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Normale Version: Phryger = Seevölker in Anatolien?
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Zunächst möchte ich auf die Reitervölkerthese zurückkommen. MW sind die Kimmerer die erste Gruppe, die man anhand ihrer Hinterlassenschaften als Reiterkrieger einordnen könnte. http://de.wikipedia.org/wiki/Kimmerer Da sind wir aber schon im 1.Jtsd BC. Zeitlich noch später wird von den Skythen berichtet.

(08.03.2014 03:35)Paul schrieb: [ -> ]Die Bronzezeit wurde nicht durch Seevölker beendet, sondern durch die Eisenzeit.
Mmh, das ist etwas platt, klar folgt auf die Bronzezeit die Eisenzeit, aber warum. Es muß für diesen Materialwechsel Gründe gegeben haben, sonst hätte man weitermachen können wie bisher. Bunbury hat einige genannt. Wahrscheinlich ist die Begründung nicht monokausal, so unbefriedigend das auch ist. Eisen war lange bekannt, meist Meteoriteisen. In der Bronzezeit wurde mit verschiedenen Metallen und Beimischungen experimentiert. Schon die Hethiter entwickelten eine Art Rennofen. Eisen als Werkstoff setzte sich aber erst viele Jahrhunderte später durch und das Reich der Hethiter ist trotz ihrer Eisenverarbeitungskenntnisse untergegangen.
Hier in Mittelhessen und im Siegener Land gab es auch Bronzeverarbeitung. Kupfer und Zinn waren aber selten und teuer. Es lag einfach auf der Hand das Material zu verwenden, welches praktisch unbegrenzt zur Verfügung stand und dann auch schnell die Bronze qualitativ überholte. In einer Region, in der Eisen häufig und Kupfer und Zinn selten waren, war das eine zwangsläufige Entwicklung. Vielleicht hielten einige Kulturen länger an der Bronze fest und wurden deshalb erfolgreich von den "jungen Kulturen" bedrängt, die auf das neue Material setzten. Der Erfolg der Hethiter soll aber auch auf ihrer frühen Eisenverarbeitung gelegen haben.
Um 1200 v. Chr. soll das Monopol der Eisenverarbeitung in Rennöfen der Hethiter gebrochen gewesen sein.

http://wikis.zum.de/chemie-digital/Frau_...s_Hochofen
(08.03.2014 20:30)Paul schrieb: [ -> ]Hier in Mittelhessen und im Siegener Land gab es auch Bronzeverarbeitung. Kupfer und Zinn waren aber selten und teuer. Es lag einfach auf der Hand das Material zu verwenden, welches praktisch unbegrenzt zur Verfügung stand und dann auch schnell die Bronze qualitativ überholte.
Du machst dir das zu einfach. Denn:
Warum tat man es dann nicht? Warum begann zwar die Eisenzeit in Europa um 800 v.Chr. in der Hallstattzeit, aber dann begann die eigentliche Massenverarbeitung von Eisen zu hochwertigen Waffen und Werkzeugen erst 400 Jahre später, in der LaTene-Zeit?
Ganz einfach: Eisen ist eigentlich ein schlechter Werkstoff, spröde, rostend, und er braucht hohe Schmelztemperaturen. Ganz zu schweigen davon, dass die verschiedenen Eisenoxide nicht immer leicht zu finden sind, aber das dürfte für einen Eisenfachmann noch das kleinste Problem gewesen sein.
Die mindestens 500 Grad höhere Schmelztemperatur des Eisen gegenüber der Bronze dürfte schon eher ein Problem gewesen sein;
das größte Problem aber wird darin bestanden haben, die richtigen Verarbeitungstechniken zu finden, mit denen man wirklich brauchbares und der Bronze auch wirklich überlegenes Eisen herstellen konnte. Also Kohlenstoffanreicherung, Kaltschmieden (mit immer wieder erforderlicher Neuerwärmung des Eisens, um Spannungen im Material abzubauen), das Härten durch Abschrecken, das Flexibelmachen durch Damaszieren (oder frühe Formen davon) - für all das braucht man schon ausgewiesene Bronzefachleute, um überhaupt erst drauf zu kommen und aus den Bronzefachleuten müssen dann genügend Eisenfachleute hervorgehen, um die Verarbeitungstechniken auch in solch großem Maßstab durchzuführen, damit aus den Anfängen eine Eisenzeitkultur werden kann.

Und da dürften die Hethiter tatsächlich Vorreiter gewesen sein. Mit dem Untergang des hethitischen Königshauses werden Fachleute, die bislang am Hof bzw. für den Hof arbeiteten, sich verstreut haben und ihr Wissen mitgenommen haben. Nicht umsonst sind es die Philister - ehemalige Angehörige der Seevölker, vermutlich aus dem Dunstkreis des Hethiterreiches stammend - die die Eisenverarbeitung in die Levante brachten. Die Assyrer als Nachbarn der Hethiter wurden ebenfalls schnell zu Eisenfachleuten.
Die Kelten spielten für Europa eine ähnliche Rolle wie die Hethiter für Vorderasien - auch wenn ihnen (vielleicht durch Vermittlung der Phönizier?) eventuell Kenntnisse der Hethiter übermittelt wurden und sie nicht selber drauf gekommen sind - , aber auch sie brauchten die ganze Hallstattzeit über, um zu einer echten Eisenzeitkultur zu werden.

VG
Christian
Deine Darstellung der langwierigen Geburtswehen der Eisenzeit zeigt deutlich die Schwierigkeiten mit dem Werkstoff Eisen, Chris.
Eisen war das Ersatzmaterial und das erst nach vielen Versuchen und Erfahrungen. Der einzige Vorteil von Eisenerz und auch der wird nicht sofort erkannt worden sein, war die breitere Verfügbarkeit.
Wäre der bronzezeitliche Handel mit Kupfer und Zinn nicht gestört gewesen, hätte man weiter schöne Bronzeschwerter, -kessel usw. hergestellt.
Damit sind wir wieder bei der Frage, warum kam es zu diesen Problemen am Ende der Bronzezeit.
Ich denke, daß das System am Ende der Bronzezeit zu sehr abhängig vom Handel war. Wie wir schon an verschiedenen anderen Stellen gesehen haben, war der Handel eigentlich das bestimmende Element der Bronzezeit. Um Bronze überhuapt herstellen zu können, mußten zwei unterschiedliche Werkstoffe zusammen geführt werden- Zinn und Kupfer. Sie wurden nicht in erster Linie dort verarbeitet, wo eines der beiden im Überfluss vorkam, sondern an einem dritten ort, wohin beides zusammengebracht wurde. Verkauft wurden sie dann an einem weiteren Ort. Und die beiden Metalle waren letztendlich nicht das einzige, was gehandelt wurde.
Ein derartig offenes System ist nur begrenzt "stressfähig". Klar kann hier und dort die Veränderung eines Handelswegs aufgefangen werden, hier und dort ein Ernteausfall verkraftet werden. Wenn sich aber die Störungen häufen, ist irgendwann der Punkt erreicht, an dem das ganze System nicht mehr funktioniert- und das war am Ende der Bronzezeit so.

So betrachtet könnte man vielleicht sogar mal darüber spekulieren, ob die Eisenverarbeitung nicht deshalb vorangetrieben wurde, um sich eben nicht mehr von Handelsströmen abhängig zu machen...

