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Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
30.10.2013, 15:08
Beitrag: #1
Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
Hallo an alle.

Ich bin neu hier und habe mich hier angemeldet um vom reichen Wissensschatz dieses Forums ein wenig zu profitieren.
Zur Zeit schreibe ich an einer Romanreihe, bei der in einer Fantasywelt eine industrielle Revolution ausbricht und diese Grundlegend verändert.
Daher wollte ich einmal anfragen, welche Ursachen und Gegebenheiten eurer Meinung nach gegeben sein müssen, damit es zu solch einer Revolution kommen kann, gerne auch mit tatsächlichen Beispielen.
Schon einmal vielen Dank für alle Antworten.
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30.10.2013, 16:25
Beitrag: #2
RE: Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
Hallo Geschichtensturm,

voarb mal der Hinweis auf einen Roman über eine industrielle Revolution mit sehr bemerkenswertem Auslöser. Wink

Später mehr zum Thema.

Adje
der Suebe

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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30.10.2013, 19:52
Beitrag: #3
RE: Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
Servus!
Voraussetzungen für "die" industrielle Revolution in unserer Welt waren:
- Die technischen Voraussetzungen. Dampfkraft und Mechanisierung also. Beide wurden in England entwickelt, die Dampfkraft wegen der immer tieferen Bergwerke. Deren Existenz war wiederum eine Folge der Entdeckung des Gussstahls, für dessen Produktion bislang unerhörte Mengen an Kohle und Eisen gewonnen werden mussten.
- für die industrielle Produktion braucht man Unmengen an Menschen, und das dürfen aber keine Sklaven sein. Es muss also zuerst mal die landwirtschaftliche Voraussetzung für die Ernährung solcher Menschenmengen vorhanden sein und zweitens müssen diese Menschen so frei sein, dass sie ihre Scholle verlassen können. Außerdem muss das Erbrecht so gestaltet sein, dass zweite und dritte Söhne nicht erben können, mithin als Proletariat existieren müssen.
- drittens braucht man ein Unternehmertum, das reich und willens genug ist, sich auf das Risiko einzulassen, Fabriken hochzuziehen.
- Außerdem müssen - außer Eisen und Kohle - genügend Rohstoffe vorhanden sein, die weiterverarbeitet werden können. In England war das primär die Baumwolle aus den Kolonien.
- Viertens braucht man einen Staat, der das Ganze auch fördert bzw. in dem die Unternehmer eine Lobby haben, die sie fördert. Sonst gehen die Reichen den Weg des geringsten Widerstands und bauen ihre Fabriken anderswo. Außerdem steht als Käufer solcher Mengen Stahl in erster Linie der Staat zur Verfügung, erst wenn die Revolution voll angelaufen ist, treten auch Privatleute als Abnehmer hinzu. Und die sind dann auch einigermaßen reich, denn auch die müssen erst mal Fabriken bauen, um den Stahl weiterverarbeiten zu können, von den Rohstoffen ganz zu schweigen, zu denen in England neben der Baumwolle bald immer mehr und weitere traten.
- Fünftens muss es ein leistungsfähiges Handelsnetz geben, um die ganzen produzierten Waren überhaupt an die potentiellen Abnehmer ranbringen zu können. Man braucht also Straßen und Märkte im Sinne von Marktplätzen, und dafür braucht man wiederum einen bzw. mehrere Staaten, die diese Voraussetzungen schaffen, fördern und erhalten. Alternativ können hier aber auch Privatleute einspringen, die dann die Straßen in Eigenverantwortung bauen, die Märkte in Eigenverantwortung aufbauen usw. Da solche Straßen und Märkte aber böse Menschen anziehen wie der Honig die Fliegen, brauchen die Privatleute Schutz. Entweder sie bauen sich eine Privatarmee auf oder der Staat schützt die privaten Investitionen.
Die Transportmittel nicht zu vergessen (hier überschneidet sich Punkt 5 mit Punkt 1). Diese Transportmittel müssen zuverlässig, leistungsstark (im Sinne von durch möglichst viele Güter auf einem Transportmittel belastbar) sein, sie müssen relativ (im Verhältnis zum technischen Entwicklungsstand der Zeit) schnell sein und sie müssen Waren über weite Strecken transportieren können. In der Realität schuf hier die Dampfkraft die Voraussetzungen für die REvolution der Transportmittel, Stichwort Dampfschiff und Eisenbahn.

Baust du all dies in deinen Roman ein, kann dir eigentlich kaum noch einer sagen, dein Szenario wäre unrealistisch.
Denke ich.
Hab ich was vergessen?

VG
Christian
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30.10.2013, 20:42
Beitrag: #4
RE: Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
(30.10.2013 16:25)Suebe schrieb:  Hallo Geschichtensturm,

voarb mal der Hinweis auf einen Roman über eine industrielle Revolution mit sehr bemerkenswertem Auslöser. Wink

Später mehr zum Thema.

Adje
der Suebe

srry, Link vergessen

http://de.wikipedia.org/wiki/Ein_Yankee_...6nig_Artus

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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31.10.2013, 13:44
Beitrag: #5
RE: Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
(30.10.2013 19:52)913Chris schrieb:  ./.
Die Transportmittel nicht zu vergessen (hier überschneidet sich Punkt 5 mit Punkt 1). Diese Transportmittel müssen zuverlässig, leistungsstark (im Sinne von durch möglichst viele Güter auf einem Transportmittel belastbar) sein, sie müssen relativ (im Verhältnis zum technischen Entwicklungsstand der Zeit) schnell sein und sie müssen Waren über weite Strecken transportieren können. In der Realität schuf hier die Dampfkraft die Voraussetzungen für die REvolution der Transportmittel, Stichwort Dampfschiff und Eisenbahn.

Baust du all dies in deinen Roman ein, kann dir eigentlich kaum noch einer sagen, dein Szenario wäre unrealistisch.
Denke ich.
Hab ich was vergessen?

VG
Christian

Nichts hast du vergessen,
im Gegenteil, sehr kompetent und ausführlich.

Nur noch eine Ergänzung, bei der "Verkürzung von Zeit und Weg" den Transportmitteln
in England kam da vor der Eisenbahn der Ausbau eines sehr leistungsfähigen Kanalnetzes.

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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31.10.2013, 14:49
Beitrag: #6
RE: Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
Hi. Zu Ein Yankee am Hofe des König Artus ( http://de.wikipedia.org/wiki/Ein_Yankee_...6nig_Artus ).

Das geht zwar in die Richtung, aber die industrielle Revolution in diesem Buch wird durch einen Zeitreisenden ausgelöst. Eine Idee, die ich grundsätzlich nicht schlecht finde, aber man muss schon sagen, dass der Mann in der Geschichte wirklich die Eierlegendewollmilchsau war. Der wusste nicht nur über sämtliche Wissenschaftsbereiche Bescheid, sondern außerdem noch über exakte Sternenkonstellation die ca, 1000 Jahre vor seiner Zeit waren. Das ließ die Geschichte schnell doch arg unrealistisch werden.
Auf der anderen Seite ist der Roman bereits über 120 Jahre alt, also kann man solche Ungereimtheiten sicher verzeihen. Wink

Ansonsten möchte ich Christian ebenfalls mein Lob aussprechen. Finde deine Zusammenfassung sehr gut. Habe auf Anhieb nichts hinzuzufügen Wink .
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31.10.2013, 15:40
Beitrag: #7
RE: Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
(31.10.2013 13:44)Suebe schrieb:  
(30.10.2013 19:52)913Chris schrieb:  ./.
Die Transportmittel nicht zu vergessen (hier überschneidet sich Punkt 5 mit Punkt 1). Diese Transportmittel müssen zuverlässig, leistungsstark (im Sinne von durch möglichst viele Güter auf einem Transportmittel belastbar) sein, sie müssen relativ (im Verhältnis zum technischen Entwicklungsstand der Zeit) schnell sein und sie müssen Waren über weite Strecken transportieren können. In der Realität schuf hier die Dampfkraft die Voraussetzungen für die REvolution der Transportmittel, Stichwort Dampfschiff und Eisenbahn.

