furchtbare Klischees sind und eher der Verdeutlichung dienen sollen) Und dann kamen da ein paar (Vor)- Indogermanen und hatten die gebrauchten Worte imGepäck- und schon verbreitete sich die Sprache ziemlich schnell... Salopp gesprochen... (07.12.2014 16:29)Arkona schrieb: Der Laden war auch schon in der Altsteinzeit voll, jede Gründerpopulation erreicht ihre maximale Dichte in 3-4 Generationen, also fast sofort. Also musste man irgendwelchen Nachbarn ans Bein pieseln. mag sein. Aber egal, wieviel Menschen schon vorher da waren, wenn noch welche dazu kamen, verschärften sich die Konflikte... Die maßnahmen wurden vielleicht drastischer. Ans Bein pieseln reichte dann nicht mehr... An eine friedliche Steinzeit glaube ich auch nicht. Aber ich glaube daran, daß der Mensch dazu neigt, immer aggressiver zu werden, je dichter er sich auf der Pelle hockt... Und daß eine Verdichtung der Gesellschaft immer eine Änderung der Gesellschaft zu Folge hat. Wenn nur ein Fakrot entscheidend gewesen wäre- also z,B, der Faktor Pferd- hätte sich nur das Vokabular rund ums Thema Pferd verändert. Es ist aber sehr viel weitreichender und muss deshlab für eine tiefgreifende gesellschaftliche Veränderung stehen... Daß die allein daran lag, daß das Pferd dazu kam.... Nein, das leuchtet mir nicht ein. Das Pferd mag ein "Werkzeug" gewesen zu sein, um eine neue gesellschaftliche Vorstellung transportiren zu können. Aber diese Vorstellung muss schon vorher dagewesen sein. Ansonsten hätte man einfach das Pferd vor den Pflug gespannt und alles wäre weiter gegangen wie bisher... Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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08.12.2014, 13:07
Beitrag: #91
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
@Arkona:
du machst ja das Pferd für die Ausbreitung der Indoeuropäer bzw ihrer Sprache verantwortlich, wenn ich das richtig verstanden habe. Was war aber deiner Meinung nach die Hauptmotivation für die ersten Pferdezähmer, mit dieser "Waffe" experimentieren zu wollen? Ich meine, es sind doch nicht ein paar Typen an ein paar Pferden vorbeigekommen und haben sich einfach mal so gesagt "Die zähmen wir jetzt mal und unterwerfen die ganze Welt". Man hat doch zuerst eine Vorstellung davon, was man vorhat- und dann erst schaut man, welches Werkzeug dafür zur Verfügung steht. Was also war die urpsüngliche Motivation? Größere Entfernungen zurücklegen wollen vielleicht? Wenn ja, warum könnten sie das gewollt haben? Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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08.12.2014, 15:13
Beitrag: #92
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(07.12.2014 21:40)Avicenna schrieb: Ohne große Erwartung auf wirklich neue Informationen werfe ich beide Fragestellungen doch noch einmal ins Rennen. Zur Hypothese von Gray u. Atkinson sagt der Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Peter Schrijver im Eurasischen Magazin: Zitat:Gegen diese Thesen gibt es aber starke Einwände. Zwar ist es möglich,mit den Methoden der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft eine relativeChronologie aufzustellen, nach der bestimmt werden kann, ob im Laufeder Zeit eine Änderung vor oder nach anderen Änderungen stattgefundenhaben muß. Eine absolute Chronologie mit sprachwissenschaftlichenMitteln zu bestimmen ist jedoch unmöglich ... http://www.eurasischesmagazin.de/artikel...lID=121003 Nach wie vor findet die Anatolien-Hypothese von Colin Renfrew - auch in modifizierten Form - vielfach keine Zustimmung. Gray und Atkinson können sie nach Ansicht vieler Sprachwissenschaftler auch mit ihrer Glottochronologie nicht stichhaltig untermauern. Bei der alten Tante Wiki lese ich ergänzend: Zitat:Renfrews Hypothese erfuhr vermeintliche Unterstützung durch Stammbaumberechnungen zweier neuseeländischer Forscher (R. Gray und Q. Atkinson 2003, 2012) auf der Grundlage extrem fehlerhafter Swadesh-Listen von 103 indogermanischen Sprachen, mit Methoden der Bioinformatik unter glottochronologischen Annahmen. Vor allem die extrem frühe Ausgliederung der anatolischen und tocharischen