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Österreich zwischen den Weltkriegen . - Druckversion

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RE: Österreich zwischen den Weltkriegen . - Titus Feuerfuchs - 01.08.2012 16:31

(01.08.2012 09:24)krasnaja schrieb:  [....]Auch wenn Dollfuß und später Schuschnigg sich ehrlich für ein von Deutschland unab hängiges Österreich aussprachen, ihr Fehler war, dieses Politik nicht konsequent durchzuführen, einem deutschtümelnden Bevölkerungsteil seines Landes nach dem Mund zu reden.

Sie hatten spätestens seit der Annäherung Mussolinis an Hitler de facto keine Möglichkeit die braune Umfärbung Österreichs zu verhindern.
Wie hätten sie das tun sollen?
Einzig eine äußerst unsichere militärische Lösung wäre möglich gewesen.


(01.08.2012 09:24)krasnaja schrieb:  [....]
Die Nord-Österreicher sahen sich damals immer als Deutsche. [...]

So gut wie alle Österreicher sahen sich damals als Deutsche. (von der einen oder anderen autochthonen Minderheit abgesehen.)


RE: Österreich zwischen den Weltkriegen . - Suebe - 01.08.2012 20:42

(01.08.2012 09:40)Renegat schrieb:  Beim Wienbesuch dachte ich spontan an eine mögliche Umnutzung für eine zukünftige europäische Institution. Eine Stadt mit einer solchen Lage, Ausstattung und Größe wie Wien könnte doch wunderbar als Teilhauptstadt für die Vereinigten Staaten von Europa nachgenutzt werden.

Damit hast du das Problem Österreichs in der "Zwischenkriegszeit" sehr konkret ausgemacht.
Ein Weltstadt faktisch ohne Hinterland.
Die Wiener Straßenbahn fuhr bis Preßburg.


RE: Österreich zwischen den Weltkriegen . - Renegat - 01.08.2012 22:20

(01.08.2012 20:42)Suebe schrieb:  
(01.08.2012 09:40)Renegat schrieb:  Beim Wienbesuch dachte ich spontan an eine mögliche Umnutzung für eine zukünftige europäische Institution. Eine Stadt mit einer solchen Lage, Ausstattung und Größe wie Wien könnte doch wunderbar als Teilhauptstadt für die Vereinigten Staaten von Europa nachgenutzt werden.

Damit hast du das Problem Österreichs in der "Zwischenkriegszeit" sehr konkret ausgemacht.
Ein Weltstadt faktisch ohne Hinterland.
Die Wiener Straßenbahn fuhr bis Preßburg.
Nach Bratislava ist es heute auch nicht weit, da wollte ich ursprünglich auf der Donau hin, wäre bestimmt schön gewesen. Stattdessen war ich in Hainburg und wenn du sagst, "Wien eine Weltstadt faktisch ohne Hinterland" so möchte ich das bestreiten, da ich Hainburg kennengelernt habe. Das ist hochkonzentriertes Hinterland. Wink jetzt sag´ich nichts mehr, sonst kriege ich Ärger in einem .at-Forum.


RE: Österreich zwischen den Weltkriegen . - krasnaja - 02.08.2012 12:18

(01.08.2012 09:40)Renegat schrieb:  
(01.08.2012 09:24)krasnaja schrieb:  Ich habe schon häufiger darüber nachgedacht, ob diese "Zwangshandlung" unbedingt "alles Deutsche" wieder unter einen Hut zu bringen (Hitler war ja Österreicher) ein typisch österreichisches Trauma war, und aus dem Verlust der österreichischen Oberhoheit im Deutschen Bund 1866 herrührt.
Vorstellbar, obwohl ich von der österreichischen "Nationalpsyche" keine Ahnung habe. Sowas verändert sich doch, in den 30ern mag die Erinnerung an die Kaiser der Doppelmonarchie frisch gewesen sein, es lebten ja noch Zeitzeugen.
Gab es nicht bereits im 19. Jhd. Probleme wegen der deutschsprachigen Vorherrschaft mit Ungarn und slawischsprachiger Bevölkerung.
Manche historischen Gebäude in Wien beeindrucken wegen ihrer Größe, z.B. das Parlamentsgebäude.
Beim Wienbesuch dachte ich spontan an eine mögliche Umnutzung für eine zukünftige europäische Institution. Eine Stadt mit einer solchen Lage, Ausstattung und Größe wie Wien könnte doch wunderbar als Teilhauptstadt für die Vereinigten Staaten von Europa nachgenutzt werden.