Baust du all dies in deinen Roman ein, kann dir eigentlich kaum noch einer sagen, dein Szenario wäre unrealistisch.
Denke ich.
Hab ich was vergessen?

VG
Christian

Nichts hast du vergessen,
im Gegenteil, sehr kompetent und ausführlich.

Nur noch eine Ergänzung, bei der "Verkürzung von Zeit und Weg" den Transportmitteln
in England kam da vor der Eisenbahn der Ausbau eines sehr leistungsfähigen Kanalnetzes.

Das ist schon irgendwie alles wichtig, gut zusammengefasst ... und widerspiegelt aber vor allem die Sichtweise aus unserer heutigen Perspektive. Einer Sichtweise, in der es diese eine "industrielle Revolution" eben schon gegeben hat, sie der Vergangenheit angehört. Ein Prozess, der ein Zeitalter markiert, welches Vergangenheit ist und das man sich in seiner Abfolge kaum anders vorstellen kann.

Gewagterweise glaube und behaupte ich, dass eine industrielle Revolution auch schon in der Antike, so z.B. im alten Rom oder auch im Reich der Mitte möglich gewesen wäre.
Den einzigen Schwachpunkt den ich sehe, ist die damals noch mangelhaft entwickelte Mathematik, die bei der Konstruktion bestimmter technischer Einrichtungen unerlässlich ist.


Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte.
Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon, wollen balde kommen.
– Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen!

Eduard F. Mörike (1804-1875)
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31.10.2013, 17:55
Beitrag: #8
RE: Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
(31.10.2013 15:40)Avicenna schrieb:  Gewagterweise glaube und behaupte ich, dass eine industrielle Revolution auch schon in der Antike, so z.B. im alten Rom oder auch im Reich der Mitte möglich gewesen wäre.

Im alten Rom, das ja über den griechischen Erfindergeist verfügen konnte genauso wie im alten China krankte das Ganze an einem Faktor: Den "frei beweglichen" Menschenmassen und den nötigen Investitionen bzw. Investoren.
Rom hatte seine Sklaven, im alten China waren die Bauern an ihr Land gebunden bzw. durften den Beruf nicht wechseln. Die Handwerker waren vom Staat angestellt, privates Unternehmertum gab es so nicht, es sei denn, im Handelsbereich.
Wohl wurden im alten China zu verschiedenen Zeiten schon industrielle Herstellungstechniken entwickelt, wohl kannte das alte Rom hochentwickelte technische Maschinen - vgl. Belagerungsmaschinen, Herons Tempeltechnologien - aber es fehlte der Anreiz, sie als industriell verwertbare Produktionstechniken einzusetzen - Rom hatte ja die Sklaven, in China durfte der Sohn keinen anderen Beruf ausüben als der Vater.
Und die Reichen beider Kulturen lebten in erster Linie vom Handel, vom Landbesitz oder vom Krieg (= Beute), hatten also keinen Anreiz, sich in die Niederungen des Handwerkertums hinabzubegeben und Fabirkanten zu werden.

VG
Christian
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31.10.2013, 20:18
Beitrag: #9
RE: Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
Zitat:
Zitat:Das ist schon irgendwie alles wichtig, gut zusammengefasst ... und widerspiegelt aber vor allem die Sichtweise aus unserer heutigen Perspektive. Einer Sichtweise, in der es diese eine "industrielle Revolution" eben schon gegeben hat, sie der Vergangenheit angehört. Ein Prozess, der ein Zeitalter markiert, welches Vergangenheit ist und das man sich in seiner Abfolge kaum anders vorstellen kann.

Tja, da sprichst du das Problem an. Wir wissen, dass die Industrielle Revolution in England stattfand.
Aber wir wissen nicht warum.

1760 war England kein Deut weiter entwickelt wie die Niederlande oder Frankreich. Im Gegenteil, man war in den Innovationen eher etwas zurück.
Aber dann hats gerappelt in der Kiste.

Zitat:Gewagterweise glaube und behaupte ich, dass eine industrielle Revolution auch schon in der Antike, so z.B. im alten Rom oder auch im Reich der Mitte möglich gewesen wäre.

warum nicht?
Aber auch das wissen wir nicht.

Zitat:Den einzigen Schwachpunkt den ich sehe, ist die damals noch mangelhaft entwickelte Mathematik, die bei der Konstruktion bestimmter technischer Einrichtungen unerlässlich ist.

Methematik, ich glaub ich habe Halluzinationen Big Grin ich lese da ständig Mathematik Angel mit römischen Zahlen kann man schön Addieren und Subtrahieren, aber sonst nichts.............

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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31.10.2013, 20:58
Beitrag: #10
RE: Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
(31.10.2013 20:18)Suebe schrieb:  Tja, da sprichst du das Problem an. Wir wissen, dass die Industrielle Revolution in England stattfand.
Aber wir wissen nicht warum.

1760 war England kein Deut weiter entwickelt wie die Niederlande oder Frankreich. Im Gegenteil, man war in den Innovationen eher etwas zurück.
Aber dann hats gerappelt in der Kiste.

In England kamen einfach alle Faktoren zusammen:
- es gab genügend gebildete Leute - Pfarrer auffälligerweise recht oft darunter - die das Zeug hatten, wegweisende Erfindungen wie die Dampfmaschine zu machen.
- es gab sowohl Kohle als auch Eisen im Land
- es gab Kolonien, die weitere Rohstoffe sowie Absatzmärkte sicherten
- es gab ein Proletariat, das die Arbeitskräfte stellen konnte
- es gab eine riesige Handelsflotte, die die Verbreitung der erzeugten Waren sicherte
- es gab genügend Reiche, die investieren konnten und - ganz wichtig! - wollten

Holland hatte weder Rohstoffe noch Proletariat.

(31.10.2013 20:18)Suebe schrieb:  Den einzigen Schwachpunkt den ich sehe, ist die damals noch mangelhaft entwickelte Mathematik, die bei der Konstruktion bestimmter technischer Einrichtungen unerlässlich ist.

Methematik, ich glaub ich habe Halluzinationen Big Grin ich lese da ständig Mathematik Angel mit römischen Zahlen kann man schön Addieren und Subtrahieren, aber sonst nichts.............

Ihr habt beide unrecht! Schon die Babylonier - von denen die Griechen das Rechnen lernten - kannten die höhere Mathematik:
"Im Gegensatz zur Mathematik der Ägypter, von der wegen der empfindlichen Papyri nur wenige Quellen existieren, liegt von der babylonischen Mathematik ein Bestand von etwa 400 Tontafeln vor, der seit etwa 1850 ausgegraben wurde. Darauf beruht unser Wissen. Die Aufzeichnungen wurden mit Keilschrift in den noch weichen Ton geritzt und gebrannt oder in der Sonne getrocknet. Die Mehrzahl der gefundenen Tafeln stammen aus dem Zeitraum zwischen 1800 und 1600 v. Chr. und behandeln Themen wie Brüche, Algebra, quadratische und kubische Gleichungen, den Satz des Pythagoras und Pythagoreische Tripel (Plimpton 322). Auf der Tafel YBC 7289 findet sich eine Näherung für die Wurzel aus 2 mit einer Genauigkeit von sechs Dezimalstellen." (http://de.wikipedia.org/wiki/Babylonische_Mathematik)

VG
Christian
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31.10.2013, 22:30
Beitrag: #11
RE: Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
(31.10.2013 20:58)913Chris schrieb:  Ihr habt beide unrecht! Schon die Babylonier - von denen die Griechen das Rechnen lernten - kannten die höhere Mathematik:

@Chris, mal völlig abgesehen von den Argumenten, die du gegen eine IR in der Antike anführst und welche z.T. durchaus ihre Berechtigung haben, kannst du nicht einfach schreiben "...ihr habt beide unrecht" und dann ganz gelassen auf die alten Babyloner verweisen.
Zwischen denen und einem Thales, Pythagoras und vor allem Euklid liegt eine qualitative Stufe. Genau, wie wir wiederum einen qualitativen Sprung zur Mathematik eines Descartes, Leibniz und Newton verbuchen können.


Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte.
Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon, wollen balde kommen.
– Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen!

Eduard F. Mörike (1804-1875)
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31.10.2013, 23:31
Beitrag: #12
RE: Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
Angekommen. Is okay. Werd mich beim nächsten Mal diplomatischer ausdrücken.

Abgesehen davon WAR die Mathematik z.Zt. der IR alles andere als unterentwickelt und WAR die Mathematik der Babylonier schon hoch entwickelt. Euklid und Konsorten haben nicht nur darauf aufgebaut, manches, was den Griechen zugeschrieben wird, stammt in Wirklichkeit von Babyloniern und Ägyptern.

VG
Christian
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01.11.2013, 12:05
Beitrag: #13
RE: Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
(31.10.2013 23:31)913Chris schrieb:  Angekommen. Is okay. Werd mich beim nächsten Mal diplomatischer ausdrücken.

Abgesehen davon WAR die Mathematik z.Zt. der IR alles andere als unterentwickelt und WAR die Mathematik der Babylonier schon hoch entwickelt. Euklid und Konsorten haben nicht nur darauf aufgebaut, manches, was den Griechen zugeschrieben wird, stammt in Wirklichkeit von Babyloniern und Ägyptern.

VG
Christian

Nun kann ich bei den Ingenieurwissenschaften nicht so sehr mitreden,
ich sehe das Problem aber nicht darin,
dass ein Gelehrter in monatelanger/jahrelanger Arbeit ein mathematisches Problem "errechnen" konnte,
sondern dass dieselbe Rechnung nachvollziehbar in praxisgerechter Zeit ausgeführt werden kann.
Und hierfür, mI, ist alles vor den "arabischen Zahlen" ungeeignet.

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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01.11.2013, 23:29
Beitrag: #14
RE: Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
Definiert mal Industriele Revolution. Ich meine außerhalb der wohlbekannten Industrielen Revolution im 19. Jahrhundert.
Meiner Meinung nach tritt so etwas ein, wenn eine neue Idee aufkommt. Sei es Die Manufraktur in Frankreich, Die Industrialiesierung oder das neue Computerzeitalter, oder was auch noch kommt.
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02.11.2013, 00:24
Beitrag: #15
RE: Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
(31.10.2013 23:31)913Chris schrieb:  Angekommen. Is okay. Werd mich beim nächsten Mal diplomatischer ausdrücken.

Abgesehen davon WAR die Mathematik z.Zt. der IR alles andere als unterentwickelt und WAR die Mathematik der Babylonier schon hoch entwickelt. Euklid und Konsorten haben nicht nur darauf aufgebaut, manches, was den Griechen zugeschrieben wird, stammt in Wirklichkeit von Babyloniern und Ägyptern.

VG
Christian
Diplomatischer ausdrücken - das klingt interessant...Rolleyes

Aber egal. Du hast doch vollkommen recht, wenn du schreibst, dass die griechischen Naturphilosophen bzw. Mathematiker auf das Wissen und die Praktiken der Babylonier und Ägypter zurückgriffen und darauf aufbauten. Sie haben verfeinert, ausgebaut und um Neues ergänzt - vor allem aber verallgemeinert (z.B. Beweisführung) und so die Universalität von mathematischen Zusammenhängen im Ensemble der Natur herausarbeiten können und die Grundlagen für eine formale Mathematik geschaffen.

Und du hast auch recht, dass man am Vorabend der Industriellen Revolution von einer hochentwickelten abendländischen Mathematik sprechen kann. Ein Level über den antiken Kenntnissen, aber wiederum auf diesen aufbauend.

Die Frage war ja nur, ob die antiken Kenntnisse ausgereicht hätten um bestimmte technische Objekte und auch logistische Prozesse zu beschreiben/analysieren, Neues zu planen und zu realisieren.

Die Frage nach der ausreichenden Verfügbarkeit von Arbeitskräften sowie von Investitionsmitteln und Konsumenten sehe ich als sekundär an, was nicht heißen soll, dass sie unwichtig ist. Gleiches gilt für die Infrastruktur.

Am Anfang muss die Erfindung stehen und eine begleitende, tragende Vision.


Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte.
Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon, wollen balde kommen.
– Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen!

Eduard F. Mörike (1804-1875)
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02.11.2013, 01:02
Beitrag: #16
RE: Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
(01.11.2013 12:05)Suebe schrieb:  Nun kann ich bei den Ingenieurwissenschaften nicht so sehr mitreden,
ich sehe das Problem aber nicht darin,
dass ein Gelehrter in monatelanger/jahrelanger Arbeit ein mathematisches Problem "errechnen" konnte,
sondern dass dieselbe Rechnung nachvollziehbar in praxisgerechter Zeit ausgeführt werden kann.
Und hierfür, mI, ist alles vor den "arabischen Zahlen" ungeeignet.

Das sehe ich genauso. Für die praktische Anwendung der antiken Mathematikkenntnisse und ihrer weiteren Entwicklung, war die Einführung des Ziffernschriftsystems auf Basis der indo-arabischen Schreibweise von entscheidender Bedeutung. Dazu gehört bekannterweise auch die Darstellungsmöglichkeit für die Null.
Das römische Zahlensystem ließ zwar auch komplexere Berechnungen zu, wie sie z.B. in der Architektur bei Statikfragen erforderlich sind - diese waren aber sehr aufwendig, mühsam und zeitraubend. Das System war auch nicht entwicklungsfähig.


Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte.
Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon, wollen balde kommen.
– Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's! Dich hab ich vernommen!

Eduard F. Mörike (1804-1875)
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02.11.2013, 11:10
Beitrag: #17
RE: Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
Hab gestern die Dukoreihe "Die Briten" gesehen und bin dabei auf noch einen Aspekt gestoßen, der für die (britische) industrielle Revolution entscheidend war: Die Hygiene.
Um die für die moderne industrielle Produktion nötigen Menschenmassen auch so unterbringen zu können, dass nicht die Mehrzahl von ihnen in einem relativ geringen Alter an Infektionen stirbt, braucht man unbedingt eine Kanalisation und eine gute medizinische Versorgung.
Die gute medizinische Versorgung setzt ein gewisses wissenschaftliches und auch technologisches Niveau voraus, eine Kanalisation war in der Geschichte immer dann nötig, wenn sich Megastädte ("Mega" im zeitlichen Kontext und relativ zu den übrigen zu der ZTeit existierenden Städten) bildeten: Im alten Rom, in China und im neuzeitlichen Europa bspw.

Den Wohnungsbau nicht zu vergessen: Um mehrstöckige Wohnhäuser in ausreichender Stückzahl hochzuziehen, ist wiederum ein gewisses technisches Niveau vonnöten. Logistik, Bautechnik, Baumaterialien...