WDPG

Muss gestehen, ich bin erst jetzt dazu gekommen mir die Beiträge von Chris über die einzelnen Seevölker genau durchzulesen. Denke zwar schon das ich damals drüber gelesen habe, aber so richtig Ausgedruckt und durchgelesen habe ich sie mir erst jetzt. Eine beeindruckende Serie.

Und vor allem eine die vieles erklärt, die Frage die aber noch besteht ist die nach dem warum so viele Völker gewandert sind. Ich vermute es ist eine Mischung aus Gründen. Klimaveränderungen die zu Hunger führten, könnten ein Grund sein. Aber ein Hauptgrund könnte eben in einer Schwächephase der Gegend des Nahen Ostens gelegen haben, die solche Angreifer anzog.
Da ein Großteil der Seevölker aus dem Raum Ägäis und Anatolien zu stammen scheint, würde ich an den Anfang der Seevölkerwanderung auch Veränderungen in eben jenem Raum stellen.
Irgendetwas ist dort passiert, was die Seevölkerwanderung ausgelöst hat. Und ein Dominostein nach dem anderen ist gekippt bis nach Ägypten hinunter.
Ich finde nach wie vor den Gedanken daran, daß der trojanische Krieg dabei einen Dominostein darstellte, überzeugend. (welcher ist schwierig zu sagen.) Der richtige Ort, die richtige Zeit- und die Legende wurde über Jahrhunderte weiter gegeben. Einen Zusammenhang zu sehen- wenn auch nicht ganz klar ist, welcher- scheint jedenfalls einfacher zu sein als die beiden Ereignisse isoliert von einander zu betrachten....
(30.11.2013 23:50)Renegat schrieb: [ -> ]Der Thread ist ziemlich unübersichtlich, deshalb zitiere ich deine Ultrakurzfassung, weil sie Teile der Hypothese enthält, die ich kürzlich gelesen habe und die mir so unplausibel nicht zu sein scheint.
Falls so etwas in den vorherigen Seiten schon erwähnt wurde, habe ich es überlesen.
http://www.welt.de/kultur/history/articl...e-gab.html
Das Buch von Sommer habe ich nicht gelesen, nur ähnliches in einem anderen. Kann sein, dass die Hypothese zur Zeit modern ist.
Danach waren die Seevölker weniger fremde Völker, sondern eher die Arbeiter, Bauern und Steuerzahler, denen es zuviel wurde und die sich u.a. in Hattusa gegen die Oberschicht erhoben. In der Folge brach das bronzezeitliche System der Eliten und der Handel im östlichen Mittelmeerraum zusammen.
Was haltet ihr davon?

Das sind ja alles keine neuen Gedanken oder Hypothesen. Schon lange ist klar, dass sich ganze Bevölkerungsgruppen z.B. aus dem mykenischen Griechenland auf den Weg machten. Wie wir aus archäologischen Funden wissen, waren zahlreiche Siedlungen, Paläste, ja ganze Landstriche verwüstet, verbrannt und verheert. Das aristokratische Regime von Mykene erlebte einen kompletten Systemzusammenbruch, was Mangel, Hunger, Seuchen und Obdachlosogkeit zur Folge hatte. Somit haben mykenische Bevölkerungsgruppen sicher einen gewaltigen Anteil an der Seevölkerbewegung.

Ähnliches gilt für das zusammengebrochene Reich der Hethiter, das am Ende seines Daseins unter Thronwirren, dynastischen Kämpfen und inneren Unruhen litt. Leicht auszumachen unter den Seevölkern sind z.B. die Lukka-Völker in der Schriftquelle des ägyptischen Totentempels Medinet Habu, die erkennbar identisch sind mit den Lykiern in SW-Kleinasien.

Und wenn so eine Völkerwanderung erst einmal in Gang gekommen ist, reißt sie auch andere Bevölkerungsgruppen mit sich, die teils aus Not, teils aus Abenteuerlust mitwandern,

Von einem Einfall kriegerischer Gruppen aus dem nördlichen Balkan (oder gar Mitteleuropa) ist die Forschung inzwischen abgekommen. Der Zusammenbruch ägäischer Staaten reicht als Erklärung völlig aus. Ob überhaupt und in welcher Größenordnung noch andere Faktoren mitwirkten - Klimaverschlechterung, Naturkatastrophen wie z.B. Erdbeben, Seuchen, Missernten und anderes - lässt sich heute nicht mehr zuverlässig entscheiden. Gern wird zur Zeit bei solchen unerklärlichen Phänomenen das böse Klima verantwortlich gemacht - das ist eine Modeerscheinung und wegen meist widersprechender Daten kaum seriös belegbar.
(11.11.2014 19:23)Dietrich schrieb: [ -> ]Von einem Einfall kriegerischer Gruppen aus dem nördlichen Balkan (oder gar Mitteleuropa) ist die Forschung inzwischen abgekommen. Der Zusammenbruch ägäischer Staaten reicht als Erklärung völlig aus.

Die Einwanderung indogermanischer Gruppen nach Italien lies dort italische Stämme entstehen. Die Einwanderung aus Mitteleuropa wurde also nicht widerlegt. Bei den Illyrern gibt es verschiedene Ansichten.
Und was hat jetzt die Einwanderung mittelueropäischer Ur-Italiker nach Italien mit der Seevölkerbewegung zu tun, die viel weiter südlich stattfand?!?
(30.11.2015 20:23)913Chris schrieb: [ -> ]Und was hat jetzt die Einwanderung mittelueropäischer Ur-Italiker nach Italien mit der Seevölkerbewegung zu tun, die viel weiter südlich stattfand?!?

Stämme aus dem heutigen Italien werden immer wieder als Teile der Seevölker genannt. Das auch die Illierer Vorfahren aus Mitteleuropa hatten, neben Alteuropäern vom Balkan und Indoeuropäern von nördlich des Schwarzen Meers ist wahrscheinlich.
Die Dominotheorie beginnend auch in Mitteleuropa ist also nicht vom Tisch.
@Paul, da gebe ich dir (ausnahmsweise) mal recht.
Die Stämme aus dem heutigen Italien, die sich mittels der Namen als (mögliche) Teile der Seevölker identifizieren lassen, sind die Sikeler (die eventuell mit den Sikulern von Sizilien identifizierbar sind) und die Schardana (die man mit den Sarden in Verbindung bringt). Bei beiden ist aber unklar, ob sie vor dem Seevölkersturm schon hier saßen oder erst nach dem Seevölkersturm hier quasi zur Ruhe kamen.
Und bei beiden Völkern ist es ganz und gar nicht ausgeschlossen, dass nur eine Namensähnlichkeit vorliegt!

Auch dass die Vorfahren der Griechen aus dem nördlicher gelegenen Balkan stammen, kann man so nicht stehen lassen. Die Mykener sprachen bereits einen frühgriechischen Dialekt, es kann sich also nicht um einen regelrechten Bevölkerungsaustausch gehandelt haben. Nur die Schrift war nach den "Dark Ages" eine andere, und zwar entstand sie unter phönizischem Einfluss; also auch hier spricht nichts dagegen, anzunehmen, dass die Mykener langsam aber sicher sich zu Griechen entwickelten, unter Einfluss von neu hinzugekommenen Einwanderergruppen, die aber erst NACH dem Seevölkersturm in Griechenland Fuß fassten...die Seevölkergruppen, die mit Griechenland bzw. dem Ägäisraum in Verbindung zu bringen sind, stammen aus diesem Raum und haben ihn nicht etwa auf einer Wanderung nur durchquert!

