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Fürst Otto von Bismarck - Außen- und bündnispolitische Entscheidungen von 1871-1890
08.04.2016, 00:44
Beitrag: #10
RE: Bismarck - Außen- u. bündnispolitische Entscheidungen 1871-1890
Es stellt sich aber die Frage, ob man Bismarcks Außenpolitik für die Zeit von 1871 bis 1890 losgelöst von den Ereignissen zwischen 1862 und 1871 betrachten kann. Immerhin herrschte seit dem Wiener Kongress von 1815 ein funktionierendes europäisches Gleichgewicht, das mit der Reichsgründung ad acta gelegt wurde.

Die britische Außenpolitik des 18. und des 19. Jahrhunderts bestand darin, dass ein Status Quo in Europa gewahrt wurde. Dabei bediente man sich eines Herrschaftssystems, das als europäische Pentarchie bezeichnet wurde. Beim o.g. Wiener Kongress neigen Deutsche und Österreicher die Rolle Metternichs hervorzuheben und die Diplomatie Castlereaghs (und auch Talleyrands) zu unterschätzen. Warum bekam Preußen das Rheinland und nicht das gesamte Sachsen? Wieso konnten die Russen ihre Forderungen nach Polen umsetzen? Die britische Diplomatie bemühte sich um eine Machtbalance zwischen den anderen europäischen Großmächten Frankreich, Österreich, Preußen und Russland. Ein etwas stärker gewordenes Russland war da akzeptabel, solange die näher gelegenen Staaten Frankreich, Preußen und Österreich nicht zu stark wurden. Wichtig war, dass sich keine dieser Großmächte als Herrscher Europas aufschwingen konnte, wie z.B. das napoleonische Frankreich. Bereits im 18. Jh. unterstützte Großbritannien in wechselnden Allianzen meistens die scheinbar Schwächeren, denen dann bei einem zu großen Machtzuwachs die Unterstützung entzogen wurde. Dieses System sicherte die britische Vorherrschaft über Europa. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass britische Politiker die Entstehung des Deutschen Reichs als Katastrophe ihrer bis dahin bewährten Diplomatie empfanden.

Mit der Entstehung des Deutschen Reiches im Jahr 1871 brach das System der europäischen Pentarchie zusammen und es entstand eine starke, eigenständige Macht in Zentraleuropa, die dann aufgrund ihrer wirtschaftlichen Stärke den britischen (sowie den russischen und französischen) Einfluss in der europäischen Politik zurückdrängte. Die Briten sahen ihre Möglichkeiten reduziert, die Balance des europäischen Gleichgewichts auszuloten. Sie betrachteten die Wirtschaftsstärke und den damit verbundene politische Machtzuwachs des Deutschen Reiches als das eigentlich Störende ihrer Politik, die deutsche Flotte symbolisierte dies später nur für die Öffentlichkeit, obwohl sie tatsächlich nicht stark genug war, um auf Dauer gegen die Briten zu bestehen. Kurz gesagt: Für die britische Außenpolitik war nicht die Existenz der wilhelminischen Flotte das eigentlich Störende, sondern die Reichsgründung selbst.

Des Weiteren bin ich nicht der Meinung, dass nur Wilhelms II. Außenpolitik am Ausbruch des 1. Weltkriegs schuld ist, sondern auch Bismarcks Frankreich-Politik die Grundlage dafür schuf. Jeder Gegner des Deutschen Reichs fand in Frankreich einen willigen Verbündeten. Natürlich weiß ich, dass die Rückgabe von Elsass-Lothringen zu immensen Schwierigkeiten in Süddeutschland geführt hätte. Aber ohne die Lösung der Elsass-Lothringen-Frage hätte sich das Verhältnis zu Frankreich nie normalisiert.

Eine weitere Frage stellt sich, inwieweit Bismarcks Russlandpolitik fortführbar wäre. Um Russland nicht zu verprellen, akzeptierte Bismarck 1887 die Entmachtung des um Eigenständigkeit bemühten Fürsten Alexander I. von Bulgarien (Battenberg). Hätte er nicht auch den Umsturz in Serbien von 1903 akzeptieren müssen. Dieser Umsturz war ja nicht nur ein Austausch der Machthaber oder der Dynastie, er brachte einen Wechsel der pro-österreichischen Außenpolitik der Obrenovics zu der pro-russischen Ausrichtung der Karadjorjevics. Dieser österreichisch-russische Gegensatz führte letztlich zum Scheitern des Dreikaiserbündnisses und nicht die wilhelminische Außenpolitik. Bismarck hätte dies auch nur akzeptieren müssen.

Ebenso denke ich, dass um 1870 eine Revolution "von unten" möglich wäre. Ich denke, man darf die politische Situation nicht mit 1848/49 vergleichen. Um 1870 gab es nicht nur debattierende Universitätsprofessoren, sondern auch liberale Deutsche, die z.B. im Amerikanischen Bürgerkrieg erfolgreich große Militärverbände geführt hatten. Parallelen zur Entwicklung in Spanien (1. Republik, Amadeus I., 2. Karlistenkrieg) wären vorstellbar und wurden wohl auch befürchtet. Eine Revolution "von unten" sollte nicht stattfinden und dies war halt nur mit einer Revolution "von oben" möglich. Deshalb stellt sich auch die (provokative) Frage, ob diese Revolution - egal ob von unten oder von oben - notwendig gewesen wäre. Und damit sind wir wieder beim Nationalstaat.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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