VG
Christian
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02.11.2013, 23:51
Beitrag: #18
RE: Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
Die "Industrielle Revolution" ist nur in Zusammenhang mit der "Landwirtschaftlichen Revolution" und der "Politischen Revolution" zu sehen. Unter den Begriff „politische Revolution“ zähle ich nicht nur Ereignisse, wie die Französische Revolution, sondern auch das Wirken von Aufklärern und Philosophen (z.B. Kant, Voltaire, Rousseau, Locke u.a.). Außerdem dürfen Ökonomen wie Adam Smith und David Ricardo, aber auch die Entstehung eines modernen Bank- und Finanzwesen (trotz anfänglicher Pannen wie z.B. die Assignaten von John Law) und eines gerechteren Steuersystems nicht unbeachtet bleiben. Die drei (oder wenn man will vier) genannten Revolutionen bedingten sich gegenseitig, alle drei zusammen führten zur Umwandlung der bisherigen Agrargesellschaft in eine urbanisierte, nationalstaatliche Industriegesellschaft. Dieser Prozess fand in (West- und Mittel-)Europa und Nordamerika etwa im Zeitraum von ca. 1700 bis ca. 1870 statt (*) und sollte nicht getrennt, sondern im Zusammenhang und als Einheit betrachtet werden.

Es ist schon richtig, dass die bedeutendsten und spektakulärsten Erfindungen der IR in Großbritannien nach 1760 entstanden sind und somit das Vereinigte Königreich eine Vorreiterrolle übernahm. Ich denke da an die „Spinning Jenny“ von James Hargreave, an die Dampfmaschine von James Watt oder an die erste Lokomotive von Stephenson, die wiederum als Symbole für Mechanisierung, effizientere Energienutzung und Logistik stehen. Warum dies in Großbritannien geschah, haben 913Chris und andere schon oben beschrieben. Dabei darf man nicht vergessen, dass in Frankreich und Deutschland (und anderswo) ebenfalls neue Technologien entwickelt wurden. Ich denke da z.B. an den Jacquard-Webstuhl, an die Langsiebpapiermaschine, an den Tiegelstahl der Firma Krupp aber auch an das Einwecken oder die Daguerreotypie, um nur einige zu nennen.

Die landwirtschaftliche Revolution führte zu einem Anstieg der Bevölkerung und das trotz der Kriege von 1700 bis 1815 und der Seuchen (Pocken, Typhus oder Cholera). Ebenso stieg der Bestand an Pferden, dies ermöglichte einerseits den verstärkten Einsatz der Kavallerie in Kriegen, andererseits konnten mit Hilfe dieser Arbeits- und Transportpferde riesige Gebiete wie z.B. in Nordamerika erschlossen werden. Menschen reisten häufiger, dies wiederum führte zum verstärkten Austausch von Informationen und Ideen. Ein wichtiger Punkt der landwirtschaftlichen Revolution war die Einführung der Kartoffel als Nutzpflanze. Dort wo die Kartoffel (zum Teil trotz staatlicher Förderung) sich nicht als Nahrungsmittel behaupten konnte, waren Hungerskatastrophen noch möglich, so z.B. seit 1787/88 in Frankreich.

Das Verwenden der indisch-arabischen Zahlen war natürlich erforderlich, um mathematische, physikalische oder ingenieurtechnische Probleme zu lösen. Diese Zahlen waren aber seit Anfang des 13. Jahrhundert in Europa bekannt und im 18. Jahrhundert rechnete niemand mehr mit römischen Zahlen, die zu diesem Zeitpunkt nur noch für Jahreszahlen oder an Kirchturmuhren verwendet wurden. Die arabischen Zahlen wurden bereits seit dem 14. Jahrhundert in der Buchhaltung verwendet, so auch bei großen Handelshäusern wie den Fuggern oder Medicis. Ebenso nutzten die Verwaltungen der absolutistischen Staaten die arabischen Zahlen zur Bestandsaufnahme usw. Demnach müssten die Leistungen von z.B. Maschinen- oder Brückenbauern eher auf die mathematischen und physikalischen Grundlagen von Leibniz, Newton, Euler u. v. a. zurückzuführen sein.

Der Begriff „Industrielle Revolution“ verwendete erstmalig der französischen Ökonomen Adolphe Jerome Blanqui, ein Bruder des Sozialisten und Pariser Kommunarden Louis Auguste Blanqui. Er wollte auf Analogien zur Französischen Revolution und den daraus folgenden enormen gesellschaftlichen Veränderungen hinweisen. Karl Marx definierte die landwirtschaftlichen, industriellen und politischen Revolutionen als Übergang vom Feudalismus zum modernen Kapitalismus. Dabei beachtet er nicht, dass der Feudalismus spätestens seit dem 16. Jahrhundert überwunden war. Natürlich stellt sich die Frage, warum dann noch ca. 200 Jahre vergehen mussten, ehe die Prozesse begannen, die wir heute landwirtschaftliche, industrielle und politische Revolution nennen. Lag es an den Religionskriegen oder brauchte die Gesellschaft eben mehrere Generationen, um einen gewissen Bildungsstand, ein entsprechendes Niveau der Wissenschaften und die benötigte Aufgeschlossenheit für neue Wege zu erreichen?

Neben dem Begriff „industrielle Revolution“ gibt es ja auch die Begriffe „Zweite industrielle Revolution“ und „Dritte industrielle Revolution“. Die 2. IR schloss zeitlich an die 1. an, begann also um 1850/70 und endete wohl um 1970/90. (*) Kennzeichnend sind z.B. das Ersetzen der Mechanisierung durch Elektrifizierung, die Taylorisierung von Arbeitsprozessen (Massenproduktion), die chemische Industrie gewinnt an Bedeutung, neben Holz und der Steinkohle wurden z.B. einerseits Braunkohle, Erdöl und Erdgas, andererseits die Atomenergie als Energiequelle bedeutender, neben dem Schiffs- und Eisenbahnverkehr gewann der PKW- und LKW-Verkehr eine fast dominierende Bedeutung, durch den Einsatz von chemisch hergestellten Dünger bzw. von Pflanzenschutzmitteln wurde die Landwirtschaft effektiver, Kino, Radio und Fernsehen begannen das gesellschaftliche Leben massiv zu beeinflussen, man begann sich bewusst um die Stadtentwicklung zu kümmern und nicht zu vergessen als „politische Revolution“: die Gesetzgebung einschl. Sozialgesetzgebung oder das Behaupten der modernen parlamentarischen Demokratie (**) gegenüber totalitärer Regierungsformen. Hierzu gehört auch das Entstehen von Parteien, Interessenverbänden, Gewerkschaften, Genossenschaften u. a.

Seit 1970/90 befinden wir uns in der 3. IR. Die Arbeitsprozesse sind oder werden teil- oder vollautomatisiert, die Elektronik (und Mikroelektronik) prägt die Arbeitswelt. Ebenso entstehen neue Wissenschaftszweige, die Gentechnologie gewinnt an Bedeutung usw. Das Informationsmonopol der herkömmlichen Medien wird durch das Internet aufgehoben usw., praktisch jeder Haushalt hat einen PC und ein Handy usw., von denen man Nachrichten empfangen und senden kann. Die Gesellschaft wandelt sich in eine globale Kommunikations-, Informations- und Dienstleistungsgesellschaft. Herkömmliche Industriezweige werden z.B. nach Asien verlagert. In der Landwirtschaft findet der Anbau von genmanipulierten Pflanzen statt usw. Es gibt noch genügend andere Dinge, die ich aufzählen könnte, es würde jeglichen Rahmen sprengen.