VG
Christian
(02.12.2015 18:49)913Chris schrieb: [ -> ]Auch dass die Vorfahren der Griechen aus dem nördlicher gelegenen Balkan stammen, kann man so nicht stehen lassen.

Im allgemeinen nimmt man an an, dass Griechenland ursprünglich von einer altmediterranen Bevölkerung besiedelt war, wie es sie rund um das Mittelmeer gab. Etwa 2200 v. Chr. kam es zu einem Einbruch indoeuropäischer Sprachträger, die sich im Verlauf einiger Jahrhunderte mit der autochthonen Bevölkerung vermischten. Aus dieser Synthese gingen die Griechen bzw. zunächst ihre mykenischen Vorfahren hervor, die man wegen ihrer altgriechischen Sprache durchaus als frühe Griechen bezeichnen kann.

Woher die indoeuropäischen Gruppen kamen, die Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. auf die Balkanhalbinsel einwanderten, ist ungeklärt. Vielfach wird ein Einströmen von Norden angenommen, jedoch gibt es auch eine Hypothese, die eine Einwanderung aus Kleinasien annimmt.
Wenn man davon ausgeht,dass die Seevölker Wanderungsbewegungen weterer Völker auslösten und diese Völker zum Teil integrierten oder unterwarfen stellt sich die Frage, woher sie kamen und was wiederum ihre eigene Expansion und Wanderungsbewegung auslöste.
Dazu gibt es primär folgende Faktoren: Überbevölkerung,Natur- und Klimakatastrophen oder Verdrängung durch stärkere Mächte,
Man sollte daher vielleicht auf der Suche nach den Seevölkern zunächst einmal versuchen ,deren Herkunftsgebiet zu verorten bzw, im Bereich der Mittelmeer-Schwarzmeer-Region nach Bereichen suchen,die damals von diesen Faktoren betroffen waren.
(05.03.2016 13:00)zaphodB. schrieb: [ -> ]Wenn man davon ausgeht,dass die Seevölker Wanderungsbewegungen weterer Völker auslösten und diese Völker zum Teil integrierten oder unterwarfen stellt sich die Frage, woher sie kamen und was wiederum ihre eigene Expansion und Wanderungsbewegung auslöste.

Bis heute ungeklärt ist die Frage, woher die "Seevölker" kamen, die um 1200 v. Chr. das östliche Mittelmeer und alle Küsten beunruhigten. Es gibt zahlreiche Hypothesen über ihre Herkunft, die mit der großen Ägäischen Wanderung um 1200 v. Chr. zusammenhängen oder identisch sein soll.

Vielfach begnügt man sich mit der Feststellung, die Seevölker kämen aus der "Ägäis". Nun ist die Ägäis aber ein überschaubares Meer mit vielen kleinen Inseln, das unmöglich die Heimat einer so großen Völkerwoge sein kann, die - nach einer Hypothese - das Hethiterreich und Mykene zum Einsturz brachte, Vorderasien überschwemmte und dem Pharao die gewaltige Schlacht im Nildelta lieferte. Wo also kamen die Seevölker her?

Eine häufig zu findende Hypothese geht von einem Dominoeffekt aus: Von der Donau aus schoben sich Völker über den Balkan und stießen damit eine Wanderung Richtung Süden an. Es ist bemerkenswert, dass das mykenische Griechenland vermutlich das erste Opfer dieser "ägäischen Wanderung" war, was zeigt, dass der Völkerstoß von Norden erfolgte. Er ging dann über die Ägäis hinaus und spaltete sich in zwei Zweige: einer verlief über Kreta und Zypern, die beide erobert wurden, nach Palästina und Vorderasien hinein. Der andere Zweig stieß nach Kleinasien hinein, wo das Hethiterreich unterging (vielleicht auch Troja?), und verlief von dort aus entlang der Mittelmeerküste über Syrien weiter nach Süden. Dass es an Ägyptens Grenzen um 1200 v. Chr. zu Auseinandersetzungen mit wandernden Volksgruppen kam, ist, sunter Historikern unumstritten. Ob es nun zu Koalitionen kam und wie weitreichend die gewesen könnten, ist heute nicht mehr zu entscheiden.

Interessant sind die Namen der beteiligten Seevölker wie z.B. Akawa, Turus, Lukku, Schardin oder Sakalus, in denen man die späteren Tyrsener (Etrusker), Lykier sowie die späteren Besiedler Sardiniens und Siziliens erkennen möchte. Zu den Seevölkern zählen auch die "Pulsate" (auch: Peluschtim), die als "Philister" in Palästina ansässig wurden.

Es gibt freilich auch die Hypothese, dass es überhaupt keine Wanderung gegeben hätte und die postulierten Seevölker ein Mythos seien. Das Reich der Hethiter sei danach allein durch innere Wirren oder einen Bürgerkrieg zugrunde gegangen, Mykene und die mykenische Kultur seien lediglich durch Naturkatastrophen oder einen Bürgerkrieg oder die Implosion des feudalen Systems ausgelöscht worden. Dem stehen allerdings die ägyptischen Quellen entgegen. Auch wenn dort lobpreisend geschrieben wird, so ist die Seeschlacht im Nildelta nicht ins Reich der Fanatasie zu verweisen. Was für die Ägypter nach Koalitionen ausgesehen hat, war vermutlich ein Dominoeffekt, in dessen Verlauf weitere Bevölkerungsgruppen mitgerissen wurden.

Ob und inwieweit diese Hypothesen und Spekulationen zutreffen, ist umstritten. Auf jeden Fall gab es in der Zeit zirka um 1200 v. Chr. Umwälzungen und Verschiebungen im östlichen Mittelmeerraum. In deren Verlauf ging um 1200 v. Chr. die mykenische Palastkultur unter, ferner das Reich der Hethiter, in Palästina wurden die Peleset/Philister als eines der Seevölker angesiedelt und in Palästina erscheinen die landnehmenden Hebräer.

Hier die Nachricht der Ägypter über ihre Begegnung mit den Seevölkern:

"Die Völker der Meere schlossen sich auf ihren Inseln zu einer Verschwörung zusammen. Sie hatten den Plan, die Hand auf alle Länder der Erde zu legen. Kein Land hielt ihren Angriffen stand. Von Hatti an wurden zu gleicher Zeit vernichtet: Qadi, Karkemiš, Arzawa und Alašija. Ihr Lager schlugen sie an einem Ort in Amurru auf. Sie zerstörten die Länder so, als ob sie nie existiert hätten. Sie kamen, bereiteten ein Feuer vor ihnen und sagten: „Vorwärts nach Ägypten”. Verbündet waren mit ihnen die Peleset, Tjeker, Šekeleš, Danu und Wašaš. Ihre Herzen waren voller Vertrauen: „Unsere Pläne gelingen” sagten sie zuversichtlich.“
(Übersetzung der Inschrift (Zeilen 16-17): John Wilson In: James B. Pritchard: Ancient Near Eastern: Texts relating to the Old Testament (3. Auflage), Universal Press, Princeton 1969, S. 262)
(05.03.2016 13:00)zaphodB. schrieb: [ -> ]Wenn man davon ausgeht,dass die Seevölker Wanderungsbewegungen weterer Völker auslösten und diese Völker zum Teil integrierten oder unterwarfen stellt sich die Frage, woher sie kamen und was wiederum ihre eigene Expansion und Wanderungsbewegung auslöste.
Dazu gibt es primär folgende Faktoren: Überbevölkerung,Natur- und Klimakatastrophen oder Verdrängung durch stärkere Mächte,
Man sollte daher vielleicht auf der Suche nach den Seevölkern zunächst einmal versuchen ,deren Herkunftsgebiet zu verorten bzw, im Bereich der Mittelmeer-Schwarzmeer-Region nach Bereichen suchen,die damals von diesen Faktoren betroffen waren.

