Antwort schreiben 
 
Themabewertung:
  • 0 Bewertungen - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Das Zurückfallen des Morgenlandes - Diskussion zum G/Geschichteheft 8/2014:
18.08.2014, 01:09
Beitrag: #6
RE: Das Zurückfallen des Morgenlandes - Diskussion zum G/Geschichteheft 8/2014:
(16.08.2014 22:08)WDPG schrieb:  -Wann und warum denkt ihr hat dieses Zurückfallen der islamischen Welt angefangen?

Ich denke, dass man diese Frage nicht allgemein beantworten kann. Zwar fiel die gesamte islamische Welt aufgrund der nach 1500 bzw. nach 1700/50 stattfindenden politischen, wirtschaftlichen und technischen Entwicklungen in Europa zurück, aber diese Aussage trifft auch für nichtislamische Gesellschaften wie China oder Japan zu. Ansonsten sollte man die islamische Welt nicht als geschlossenen, homogenen Block sehen, sondern eher in ihren unterschiedlichen Teilen untersuchen. D.h. wir müssen uns mit sehr unterschiedlichen Entwicklungen der arabischen, türkischen, persischen oder indischen Staaten und Völker befassen. (Die islamische Bevölkerung des heutigen Indonesien und islamische Völker in China klammere ich mal vorerst aus, da sie keinen Einfluss auf das mittelalterliche Europa hatten.)

Fangen wir mit dem Arabern an, die ihren Siegeszug von der arabischen Halbinsel bis Spanien im Westen und Indien im Osten im 7. und 8. Jahrhundert vollzogen. Ich würde sagen, dass die politische Entwicklung der Araber spätestens seit dem 10. Jahrhundert stagnierte, wenn auch noch auf hohen kulturellen, wirtschaftlichen und technischen Niveau. Während im 7. und 8. Jahrhundert politische Krisen (661, 680, 750) überwunden wurden, sollte man das Kalifat von Harun ar-Raschid nicht nur als Höhe- oder Glanzpunkt des arabischen Orients sehen, sondern auch als Beginn des Niedergangs. Ich begründe dies einerseits damit, dass während des Kalifats von Harun die Konflikte mit den persischen Barmakiden begannen, somit die fruchtbare arabisch-persische Allianz beendet wurde.

Mit der Entmachtung seines Wesirs aus der Barmakidendynastie im Jahr 803 beseitigte zwar der Kalif einen zu mächtig gewordenen Vertreter der persischen Oberschicht, den persischen Anspruch des Mitregierens konnte er aber nicht verhindern. Nach seinem Tod konnten sich persische Dynastien (zum Teil in Konkurrenz zueinander) als faktisch unabhängig etablieren. Andererseits behaupteten sich während der Herrschaft Haruns (de facto) drei unabhängige Dynastien in Marokko, Ifriqa und Algerien, so dass der politische Einfluss des Kalifats in den maghrebinischen Gebieten ebenfalls zurückging. Ein Anordnung Haruns, alle Juden und Christen durch gesonderte Zeichen erkennbar zu machen, trug sicher auch nicht zum Zusammenhalt seiner Untertanen bei. Die Kämpfe der Söhne Haruns untereinander oder gegen die faktisch selbstständigen Herrscher des Maghrebs oder Persiens runden diese Zerfallserscheinungen ab, da sie das Kalifat erheblich schwächten.

Mit der Machübernahme der Fatimiden im Maghreb und in Ägypten, ihre 910 erfolgte Selbsternennung zum Kalifen des Westens, dem der Emir von Cordoba 929 folgte und sich ebenso zum Kalifen erhob, gab es dann drei miteinander verfeindete unabhängige Kalifate und einige selbstständige lokale arabische Dynastien wie die Idrisiden oder persische Dynastien wie die Samaniden. Für mich sind das eindeutige Zeichen einer politischen und gesellschaftlichen Stagnation, wenn nicht sogar schon Anzeichen des beginnenden Zerfalls. Obwohl man sich gegenüber Europa noch auf einen sehr hohen Niveau befindet, man bedenke z.B. dass um 929 Nord- und Osteuropa noch nicht christianisiert waren, dass z.B. Heinrich I. in diesem Jahr das Land östlich der Elbe und Saale in Besitz nahm oder der französische König Karl III. wegen seiner „Einfältigkeit“ Wikinger Land zu geben und anderer „Verstöße“ gegen Interessen des Hochadels im Kerker seiner Gegner starb.

Im Verlauf des 10. und 11. Jahrhundert zerfiel die arabische Einheit immer mehr. Das Abbasiden-Kalifat hatte tatsächliche Macht nur noch in der Gegend um Bagdad und wurde seit etwa 1000 durch die Ghaznawiden bedrängt. Das Kalifat von Cordoba zerfiel 1031 in mehrere Teilstaaten. Das Kalifat von Kairo hat sich meines Erachtens mit seiner Eroberungspolitik (Jemen, Bagdad) übernommen, nur so ist es zu erklären, dass 1076 Seldschuken und 1099 die Kreuzfahrer auf dessen Territorium Gebiete erobern konnten. Im 12. Jahrhundert gerieten die Araber schließlich in die Defensive, sowohl in der Auseinadersetzung mit den christlichen Mittel- und Westeuropäern, als auch gegen Ghasnawiden, Seldschuken und Berber (Almoraviden, Almohaden).