Meine Gedanken gehen nun dahin. Am Ende der 1. IR (einschl. landwirtschaftliche und politische Revolution) entstanden die Nationalstaaten. Sie können als Institution zur Absicherung der Interessen von kapitalistisch wirtschaftenden Produzenten (Arbeitgebern) betrachtet werden. In der 2. IR setzte sich einerseits die moderne parlamentarische Demokratie gegenüber totalitären Regierungsformen und andererseits der Sozialstaat bzw. eine Sozialgesetzgebung durch. Damit wurde die Interessen der gesamten Gesellschaft gesichert, also auch die von Arbeitnehmern (Konsumenten). Meine Fragen sind, erstens: welche Bedeutung werden Nationalstaat oder Staatenbünde gegenüber global operierende Konzerne noch haben? Zweitens, sind die heutigen Sozialgesellschaften noch zeitgemäß oder brechen soziale Regeln, Gesetze und Bindungen weg zugunsten global handelnder Einzelner oder Gruppen? Drittens, sind die seit 1700 stattfindenden Prozesse permanent (***), so dass nach einer 3. IR, eine 4. und 5. IR usw. folgen wird („spiralförmige Entwicklung plus qualitativer Sprung“) oder sind es Prozesse, denen eine Endlichkeit beschieden sein wird? Als Grenzen für eine unendliche Entwicklung sehe ich z.B. die Entwicklung der Umwelt, des Klimas, die Demografie, die Ressourcenknappheit, die Vermüllung von Lebensräumen, aber auch ethische Skrupel an. Viertens, sollte man die komplexen Entwicklungen seit ca. 1700 als einen Prozess betrachten, der nur mit der neolithischen Revolution zu vergleichen ist?

(*) Nagelt mich bitte nicht wegen den Jahreszahlen fest, die Zeitabschnitte lassen sich ja bei einem ständigen Prozess schwer trennen. Am Besten ist es, man stellt sich das so vor, als ob die alte Baureihe noch produziert wird, obwohl schon ein neueres Modell auf dem Markt ist. Ich konzentriere mich bei meiner Analyse im Wesentlichen auf (West- und Mittel-) Europa und Nordamerika. Zeitlich versetzt und wohl eher rasanter fanden ähnliche Entwicklungen auch in Asien (Japan, China, Südkorea usw.) oder Lateinamerika statt. Ebenso lässt sich über die Entwicklung des Zarenreiches seit ca. 1890 und vor allem der Sowjetunion seit 1922 diskutieren.

(**) Auch die parlamentarische Demokratie nahm eine rasante Entwicklung von den Tories und Whigs des 18. Jahrhundert bis heute, wo de jure jedem über 18-jährigen Staatsbürger aktive oder passive Teilnahme an der parlamentarischen Demokratie offen steht, unabhängig vom Geschlecht, von der Steuerleistung bzw. dem Vermögensstand.

(***) Habe mal ganz provokativ das Wort „permanent“ gewählt, weil einst Leo Trotzki eine permanente Revolution, also die dauernde, nie aufhörende (radikale) Änderung der Gesellschaft forderte.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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03.11.2013, 10:57
Beitrag: #19
RE: Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
(02.11.2013 23:51)Sansavoir schrieb:  Meine Fragen sind, erstens: welche Bedeutung werden Nationalstaat oder Staatenbünde gegenüber global operierende Konzerne noch haben?

Die Verflechtung beider wird zunehmen. Der Nationalstaat als zumindest ideologische Grundlage wird noch eine ganze Zeit weiter existieren, zu viel müssten die "Individualstaaten" aufgeben. Bestes Beispiel ist die EU, wo ja auch nationalstaatliche Argumente am Ende die meisten anderen Argumente hinwegfegen...und wo sich nach Jehrzehnten der Annäherung der verschiedenen Staaten die Menschen immer noch nicht zuerst als Europäer, sondern eben als Franzosen, Deutsche, Spanier... begreifen.

(02.11.2013 23:51)Sansavoir schrieb:  Zweitens, sind die heutigen Sozialgesellschaften noch zeitgemäß oder brechen soziale Regeln, Gesetze und Bindungen weg zugunsten global handelnder Einzelner oder Gruppen?

Die Gesellschaften befinden sich in einem Wandel, der sowohl mit der demografischen Entwicklung der "westlichen Industriestaaten" sowie mit der industriellen Entwicklung bzw. der von dir genannten "3.industriellen Revolution" in Kausalzusammenhang gesehen werden muss.

(02.11.2013 23:51)Sansavoir schrieb:  Drittens, sind die seit 1700 stattfindenden Prozesse permanent (***), so dass nach einer 3. IR, eine 4. und 5. IR usw. folgen wird („spiralförmige Entwicklung plus qualitativer Sprung“) oder sind es Prozesse, denen eine Endlichkeit beschieden sein wird? Als Grenzen für eine unendliche Entwicklung sehe ich z.B. die Entwicklung der Umwelt, des Klimas, die Demografie, die Ressourcenknappheit, die Vermüllung von Lebensräumen, aber auch ethische Skrupel an.

Sehe ich ähnlich. Das Credo von der immerwährenden Weiterentwicklung wurde schon vom Club of Rome in Frage gestellt und es erweist sich immer mehr, dass alle Ressourcen inklusive Wasser und Luft endlich sind, dass also mit ihnen vorausschauend umgegangen werden muss. Inwieweit in diesem verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen wiederum Chancen für eine auch technologische, soziale und ökonomische Weiterentwicklung stecken, mithin also vielleicht der Anstoß zur nächsten industriellen Revolutionsstufe, muss sich noch erweisen. Ich persönlich sehe Chancen.

(02.11.2013 23:51)Sansavoir schrieb:  Viertens, sollte man die komplexen Entwicklungen seit ca. 1700 als einen Prozess betrachten, der nur mit der neolithischen Revolution zu vergleichen ist?

Ein komplexer Prozess, ja. Die neoloithische Revolution war ein allmählicher Übergang von den mesolithischen Jäger- und Sammlerkulturen (die sehr wohl auch schon Formen der Landwirtschaft kannten und sie auch anwendeten, aber mit ihren traditionellen Methoden der Nahrungsbeschaffung einfach noch besser fuhren, insofern sind die Mesolithiker mit den vorindustriellen Gesellschaften vergleichbar, siehe Merkantilismus als Vorstufe der Industrialisierung), durch die neolithische Revolution wurde das Produktionsgefüge der beteiligten Gesellschaften vollkommen umgestellt - Bildung größerer Siedlungen mit größeren und z.T. neuartigen Gebäuden, größerer sozialer Gruppen, großräumige Expansion von Kultur via Wanderung oder Wissenstransfer inklusive Entstehugn von Handel und Kriegen - all das erinnert so verdächtig an die Entwicklungen, die mit der I.R. einhergingen, dass ich versucht bin, dir recht zu geben: Beide Revolutionen sind mtieinander vergleichbar.

VG
Christian
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03.11.2013, 21:19
Beitrag: #20
RE: Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
Zitat:Ich denke da an die „Spinning Jenny“ von James Hargreave

Das Wort "Jenny" ist übrigends eine Verniedlchung des Wortes "Engine"

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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08.11.2013, 14:29
Beitrag: #21
RE: Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
Vielen, vielen Dank.
Deutlich mehr und ausführlichere Antworten, als ich erwartet hatte.
Ihr habt mir alle sehr weitergeholfen.

Danke. Smile
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08.11.2013, 16:06
Beitrag: #22
RE: Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
Es ist schön, Exclamation
und Zeichen einer gewissen Größe, Idea
wenn sich Jemand bedankt! Heart

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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08.11.2013, 18:11
Beitrag: #23
Protoindustrialisierung
Industrialisierung ./. Gewerbealisierung
________________________________________
Der Begriff der Industrialisierung ist bekannt, die Vorgänge sind erforscht.