Wenn du ein paar Seiten und ungefähr drei Jahre zurück gehst, kannst du sehen, dass Chris sich genau diese Mühe gemacht hat...
(05.03.2016 14:10)Dietrich schrieb: [ -> ]Vielfach begnügt man sich mit der Feststellung, die Seevölker kämen aus der "Ägäis". Nun ist die Ägäis aber ein überschaubares Meer mit vielen kleinen Inseln, das unmöglich die Heimat einer so großen Völkerwoge sein kann, die - nach einer Hypothese - das Hethiterreich und Mykene zum Einsturz brachte, Vorderasien überschwemmte und dem Pharao die gewaltige Schlacht im Nildelta lieferte. Wo also kamen die Seevölker her?

Mich würde interessieren, von welcher Personenanzahl du ausgehst. Soweit ich weiß, ist die genaue Anzahl nirgendwo überliefert, und keiner kann so genau sagen, ob die ganzen Berichte unterschiedlicher Quellen Mehrfachzählungen enthalten. Mit der "großen Völkermenge" zu argumentieren, ist höchst spekulativ- auch der von dir nachfolgend zitierte Bericht aus Ägypten bietet keine eindeutige Antwort. Denn man erfährt nichts über die Kontingente der beteiligten Völker. Es gibt noch nicht einmal einen Beweis dafür, dass tatsächlich alle genannten Völker bei allen Zerstörungen dabei waren- gut möglich, dass sich z.B. nach der Zerstörung von Arzawa (oder anderer) nicht auch "Arzawaner" den Invasoren angeschlossen haben und sich so die Anzahl vergrößert hat....
Meine Theorie ist folgende:
ab Mitte des 13 Jhdts bis zum Ende des 12.Jhdts v. Chr. ist eine Phase extremer Klimaveränderungen nachgewiesen,die vermutlich Auslöser der dorischen Einwanderung ins mykenische Griechenland und die Ägäis waren. Gleichzeitig kam es im Gebiet des östlichen Mittelmeeres zu extremen Trockenphasen ,die zu Versorgungsproblemen im Hethiter-Reich führten .die so erheblich waren,dass ab 1210 v. Chr. Ägypten die in Not geratenen Hethiter mit Getreidelieferungen unterstützte.
Folge könnte gewesen sein ,dass die Hethiter ihre Hilfstruppen,wie die Mitanie ,Dardunu, Meša , Mawuna r Yaruna , Pidasa und Kelekeš.nicht mehr bezahlen konnten. Wenn die sich mit den verdrängten Mykenern und expandierenden Dorern verbunden haben und die ägyptischen Getreidelieferungen unterbunden haben musste das Hethiterreich früher oder später zusammenbrechen
Nette Theorie. Über den Klimawandel muss ich mich erst noch einmal schlau machen, aber die Theorie der dorischen Einwanderung um die Zeit gilt heute als widerlegt. Einfach deshalb, weil Artefakte und Schriftformen, die den Dorern zugeschrieben werden, erst zwei- bis dreihundert Jahre später nachweisbar sind.
Vereinzelt mögen Dorer zu jener Zeit eingewandert sein, aber momentan sieht es eher so aus, als hätten die Dorer nicht die Achäer verdrängt, sondern sich in Ländereien niedergelassen, in denen die Achaiche Führungsstruktur zusammen gebrochen war.
Auch gilt es vielerseits als belegt, dass das hethtische Reich aus politischen Gründen zusammenbrach. Klimaprobleme haben die Situation sicherlich verschärft und möglicherweise beschleunigt, aber nicht ausgelöst und sind als einzige Ursache nicht sehr wahrscheinlich. Aber wie gesagt, dass muss ich mir noch mal näher anlesen....
Dass der Zusammenbruch eines so großen Reiches wie das der Hethiter nicht einer unmittelbaren Ursache zuzuschreiben ist ist klar, das hab ich ja auch darzustellen versucht,
Die Kombination aus Missernten, inneren und äüßeren Unruhen und dem Zusammenbrechen des Handels und der Versorgungswegehat das System so geschwächt, dass der Zusammenbruch unausweichlich kam.
Aber all diese Faktoren mußten ja ihrerseiits wieder Ursachen und Auslöser haben.

Sieht man Ägypten , das in dieser Zeit vom Klimawandel offenbar weniger betroffen war und damals über eine halbwegs gesicherte Versorgung verfügte, dann konnte man da die Seevölker und auch die Lybier abwehren.
Genau deswegen, weil die Ägypter vom Klimawandel nicht ( so sehr?) betroffen waren, habe ich meine Zweifel an der Bedeutung des Klimawandels für den Zusammenbruch der Ordnung in der Ägäis am Ende der Bronzezeit. Mißernten waren nur ein Faktor, aber eben nur ein relativ kleiner. Ein bewegliches Reich ist auch immer wieder im Stande, sich an klimatische Veränderungen anzupassen, wenn sie über einen längeren Zeitraum anhalten.
Wenn es das Hethiterreich nicht konnte, ist das ein Beweis dafür, dass es seine Grenzen bereits überschritten hatte und zu starr geworden war.

Wir neigen dazu, Dinge mit bekanntem zu erklären. So wird oftmals die dorische Wanderung als Ursache angenommen, weil die Goten später dem römischen Imperium den Todesstoß versetzten. Daß eine lang anhaltende Dürre ein großes Reich zerstörte, ist entweder für die Inka oder die Maya (mit den alten Kulturen Mittel- und Südamerikas habe ich es nicht so) belegt- eben auch, weil es zu starr geworden war.

In der Ägäis zum Ende der Bronzezeit haben wir eine Situation, die nicht belegt ist und vermutlich auch nicht verglichen werden kann. Obwohl- vielleicht müßten da die Fernost- Spezialisten ran, vielleicht gibt es ja da etwas.

Aber daß die Zerstörung der Heimat Flüchtlingsströme verursacht, sieht man in der Gegenwart. Von daher- vielleicht ist auch das schon mal dagewesen. Und von daher- vielleicht entzündete der trojanische Krieg ja tatsächlich eine Kettenreaktion....
(05.03.2016 17:24)Bunbury schrieb: [ -> ]Mich würde interessieren, von welcher Personenanzahl du ausgehst. Soweit ich weiß, ist die genaue Anzahl nirgendwo überliefert, und keiner kann so genau sagen, ob die ganzen Berichte unterschiedlicher Quellen Mehrfachzählungen enthalten.

