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Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion?
21.08.2016, 14:45
Beitrag: #4
RE: Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion?
Ich denke, wir dürfen nicht mit unseren im 20./21. Jahrhundert geprägten Vorstellungen von glücklichen und unglücklichen Beziehungen auf die Ehen des Hochadels im Mittelalter schließen. Eine freie Entfaltung der Persönlichkeit war in der mittelalterlichen Welt nicht vorgesehen und wurde auch nicht erwartet. Wir wissen auch nicht, ob die ehelos Gebliebenen glücklich waren oder ob die in ein Kloster abgegebenen Töchter und Söhne mit ihren Schicksalen haderten oder nicht. Wer Angehöriger einer adligen Familie war, war in erster Linie nur eine Figur, die im Interesse der Dynastie zu handeln hatte. Darauf wurden Jungen und Mädchen schon im Kleinkinderalter vorbereitet. Adlige Kinder wurden häufig fremden Familien oder kirchlichen Institutionen zur Erziehung und Ausbildung überlassen. Damit wurden Netzwerke geschaffen, Bündnisse geschmiedet und Loyalitäten erzwungen.

Elisabeth von Thüringen kam 1211 als Vierjährige zur Familie ihres zukünftigen Ehemanns Ludwig IV. (1200–1227) kam. Diese Ehe schuf nicht nur familiäre Beziehungen zum König von Ungarn, sie muss vor allem als Bündnis der Landgrafen von Thüringen mit den Grafen von Andechs-Meranien betrachtet werden. Obwohl die Beziehung zu den Andechs keine Vorteile mehr brachte, heiratete Ludwig IV. 1221 die ursprünglich für seinen verstorbenen älteren Bruder vorgesehene Braut Elisabeth. Das kann nicht nur mit politischen Kalkül begründet werden, der ungarische König hätte den Landgrafen von Thüringen nicht langfristig schaden können. Ludwig wollte Elisabeth behalten, weil sie ihm gefiel. Nachdem er 1227 während der Vorbereitungen eines Kreuzzuges in Otranto starb, trauerte Elisabeth sehr lange. Deshalb kann man davon ausgehen, dass diese Ehe nicht unglücklich war. Was danach geschah, ist sicher tragisch, aber auch Alltag mittelalterlicher, adliger Frauen. Elisabeth war eine zwanzigjährige (hochschwangere) Witwe mit einem fünfjährigen Sohn, dessen Erbe verteidigt werden musste und einer dreijährigen Tochter. Da ging es eigentlich nur noch um das eigene Überleben und die Zukunft ihrer drei Kinder.

Der spätere Kaiser Karl IV. lebte von seinem 6. bis 12. Lebensjahr am Hof des französischen Königs Karl IV., dessen zweite Ehefrau Maria von Luxemburg eine Tante Karls war. Des späteren Kaisers erste Ehefrau Blanka von Valois war wiederum die Schwester des späteren französischen Königs Philipp VI., dessen Sohn Johann II. wiederum in erster Ehe mit Karls Schwester Guta von Luxemburg (Bonne de Luxembourg) verheiratet war. Man kann davon ausgehen, dass die Ehen zwischen Karl IV. von Frankreich und Maria von Luxemburg bzw. zwischen Karl (von Mähren) und Blanka von Valois nicht unglücklich waren. Allerdings starb Maria von Luxemburg als Neunzehnjährige bereits nach zwei Jahren Ehe. Die Ehe zwischen ihrem Neffen und Blanka von Valois dauerte etwa fünfzehn Jahre und endete durch den frühen Tod der Ehefrau im Alter von 31 Jahren. Obwohl aus bündnispolitischen Gründen geschlossen, muss zumindest Karl seine Frau geliebt haben. Das zeigt sich darin, dass er sie immer in ihren Konflikten mit ihren Schwiegereltern Johann von Luxemburg und dessen zweiter Ehefrau Beatrix von Bourbon verteidigte.

Dagegen kann man die Ehe seiner Schwester Guta/Bonne mit dem späteren Johann II. als unglücklich bezeichnet werden. Als Siebenjährige flüchtete sie mit ihrer Mutter Elisabeth von Böhmen nach Niederbayern. Später verlebte sie einige Jahre am Hofe des Markgrafen von Meißen. Nachdem sich dieser mit Kaiser Ludwig IV. einigte, wurde die böhmische Prinzessin nicht mehr benötigt und ihrem Vater Johann von Luxemburg übergeben. Dieser bereitete dann die politische Heirat mit dem potentiellen Thronfolger Johann, Herzog von Normandie vor, die ein weiterer Baustein Johanns pro-französischer Politik war.

Bonne wurde des Ehebruchs bezichtigt und ihr angeblicher Liebhaber Raoul d'Eu starb 1350 in einem Gefängnisturm. Irgendwie erinnert dieses Vorgehen an die Ereignisse an Ludwig X. und Philipp V. und ihren untreuen Ehefrauen. Deswegen können die Unterstellungen gegenüber Bonne nur ein Mittel sein, um diese Ehefrau loszuwerden. Ob sie 1349 ein Opfer der Pest oder eines Giftanschlags ihres Ehemanns wurde, ist strittig. Ihr ältester Sohn, der spätere, aber bereits 1338 geborene Karl V. musste sich zeitlebens gegen Gerüchte wehren, er wäre unehelich gewesen. Ob nun Bonne unglücklich war und mit ihrem Schicksal haderte oder an einem vom Gott gewollten Lebensweg glauben konnte, der im Jenseits belohnt würde, kann nur Spekulation sein. Fatalismus war sicher ein Selbstschutz, um im Mittelalter zu überleben.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
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RE: Unglückliche Ehen im Mittelalter oder vielleicht doch nur eine Fiktion? - Sansavoir - 21.08.2016 14:45

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