Antwort schreiben 
 
Themabewertung:
  • 0 Bewertungen - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Revolution, der finanzielle Faktor - Diskussion zum G/Geschichteheft 7/2014:
26.07.2014, 02:20
Beitrag: #8
RE: Revolution, der finanzielle Faktor - Diskussion zum G/Geschichteheft 7/2014:
Ergänzend möchte ich noch einige Sätze zum Adel und Klerus des Ançien Regime schreiben, ehe ich zu den Finanzen während der Revolution komme.

Der Adel umfasste ca. 350.000 Personen, das entsprach 1,5 % der Gesamtbevölkerung, die 1789 etwa 25 Millionen Menschen umfasste. Dieser prozentuale Anteil ist sehr gering, im europäischen Durchschnitt waren etwa 3 bis 6 % der Bevölkerung adlig, in Ungarn oder Polen bestanden weit über 10 % der Bewohner auf ihre adligen Privilegien. In Frankreich genoss der Adel Ehrenrechte, wie das Tragen des Degens, im Falle einer Hinrichtung nur mit dem Schwert gerichtet zu werden oder die Befreiung von Steuern (siehe letzter Artikel). Des Weiteren war der Adel von Einquartierungen befreit, er besaß das Jagdrecht und es wurde nur Angehörigen des Adels der Zugang zu höheren Offiziersrängen, Ämtern in Justiz und Verwaltung oder Kirchenwürden gewährt. Viele Adlige besaßen mindestens ein Lehngut (fief), von dem sie die Feudalabgaben der Bauern kassierten. Aber es gab bereits Nichtadlige, die diese Lehngüter besaßen und es gab Adlige, die keine Güter mehr besaßen. Im 18. Jahrhundert bestand kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Adel und dem Feudalsystem. Im Norden und Westen gab es häufig noch adligen Grundbesitz, in manchen Regionen um die 80 %. Dagegen lag im Süden und Osten nur durchschnittlich 20 % des Grundbesitzes in adligen Händen, wobei auch hier erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen bestanden.

Die oben genannten Privilegien kennzeichnen den Adel, der allerdings in Frankreich recht heterogen war und dessen verschiedenen Schichten sich zum Teil auch bekämpften. Eine personell sehr kleine Schicht des Adels war der ungefähr 4000 Personen umfassende Hofadel, die in der direkten Umgebung des Königs auf meist großen Fuß lebten. Zum Hofadel zählten alle Bourbonen, einschließlich der Nebenlinien Condé, Conti und Orléans sowie ein Teil der Nachkommen des Hochadels. Ihre hohen Lebenshaltungskosten finanzierten die Hofadligen durch ihre Einnahmen aus ihren Hofämtern und von vom König gewährten Pensionen und Schenkungen. Eine Sonderform des Hofadligen war der weltliche Abbé, der vom König ernannt wurde und über ein Drittel der Einkünfte einer Abtei verfügte. Trotz der beträchtlichen Einkünfte bewegte sich ein Teil des Hofadels am Rande des Ruins. Das lag vor allem daran, dass man sich standesgemäß behaupten wollte bzw. musste und so immense Ausgaben für Empfänge, Feste, Dienerschaft, Glücksspiel, Luxusgüter und Mätressen verbuchte. In den 1770/80er Jahren näherte sich dieser Hofadel der großbürgerlichen Hochfinanz, einerseits um ihre Finanzen mit Hilfe von Eheschließung mit großbürgerlichen Töchtern zu sanieren, andererseits gab es gemeinsame wirtschaftliche Interessen, die sich aufgrund von Aktienbesitz herausbildeten. Dieses Interessenbündnis von liberalen Hofadligen und großbürgerliche Hochfinanz führte zur Bildung einer politischen Fraktion, die im 19. Jahrhundert Orléanisten genannt wurden und während des Bürgerkönigtums Louis-Philippes I. faktisch herrschte. Ihre wichtigsten Vertreter während der französischen Revolution waren trotz großer Unterschiede und persönlicher Animositäten Mirabeau, Lafayette und Philipp Egalité.