Wie viele Menschen die so genannten Seevölker umfassten, ist natürlich nicht bekannt. Immerhin aber waren die wandernden Bevölkerungsgruppen so stark, dass sie wie die Philister einen Staat bilden konnten oder den Pharao in der berühmten Schlacht im Nildelta einen langen Kampf lieferten - bei dem sie allerdings unterlagen. Der Angriff der Seevölker veranlasste Ramses III. um 1180 zu diesem Text aus seinem Totentempel in Medinet Habu:

"15 Ich [Ramses III] schütze es [Ägypten], (16) indem ich (für es) die Neunbogen abwehre. Die Fremdländer vollzogen alle zusammen die Trennung von ihren Inseln. Es zogen fort und verstreut sind im Kampfgewühl die Länder auf einen Schlag. Nicht hielt irgendein Land vor ihren Armeen stand; und die Länder von Ḫatti, Qadi, Qarqemiš, Arzawa, (17) und Alasia an waren (nun) entwurzelt auf [einen Schlag]. Es wurde ein Lager aufgeschlagen an einem Ort im Inneren von Amurru. Sie vernichteten seine Leute und sein Land, als sei es nie gewesen. Sie kamen nun, indem die Flamme vor ihnen bereitet war, vorwärts gegen Ägypten, ihre Zwingburg (?). (18) Die Peleset, Tjeker, Šekeleš (Schekelesch), Danunäer und Wašaš, verbündete Länder, legten ihre Hände auf alle Länder bis ans Ende der Welt; ihre Herzen waren zuversichtlich und vertrauensvoll: Unsere Pläne gelingen.“
Auszug aus der Inschrift im Totentempel des Ramses III. in Medinet Habu

Das klingt nicht gerade nach einer kleinen Zahl.

Nachweislich hat der Zusammenbruch der mykenischen Staatenwelt und der anschließende Einbruch der Dorer achäische Migrationen der dorischen Vorbevölkerung ausgelöst. Die Dorer selbst griffen nach Kreta aus und besetzten es, was zu weiteren Auswanderungen geführt hat.

Ob es nun konzertierte Aktionen der Seevölker gab, ist umstritten. Auf jeden Fall gab es um 1200 v. Chr. Migrationsbewegungen im östlichen Mittelmeerrraum, die wie ein Dominoeffekt wirkten. Was das Herhiterreich betrifft, so war es um 1200 v. Chr. bereits durch Thronkämpfe und innere Wirren erschüttert. Züge plündernder Gruppen aus der Ägäis mögen dem Reich den Rest gegeben haben. Die Hauptstadt Hattusa soll bereits vor Ankunft solcher Gruppen verlassen gewesen sein. In einer Inschrift des Merenptah heißt es:

"Die Länder der Hethiter fallen, wie beim Anblick nahender Windhunde, auf die Knie. Bleibende Angst für die Herzen der Mešweš, zerbrochen ist das Land Tjemhu. Lebu wurde aus unserem Ta Meri („Geliebtes Land“) verdrängt; es kann nun wieder die Strahlen von Aton sehen, weil das Unwetter über Kemet verjagt wurde."

Der US.Professor Assaf Ysur-Landau schreibt dazu in einer lesenswerten Publikation:

Zitat:Die Wanderung der "Seevölker", unter ihnen auch die Philister, von der Ägäis in die Levante während des frühen 12. Jh. v. Chr., ist eines der faszinierendsten Ereignisse in der Geschichte des Ostmittelmeerraums. Aus kulturgeschichtlicher Sicht ist es ein Wendepunkt, an welchem die Kluft zwischen dem Zusammenbruch der spätbronzezeitlichen Zvilisationen und dem Beginn der Ära der Nationalbewegungen überbrückt wird.

Eine Inschrift aus dem achten Regierungsjahr von Ramses III. in Medinet Habu (ca. 1175 v. Chr.) zeichnet ein dramatisches Bild der Ankunft der fremden Eroberer, die von "Inseln" (offenbar im ägäischen Raum) stammen und auf ihrem Weg durch Anatolien und Syrien in Richtung Ägypten eine Spur der Zerstörung hinter sich ließen. [...]

Während der ägyptische Bericht nicht als unparteiisches und unmittelbares Dokument akzeptiert werden sollte, haben Ausgrabungen in West- und Südanatolien (z.B. Bademgedigi Tepe und Tarsus), Zypern (z.B. Enkomi und Maa Palaeokastro), Syrien (z.B. Ras Ibn Hani) und Israel (z.B. Aschdod, Askalon und Ekron) einen dramatischen Anstieg in der Menge der lokal entstandenen ägäisch geprägten materiellen Kultur zu Beginn des 12. Jh. v. Chr. aufgedeckt.

Die Präsenz ägäischer Einwanderer kann aus dem Auftauchen ägäischer häuslicher Verhaltensmuster geschlossen werden: Essen wurde in Kochtöpfen ägäischer Art gekocht, Wein in Krateren mykenischen Stils gemischt und aus Skyphoi (schüsselartigen Gefäßen) getrunken. Auch die Textilherstellung änderte sich mit der Einführung des Webgewichts ohne Öse zum Aufhängen. Sogar die Wohnarchitektur wandelte sich, und Häuser in Zypern und Israel wurden mit rechteckigen Herdstellen ausgestattet - ein gemeinsamer Zug traditionller ägäischer Architektur der mykenischen Nachpalastzeit (Späthelladisch IIIC). Diese neuen ägäischen Merkmale gingen aber immer Hand in Hand mit dem Fortbestand der jeweils lokalen materiellen Kultur. Nur selten erscheinen sie in der unmittelbaren Folge der Zerstörung eines Ortes der Einheimischen.

Daher ist es wahrscheinlich, dass die ägäische Ansiedlung zumeist nicht gewaltsam verlief, wie von Ramses III. beschrieben, sondern dass sie hauptsächlich durch friedliche Koexistenz mit der lokalen Bevölkerung des Ostmittelmeerraums gekennzeichnet war.

Der genaue Grund für den Aufbruch einer beträchtlichen Zahl an Bewohnern der ägäischen Welt zur Kolonisierung des Ostens wird möglicherweise für immer im Dunkeln liegen. Möglich ist, dass innere Rivalität und Streit in der nachpalastzeitlichen Gesellschaft kulturelle Mobilität ermöglichte und Ansporn für Einzelne wie auch Gruppen bedeutete, ihr Glück auswärts zu versuchen. Die Ost- und Südbewegung wurde zweifellos durch den Untergang des Hethiterreichs und seiner Vasallenstaaten entlang der anatolischen und syrischen Küste kurt nach 1200 v. Chr, bedeutend vereinfacht.

Rückblickend stellt sich das Phänomen "Seevölker" als Erscheinung des unmittelbaren Beginns der Dark Ages Griechenlands dar und es beleuchtet die frühesten Anfänge der Wiederherstellung gesellschaftlicher Strukturen nach dem Ende der mykenischen Paläste. [...]

(Assaf Ysur-Landau, Die Seevölker, in: Zeit der Helden. Die "dunklen Jahrhunderte" Griechenlands 1200-700 v. Chr, Ausstellungskatalog, Karlsruhe 2008, S. 56 f.)