Ich denke, dass sich Österreichs Wien eher wenig dafür eignet, als Stadt für ein Paneuropa zu stehen, dafür sind die historischen Verflechtungen der Stadt und des Landes Österreich mit Krieg und mit den Verbrechen, die von Deutschen und Österreichern verübt wurden, doch zu groß, und noch zu präsent.

Hinzu kommt eine, auch heute immer noch dargestellte weitestgehend nebulöse Sicht auf die eigene unrühmliche Geschichte an der Seite Hitlers.

Im übrigen ist das, worauf Du hinweist, architektonischer Anachronismus.
Operrettenarchitektur, aber doch nicht für eine zeitgemäße moderne Verwaltung eines Kontinents.

Es ist bekannt, dass man sich in Wien für eine europäische Teilhauptstadt stark gemacht hatte.
Vielleicht entspricht das einer österreichischen Volksmentalität, Vergangenheit, auch die unrühmliche unter Franz II, verklärt zu betrachten.


RE: Österreich zwischen den Weltkriegen . - liberace - 03.08.2012 22:46

Kann einen kleinen Spruch über Österreich nach 1918 beitragen - "Der Staat, den keiner wollte" oder anders ausgedrückt, man musste schon ein großer Optimist sein, um diesem Staat 1918 eine Chance zu geben.


RE: Die Mähr des Völkerkerkers . - liberace - 03.08.2012 23:08

(28.06.2012 05:36)Titus Feuerfuchs schrieb:  [quote='Luki' pid='2630' dateline='1340797949']
.
Franz Joseph war auch die letzte Klammer, welche die erodierende Monarchie zusammenhielt.

FJ II wird heute noch vielfach falsch gesehen, als gütiger alter Herr in Schönbrunn. Das Gegenteil ist richtig, das war ein richtig harter Knochen, der im Gottesgnadentum der Monarchie gefangen war und jede Reform zu verhindern trachtete. Er war der falsche Kaiser zur falschen Zeit am falschen Platz. Mit einem anderen Herrscher, womit ich nicht unbedingt Franz Ferdinand (FF) meine, hätte die Monarchie evt. noch eine Chance gehabt, mit diesem nicht. Er hatte keine größere Sorge, als die morganatische Ehe des Thronfolgers in den Dreck zu ziehen, FJ II war vor allem zu kleinkariert. Immerhin war FJ II formal höflich, nach jedem Besuch in seinen großen Landen sagte er: "Es ist sehr schön gewesen, es hat uns sehr gefreut!" Zu seinen Eigenarten zählte, dass er nie Unterhosen trug.
Untergebene hielt er, bis es nicht mehr anders ging. Friedrich Freiherr von Beck musste als Generalstabschef erst mehrmals vor den Augen des Kaisers vom Pferd stürzen, bis Baron Conrad von Hötzendorf sein Nachfolger werden durfte. Die kuk-Armee war total veraltet und 1914 nicht viel mehr als Kanonenfutter, Verluste ca. 1 Mio. Mann bis März 1915. Mit einer Ausnahme: der schweren Artillerie, die schweren Skoda-Mörser waren sehr wirkungsvoll und wurden auch an der Westfront vor Namur eingesetzt. Den Italienern hätte man gar nicht so viel schenken können, wie ihnen in Geheimverhandlungen mit den Alliierten versprochen wurde.


RE: Österreich zwischen den Weltkriegen . - Titus Feuerfuchs - 04.08.2012 00:05

(03.08.2012 22:46)liberace schrieb:  Kann einen kleinen Spruch über Österreich nach 1918 beitragen - "Der Staat, den keiner wollte" oder anders ausgedrückt, man musste schon ein großer Optimist sein, um diesem Staat 1918 eine Chance zu geben.

Jein.