Dem weitaus zahlreicheren Landadel ging es schlechter, sie lebten oft inmitten ihrer Bauern und unterschieden sich in ihrem Lebensstandard nur unwesentlich von ihnen. Da ein bürgerlicher Beruf oder Handwerk den Entzug des Adelstitels zur Folge hätte, lebten diese Adligen nur von den Feudalabgaben der Landbevölkerung, oft nur noch in halb zerfallenen Herrenhäusern. Die Feudalabgaben beruhten auf einen meist vor Jahrhunderten festgesetzten Geldwert und brachten im 18. Jahrhundert nicht mehr viel ein, das lag daran, dass die Kaufkraft der Livre stetig sank, dagegen die Lebenshaltungskosten anstiegen und der Realwert der Livre deswegen herabgedrückt wurde. Je weniger diese Abgaben wert wurden, desto rabiater entwickelten sich die Methoden des Landadels, diese Abgaben einzubringen. Der Volksmund nannte die Adligen „hobereau“ – Baumfalken, sehr treffend nach dem kleinsten Raubvogel. Der Hofadel und der Robenadel, aber auch das Bürgertum verachteten diesen Landadel als „Adelsplebs“. Möglicherweise sind die Gewaltexzesse während der französischen Revolution gegen Adlige mit dem Hass der Bauern und der Verachtung des Bürgertums und Robenadels zu erklären. Dieser Landadel war strikt konservativ, er verweigerte sich einer Verschmelzung mit dem Robenadel und pochte auf den Erhalt ihrer mittelalterlichen Privilegien. 1781 schaffte es der Landadel, dass ein Anwärter auf ein Offizierspatent über vier Generationen adlige Vorfahren nachweisen muss. Dies war ein Affront gegen den Robenadel, der im Gegensatz zum Landadel die Auseinandersetzung mit dem König nicht scheute. Ebenso wurde den Adligen 1781 ein Anteil am dörflichen Gemeindeland zugestanden. Hof- und Landadel werden zusammen oft noch als Schwertadel bezeichnet, das liegt daran, dass die meisten Familien von einem Vorfahren aus dem frühen Mittelalter abstammten und dieser eben Kriegsdienste leisten mussten.

Die dritte Gruppe, zahlenmäßig weit unter dem Landadel stehend, war der Dienst- oder Robenadel, der aus Angehörigen des Justiz- und Verwaltungsapparates des 16. und 17. Jahrhundert hervorging und zum Teil dem Bürgertum entspross. Der Robenadel kontrollierte Justiz und Verwaltung, ihr Machtinstrument waren die Parlamente, eher Gerichte als Parlamente im heutigen Sinn des Begriffs. Oft verwalteten Angehörige des Robenadels das Eigentum von Hofadligen oder des Königs. Der Robenadel versuchte in die alten landadligen Familien einzuheiraten, was ihm im 18. Jahrhundert noch nicht gelang. Im Gegensatz zum Landadel war der Robenadel auch im Handel eingebunden, einige Angehörige wurden Kolonialherren von Zucker-, Tabak- oder Pfefferplantagen auf Haïti, Martinique oder Französisch Guyana. Robenadlige nahmen eine Zwischenstellung zwischen alten Schweradel und Großbürgertum ein. Ihre Angehörigen gelangten während der frühen Phase der Revolution bis 1792 zu Einfluss.

Der Klerus umfasste etwa 120.000 Personen, das entspräche rund 0,5 % der Bevölkerung. Seine ökonomische Macht basierte auf Grundbesitz und dem Kirchenzehnt. Der Landbesitz war oft in Pachthöfe aufgeteilt, etwa 10 % des französischen Boden war von der Kirche gepachtetes Land. Voltaire bezifferte die jährlichen Einnahmen auf 90 Millionen Livre, der Finanzminister Ludwigs XVI. Necker rechnete mit 130 Millionen Livre Pachteinnahmen pro Jahr. Dem Zehnt waren alle Böden, auch die des Königs und des Adels unterworfen. Unter Ludwig XVI. kassierte die Kirche nicht mehr den zehnten Teil der Erträge ein, sondern nur noch den dreizehnten Teil. Trotzdem beliefen sich die jährlichen Einnahmen zwischen 100 und 120 Millionen Livre. Da der Klerus einen Teil des Zehnts in Naturalien wie z.B. Weizen erhielt, sorgte der Klerus auch für die Knappheit von Lebensmitteln, so dass die Preise stiegen und daraus ebenfalls Gewinne erzielt wurden.