Für Ysur-Landau ist also auch der Zusammenbruch der spätbronzezeitlichen Zivilisationen im östlichen Mittelmeerraum die Ursache für den Aufbruch der Seevölker. Gemeint ist damit vor allem die Implosion der mykenischen Staatenwelt und der Zusammenbruch des Hethiterreichs. Ob zusätzlich wandernde Gruppen aus dem Norden des Balkans (Illyrer?, Thraker?) einen Dominoeffekt auslösten, ist denkbar.
(08.03.2016 16:17)Dietrich schrieb: [ -> ]Wie viele Menschen die so genannten Seevölker umfassten, ist natürlich nicht bekannt. Immerhin aber waren die wandernden Bevölkerungsgruppen so stark, dass sie wie die Philister einen Staat bilden konnten oder den Pharao in der berühmten Schlacht im Nildelta einen langen Kampf lieferten - bei dem sie allerdings unterlagen. Der Angriff der Seevölker veranlasste Ramses III. um 1180 zu diesem Text aus seinem Totentempel in Medinet Habu:

"15 Ich [Ramses III] schütze es [Ägypten], (16) indem ich (für es) die Neunbogen abwehre. Die Fremdländer vollzogen alle zusammen die Trennung von ihren Inseln. Es zogen fort und verstreut sind im Kampfgewühl die Länder auf einen Schlag. Nicht hielt irgendein Land vor ihren Armeen stand; und die Länder von Ḫatti, Qadi, Qarqemiš, Arzawa, (17) und Alasia an waren (nun) entwurzelt auf [einen Schlag]. Es wurde ein Lager aufgeschlagen an einem Ort im Inneren von Amurru. Sie vernichteten seine Leute und sein Land, als sei es nie gewesen. Sie kamen nun, indem die Flamme vor ihnen bereitet war, vorwärts gegen Ägypten, ihre Zwingburg (?). (18) Die Peleset, Tjeker, Šekeleš (Schekelesch), Danunäer und Wašaš, verbündete Länder, legten ihre Hände auf alle Länder bis ans Ende der Welt; ihre Herzen waren zuversichtlich und vertrauensvoll: Unsere Pläne gelingen.“
Auszug aus der Inschrift im Totentempel des Ramses III. in Medinet Habu

Das klingt nicht gerade nach einer kleinen Zahl.

Naja, wenn der Sieger über seinen Sieg berichtet, sollte man schon in Erwägung ziehen, dass die Anzahl der Gegner nicht ganz der Wahrheit entspricht. Denn es klingt doch immer besser, wenn der besiegte Gegner sehr viel größer dasteht als er war...

(08.03.2016 16:17)Dietrich schrieb: [ -> ]Nachweislich hat der Zusammenbruch der mykenischen Staatenwelt und der anschließende Einbruch der Dorer achäische Migrationen der dorischen Vorbevölkerung ausgelöst. Die Dorer selbst griffen nach Kreta aus und besetzten es, was zu weiteren Auswanderungen geführt hat. .

Ach, das gilt mittlerweile als erwiesen? Ich muss zugeben, es ist schon ein paar Jahre her, dass ich mich intensiv mit dem Thema beschäftigt habe, damals galt es noch als wahrscheinliche Hypothese.

(08.03.2016 16:17)Dietrich schrieb: [ -> ]Der US.Professor Assaf Ysur-Landau schreibt dazu in einer lesenswerten Publikation:...

(Assaf Ysur-Landau, Die Seevölker, in: Zeit der Helden. Die "dunklen Jahrhunderte" Griechenlands 1200-700 v. Chr, Ausstellungskatalog, Karlsruhe 2008, S. 56 f.)

Für Ysur-Landau ist also auch der Zusammenbruch der spätbronzezeitlichen Zivilisationen im östlichen Mittelmeerraum die Ursache für den Aufbruch der Seevölker. Gemeint ist damit vor allem die Implosion der mykenischen Staatenwelt und der Zusammenbruch des Hethiterreichs. Ob zusätzlich wandernde Gruppen aus dem Norden des Balkans (Illyrer?, Thraker?) einen Dominoeffekt auslösten, ist denkbar.

Das Buch werde ich mir auf jeden Fall besorgen, denn es scheint einige der Thesen aufzugreifen, mit denen ich mich bereits beschäftigt habe. Hat er auch eine Antwort darauf gegeben, was am Anfang dieser Zusammenburchskette gestanden hat?
(08.03.2016 17:00)Bunbury schrieb: [ -> ]Ach, das gilt mittlerweile als erwiesen? Ich muss zugeben, es ist schon ein paar Jahre her, dass ich mich intensiv mit dem Thema beschäftigt habe, damals galt es noch als wahrscheinliche Hypothese

Dass es an Ägyptens Grenzen um 1200 v. Chr. zu Auseinandersetzungen mit wandernden Volksgruppen kam, ist, so weit ich das beurteilen kann, unter Historikern weitgehend unumstritten. Ob es nun zu Koalitionen kam und wie weitreichend die gewesen sein könnten, ist heute nicht mehr zu entscheiden. Die Schlacht im Nildelta mit den Seevölkern ist von den Ägyptern selbst überliefert (s.o.).

Es gibt freilich auch die Hypothese, dass es überhaupt keine Wanderung gegeben hätte und die postulierten Seevölker ein Mythos seien. Das Reich der Hethiter sei danach allein durch innere Wirren oder einen Bürgerkrieg zugrunde gegangen, Mykene und die mykenische Kultur seien lediglich durch Naturkatastrophen und ebenfalls innere Unruhen ausgelöscht worden. Dem stehen allerdings die ägyptischen Quellen entgegen. Auch wenn dort lobpreisend geschrieben wird, so ist die Seeschlacht im Nildelta nach meiner Meinung nicht ins Reich der Fanatasie zu verweisen. Was für die Ägypter nach Koalitionen ausgesehen hat, war vermutlich ein Dominoeffekt, in dessen Verlauf weitere Bevölkerungsgruppen mitgerissen wurden.

Eine der Hypothesen geht so: Die Seevölkerbewegung ging über die Ägäis hinaus und spaltete sich in zwei Zweige: einer verlief über Kreta und Zypern, die beide erobert wurden, nach Palästina und Vorderasien hinein. Der andere Zweig stieß nach Kleinasien hinein, wo das Hethiterreich durch Druck von innen und außen unterging (vielleicht auch Troja?), und verlief von dort aus entlang der Mittelmeerküste über Syrien weiter nach Süden. Die Bilder in Medinet Habu zeigen hinsichtlich der Seevölker unter anderem Familien, die mit Ochsenkarren und Sack und Pack unterwegs waren.

Interessant sind die Namen der beteiligten Seevölker wie z.B. Akawa, Turus, Lukku, Schardin oder Sakalus, in denen man die späteren Tyrsener (Etrusker), Lykier sowie die späteren Besiedler Sardiniens und Siziliens erkennen möchte. Zu den Seevölkern zählen auch die "Pulsate" (auch: Peluschtim oder Pelest), die als "Philister" in Palästina ansässig wurden.

Falsch oder zweideutig ist die Aussage, dass die Kreter zu den Seevölkern zählten, da man ihnen zuzuschreibende Keramik in Vorderasien fand. Richtig ist vielmehr, dass Kreta vom Vorstoß der Seevölker getroffen und zerstört wurde (großer Brandhorizont um 1200 v. Chr.!) und Teile der kretischen Bevölkerung sich den Seevölkern anschlossen.

Ob und inwieweit diese Hypothesen und Spekulationen zutreffen, ist umstritten. Auf jeden Fall gab es in der Zeit zirka um 1200 v. Chr. Umwälzungen und Verschiebungen im östlichen Mittelmeerraum. In deren Verlauf ging um 1200 v. Chr. die mykenische Palastkultur unter, ferner das Reich der Hethiter, in Palästina wurden die Peleset/Philister als eines der Seevölker angesiedelt und in Palästina erscheinen die landnehmenden Hebräer.
(10.03.2016 15:21)Dietrich schrieb: [ -> ]Bürgerkrieg zugrunde gegangen, Mykene und die mykenische Kultur seien lediglich durch Naturkatastrophen und ebenfalls innere Unruhen ausgelöscht worden.