Ich finde aber, dass da ein ganz erheblicher Teil Vorgänge die zu unserer heutigen "Idustrie-Gesellschaft" führen, insgesamt nicht weniger wichtig, unter den Tisch fallen.
Kurz nach dem 30 jährigen Krieg beginnt eine Entwicklung in der Waren und Güter weitgehend außerhalb der Zünfte für den überregionalen Bedarf und Vertrieb in Stückzahlen gefertigt werden.
Diese Entwicklung, mangels Schlagwort möchte ich sie mal "Gewerbealisierung" nennen, würde ich hier gerne diskutieren, vielleicht interessiert es ja den einen oder anderen.


Ich denke mal die Quellenlage ist gar nicht mal sooo dünn. Aber allem nach tatsächlich überwiegend nur regional vorhanden.
Wobei ich stark annehme, dass sich doch überregionale Gemeinsamkeiten finden lassen.
Das Verlagssystem zB gab es anscheinend doch flächendeckend. Wobei für das System ist es ja weniger wichtig, ob da jetzt "Endschuhe", Holz- oder Blechspielzeug oder Uhren gebaut und vertrieben wird.

Auch die Zünfte, die Zeder und Mordio schreien, "wenn dann nur dieser Artikel und natürlich nur Bedürftige" müsste doch wohl auch eine überregionale Erscheinung sein.

Im Kopf habe ich gerade Textil, nicht weil ich da auch nur die geringste Ahnung hätte, aber regional Zugriff auf etliche Quellen.

Wenn ich mich aus dem einstigen Geschichtsunterricht richtig besinne, unterlag die französische Protoindustrialisierung doch weitgehend des staatlichen "Anstoßes".
Was für die deutsche weitgehend nicht der Fall ist. (Ganz im Gegensatz zur späteren Industrialisierung)
Hier würde ich eine weitere übergreifende Gemeinsamkeit sehen.

Das ist richtig. Denn die Anschubfinanzierung für die Industrialisierung kam zweifellos aus dem Handel.

Das "Verlagssystem" nutzte, dass es in der Landwirtschaft Zeiten des fast völligen Arbeitsmangels gibt. In diesen Zeiten war man für eine Erwerbsmöglichkeit dankbar.
Außerdem wurden Waren gefertigt, die nur geringe oder gar keine Kenntnisse zur Anfertigung benötigten.
Zu großer Bedeutung wuchs das "Verlagssystem" mit dem Ende der großen Pestepidemien, die in den Städten wesentlich mehr Opfer als auf dem flachen Land fand. In der Folge wurden Lebensmittel deutlich weniger nachgefragt.

Eine Hinderung durch Feudalgewalten wäre mir jetzt auch nicht präsent, aber meine Infos sind recht regional.
Anders ist es mit den Zünften, die haben ständig "Zeder und Mordio" geschrien, "nur bestimmte Artikel, nur durch Bedürftige" die sonst der Armenkasse zur Last gefallen wären.
Die Verleger sind natürlich der Mode gefolgt, andere Artikel, der nächste Streit mit den Zünften.

Die Calwer Zeughandelscompagnie ist ein wunderbares Beispiel. Anfang, Hochzeit und Ende des Verlagswesens im beginnenden 19. Jahrhundert. Bestens dokumentiert, schon weil ein Nachfolgeunternehmen erst vor wenigen Jahren dichtgemacht hat.

Außerdem soll der Überlieferung nach (Dokumente gibt es wohl keine) die Calwer Compagnie auch die Textilindustrie um Ebingen "angeschuckt" haben. Hier hat man aber schon früh auf andere Produkte gesetzt
Strumpfwirker im 18. Jahrhundert überwiegend.
Der Strumpfwirkstuhl wäre von örtlichen Mechanikern schon 1780 verbessert worden. Die Namen der Mechaniker sind dokumentiert.

Etwas ist an so Überlieferungen ja immer.
Hier ist allerdings die "Schmidsche Zeughandelskompagnie" so ca. 1730 entstanden. Deren Vorbild auf alle Fälle die Calwer war.
Für die Zeugherstellung vermutet man eine 2. Entwicklungslinie nach Oberschwaben.

Die Realteilungsgebiete waren natürlich bevorzugt für die Heimarbeit geeignet. Die Bevölkerung waren Selbstversorger und konnten von dem her bereits billiger wie städtische arbeiten.

Gerade die Kriege des 17. und 18. Jahrhunderts hatten einen großen Einfluss auf das Verlagssystem, wie sonst wären die benötigten Mengen an Textilien, Lederwaren usw. zu produzieren gewesen?
Und das Geschäft hat dann der gemacht, der liefern konnte.

Die Verleger hatten die Heimarbeiter recht schnell in der Hand, und haben diese Macht natürlich auch zum Lohndumping genutzt. Allerdings geht mMn die generelle Annahme "wie schlimm das früher war" auch in diesem Fall fehl. Es gibt ein paar Wahrheiten, die eigentlich immer schon gelten "Die besten Geschäfte sind die, an denen beide ihre Freude haben" und "Aus einem verzagten A..... wird nie und nimmer ein fröhlicher F.... kommen"
maW: Auf Dauer wird der Verleger die besten Geschäfte gemacht haben, der seine Produzenten auch leben ließ.

Regional:
Bei uns dominierend Ende des 18. Jahrhunderts Strumpfproduktion mit dem Strumpfwirkstuhl (unter Krünitz Online gibt es einen langen Artikel zu ihm).
Generell: Wobei im Produktionsprozess die verschiedenen Stufen keineswegs gleichzeitig mechanisiert wurden. Sondern mit Zeitdifferenzen bis zu einem Jahrhundert. Eine der ersten Spinnmaschinen in England trug übrigens den Namen "Jenny" die Verballhornung von Engine. maW die Maschine überhaupt war für die Zeitgenossen jene Spinnmaschine.

Im Raum Oberammergau hat man im Verlagssystem Holzspielzeug angefertigt. Im Erzgebirge war die Spielzeugproduktion glaube ich auch so organisiert. Aber da kenne ich mich nicht aus.

Die Schwarzwalduhr ist ein sehr interessantes Thema, das einen eigenen Thread vertragen könnte.

Veredelte Lebensmittel wurden schon im 16. Jahrhundert verstärkt angeboten, ich glaube in dem Vortrag des Prof. Kollmer habe ich sowas gelesen.


Zu den "veredelten Lebensmitteln"
Zitat:VortragProfKollmer2005

aus dem Link
Zitat:Das relativ wohlhabende 16. Jahrhundert ermöglichte den Bauern Spezialisierungen, da auf breiter Basis die Nachfrage nach teureren landwirtschaftlichen Produkten wie Fleisch, Gemüse oder Milchprodukte zunahm. Dies führte zu einer stärkeren Arbeitsteilung in der Landwirtschaft und zu landwirtschaftlichen Produktionsgürteln. So entstanden Gebiete, die sich der Getreidewirtschaft ab- und der weniger arbeitsintensiven Viehwirtschaft zuwandten, bzw. Mischformen anstrebten.

ich dachte ich hätte den Vortrag schon mal verlinkt. Sorry.

