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Russische Geschichte
22.06.2012, 00:03
Beitrag: #13
RE: Russische Geschichte
Nestor Iwanowitsch Machno

Der ukrainische Anarchist Nestor Iwanowitsch Machno (* 26. Oktober / 7. November 1888 (#) in Huljajpolje (Ukraine); † 6. Juli 1934 in Paris) führte während des russischen Bürgerkrieges von 1917 bis 1921 die nach ihm benannte anarchistische Volksbewegung (Machnowschtschina, Machno-Bewegung) in der Ukraine.

Leben

Der älteste Sohn einer armen Bauernfamilie musste bereits nach dem frühen Tod seines Vaters im Alter von sieben Jahren die Schafe eines Gutsbesitzers hüten, arbeitete dann im Alter von zwölf Jahren als Landarbeiter, später als Maler, ehe er als Siebzehnjähriger eine Anstellung in einer Eisengießerei fand. In den Wintern erhielt er zwischen seinem achten und zwölften Lebensjahr eine notdürftige Schulausbildung.

Infolge der Russischen Revolution von 1905 und den darauf folgenden Repressionen des zaristischen Staates wandte sich Nestor Machno zunehmend dem Gedankengut der russischen Anarchisten zu, besonders die Ideen Michail Alexandrowitsch Bakunins (1812–1870) und Fürst Pjotr Alexejewitsch Kropotkins (1842–1921) begeisterten ihn. Er schloss sich einer lokalen Gruppe von Anarchisten an, doch wurde er bereits 1908 von einem Polizeispitzel verraten und daraufhin inhaftiert. 1910 verurteilte ihm ein Militärgericht zum Tode durch Erhängen, doch aufgrund seines jungen Alters und den Bemühungen seiner Mutter wurde Machno zur lebenslangen Haft mit harter Arbeit verurteilt. Während dieser Haft in Sibirien erkrankte der junge Anarchist an Tuberkulose, ein Teil seiner Lunge musste entfernt werden und sein Gesundheitszustand blieb bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1934 immer prekär. Des Weiteren lernte er dort Pjotr Andrejewitsch Arschinow (1887–1938), seinen späteren Mitkämpfer, Biographen und späteren Kritiker kennen.

Machno konnte durch die Ereignisse der Februarrevolution 1917 seine Freiheit wieder erlangen. Er kehrte in die Ukraine zurück und begann, zuerst nur im lokalen Umfeld, später in der gesamten Ukraine, Arbeiter und Bauern zu organisieren. Die schnell anwachsende Volksbewegung errichtete anarchistische Kommunen, die bereits vor der Oktoberrevolution von 1917 Großgrundbesitzer und Unternehmer enteigneten. Infolge des Friedens von Brest-Litowsk wurde die Ukraine im März 1918 aus dem Staatenverbund Sowjet-Russlands herausgelöst, so dass die anarchistische und soziale Machno-Bewegung, aber auch die mit ihr konkurrierenden nationalistischen Bewegungen von Simon Petljura (1879–1926) oder Pawlo Skoropadskyi (1873–1945) zunehmend die Ereignisse in der Ukraine prägten.

Nestor Machno kämpfte für eine anarchistische Ukraine. Er hatte in der bäuerlichen Bevölkerung starken Rückhalt, zeitweise unterstützten ihn 50.000 Freiwillige im Partisanenkrieg. Im Gegensatz zu Petljura, der seine Armee durch Requirierung bäuerlichen Eigentums und durch Plünderungen jüdischer Gemeinden ausrüstete, sorgte Machno für eine ordnungsgemäße Bezahlung der Bauern mit Geld oder Naturalien. Unter anderen kaufte er ihnen ihre Pferde, Maultiere und Fuhrwerke ab. Die mit Pferden oder Maultieren bespannten Fuhrwerke wurden dann mit Maschinengewehren ausgerüstet und bewährten sich als hochbewegliche und schlagkräftige Waffe im Partisanenkrieg.

Jakow Michailowitsch Swerdlow (1885–1919) vermittelte im Juni 1918 ein Treffen Machnos mit Wladimir Iljitsch Lenin (1870–1924), der die ukrainische Volksbewegung für seine bolschewistische Gegenregierung in Charkiw (Charkow) gewinnen wollte. Allerdings verhielten sich die Bolschewiki zur Machno-Bewegung zwiespältig, im Juni 1919 stellte sie Leo Trotzki (1879–1940) außerhalb des Gesetzes, ein halbes Jahr später verband man sich gegen die Armee Denikins.