Historisch, archäologisch und sprachgeschichtlich lassen such Völkerwanderungen nachweisen.
So wird nachweislich in der heutigen Türkei kein hethitisch mehr gesprochen. Die Ursache ist die Einwanderung von Iranern, die sich in Verbindung mit Einheimischen zu den heutigen Kurden entwickelten.
Außerdem gab es weiter nördlich die Einwanderung von Proto-Armeniern, die sich unter Assimilierung auch der Hethiter zu den heutigen Armeniern entwickelten. Weiter im Westen können die Hethitisch verwandten Dialekte auch erst später verschwunden sein z.B. unter dem Einfluß der Einwanderung von Griechen und Galatern.
Hier wird nicht die Völkerwanderung generell in Frage gestellt, sondern nur, ob Völkerwanderungen für die Seevölkerstürme am Ende der Bronzezeit im östlichen Mittelmeer verantwortlich sind.

Und ich denke, wir sind hier weitestgehend der Meinung, dass das nicht der Fall ist...
(12.03.2016 11:04)Bunbury schrieb: [ -> ]Hier wird nicht die Völkerwanderung generell in Frage gestellt, sondern nur, ob Völkerwanderungen für die Seevölkerstürme am Ende der Bronzezeit im östlichen Mittelmeer verantwortlich sind.

Sicher ist, dass es Völkerverschiebungen im östlichen Mittelmeer um 1200 v. Chr. gab. Der Zusammenbruch der mykenischen Staatenwelt, die Wanderungen der Dorer und der Untergang des Hethiterreichs lösten Migrationen aus. Ein Beispiel dafür sind die Philister, die sich in dieser Zeit in Palästima niederließen, ferner die Seeschlacht von Ägyptern und Seevölkern, die ebenfalls gut durch ägyptische Quellen belegt ist.

Die Frage ist allerdings, ob Mykene durch einen Völkereinbruch vom nördlichen Balkan zusammenbrach, oder ob dafür innere Wirren oder gar ein Bürgerkrieg verantwortlich sind. Die Archäologen haben jedoch bis heute keine Funde gemacht, die auf eine Invasion von Kriegern aus dem Norden hindeuten.
Das deckt sich in etwa mit dem, was ich weiß. Die Wanderung erfolgte in die zusammengebrochenen Strukturen, verursachte sie aber nicht.
(14.03.2016 18:04)Bunbury schrieb: [ -> ]Das deckt sich in etwa mit dem, was ich weiß. Die Wanderung erfolgte in die zusammengebrochenen Strukturen, verursachte sie aber nicht.

Das ist exakt der gegenwärige Wissensstand.
(14.03.2016 15:55)Dietrich schrieb: [ -> ]
(12.03.2016 11:04)Bunbury schrieb: [ -> ]Hier wird nicht die Völkerwanderung generell in Frage gestellt, sondern nur, ob Völkerwanderungen für die Seevölkerstürme am Ende der Bronzezeit im östlichen Mittelmeer verantwortlich sind.

Sicher ist, dass es Völkerverschiebungen im östlichen Mittelmeer um 1200 v. Chr. gab. Der Zusammenbruch der mykenischen Staatenwelt, die Wanderungen der Dorer und der Untergang des Hethiterreichs lösten Migrationen aus. Ein Beispiel dafür sind die Philister, die sich in dieser Zeit in Palästima niederließen, ferner die Seeschlacht von Ägyptern und Seevölkern, die ebenfalls gut durch ägyptische Quellen belegt ist.

Die Frage ist allerdings, ob Mykene durch einen Völkereinbruch vom nördlichen Balkan zusammenbrach, oder ob dafür innere Wirren oder gar ein Bürgerkrieg verantwortlich sind. Die Archäologen haben jedoch bis heute keine Funde gemacht, die auf eine Invasion von Kriegern aus dem Norden hindeuten.

Ist das tatsächlich so ? Ich bin bez. Seevölker und Untergang des Hethiterreiches auf einem sehr alten Stand. Damals gab es die Theorie, dass der trojanische Krieg Auslöser des Zuges der Seevölker und indirekt auch für den Untergang des Hethiterreichs verantwortlich gewesen sei. Hethiter sollen, so die These, mit Troja verbündet, die myken. Griechen mit Ägypten verbündet gewesen sein. Mykene soll erst kurz danach untergangen sein, aber nicht durch die dorische Wanderung, die wiederum erst um 900 und nicht um 1200 stattgefunden haben soll. Huh
(15.03.2016 15:14)Aguyar schrieb: [ -> ]Ist das tatsächlich so ? Ich bin bez. Seevölker und Untergang des Hethiterreiches auf einem sehr alten Stand. Damals gab es die Theorie, dass der trojanische Krieg Auslöser des Zuges der Seevölker und indirekt auch für den Untergang des Hethiterreichs verantwortlich gewesen sei. Hethiter sollen, so die These, mit Troja verbündet, die myken. Griechen mit Ägypten verbündet gewesen sein. Mykene soll erst kurz danach untergangen sein, aber nicht durch die dorische Wanderung, die wiederum erst um 900 und nicht um 1200 stattgefunden haben soll. Huh

Zunächst einmal: Ob es einen "Trojanischen Krieg" gab, wissen wir nicht. Wir wissen lediglich, dass Troja etwa um 1200 v. Chr. zerstört wurde, jedoch sind die Urheber dieser Zerstörung nicht bekannt.

In einigen Bereichen hat sich die Meinung der Wissenschaft geändert. Früher nahm man an, dass die Wanderung der Dorer ab 1200 v. Chr. den Untergang der mykenischen Kultur verursacht habe. Heute weiß man, dass die Dorer erst nach dem Untergang der mykenischen Staatenwelt nach Zentralgriechenland einwanderten, sie also bereits die zerstörte Palastkultur vorfanden. Somit bleibt der Grund für den Untergang Mykenes bis heute umstritten (Bürgerkrieg?, Implosion?, Klimawandel?, Invasion vom Balkan?).

Es mag sein, dass Troja von einem Beutezug mykenischer Griechen vernichtet wurde, doch gibt es dafür keine stichhaltigen Beweise.

Ferner nahm man früher an, dass das Hethiterreich von wandernden Bevölkerungsgruppen (Seevölker) zerstört wurde. Dagegen spricht schon die Tatsache, dass Hattusa ohne äußere Einwirkung um 1200 v. Chr. verlassen wurde. Heute nimmt man eher an, dass das Hethiterreich inneren Wirren, Thronstreitigkeiten oder einem Bürgerkrieg zum Opfer fiel und wandernde Gruppen ihm vielleicht den letzten Todesstoß versetzten.

Sicher ist, dass es um 1200 v. Chr. gravierende Veränderungen im östlichen Mittelmeer gab, die sicher mit Migrantenströmen verbunden waren. Welche Gruppen und "Völker" sich dahinter im einzelnen verbergen und ob es vielleicht nur ethnisch zusammengewürfelte räuberische Gruppen waren, ist unklar.
(15.03.2016 15:14)Aguyar schrieb: [ -> ]Ist das tatsächlich so ? Ich bin bez. Seevölker und Untergang des Hethiterreiches auf einem sehr alten Stand. Damals gab es die Theorie, dass der trojanische Krieg Auslöser des Zuges der Seevölker und indirekt auch für den Untergang des Hethiterreichs verantwortlich gewesen sei. Hethiter sollen, so die These, mit Troja verbündet, die myken. Griechen mit Ägypten verbündet gewesen sein. Mykene soll erst kurz danach untergangen sein, aber nicht durch die dorische Wanderung, die wiederum erst um 900 und nicht um 1200 stattgefunden haben soll. Huh

Es gibt ganz unterschiedliche Theorien zu dem Thema Seevölker und Trojanischer Krieg.
Ich persönlich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass die beiden Dinge, die ungefähr zur gleichen Zeit in der gleichen Region passierten (und im Gegensatz zu Dietrich neige ich dazu, den Trojanischen Krieg im Kern für wahr zu halten, wenn auch aus Gründen, die mit reiner Logik und eindeutig belegbaren Fakten nichts zu tun haben), nichts miteinander zu tun haben sollen, allerdings sind Ursache und Wirkung nicht eindeutig auszumachen.

