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8. Mai 2015 70 Jahre danach
11.05.2015, 04:43
Beitrag: #4
RE: 8. Mai 2015 70 Jahre danach
Leipzig wurde am 18. und 19. April 1945 von der US-Army befreit. Die US-Army wurde von Robert Capa begleitet, dessen 1937 im Spanienkrieg gefallene jüdische Freundin Gertrud Taro aus Leipzig stammte. Aus diesem Grund hatte Capa ein besonderes Interesse daran, die Besetzung Leipzigs durch die US-Amerikaner zu dokumentieren. Ein bekanntes Bild zeigt dann auch, wie ein junger GI von einem Heckenschützen aus der HJ erschossen wurde. Dieser Einundzwanzigjährige war der letzte Gefallene der US-Amerikaner in Leipzig. Das Haus wird heute Capa-Haus genannt und ist eine Ruine. Vor wenigen Wochen wurde aber mit den Sanierungsarbeiten begonnen. Neue Eigentümerin des Hauses soll eine Zahnärztin aus den alten Bundesländern sein. Gerüchten zufolge soll nach der Sanierung eine Ausstellung über Capa und die US-Soldaten in Leipzig installiert werden. Warten wir es ab. Die Stadt Leipzig tut sich öffentlich noch immer schwer mit ihrer Befreiung durch die Amerikaner. Es war schon ein Kraftakt, eine kleine Straße nach dem o.g. Gefallenen zu benennen. Diese Bowmann-Straße ist m.E. das Einzige, das man den Amerikanern bisher als Gedenken zugesteht.

Von meiner Oma weiß ich nur, dass die Amerikaner schon ein oder zwei Tage früher erwartet wurden. 2 Divisionen (?) rückten dann vom Westen bzw. Südwesten auf Hauptstraßen (heutige Dieskau- und Zschocherische sowie Lützner bzw. Prager Straße) relativ ungestört ein. Die Straßen waren fast menschenleer. Erst am Straßenbahnhof Angerbrücke, ggü. dem "Capa-Haus" stellten sich ihnen einige Hitlerjungen den Amerikanern entgegen, ebenso hatten sich im Völkerschlachtdenkmal einige junge Soldaten und HJ-ler verschanzt. Der Widerstand im Straßenbahnhof wurde mit Waffengewalt gebrochen, der Widerstand im Völkerschlachtdenkmal brach mit Hilfe der Leipziger Bevölkerung zusammen, einigen Frauen gelang es, die Verteidiger zur Aufgabe zu bewegen. Örtliche Nazigrößen hatten sich und ihre Familien im Neuen Rathaus verschanzt. Dort fand am 19. April 1945 ein Massenselbstmord statt. Leider rückten die Amerikaner am 16. Juli 1945 wieder ab. Meine Oma bedauerte dies sehr, im Gegensatz zu den Russen sollen sie die Bevölkerung ordentlich behandelt haben. Ähnliches haben mir auch frühere Kollegen erzählt, einige nannten es "Verrat", weil die US-Amerikaner wieder abgerückt sind.

Ganz anders soll es in Halle an der Saale gewesen sein. Die NS-Führung durfte sich aufgrund eines Hitler-Befehls nicht den Amerikanern kampflos ergeben und die Amerikaner wären auch bereit gewesen, die Stadt um jeden Preis zu erobern. In dieser Situation begann am 16. April 1945 der seit dem 1. Weltkrieg populäre Graf Luckner mit den US-Amerikanern zu verhandeln. Den NS-Größen wurde freier Abzug gestattet, die Stadt Halle wurde nicht zerstört und die Amerikaner rückten am 17. April ein. Trotzdem ist das Verhältnis der Stadt zum Grafen Luckner heute noch gespalten. Die einen sehen in ihm den Retter der Stadt, die anderen werfen ihnen entweder seine (Un-)taten als "Seeteufel" und/oder die nicht eindeutig geklärten Missbrauchsvorwürfe aus den 1930er Jahren vor. Letztlich scheiterte vor einigen Jahren eine Initiative, in Halle eine Straße nach Graf Luckner zu benennen.

Im Gegensatz zu Leipzig befinden sich auf einen Hallenser Friedhof (Südfriedhof) viele Gräber von sowjetischen Soldaten aus den Jahren 1945 bis 1947. Es ist mir aber nicht bekannt, warum diese Soldaten und Soldatinnen so jung sterben mussten, ob die Ursache ihres frühen Tods Krankheiten bzw. Seuchen oder sie in Ausübung militärischer oder polizeilicher Aufgaben fielen. Diese Gräber zeigen zumindest, dass für diese Soldaten der 8. oder 9. Mai 1945 nicht das Kriegsende bedeutete.

Abschließend möchte ich noch erwähnen, dass ich im Jahr 2007 beim Ur-Krostitzer Jahresring, einen Wettbewerb für Hobby-Historiker teilnahm. Einer der Sieger war ein Herr Jürgen Möller, der damals hauptberuflich bei der Bundeswehr arbeitete und offensichtlich genügend Zeit hatte, sich mit der Befreiung Mitteldeutschlands durch die US-Army zu beschäftigen. Er hat darüber inzwischen einige Bücher veröffentlicht und gilt heute zu diesem Thema als der oder zumindest ein wichtiger Fachmann. Er hat als Hobby-Historiker eine Nische gefunden, die von Berufshistorikern noch wenig beachtet wurde. Da seine Bücher für mich etwas zu teuer sind, lese ich sie immer bei H…., einer großen Buchkette!

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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8. Mai 2015 70 Jahre danach - Suebe - 09.05.2015, 17:04
RE: 8. Mai 2015 70 Jahre danach - Sansavoir - 11.05.2015 04:43

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