Der Klerus verfügte über eine eigene Verwaltung und Gerichtsbarkeit. Aller fünf Jahre trat eine Generalversammlung zusammen, die beschloss, welche staatliche Abgaben in welcher Höhe erfüllt oder nicht erfüllt werden. Unter Ludwig XVI. waren das schließlich 3,5 Millionen Livre pro Jahr.

Der Klerus war verantwortlich für das Führen der Zivilstandsregister, über Taufen, Eheschließungen und Begräbnisse sowie des Fürsorge- und Unterrichtswesens.

Etwa die Hälfte der Angehörigen des Klerus war in Orden organisiert, es gab zu Zeiten Ludwigs XVI. ca. 25.000 Mönche und 40.000 Nonnen. Der Ruf der Mönche und Nonnen war katastrophal, 1766 wurde deswegen eine Ordenskommission gegründet, um diesbezüglich Reformen einzuleiten, die meist jedoch nicht fruchteten. 1789 zählte man über tausend entvölkerte Klöster, die Pfründe dafür bekamen entweder die vom König ernannten weltlichen Abbés oder eben Mönche und Nonnen anderer Abteien.

Neben den Angehörigen der Orden gab es ca. 50.000 Landgeistliche, die dem niederen Klerus zugeordnet wurden. Diese übernahmen oft die eigentlichen Aufgaben des Klerus. Sie kämpften oft mit den gleichen Existenzängsten wie die Bauern und prangerten oft die sozialen Missstände in ihren Predigten an. Aus den Angehörigen des niederen Klerus bildeten sich während der Revolution zum Teil sehr radikale Revolutionäre heraus.

Der Rest des Klerus umfasst die Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe. Dieser hohe Klerus stand dem Hofadel am nächsten, aus dessen Familien sie ursprünglich entstammten. Einigen Familien gelang es bestimmte Diözesen im Familienbesitz über viele Jahre zu halten, wie z.B. die Rohan im Erzbistum Strasbourg. Kardinal Herzog Rohan hatte zum Beispiel 400.000 Livre jährliches Einkommen, darunter auch seine Einkünfte als deutscher Reichsfürst.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
Antwort schreiben 


Nachrichten in diesem Thema
RE: Revolution, der finanzielle Faktor - Diskussion zum G/Geschichteheft 7/2014: - Sansavoir - 26.07.2014 02:20

Möglicherweise verwandte Themen...
Thema: Verfasser Antworten: Ansichten: Letzter Beitrag
  Kämpfende Dynastien, weitere Beispiele - Diskussion zum G/Geschichteheft 11/2014: WDPG 9 16.167 24.09.2022 17:13
Letzter Beitrag: Teresa C.
  „Meine“ Römerstadt – Diskussion zum G/Geschichteheft 10/2014: WDPG 21 42.172 04.04.2015 00:05
Letzter Beitrag: Paul
  Friedliche Heldentaten von Herrschern - Diskussionen zum G/Geschichteheft 12/2014: WDPG 6 12.413 29.01.2015 03:28
Letzter Beitrag: Sansavoir
  Die Zukunft der Beneluxstaaten – Diskussionen zum G/Geschichteheft 09/2014: WDPG 11 20.369 14.09.2014 21:14
Letzter Beitrag: Sansavoir
  Das Zurückfallen des Morgenlandes - Diskussion zum G/Geschichteheft 8/2014: WDPG 36 62.640 01.09.2014 11:37
Letzter Beitrag: WDPG
  35. Jähriges Jubiläum - Diskussion zum G/Geschichteheft 7/2014: WDPG 5 11.226 10.07.2014 23:56
Letzter Beitrag: WDPG
  Klimabedingte Krise im 17. Jahrhundert? - Diskussion zum G/Geschichteheft 6/2014: WDPG 30 53.524 09.07.2014 17:13
Letzter Beitrag: Suebe
  Stadtbrände - Diskussion zum G/Geschichteheft 6/2014: Maxdorfer 16 25.190 30.06.2014 12:17
Letzter Beitrag: Suebe

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste

Kontakt    |     Startseite    |     Nach oben    |     Zum Inhalt    |     SiteMap    |     RSS-Feeds