Sprachen beruht ausschließlich auf der Fehlinterpretation von auf unserer geringen Kenntnis beruhenden Lücken und nicht erkannten Entlehnungen als natürliche und berechenbare Wandel in der Zeit. Auch ist die berechnete Ausgliederung der Anatolischen Sprachen ca. 6500 v. Chr. in Anatolien aus einem dort angeblich noch 2000 Jahre verbleibenden (!) Rest-Indogermanisch nicht nachvollziehbar. (07.12.2014 21:40)Avicenna schrieb: "Pferdefüße" im wahrsten Sinne, @Dietrich. Weil ich das Pferd für entscheidend in der ganzen Diskussion halte. Die Ausbreitung indoeuropäischer Sprachen und ihrer Sprachträger hat komplexe Ursachen und kann nicht allein auf den Einsatz von Pferden aufseiten der indoeuropäischen Einwanderer zurückgeführt werden. Es müssen noch einige Dinge hinzukommen: so vermutlich eine aggressivere Mentalität, der die Ackerbauern nicht standhielten; auch ein hierarchisches Gesellschaftssystem, wie es bei Steppenreitern üblich ist, und das ein plan- und druckvolleres Vorgehen erlaubt; und natürlich eine bessere Bewaffnung.- Alles Eigenschaften, wie wir sie stets bei Reiter- und Hirtenvölkern aus asiatischen Steppengebieten vorfinden, unter denen ackerbauende Völker seit eh und je litten. Aber natürlich kann es auch ganz anders sein: indigene Völker Mittel- und Osteuropas waren Träger indogermanischer Dialekte seit dem Mesolithikum. Der Ostflügel machte sich irgendwann auf die Reise nach Osten - sei es durch Klimakatastrophen, Missernten usw. -, wo im Verlauf von 1000 Jahren und mehr Kleinasien, der Iran und Indien erreicht und indoeuropäisiert wurden. Das behauptet zumindest der Archäologe Alexander Häusler, der eine "indogermanische Invasion" zum Mythos erklärt. http://www.nomadsed.de/fileadmin/user_up...eusler.pdf http://www.uni-leipzig.de/~diffint/index...view/36/23 |
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08.12.2014, 18:57
Beitrag: #93
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
Danke, für deine Ausführungen und den Link zum Eurasienmagazin, Dietrich. Mit Schrijver und seiner Kritik werde ich mich auseinander setzen müssen, genau wie mit den Arbeiten von Gray u. Atkinson im Speziellen. Von den beiden kenne ich bisher nur die Summary aus dem Nature-Artikel von 2003. Aber es scheint ja auch aktuellere Arbeiten von 2012 geben. Mal sehen, ob man da noch was auftreiben kann.
D.h., ich werde versuchen zu verstehen, was die dort getrieben haben, soweit man das mit problemlos zugänglichen Informationen erreichen kann. Denn bei einem bin ich mir ziemlich sicher - auf eine solche Aussage sollte man bei diesem Thema erstmal nicht viel geben -> "Der letzte Versuch von Gray und Atkinson in dieser Hinsicht ist leider gescheitert" Denn alle Akteure dieser Forschungsrichtung werfen sich gegenseitig Fehler, Inkompetenzen, falsche methodische Ansätze und Schlimmeres vor. Die angeführte Arbeit von Häusler kenne ich - zumindest in groben Zügen - und sie ist mir v.a. deshalb sympathisch, weil darin einmal ein sehr guter Überblick mit Für u. Wider über die unterschiedlichen Sichtweisen und die Ansätze in der Methodik geliefert wird und zweitens seine eigene Sicht, die doch leicht anders geartet ist, wie die der meisten seiner Kollegen. Egal, mit Sympathien allein, kommt man der Wahrheit aber bekanntlich auch nicht näher und deshalb interessieren mich die Ergebnisse von Gray und Atkinson, weil das etwas substanziell Neues wäre. Eine chronologisch völlig neue Sicht. Von daher auch meine Frage nach der Unabhängigkeit der gängigen chronologischen Betrachtungsweisen bei der Indogermanisierung. Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte. Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land. Veilchen träumen schon, wollen balde kommen. – Horch, von fern ein leiser Harfenton! Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen! Eduard F. Mörike (1804-1875) |
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08.12.2014, 19:52
Beitrag: #94
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
"Pferdefüße" im wahrsten Sinne, @Dietrich. Weil ich das Pferd für entscheidend in der ganzen Diskussion halte.