Objektiv betrachtet gab es durchaus Potential für Österreich, was sich ja auch nach 1945 bestätigt hat.
Das größte Problem war, dass die Österreicher nicht an den neuen Staat glaubten und kein eigenes Nationalgefühl hatten, was leider nicht ohne Folgen für ausländische Investoren blieb.

Es gab eine Reihe von faktischen Problemen, vorallem den Kohlemangel. Österreich war durch die neue Grenzziehung von sämtlichen Kohlegruben der einstigen Monarchie abgeschnitten und musste diese teuer aus Tschechien, zu dem es nicht gerade die besten Beziehungen hegte, importieren. Ohne Kohle ging damals kaum etwas, sie war das, was heute das Öl ist.

Dazu kamen noch andere Erschwernisse, wie zerschnittene Eisenbahnlinien (betrifft besonders die zweite Transversalverbindung Graz-Marburg-Klagenfurt-Villach-Franzensfeste-Innsbruck) oder die Umstellung der Kriegswirtschaft auf Friedenswirtschaft. Durch die auf Kriegswirtschaft ausgerichteten Betriebe wurde mehr Stahl hergestellt, als gebraucht wurde, während Konsumgüter Mangelware waren, was letzlich wieder die Inflation befeuerte....


RE: Die Mähr des Völkerkerkers . - Titus Feuerfuchs - 04.08.2012 00:38

(03.08.2012 23:08)liberace schrieb:  
(28.06.2012 05:36)Titus Feuerfuchs schrieb:  [quote='Luki' pid='2630' dateline='1340797949']
.
Franz Joseph war auch die letzte Klammer, welche die erodierende Monarchie zusammenhielt.

FJ II wird heute noch vielfach falsch gesehen, als gütiger alter Herr in Schönbrunn. Das Gegenteil ist richtig, das war ein richtig harter Knochen, der im Gottesgnadentum der Monarchie gefangen war und jede Reform zu verhindern trachtete. Er war der falsche Kaiser zur falschen Zeit am falschen Platz. Mit einem anderen Herrscher, womit ich nicht unbedingt Franz Ferdinand (FF) meine, hätte die Monarchie evt. noch eine Chance gehabt, mit diesem nicht. Er hatte keine größere Sorge, als die morganatische Ehe des Thronfolgers in den Dreck zu ziehen, FJ II war vor allem zu kleinkariert. Immerhin war FJ II formal höflich, nach jedem Besuch in seinen großen Landen sagte er: "Es ist sehr schön gewesen, es hat uns sehr gefreut!" Zu seinen Eigenarten zählte, dass er nie Unterhosen trug.
Untergebene hielt er, bis es nicht mehr anders ging. Friedrich Freiherr von Beck musste als Generalstabschef erst mehrmals vor den Augen des Kaisers vom Pferd stürzen, bis Baron Conrad von Hötzendorf sein Nachfolger werden durfte. Die kuk-Armee war total veraltet und 1914 nicht viel mehr als Kanonenfutter, Verluste ca. 1 Mio. Mann bis März 1915. Mit einer Ausnahme: der schweren Artillerie, die schweren Skoda-Mörser waren sehr wirkungsvoll und wurden auch an der Westfront vor Namur eingesetzt. Den Italienern hätte man gar nicht so viel schenken können, wie ihnen in Geheimverhandlungen mit den Alliierten versprochen wurde.

Stimmt im Wesentlichen alles. Trotzdem war der reaktionäre Kaiser die letzte Klammer, welche die erodierende Monarchie als gemeinsame Indentifikationsfigur noch ein bißchen zusammenhielt.
Man darf nicht vergessen, dass fast jeder Staatsbürger sein ganzes Leben nur Franz Joseph als Herrscher kannte.


RE: Österreich zwischen den Weltkriegen . - Titus Feuerfuchs - 04.08.2012 05:54

(02.08.2012 12:18)krasnaja schrieb:  Ich denke, dass sich Österreichs Wien eher wenig dafür eignet, als Stadt für ein Paneuropa zu stehen, dafür sind die historischen Verflechtungen der Stadt und des Landes Österreich mit Krieg und mit den Verbrechen, die von Deutschen und Österreichern verübt wurden, doch zu groß, und noch zu präsent.

