(21.01.2013 22:44)Bunbury schrieb: [ -> ]Man könnte es natürlich auch als "Unmündigkeit" bezeichnen, sich in der Definition sklavisch nach Kant zu richten. Wer sagt, daß Kant uneingeschränkt recht hat? Man kann vielleicht sagen, daß "Unmündig im Sinne Kants" genau das bedeutet, was du geschrieben hast, aber das heißt noch lange nicht, daß das "Unmündig" generell bedeutet. Kant ist nämlich von einer Gesellschaft ausgegangen, in der sich das Individuum sich bemühen muss, sich Informationen zu beschaffen, die der Weiterbildung dienen.
Von einer Gesellschaft, in der Desinformation eine Folge von zuviel Information ist, ist Kant niemals ausgegangen... Deswegen bezweifle ich, daß die Kant´schen Definitionen auf die moderne Kommunikationsgesellschaft anwendbar sind...
Da hast du nicht unrecht. Deswegen darf man ja nicht einfach so Kants Texte unkommentiert posten oder verlinken, sondern sollte sie etwas in die heutige Zeit übertragen oder in den geschichtlichen Zusammenhang setzen. Deswegen habe ich auch die Parallele zur Wirtschaft gezogen, denn wirklich Mut braucht man heute nicht mehr, um sich politisch zu engagieren. Und deswegen habe ich ja auch meine (zugegebenermaßen etwas wackelige) Theorie zur römischen Republik aufgestellt. Die politische Ebene des Kant'schen Aufklärungsbegriffes darf man deswegen auch nur im historischen Kontext sehen und auf Diktaturen, absolutistische Monarchien u. ä. anwenden. Wofür sind wir denn auch in einem Geschichts-Forum?
Es gilt weiterhin und über die Jahrhunderte hinweg, dass es für Politik und Wirtschaft gleichermaßen "nicht schwer ist, obrigkeitshörige Menschen zu erzeugen" (so mein Fazit im obrigen Beitrag). Doch da wir in einer Demokratie leben, darf man das vor allem in dem von Kant gemeinten politischen Zusammenhang nicht auf Deutschland oder andere europäische Nationen anwenden.
Übrigens hat Kant auch die moderne Kommunikations- und Informationsgesellschaft mit einbezogen (im übertragenen Sinne, versteht sich), nämlich in dem Abschnitt des Textes, der sich mit dem geschichtlichen Ablauf einer „Aufklärung“ befasst:
„
Dass aber ein Publikum sich selbst aufkläre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur die Freiheit lässt, beinahe unausbleiblich. Denn da werden sich immer einige Selbstdenkende, sogar unter den eingesetzten Vormündern des großen Haufens, finden, welche, nachdem sie das Joch der Unmündigkeit selbst abgeworfen haben, den Geist einer vernünftigen Schätzung des eigenen Werts und des Berufs jedes Menschen, selbst zu denken, um sich verbreiten werden.“
Das kann man durchaus auf moderne Diktaturen (Korea) übertragen, in deren Bevölkerung sich langsam ausdehnender Widerstand bemerkbar macht. Parallelen finden sich auch zum Arabischen Frühling.
Dass Kant von Revolutionen nichts hält, mag man beurteilen, wie man möchte, schließlich befürwortet Kant – selbstverständlich – den aufgeklärten Absolutismus seines Landesherrn Friedrichs des Großen.
Ganz aus der Luft gegriffen erscheinen jedoch Kants Aussagen nicht:
„Besonders ist hierbei [dabei, dass sich ein Publikum selbst aufkläre]: dass das Publikum [=die Bevölkerung], welches zuvor von ihnen [den Aufklärern] unter dieses Joch gebracht worden, sie hernach selbst zwingt, darunter zu bleiben, wenn es von einigen seiner Vormünder, die selbst aller Aufklärung unfähig sind, dazu aufgewiegelt worden;
so schädlich ist es, Vorurteile zu pflanzen, weil sie sich zuletzt an denen selbst rächen, die, oder deren Vorgänger, ihre Urheber gewesen sind. […] Durch eine Revolution wird vielleicht wohl ein Abfall von persönlichem Despotism und gewinnsüchtiger Bedrückung, aber niemals wahre Reform der Denkungsart zu Stande kommen; sondern neue Vorurteile werden, eben sowohl als die alten, zum Leitbande des gedankenlosen großen Haufens dienen.“
Anders ausgedrückt: Eine Revolution wird sich schon bald auch gegen die Aufklärer selber richten.
Weder bei geschichtlichen Abläufen (Paradebeispiel – die französische Revolution) noch bei aktuellen Ereignissen wie eben dem arabischen Frühling verlief die Revolution so glatt und reibungslos wie ursprünglich gedacht. Im gleichen Augenblick, in dem die Tyrannei beseitigt wird, pflanzt „die Masse“ (die Revolutionäre) den Samen für Machtkämpfe, Unruhen, Bürgerkrieg oder erneutes Terrorregiment.
Man kann also sehr wohl viele aktuelle Bezüge in Immanuels Kant Text finden. Natürlich muss man dabei immer beachten, dass das Werk von 1783 stammt und der Inhalt nach zweihundertdreißig Jahren weder als wissenschaftlich noch als unadaptiert zutreffend bezeichnet werden kann.
Postskriptum zu dem Argument der Gesellschaft, von der Kant ausging:
(21.01.2013 22:44)Bunbury schrieb: [ -> ]Kant ist nämlich von einer Gesellschaft ausgegangen, in der sich das Individuum sich bemühen muss, sich Informationen zu beschaffen, die der Weiterbildung dienen.
Das ist der Punkt, an dem man Kants Thesen übertragen muss. Denn einerseits gibt es ja Länder, in denen das Internet beschränkt und kontrolliert wird, es Zensur gibt und ausländische Zeitungen/Bücher etc. nicht erscheinen. Und zweitens eben die Macht der großen Wirtschaftskonzerne. Gerade da ist es besonders schwierig, herauszufinden, wie "gut" die Produkte wirklich sind, was hinter der Werbung steckt, was jetzt bio bzw. fair ist und was nicht...
Manchmal schaue ich Sendungen wie den
Markencheck, wo versucht wird, pathetisch formuliert "die Wahrheit über die großen Konzerne" herauszufinden.
Das politische Desinteresse der heutigen Jugend (sorry für diese Ausdrucksweise von meiner Seite

) muss man in der Tat anders erklären, eben beispielsweise durch das
Überangebot an Waren, Informationen, Freizeitbeschäftigungen.
VG
Der Maxdorfer.