Ja, dazu stehe ich. Wer das beherrschte, war Gottvater bei allen Völkern ringsum. „Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein) |
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08.12.2014, 21:12
Beitrag: #95
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(08.12.2014 19:52)Arkona schrieb: "Pferdefüße" im wahrsten Sinne, @Dietrich. Weil ich das Pferd für entscheidend in der ganzen Diskussion halte. Na, jetzt hast du das ja auch wieder ins rechte Licht gerückt. Ja, es war von dir und diese Meinung will dir auch keiner wegnehmen, besonders heute nicht ... ![]() Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte. Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land. Veilchen träumen schon, wollen balde kommen. – Horch, von fern ein leiser Harfenton! Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen! Eduard F. Mörike (1804-1875) |
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09.12.2014, 10:36
Beitrag: #96
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(08.12.2014 19:52)Arkona schrieb: "Pferdefüße" im wahrsten Sinne, @Dietrich. Weil ich das Pferd für entscheidend in der ganzen Diskussion halte. Das heißt- für dich ist die Urheimat der Indoeuropäer der Ort, an dem das Pferd gezähmt wurde? Allein das Pferd reicht aber dennoch nicht aus, um zu erklären, warum die Sprache der Eroberer - wenn es denn so war- sich überall durchsetzte. Die Normannen eroberten England, aber die französische Sprache blieb dem Adel vorbehalten- im Volk setzte sie sich nie durch. Warum also das indoeuropäische? Und nochmal- wie kamen die ersten Pferdezähmer denn auf den gedanken, das Pferd zu zähmen? Oder besser- warum? Die Aggressivität, die von den ersten Reitervölkern ausging dürfte eine Folge der Beherrschung des Pferdes gewesen sein- Macht berauscht bekanntlich- ebenso wie die Ausbildung von Hierarchien- wer ein Pferd besaß, war etwas, wer keines besaß, war nichts, auch wenn sich da zunächst auf Gruppen bezogen haben dürfte- aber der Eroberungswillen stand gewiss nicht am Anfang der Pferdezähmung. Was also war der Anfang? Selbst denken ist nicht selbstsüchtig. Wer nicht selbst denkt, denkt überhaupt nicht
Oscar Wilde
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09.12.2014, 14:37
Beitrag: #97
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
Das Pferd kam eben nur in der Steppe vor, diese übellaunigen Biester zu zähmen war eine große Leistung. In China, Mesopotamien (Mitanni) oder Ägypten (Hyksos) konnte man militärisch nichts dagegensetzen. Die überannten alles. Man darf annehmen, dass es in den schriftlosen Gebieten Eurasiens vor 4000 Jahren nicht anders lief.
„Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein) |
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09.12.2014, 16:33
Beitrag: #98
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
(08.12.2014 18:57)Avicenna schrieb: Danke, für deine Ausführungen und den Link zum Eurasienmagazin, Dietrich. Gern! : ![]() (08.12.2014 18:57)Avicenna schrieb: Egal, mit Sympathien allein, kommt man der Wahrheit aber bekanntlich auch nicht näher und deshalb interessieren mich die Ergebnisse von Gray und Atkinson, weil das etwas substanziell Neues wäre. Eine chronologisch völlig neue Sicht. Von daher auch meine Frage nach der Unabhängigkeit der gängigen chronologischen Betrachtungsweisen bei der Indogermanisierung. Eins scheint ziemlich klar zu sein: Angesichts überaus dürftiger oder fehlender archäologischer Belege dürfte das Indogermanenproblem auf unabsehbare Zeit ungelöst bleiben. Man kann höchstens für sich entscheiden, welche Hypothese einem am wahrscheinlichsten erscheint - mehr nicht. Was die Anatolien-Hypothese von Colin Renfrew angeht, so stammt sie aus den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, ist also auch nicht brandneu. Gray und Atkinson haben später lediglich versucht, diese Hypothese anhand ihrer Glottochronologie zu erhärten, was aber bekanntlich bei der Forschung nicht auf ungeteilte Zustimmung stieß. Mir leuchtet nach wie vor der Ansatz von Marija Gimbutas und ihrer Kurgan-Hypothese ein, der vor wenigen Jahren vom US-Archäologen David Anthony modifiziert wurde (David Anthony: The Horse, the Wheel, and Language: How Bronze-Age Riders from the Eurasian Steppes Shaped the Modern World. Princeton University Press, Princeton 2007) Plausibel erscheint mir das aufgrund der geografischen Situation indoeuropäischer Sprachen von Mitteleuropa bis Indien. Nimmt man da eine Mitte zwischen beiden Flügeln als Ausgangspunkt an, lässt sich die Expansion indoeuropäischer Sprachträger am einfachsten erklären. Ob man allerdings die Expansion an Kurganhügeln festmachen kann, ist zweifelhaft. Ebenfalls erstaunlich wäre, dass eine sicherlich nicht große Bevölkerungsgruppe in Südrussland in der Lage sein soll, einen so gewaltigen Raum zu indoeuropäisieren - auch wenn man einen "Elitetransfer" postuliert. Aber wie gesagt: Alle Hypothesen haben Schwächen, die man nicht wegdiskutieren kann. |
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10.12.2014, 11:47
Beitrag: #99
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
Das Buch von Anthony liegt auf meinem Kindle. Eigentlich plausibel und er ist sehr konkret bei seiner "Urheimat". Heutige Ukraine. Er erfindet das Reiten vor dem Wagen, was ich anders sehe.
„Der Horizont der meisten Menschen ist ein Kreis mit dem Radius 0. Und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein) |
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10.12.2014, 15:47
Beitrag: #100
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RE: Urheimat der Indoeuropäer
Weil die Frage auch kam. Natürlich spielt auch die ganze Gesellschaft eine Rolle. Patriarchalisch, im Besitz von Rad, Pferd und Metall sowie auf Krawall gebürstet. Das waren beste Voraussetzungen, sich über fast ganz Eurasien zu verbreiten. Geografische Hindernissse gibt es nicht zwischen Karpaten und Altai, die Steppenautobahn. Anscheinend haben die Vorfahren der Türken und Mongolen das alles von den frühen Indoeuropäern gelernt. Parzinger verlegt die Wurzeln der iranischen Skythen ins tiefste Sibirien (Tannu-Tuwa), ob er damit richtig liegt kann man diskutieren.
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