Hätte das Heilige Römische Reich überleben können?
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07.01.2017, 12:40
Beitrag: #20
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RE: Hätte das Heilige Römische Reich überleben können?
(06.01.2017 14:41)Suebe schrieb:(06.01.2017 09:34)Aguyar schrieb: Darauf wollte ich hinaus. Es gibt heute in Europa keinen Staat, der die Nationalstaaten-Idee überlebt hat. Anzumerken wäre in diesem Zusammenhang noch, dass die Nationalstaaten-Ideologie des 19. Jahrhundert letztendlich eine Folge der franz. Revolution war, wenn sie selbst auch gescheitert ist. Du missverstehst mich. Die Ideologie des Nationalstaates war notwendig, um letztendlich der Demokratie gegenüber dem Feudalstaat zum Durchbruch zu verhelfen. Demokratie, die Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, Trennung von Staat und Religion, Säkularismus etc. waren Errungenschaften der französischen Revolution und der Aufklärung, die später im Code Napoleon festgelegt wurden. Die heutigen bürgerlichen Rechte hätte es ohne das revolutionäre Frankreich der Aufklärung nicht gegeben. Und die damaligen Feudalstaaten, inkl. der Fürstentümer des HRR, waren keine Feudalsstaaten des Mittelaters (aufgebaut auf Lehnsherrschaft, Gefolgschaft, Hörigkeit und Ständegesellschaft) mehr sondern absolute Monarchien und Fürstentümer (Absolutismus). Der Nationalstaat diente damals als Gegenkonstrukt zur absoluten Monarchie. Und hat so die Demokratie gegenüber den Adelsvorrechten legitimiert. Und zwar in dem Sinne, dass eben alle "Bürger einer Nation" dieselben Rechte haben sollen und Privilegien aufgrund der Geburt (Adel) nicht mehr zu gelten haben. Dass dabei nicht nur Demokratien (wie die franz. Republik nach 1871) sondern auch ein deutsches Kaiserreich, ein Kaiserreich Österreich-Ungarn, ein Frankreich mit Napoleon III und ein Königreich Italien entstand, hatte damit zu tun, dass die Monarchen sich auf die Seite der Nationalisten schlugen, Teilforderungen bezüglich "nationaler Einheit" von ihnen übernahmen (deutsche Einheit, Einigung Italiens) und so ihre eigenen Priviliegien (bis zum 1. Weltkrieg) retten konnten. Dass der Nationalstaat selbst eigentlich nicht funktionieren kann, zeigt die momenante Situation. Der Nationalismus selbst ist im Grunde nicht demokratisch, nichtsdestotrotz kommt er heute wieder in Mode - zum Mindesten europaweit, wenn nicht weltweit. Erdogan ist auf dem besten Weg, aus der Türkei einen einheitlichen und autoritären Nationalstaat zu machen und die Kurden bleiben auf der Strecke. Auch wenn ein Nationalstaat ein durch und durch demokratischer Staat wäre (was er in vielen Fällen nicht ist) wäre er auch im besten Fall lediglich eine Diktatur der Mehrheit. Denn es lässt sich kein Staat in einem Umfang verkleinern, dass seine Bürger nur noch aus einer "Ethnie" bestehen würden. Man hätte immer wieder mind. eine Minderheit. Das beste Beispiel hierfür bietet das ehem. Jugoslawien. Jugoslawien war ein nicht allzu grosser Staat, der mit Serbien, Kroatien, Bosnien, Slowenien, Mazedonien, Montenegro und Kosovo in sieben (!) Staaten aufgeteilt wurde und dennoch hat kein einziger dieser Staaten eine einheitliche Ethnie - in jedem dieser Teilstaaten existieren noch immer eine oder mehrere Minderheiten. Und wenn die Mehrheit den Minderheiten nicht zum Mindesten die gleiche Rechte zugestehen will, ist es der Nationalstaat eben auch keine tatsächliche Demokratie mehr. Eine immer kleinerere Aufteilung in Ethnien hinterlässt aber keine funktionierenden Staaten mehr (Indien hat 21 anerkannte Landesprachen und somit zum Mindesten 21 Ethnien). Ein demokratischer Staat muss und kann mit verschiedenen Ethnien funktonieren. Voraussetzung dafür ist, dass er auf der kompromisslosen Gleichheit aller Bürger aufbaut und falls nötig, nationalen Minderheiten einen gewissen Autonomiestatus zugesteht (etwa wie es Italien mit Südtirol und dem Aostatal gemacht hat). Ein weitere Voraussetzung ist, dass die Wertvorstellungen der Bürger diese komprossmisslose Gleichheit beinhalten. Ist dies nicht der Fall, denken die Mehrheit der Bürger eben nicht "demokratisch" sondern "national". Aus diesem Grund hat man früher z.B. die Schweiz eben gerade nicht als "Nationalstaat" sondern als "Willensnation" definiert. D.h. die bürgerlichen Freiheitsrechte die jeder Einzelne besitzt, wurden von deutsch-, französisch- und italiensprachigen Bürgern höher gewichtet als ihre jeweilige kulturelle und sprachliche (und damit ethnische) Zugehörigkeit. Das ist der ganze Trick an der Sache. In der heutigen Zeit feiert der Nationalismus ein Combeback, der dem Gleicheitsgedanken der Demokratie nicht förderlich ist. Die Schweiz ist dabei keine Ausnhame - auch wenn das in Europa nicht so recht bemerkt werden will. Führende Vertreter (Blocher) der Rechtsaussen-Partei SVP (die wohlverstanden unangefochten und ganz demokratisch die Mehrheit besitzt) haben bereits schon einmal - gewissermassen prophylaktisch - erklärt, dass "Weschschweizer" (die französischsprachige Minderheit) in ihrer Mentatlität eben keine "richtigen Schweizer" wären. Auch die Schweiz ist auf dem Weg, von einer Willensnation zu einem Nationalstaat zu werden. Wenn dies tatsächlich geschehen sollte, hätte sie aber dann für mich - als Schweizerbürger - ihren Wert als "mein Land" verloren. Ich könnte dann genausogut Deutscher (vor allem Allemanne), Italiener (die verrückten Neapolitaner stehen meinen Charakter sowieso näher) oder Chilene (manchmal noch verrückter als Neapolitaner) sein. PS: Die ganze Thematik liegt jetzt an und für sich etwas ausserhalb meines eigentlichen Interessensgebiet Mittelalter und Renaissance. ... und noch eine Randbemerkung: einheitliche Ethnien sind immer Produkte der Inzucht und damit ungesund |
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