Nach dem im November 1918 das deutsche Kaiserreich zusammenbrach, gelang es der Machnowschtschina den von der deutschen obersten Heeresleitung bisher unterstützten Ataman Pawlo Skoropadskyi (1873–1945) zu vertreiben. Das nach dem Abzug der Deutschen hinterlassene Machtvakuum füllten bald polnische, national-ukrainische, bolschewistische oder „weiße“ Truppen aus. Die Machno-Bewegung konnte jedoch ihre Positionen gegen die angreifende Weiße Armee unter dem Kommando von Anton Iwanowitsch Denikin (1872–1947) bzw. 1920 unter Pjotr Nikolajewitsch Wrangel (1878–1928) erfolgreich behaupten. Gefangene Offiziere der Weißen wurden exekutiert, dagegen erhielten einfache Soldaten ihre Freiheit, wobei man ihnen ihre Uniformen beraubte. Ihre größte Ausdehnung erreichte die Machnowschtschina im Dezember 1919, als sie ein Gebiet von ca. 10.000 qkm mit 7 Millionen Menschen kontrollierte. Zu diesem Zeitpunkt gehörten ihr 20.135 Kavalleristen und 83.000 Infanteristen an.

Nachdem die Bolschewiki Ende 1920 den russischen Bürgerkrieg gewannen, beabsichtigten sie nun die Eingliederung der Machno-Bewegung in die Rote Armee. Dagegen wehrte sich die Volksbewegung, die zu Recht befürchtete, dass auch in der Ukraine die Diktatur Lenins umgesetzt werden sollte. Nestor Machno selbst stand für eine anarchistische Ukraine. Doch im Verlauf des Jahres 1921 besiegte die Rote Armee die Machnowschtschina, die nach dieser Niederlage bald zerfiel und keine politische Rolle mehr spielte.

Der mehrfach verwundete und wegen der Spätfolgen der Tuberkulose kränkelnde Nestor Machno flüchtete im August 1921 gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Galina Kusmenko (1892–1978) nach Rumänien, von wo aus sich beide über Polen, Danzig und Berlin nach Paris absetzten. Dort lebten beide im Kreis russischer und ukrainischer Exilanten. Machno verfasste anarchistische Texte, die als Grundlagen des Plattformismus, einer von der Machnowschtschina stark beeinflussten, anarchistischen Strömung, galten. Allerdings wurden Machnos Gedanken zur Strukturierung der anarchistischen Bewegung von der Mehrheit der Anarchisten abgelehnt. 1927 kam es in Paris zu einem Treffen zwischen Nestor Machno und den führenden spanischen Anarchisten Buenaventura Durruti (1896–1936) und Francisco Ascaso (1901–1936), indem aber auch keine Einigung erzielt wurde. Politisch isoliert und durch die Ereignisse in der Ukraine (Hungersnot und stalinistischer Terror 1929–1933) verbittert, zog sich Nestor Machno vom politischen Leben zurück. Er arbeitete zuletzt als Zimmermann, Bühnenarbeiter und Autoschlosser, ehe er am 6. Juli 1934 infolge seiner Tuberkuloseerkrankung in einem Pariser Armenhospital verstarb. Beerdigt wurde Nestor Machno auf dem Pariser Friedhof „Père Lachaise“.

Nestor Machnos Appell an seine Anhänger (1919):
"Siegen oder sterben, das ist das einzige, was den Bauern und Arbeitern der Ukraine im gegebenen Moment bleibt. Aber alle können wir nicht sterben, wir sind zu viele. Wir sind die Menschheit: also lasst uns siegen. Wir wollen aber nicht den Sieg, um das Beispiel der vergangenen Jahre zu wiederholen und unser Schicksal neuen Herren zu überlassen. Wir wollen unser Leben selbst bestimmen und unsere Angelegenheiten in Übereinstimmung mit unserem Willen und mit dem, was wir für richtig halten ordnen."

(#) 26. Oktober / 7. November – julianisches / gregorianisches Datum. Der gregorianische Kalender ist erst seit 1918 in der Ukraine gültig.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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