Wenn's für OPEC und UNO reicht, wird's im bösen Österreich wohl doch nicht ganz so schlimm sein.


(02.08.2012 12:18)krasnaja schrieb:  Hinzu kommt eine, auch heute immer noch dargestellte weitestgehend nebulöse Sicht auf die eigene unrühmliche Geschichte an der Seite Hitlers.

Im übrigen ist das, worauf Du hinweist, architektonischer Anachronismus.
Operrettenarchitektur, aber doch nicht für eine zeitgemäße moderne Verwaltung eines Kontinents. [...]


Gähn.
Das konntest du schon besser.Big Grin


RE: Österreich zwischen den Weltkriegen . - liberace - 04.08.2012 11:15

Das sehe ich ein wenig anders. Auf Grund der vielen Völker in der Monarchie (22 waren es m. E.), hatten die Österreicher (als ordnender Faktor) doch einen relativ guten Zugang zur Mentalität anderer Völker, eben jener Völker im Donauraum. Das hilft heute noch beim Gschäftl machen auf dem Balkan. Die berühmten Wiener Cafehäuser wurden adaptiert und sind heute noch in Ungarn oder Tschechien zu sehen. Wenn die Slawen die (Deutsch)Österreicher auch hassten, so schätzten sie dennoch einen guten Kaffee. Die "Melange" habens dier Österreicher auch exportiert. Im 1. WK unterstützten kuk-Truppen die Türken in Palästina. Was haben sie denen als erstes beigebracht? Nachmittags um 16.00 Uhr gibt`s die "Melange" ...


RE: Österreich zwischen den Weltkriegen . - krasnaja - 04.08.2012 12:28

(04.08.2012 11:15)liberace schrieb:  Das sehe ich ein wenig anders. Auf Grund der vielen Völker in der Monarchie (22 waren es m. E.), hatten die Österreicher (als ordnender Faktor) doch einen relativ guten Zugang zur Mentalität anderer Völker, eben jener Völker im Donauraum. Das hilft heute noch beim Gschäftl machen auf dem Balkan. Die berühmten Wiener Cafehäuser wurden adaptiert und sind heute noch in Ungarn oder Tschechien zu sehen. Wenn die Slawen die (Deutsch)Österreicher auch hassten, so schätzten sie dennoch einen guten Kaffee. Die "Melange" habens dier Österreicher auch exportiert. Im 1. WK unterstützten kuk-Truppen die Türken in Palästina. Was haben sie denen als erstes beigebracht? Nachmittags um 16.00 Uhr gibt`s die "Melange" ...

Der Unterschied zwischen der preußischen und österreischischen Militärmentalität besteht m.E. darin, wie gesagt wird, dass in Preußen in Kobelbechern marschiert wurde, dagegen in Östereich in Schnürstiefeln

Ob es stimmt, weiß ich nicht, es könnte aber stimmen.
Nun kann Geschichte nicht auf Bonmots reduziert werden.
Österdeich und Deutschland waren, der eine mehr der andere weniger. Verlierer WK und standen nach dem Krieg im Fokus natioanlistischer Interessen, die weder die Verantwortlichkeit für den verlorenen Krieg, als auch die Sühne daraus nicht akzeptieren wollten.
Die wirtschaftliche und Innenpolitische Entwcklung Österreichs und Deutschlands zwischen dem Ende des WK und 1938 zeigt viele Gemeinsamkeiten:

Nichtakzeptanz des verlorenen Krieges im Inneren, Zusammenbruch der Währung, Hochkommen rechtsnationalistischer Kräfte einschl. paramilitärischer rechtsnationalistischer Verbände, stärker als in Deutschland ausgeprägt, bei uns immerhin die Sozialdemokraten demokratisch angesehen wurden, nicht so in Östereich.

Grundtenor bei beiden Ländern, die Wiederherstellung alter Größe.


RE: Österreich zwischen den Weltkriegen . - liberace - 02.10.2014 17:34

Da fallen mir eigentlich nur die bürgerkriegsähnlichen Unruhen, der Austrofaschismus und das Attentat auf Dollfuß ein.