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Ab wann gibt es "Deutschland"?
23.10.2016, 19:09
Beitrag: #40
RE: Ab wann gibt es "Deutschland"?
(21.10.2016 16:14)Dietrich schrieb:  
(21.10.2016 16:05)Suebe schrieb:  Die Bevölkerung des Ostfränkischen Reiches sprach eine gemeinsame Sprache, ...

Nein, sprach sie nicht.

Wie du den verschiedenen Wiki-Artikeln entnehmen kannst, waren Altbairich, Altsächsisch, Altfränkisch und Altalemannisch verschiedene westgermanische Sprachen. Und die waren durchaus unterschiedlich, wie das bei verschiedenen Sprachen nun mal so ist.

Die früheste Stufe des Deutschen beginnt mit dem Mittelhochdeutschen, das unter den Staufern zur ersten standardisierten Sprache bei Hof wurde. Die Idiome der Bevölkerung unterschieden sich nach wie vor erheblich voneinander. So sprach der ganze Norden Niederdeutsch, was für Alemannen und Baiern völlig unverständlich war.

(22.10.2016 20:28)Suebe schrieb:  -Nix gegen Wiki, als schnelle 1. Information unübertroffen.
Jedoch, wenn es ans Eingemachte geht, ist die gedruckte Quelle in jedem Fall vorzuziehen.

Quelle: dtv-Atlas Deutsche Sprache ISBN 978-3-423-03025-0
17. Korrigierte und durchgesehene Auflage 2011

Seite 43 rechte Spalte c. Mitte
Die ältesten germ. Sprachzeugnisse sind uns von römischen Autoren überliefert.
Diese Einzelwörter repräsentieren einen Sprachzustand, den man als Gemeingermanisch bezeichnetBei CAESAR ... bei TACITUS ..... bei PLINIUS D. Ä. .... An ihrem Lautstand erkennt man, dass damals ds Germanische noch als Einheitssprache vorhanden gewesen sein muss, dass eine Auseinanderentwicklung erst später stattgefunden hat.


zum Althochdeutschen
Seite 61 rechte Spalte 2. Abschnitt
Die ahd. Dialekte sind fast nur durch Unterschiede zwischen Nord und Süd, nicht zwischen Ost und West greifbar. Ihre relative Einheitlichkeit ist dadurch bedingt, dass die Besiedelung des Südens durch einwandernde Gruppen aus vielen verschiedenen Gebieten erfolgten. Das führte zu Ausgleichserscheinungen mit der Folge, dass die regionalen Sprachen des ahd. Südens in der Zeit in der sie erstmals aufgeschrieben wurden, keine großen Unterschiede aufweisen.

zum "deutschen" ./. "fränkischen"
Seite 59 rechte Spalte Mitte
Es (theudisc) wird zunächst nur für die Sprache angewandt, und zwar nur in rechtssprachlichem Zusammenhang. Es bezeichnet dabei das Volkssprachlich-Germanische im Gegensatz zu Latein. Das ahd. Normalwort zur Bezeichnung der Volkssprache Mitteleuropas ist frencisg wie z.B. in Otfrieds ahd. Evangeliendichtung von 865.

Wörtlich Zitate
von mir (leise fluchend) abgetippt

Mir scheint, wir stossen hier auf Interpretationen, die auch unter Historikern nicht geklärt sind. Mir selbst ist wie Dietrich (und Wikipedia) eigentlich geläufig, dass altfränkisch, altsächsisch, altbayrisch etc. als Sprachen zu definieren seien und althochdeutsch demgemäss den Versuch Karls des Grossen und seiner Nachfolger darstellt, zwecks Verschriftlichung eine einheitliche Volkssprache zu schaffen.

Es gibt aber trotzdem recht starke Hinweise darauf (nicht nur Suebes dtv-Atlas), dass sich die Sprecher der verschiedenen Sprachen (oder eben doch Dialekte ?) trotz der unterschiedlichen Idiome verstanden haben:

1) In den sogenannten Strassburger Eiden 842, in welchen sich die beiden Enkel Kars des Grossen, Ludwig der Deutsche und Karl der Kahle im Streit um das Reichserbe zu einigen versuchten und in denen erstmals der Begriff "deutsch" (resp. die Vorläuferbezeichnung) auftaucht, verstand es das gesamte ostfränkische Heer - bestehend aus Franken, Sachsen, Bajuwaren, Thüringern, Allemannen, Friesen - als Karl der Kahle in der "lingua theodisca" schwörte. Und dies offenbar trotz der bereits bestehenden Lautverschiebung. Zum Mindesten utnerstellt dies die zeitgenössische Quelle.