Obwohl die gesellschaftliche Entwicklung der Araber rückläufig war, stand sie natürlich immer noch auf einem höheren kulturellen Niveau als die der Europäer, für die das Zusammentreffen mit den arabischen Gesellschaften ein Transfer an Wissenschaft und Kultur bedeutete. Trotzdem darf man die Europäer des 12. und 13. Jahrhundert nicht mehr mit den Europäern der vergangenen 500 Jahre vergleichen. Im 12. Jahrhundert war größtenteils die Christianisierung abgeschlossen, die Urbanisierung nahm zu und man hatte schon Petrus Abelard oder Hildegard von Bingen vorzuweisen, denen im 13. Jahrhundert z.B. noch Albertus Magnus oder Thomas von Aquin folgen sollten. Der mordende Kreuzfahrer war zwar ein Teil des damaligen Europas und prägte in den arabischen Ländern das Bild von Europa, aber er war nur ein Teil eines aufstrebenden Europas im 12. Jahrhundert. Im Gegensatz zu den Konquistatoren des 16. Jahrhunderts, die fremde Kulturleistungen negierten, waren die Europäer des 12. Jahrhunderts trotz religiöser Verblendung klug genug, die hohe Kultur der Araber zu erkennen und von ihr zu lernen bzw. zu übernehmen.

Dass die Kultur der Araber noch in hoher Blüte stand, beweisen z.B. der arabische Philosoph Averroës oder der jüdische Denker Maimonides, beide in Cordoba geboren, beide um 1200 gestorben, Averroës in Marrakesch, Maimonides in Kairo. Ebenso konnte seit 1170 Saladin als Herrscher der Gläubigen einen starken Abwehrriegel gegen weitere Expansionen von Kreuzfahrern und Seldschuken schaffen. Aber nach dem Tod seines Bruders al-Adil im Jahre 1218 erfolgte die Teilung und somit Schwächung des Ayyubiden-Staates. So ist es kein Wunder, dass mit dem Aufkommen der Mameluken seit 1250 diese Teilstaaten, wie auch die Kreuzfahrerstaaten verschwanden. Schließlich eroberten die Mongolen 1258 Bagdad und beendeten damit das Abbasiden-Kalifat. Bereits 1212 konnte ein vereinigtes Heer der Könige von Kastilien, Leon, Navarra und Aragon die Almohaden in der Schlacht von Las Navas de Tolosa besiegen. Egal, ob man nun die Jahreszahlen 1212, 1218, 1250 oder 1258 nimmt, aber sie alle symbolisieren das Ende der gesellschaftlichen Vormachtstellung der Araber. Zwar konnten sich die Araber in Spanien bis 1492 noch halten und das Emirat von Granada erreichte nochmals eine kulturelle Blüte. In Kairo bestand das Kalifat weiter, allerdings nur mit religiösen Befugnissen, die tatsächliche Macht lag bei den Mameluken-Beys, die ebenfalls in Kairo residierten, ehe beide 1517 sich der Macht der Osmanen unterwerfen mussten. Diese beiden Daten 1492 und 1517 stehen für den Niedergang der Araber, dessen gesellschaftlichen Folgen heute noch nachwirken.

"Geschichte erleuchtet den Verstand, veredelt das Herz, spornt den Willen und lenkt ihn auf höhere Ziele." Cicero
Alle Beiträge dieses Benutzers finden
Diese Nachricht in einer Antwort zitieren
Antwort schreiben 


Nachrichten in diesem Thema
RE: Das Zurückfallen des Morgenlandes - Diskussion zum G/Geschichteheft 8/2014: - Sansavoir - 18.08.2014 01:09
Spalltungen im Lager der Seldschuken: - WDPG - 01.09.2014, 11:37

Möglicherweise verwandte Themen...
Thema: Verfasser Antworten: Ansichten: Letzter Beitrag
  Kämpfende Dynastien, weitere Beispiele - Diskussion zum G/Geschichteheft 11/2014: WDPG 9 16.163 24.09.2022 17:13
Letzter Beitrag: Teresa C.
  „Meine“ Römerstadt – Diskussion zum G/Geschichteheft 10/2014: WDPG 21 42.158 04.04.2015 00:05
Letzter Beitrag: Paul
  Friedliche Heldentaten von Herrschern - Diskussionen zum G/Geschichteheft 12/2014: WDPG 6 12.411 29.01.2015 03:28
Letzter Beitrag: Sansavoir
  Die Zukunft der Beneluxstaaten – Diskussionen zum G/Geschichteheft 09/2014: WDPG 11 20.355 14.09.2014 21:14
Letzter Beitrag: Sansavoir
  Revolution, der finanzielle Faktor - Diskussion zum G/Geschichteheft 7/2014: WDPG 9 16.588 26.07.2014 18:47
Letzter Beitrag: Sansavoir
  35. Jähriges Jubiläum - Diskussion zum G/Geschichteheft 7/2014: WDPG 5 11.223 10.07.2014 23:56
Letzter Beitrag: WDPG
  Klimabedingte Krise im 17. Jahrhundert? - Diskussion zum G/Geschichteheft 6/2014: WDPG 30 53.503 09.07.2014 17:13
Letzter Beitrag: Suebe
  Stadtbrände - Diskussion zum G/Geschichteheft 6/2014: Maxdorfer 16 25.182 30.06.2014 12:17
Letzter Beitrag: Suebe

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 2 Gast/Gäste

Kontakt    |     Startseite    |     Nach oben    |     Zum Inhalt    |     SiteMap    |     RSS-Feeds