Also bei uns wurde "vermutlich" 3000 Jahre Bohnerz gegraben. bis in die 1870er Jahre, als die Eisenbahn die Alb erreichte, und das antransportierte Erz billiger war, als das gegrabene.
("Vermutlich" deshalb, weil der Nachweis für die Spatenforschung extrem schwierig ist, so oft ein neues Verhüttungsverfahren eingeführt wurde, hat man zuerstmal den Abraum der Vergangenheit durch den Ofen gejagt. Aber inzwischen ist zumindest ein Erzschmelzofen aus der Zeit ca. 1.000 vuZ nachgewiesen. Schlackenhäufen sind gigantische gefunden worden)
Die Hammerwerke, Eisengießereien zB Laucherthal, Fridingen, Thiergarten usw. usf. die teilweise bis heute bestehen, gehen auf diese Vorkommen zurück.
Zur Protoindustrie kann man dies ganz gewiss rechnen, Verlagssystem kaum. Die Bauern und insbesondere Taglöhner haben in der "arbeitslosen Zeit" der Landwirtschaft das Erz gegraben, aber alle anderen Ansatzpunkte für den "Verlag" fehlen ja.

Die empirisch entwickelten Verbesserungen sind als solche wohl typisch für die Zeit der Protoindustrialisierung (Gewerbealisierung ).

Ich habe auch meine Bücher gewälzt und bin da auf den Begriff des "Ökonomischen Denkens" gestoßen, das sich mit der Frühaufklärung entwickelt hätte.

Wenn ich das noch ergänzen darf.
Den Empirikern war dieses Kosten/Nutzen Denken fremd. Ihnen genügte es, wenn das "Ding", trial and error entwickelt, funktioniert hat. Es wird oft genug, oder noch viel öfter, nicht funktioniert haben.

Auf der anderen Seite gab es die Wissenschaftler, die ihre Ideen mangels Materialkenntnis, Wissen um das Machbare, nicht umsetzen konnten.
Beispiel Leibnitz bei dem einige Projekte aus diesem Grunde scheiterten. Seine Rechenmaschine, moderne Nachbauten funktionieren gut, er hat sie nie richtig zum laufen gebracht.

Im 18. Jahrhundert gab es ein paar wenige "Allrounder" der Leipziger Jacob Leupold und natürlich James Watt, die in beiden Welten zu Hause waren, und entsprechende Erfolge hatten.

Die Wissenschaftler und die Empiriker (Handwerker) lebten in 2 völlig getrennten Welten.

In der Mitte des 18. Jahrhunderts setzte dann ein umdenken ein. die Wissenschaftler begannen sich um die Umsetzung ihrer Erkenntnisse zu kümmern und suchten sich Mechaniker die dazu imstand waren.

Das Beispiel eines solchen Duos:
Zitat:Philipp Matthäus Hahn ? Wikipedia
aus dem LinK
Zitat:Hier entwickelte er als technischer Autodidakt Sonnenuhren. Auch setzte er sich mit den Lehren Johann Arndts, der als Wegbereiter des Pietismus gilt, und der rationalistischen Philosophie Christian Wolffs auseinander. 1757 bis 1759 setzte Hahn seine Ausbildung in Tübingen fort. Dort entwickelte er Mikroskope, Monduhren, Teleskope und entwarf eine Rechenmaschine. Nach dem Studium arbeitete er in Lorch als Hauslehrer. Seine erste von mehreren Anstellungen als Vikar erhielt er 1761 in Breitenholz. 1764 wurde er Pfarrer in Onstmettingen, dem heutigen Stadtteil von Albstadt. Hier entstanden (unter der Mitwirkung Philipp Gottfried Schaudts) seine ersten Neigungswaagen und Weltmaschinen

Zitat:Philipp Gottfried Schaudt ? Wikipedia

aus dem link
Zitat:Schaudt war der kongeniale Mitarbeiter des schwäbischen „Mechanikerpfarrers“ Philipp Matthäus Hahn. Ohne Schaudt, der zeit seines Lebens nie von seinem Heimatdorf auf der Schwäbischen Alb fortzog [2], wäre es Hahn nach eigenem Bekunden nicht möglich gewesen, die von ihm konstruierten Rechenmaschinen und astronomischen Uhren in die Realität umzusetzen.

Hahn ist heute nahezu vergessen, er hat es nicht mal ins Lexikon geschafft.
(Soviel zu wiki, denn da ist er, siehe oben, drin)
Völlig zu Unrecht, denn seine Erfindungen waren teilweise bahnbrechend.
Auch geht die gesamte Waagen- und Feinmechanische Industrie in dieser Ecke Südwestdeutschlands direkt auf Hahn und Schaudt zurück.
Ein Beispiel
Zitat:Bizerba Openworld - Meilensteine

Aber es geht hier eigentlich mehr um das "Duo" und seine Bedeutung für die beginnende Industrialisierung.

Heute Nacht wollte ich im Vocke was nachschlagen.
Was begegnet mir? die Calwer Zeughandlungskompagnie

Weshalb ich zu obigem noch etwas ergänzen kann.

Die Calwer Compagnie hat sich anscheinend nach dem Vorbild der Ravensburger gegründet.
Nach dem 30jährigen Krieg wurden die "Zeugstoffe" den Tuchen zunehmend vorgezogen
Das Weben von Zeug stellt deutlich weniger Anforderungen an den Weber.
Vermutlich der Grund, dass die Weber in die Compagnie gleich gar nicht aufgenommen wurden.
Man die Zeugstoffe im Verlag herstellen ließ.

Gefärbt haben die Calwer recht früh schon mit Farben die auf der Basis von Metallen entstanden. Bezogen wurden die Metalle anfangs aus dem Schwarzwald, wo sich die Compagnie an etlichen Bergwerken beteiligte. Da die anfallenden Mengen aber nicht ausreichten, später aus Spanien.
Die in Spanien um 1780 entstehenden riesigen Preissteigerungen werden als einer der Gründe gesehen, die zur Auflösung der Calwer Compagnie führten.


Die immense Bedeutung des Färbens in der Zeugherstellung für das Verlagswesen hatte ich bisher nicht begriffen.
Jetzt weiß ich auch, warum das Nachfolgeunternehmen der örtlichen Compagnie noch bis ins 20. Jahrhundert den Beinamen "zum Farbhaus" trug.
Den Regionalisten freut es, wenn sich solche kleinen Rätsel auflösen.

Als Ergänzung ist mir noch folgendes aufgefallen:
Die Empirik als Abgrenzungs-Merkmal Protoindustrialisierung - Industrialisierung
scheint mir doch nicht so sehr dienlich zu sein.
In der Industrialisierung taucht dann plötzlich der Wissenschaftler auf, der sich der Empirik bedient.


NS:
Vor "ewigen" Zeiten habe ich diese Artikel-Reihe woanders verfasst
Ich finde hier passt sie gut rein.

"Die Inflation muss als das hingestellt werden, was sie wirklich ist, nämlich als Betrug am Staatsbürger, der um einen Teil seines Einkommens, aber noch mehr um seine Ersparnisse gebracht wird.!" (Ludwig Erhard, Bundeskalnzler 1963 bis 1966)
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10.11.2013, 12:46
Beitrag: #24
RE: Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
In der Doku-Reihe "Die Briten" kam gestern noch ein interessanter Beitrag. Bei der "Peasant´s Revolt" Ende des 14.Jhs. wurde zum ersten Mal (noch vergeblich) gefordert, dass in England die Leibeigenschaft aufgehoben wurde. Hundert Jahre später gab es bereits genügend Freibauern (Yeomen), die sich einen Bogen leisten konnten, damit England die entscheidenden Schlachten von Crecy und Azincourt gegen die französischen Ritter gewinnen konnte.

D.h., dass in England schon 400 Jahre vor der Industriellen Revolution eine Bevölkerungsschicht entstanden war, aus der Unternehmer hervorgehen konnten. Diese Unternehmer engagierten sich vorerst noch in erster Linie als Händler und Zwischenhändler von landwirtschaftlichen Produkten wie z.B. Wolle und (Halb-)Fertigprodukten wie z.B. Tuch. Aber damit war der Grundstein gelegt für ein im 18.Jh. schon traditionsreiches und eingeführtes Unternehmertum, das noch dazu nicht an die Städte gebunden war und auf die Arbeitskraft der Landbevölkerung zurück greifen konnte. Auch hierin liegt mE ein Grund, warum die I.R. gerade in England ihren Anfang nahm.