2) Etwas über 100 Jahre vor den Strassburger Eiden missionierte der Angelsachse Bonifatius Sachsen, Thüringer und Friesen. Gemäss den Quellen soll er dabei keine Verständigungsschwierigkeiten gehabt haben, ganz im Gegensatz zu seinen Vorgängern, den "keltisch" sprechenden iro-schottischen Mönchsmissionare.

Es sind dies immerhin zwei Punkte - wenn die zeitgenössischen Quellen nicht lügen - die dafür sprechen, dass sich die einzelnen "germanisch" sprechenden Einwohner des heutigen Deutschlands durchaus verstanden haben. Für Gotisch dürfte das allerdings nicht gelten, den dieses scheint sich bereits vor der Lautverschiebung zu stark entfernt zu haben.

Für ein Zusammengehörigkeits-Gefühl aufgrund dieser entfernten Sprachgemeinschaft sprechen hingegen m. M., wie weiter oben beschrieben, die mittelalterlichen Verhältnisse. Und dieses fehlende Zusammengehörigkeits-Gefühl umfasste nicht nur die "Deutschsprachigen". Es gilt ebenso für alfranzösisch, italienisch und die slawischen Sprachen.

Es ist ein das ganze Mittelalter hindurch hindurch bestimmendes Merkmal, dass die Volkssprachen nicht mit sozialen Gruppen und Verbänden zu identifizieren waren. Weil eine Sprache mehrere Völker umfasste wehrte sich bereits Isidor von Sevilla (560 - 636) gegen die Gleichung, dass Sprache gleich Volk sei. Und weil sogar in einer Stadt mehrere Sprachen existierten, wies Dante (1265 - 1321) ebenso die Gleichung, dass eine Sprache einer Stadt entspreche, zurück. Menschen gleicher Sprache lebten nicht täglich zusammen weshalb Sprachunterschiede nur selten zu sozialen Konflikten führten und die Herren zwangen ihren Knechten auch nicht ihre Sprache auf. Die Normannen beispielsweise regierten Süditalien auf italienisch und England auf französisch. Nur eine Gleichung galt unbestritten: Alle Kleriker sprachen und schrieben Latein, und wer über örtliche Mundart und augenblickliche Situation hinaus gehört werden wollte, tat es ihnen nach.

Das Volk nicht gleich Sprache resp. Sprachgemeinschaft ist resp. im Mittelalter war, zeigen die oben erwähnten Einschätzungen von Isidor und Dante (u.a. nachzulesen bei Arno Borst "Lebensformen im Mittelalter"). Dass heisst, zum Mindesten das Mittelalter definierte Volk nicht über Sprachgemeinschaft (trotz Luther und Hutten - und die sprechen von "deutschen Landen", nicht vom "deutschen Volk").

Heute ist das Anders, und wenn man die deutsche Identität bereits im Frühmittelalter verorten möchte, so ist sind dies lediglich moderne Ansichten und Standpunkte. Die mittelalterlichen Menschen definierten "Volk" offensichtlich nicht nach Sprache, also fühlten sich die deutsprachigen Bewohner des HRR auch nicht als "Deutsche". Wenn ihre modernen Nachkommen das anders sehen (gilt wie gesagt auch für Franzosen, Italiener, Polen, Spanier, Serben etc). ist das deren Angelegenheit und hat mit Nationalismus zu tun, und den kannte das Mittelalter nicht.

PS:
Was Tacitus und die "germanisch" Sprechenden angeht (Antike und Spätantike kenne ich wenig) resp. ob sich deren Sprecher verstanden haben oder nicht, kann m. M. in diesem Zusammenhang nicht so relevant sein. Der zeitliche Abstand zum Karolingereich ist meiner Einschätzung nach einfach zu gross, um von Tacitus auf die germanischen Stammesverbände zur Zeit des fränkischen Reichs schliessen zu können. Ich bin in einem anderen Zusammenhang mal selbst auf die Nase gefallen, als ich versucht habe, Gründe für bestimmte frühmittelalterlichen Verhältnisse von Aussagen von Tacitus herzuleiten.
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RE: Ab wann gibt es "Deutschland"? - Aguyar - 23.10.2016 19:09

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