VG
Christian
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10.11.2013, 20:49
Beitrag: #25
RE: Auslöser und Grundlagen für eine/die Industrielle Revolution
(10.11.2013 12:46)913Chris schrieb:  In der Doku-Reihe "Die Briten" kam gestern noch ein interessanter Beitrag. Bei der "Peasant´s Revolt" Ende des 14.Jhs. wurde zum ersten Mal (noch vergeblich) gefordert, dass in England die Leibeigenschaft aufgehoben wurde. Hundert Jahre später gab es bereits genügend Freibauern (Yeomen), die sich einen Bogen leisten konnten, damit England die entscheidenden Schlachten von Crecy und Azincourt gegen die französischen Ritter gewinnen konnte.

D.h., dass in England schon 400 Jahre vor der Industriellen Revolution eine Bevölkerungsschicht entstanden war, aus der Unternehmer hervorgehen konnten. Diese Unternehmer engagierten sich vorerst noch in erster Linie als Händler und Zwischenhändler von landwirtschaftlichen Produkten wie z.B. Wolle und (Halb-)Fertigprodukten wie z.B. Tuch. Aber damit war der Grundstein gelegt für ein im 18.Jh. schon traditionsreiches und eingeführtes Unternehmertum, das noch dazu nicht an die Städte gebunden war und auf die Arbeitskraft der Landbevölkerung zurück greifen konnte. Auch hierin liegt mE ein Grund, warum die I.R. gerade in England ihren Anfang nahm.

VG
Christian

Im 14. und 15. Jahrhundert hat es einen grundlegenden Wandel in der Bevölkerungsstruktur Englands gegeben, den es in dieser speziellen Form in anderen europäischen Staaten nicht gegeben. Die größte demografische Katastrophe für England war die Pest von 1348/49 und die damit verbundene Reduzierung der Bevölkerung von 6 Mio. auf 3. Mio. Menschen, d.h. England verlor infolge der Pest 50 % der Bevölkerung. England hatte also einen höheren Bevölkerungsrückgang als die meisten anderen europäischen Staaten, die zwischen 1347 und 1352 Bevölkerungsverluste zwischen 25 % und 40 % zu beklagen hatten.

Nach dieser Katastrophe ist das bis dahin bestehende Feudalsystem zusammengebrochen. Die Bauern und Handwerker verließen ihre Herren und suchten entweder in einer Stadt oder bei einen anderen besser entlohnenden Herren ihr Auskommen. Das führte wiederum zur Verarmung eines großen Teils von Adligen, die sich und ihre Güter dem Schutz eines mächtigeren Adligen unterstellten. Diese mächtigen Adligen waren Angehörige der Königsfamilie, wie z.B. John of Gaunt, Herzog von Lancaster, Adelsfamilien wie die Mortimer, Mowbray, Pole oder Holland, Kirchenfürsten, aber auch bereits Aufsteiger aus der Kaufmannschaft wie William de la Pole. Infolge dieser Entwicklung bildeten sich mächtige Magnatenfamilien heraus, die ihre Macht auf ihre von ihnen entlohnte Gefolgschaft bauten.

Edward III. erkannte die Entwicklung und versuchte in den 1360/1370er Jahre durch drakonische Gesetze die Abwanderung der Bauern und Handwerker und die damit bedingte Verarmung von Teilen des Adels zu verhindern. Dies ist auch eine Ursache der „Peasant Revolt“ unter Wat Tyler im Jahr 1381. Die mächtige Stellung der Magnaten konnte der König nicht zurückdrängen. Die Magnaten selbst sicherten in wechselnden Allianzen ihren Machtzuwachs ab. Da sie einerseits in militärische Aktionen im Hundertjährigen Krieg gegen Frankreich eingebunden waren, anderseits sich in politischen Machtkämpfen am Hof des Königs verstrickten, hatten sie wenig Zeit (und wohl auch Interesse) ihre Güter selbst zu verwalten. Deswegen setzten sie Stewards bzw. Verwalter für ihre Güter ein. Diese Stewards stammten aus der Gefolgschaft der Magnaten und wurden nach ihren wirtschaftlichen und administrativen Fähigkeiten und natürlich nach ihrem Bildungsgrad ausgesucht.

Bei der häufigen (fast ständigen) Abwesenheit der Magnaten konnten sich diese Stewards zu Agrar-Unternehmern entwickelen. Sie produzierten vorwiegend landwirtschaftliche Produkte wie z.B. Bier, Fleisch oder Wolle, Arbeits- und Kriegspferde usw. Diese Agrar-Unternehmer fanden ihren wichtigsten Partner in der Londoner Kaufmannschaft, die z.B. Wolle nach Flandern exportierte und dafür wieder Tuch einkaufte. Dieses Bündnis führte auch dazu, dass jüdische, italienische oder Hanse-Kaufleute schrittweise vom englischen Markt verdrängt wurden.

Infolge des Hundertjährigen Krieges, aber vor allem der Rosenkriege verdünnte sich der Personalbestand der Magnatenfamilien. In diese Lücke rückten oft die inzwischen wirtschaftlich starken Verwalter, z.B. die Familien Neville, Woodville oder Howard, denen es auch gelang, ihre Töchter mit Angehörigen der Lancasters, Yorks oder anderer Magnaten zu verheiraten. Familienbündnisse wie zwischen den in den Hochadel aufgestiegenen Howards und den ursprünglich der Londoner Kaufmannschaft angehörenden Boleyns waren nicht ungewöhnlich. Auch die Tudors waren ursprünglich Gefolgsleute der Lancasters.

Wenn man mal die ganzen dramatischen Geschichten um die Angehörigen der englischen Aristokratie nicht weiter untersucht, steht zumindest fest, dass zum Ende des 15. Jahrhunderts eine neue, unternehmerisch denkende Oberschicht in England entstanden war, die im 16. Jahrhundert die englische Gesellschaft grundlegend umgestaltete (Tudor-Revolution). Der Aufstieg des Schmiedsohnes Thomas Cromwell zum Lordkanzler wird möglich. Die Familie seiner Schwester führte einen landwirtschaftlichen Großbetrieb, ihrem Nachfahren Oliver Cromwell gelang es die Monarchie zu stürzen.

Die Angehörigen der neuen Oberschicht waren gleichzeitig Politiker (egal ob Ober- oder Unterhaus), Großgrundbesitzer und Unternehmer, die sich nur ihren eigenen und wohl auch Englands Interessen verpflichtet fühlten. Als Beispiel kann man die Familie Dudley nennen. Dabei störte es die neuen Herren nicht, wenn z.B. infolge von Landvertreibungen tausende Bauern ihre Existenzgrundlage verloren und der soziale Frieden damit gefährdet war. Sie empfanden keine Empathie für die (ehemaligen) Bauern und Handwerker, die einerseits infolge eines drastischen Strafrechts, andererseits infolge drohender oder gar vollzogener Verelendung gezwungen waren, mobil zu sein. Dies führte dazu, dass in England stets genügend billige Arbeitskräfte zur Verfügung standen, die bereit waren, im Bergbau zu arbeiten oder auf See zu fahren und neue Gebiete zu kolonisieren usw. Diese effektive Ausbeutung von Menschen hat es damals nur in England gegeben und ist sicher auch ein Grund, dass die Industrielle Revolution in England begann.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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