Es gibt zum einen die Theorie, dass der Trojanische Krieg am Anfang der seevölkerinvasion stand, was u.a. durch die Herkunft einiger Seevölker aus dem Gebiet um Troja untermauert wird. Demnach bildeten die besiegten Trojaner, deren heimat zerstört würde, den Anfang der Seevölker.
Eine weitere, wesentlich kühnere und weitestgehend abgelehnte Theorie besagt, dass der trojanische Krieg stattfand, um die Seevölkerinvasion zu stoppen, also die Trojaner und ihre Verbündeten nach dem Zusammenhang des Hethitherreiches die ursprünglichen Seevölker bildeten.

Schon interessant, dass zwei unterschiedliche Theorien, in den Trojanern und ihren Verbündeten den Angfang der Seevölkerinvasion sehen...

Natürlich kann es sein, dass der trojanische Krieg letztendlich nur ein relativ bedeutungsloses Scharmützel im Zusammenbruchsdomino der Ägäis war. Die Ausgrabungen in Troja, nach denen Troja immer größere Ausmaße annimmt, sprechen aber dafür, dass Troja tatsächlich die Bedeutung hatte, die die Überlieferung ihm jahrhundertelang zuschrieb...

Es bleibt sicherlich spannend...
(15.03.2016 18:29)Bunbury schrieb: [ -> ]Es gibt ganz unterschiedliche Theorien zu dem Thema Seevölker und Trojanischer Krieg.
Ich persönlich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass die beiden Dinge, die ungefähr zur gleichen Zeit in der gleichen Region passierten (und im Gegensatz zu Dietrich neige ich dazu, den Trojanischen Krieg im Kern für wahr zu halten, wenn auch aus Gründen, die mit reiner Logik und eindeutig belegbaren Fakten nichts zu tun haben), nichts miteinander zu tun haben sollen, allerdings sind Ursache und Wirkung nicht eindeutig auszumachen.

Es gibt zum einen die Theorie, dass der Trojanische Krieg am Anfang der seevölkerinvasion stand, was u.a. durch die Herkunft einiger Seevölker aus dem Gebiet um Troja untermauert wird. Demnach bildeten die besiegten Trojaner, deren heimat zerstört würde, den Anfang der Seevölker.
Eine weitere, wesentlich kühnere und weitestgehend abgelehnte Theorie besagt, dass der trojanische Krieg stattfand, um die Seevölkerinvasion zu stoppen, also die Trojaner und ihre Verbündeten nach dem Zusammenhang des Hethitherreiches die ursprünglichen Seevölker bildeten.

Schon interessant, dass zwei unterschiedliche Theorien, in den Trojanern und ihren Verbündeten den Angfang der Seevölkerinvasion sehen...

Natürlich kann es sein, dass der trojanische Krieg letztendlich nur ein relativ bedeutungsloses Scharmützel im Zusammenbruchsdomino der Ägäis war. Die Ausgrabungen in Troja, nach denen Troja immer größere Ausmaße annimmt, sprechen aber dafür, dass Troja tatsächlich die Bedeutung hatte, die die Überlieferung ihm jahrhundertelang zuschrieb...

Es bleibt sicherlich spannend...

Verdächtig ist es ja schon, dass Seevölker, Trojanischer Krieg, Untergang des Hethiterreiches und der bronzezeitlichen Kulturen in etwa alle im gleichen Zeitraum verortet werden.
Man darf auch spekulieren, dass Homer mit dem trojanischen Krieg möglicherweise den Seevölkersturm dichterisch verarbeitet hat. Das Troja eine entspr. Bedeutung hatte, glaube ich auch. Das ergibt sich ja schon aus der Lage an den Dardanellen.

Zur Zeit meines veralteten "Wissenstands" hierzu wurde noch damit spekuliert, dass es sich bei "Creti und Plethi" aus dem alten Testament um Teile der Seevölker gehandelt hat, wobei Creti Kreter und Plethi Philister waren, wobei es sich bei den Philister eigentlich wiederum um Thraker gehandelt habe. Aber wie gesagt, diese Sichtweise ist tatsächlich uralt. Man glaubte übrigens damals auch, dass für das Ende der Minoier auf Kreta die Mykener verantwortlich gewesen seien.
Vielleicht solltest du zum Anfang des Threads zurückkehren- wir hatten hier vor drei jahren eine höchst interessante und sehr fruchtbare Diskussion über das Thema, das dein Wissen etwas aktualisiert. Ich bin heute immer noch begeistert, was da für tolle Sachen drin stehen....
(15.03.2016 23:23)Aguyar schrieb: [ -> ]Verdächtig ist es ja schon, dass Seevölker, Trojanischer Krieg, Untergang des Hethiterreiches und der bronzezeitlichen Kulturen in etwa alle im gleichen Zeitraum verortet werden.
Man darf auch spekulieren, dass Homer mit dem trojanischen Krieg möglicherweise den Seevölkersturm dichterisch verarbeitet hat.

Nein, das denke ich nicht, dafür waren die "Achaier" viel zu lang vor Troja zugange...kaut Homer 10 Jahre nämlich... sowas kann ein Dichter nicht einfach behaupten, das muss "common sense" gewesen sein, dass da eine zumindest langjährige Belagerung stattgefunden hat.

Und was die zeitliche Nähe betrifft....die Ereignisse lagen shcon noch mindestens einige Jahrzehnte teilweise auseinander. Das is eine ganze Menge in zeitgenössischen Maßstäben...und dann stellt sich auch immer noch die Frage nach dem Huhn und dem Ei. Was war am Anfang, was war Folge, was war Folge der Folge...

So weit ich weiß, geht man heute davon aus, dass der Trojanische Krieg eine letzte Anstrengung der mykenischen Staaten war, die wirtschaftliche Misere, die offenbar deutlich absehbar war, noch mal abzuwehren, indem man sich den freien Zugang zum Schwarzen Meer freikämpfen wollte....das war eventuell erfolgreich (siehe Zerstörungshorizont in Troja VI/VII), aber letzten Endes nutzlos, weil die mykenische Staatenwelt dann doch zugrunde ging. Der Untergang des Hethitischen Reichs vollzog sich über lange Zeit und hatte seinen Ursprung in erbitterten Thronstreitigkeiten. Auch das Hethiterreich ging wohl ohne Zutun der Seevölker zugrunde.
Es scheint relativ fest zu stehen, dass ein großer Teil der Seevölker aus dem west- und südanatolischen Raum sowie aus dem Ägäisraum stammten. Diese Völker setzten sich wahrscheinlich erst in Bewegung, als die mykenischen Staaten UND das Hethiterreich untergegangen waren bzw. in den letzten Zügen lagen (siehe der letzte Hilferuf des Königs von Ugarit an seinen Oberherren, den hethitischen König, der die Flotte von Urartu eben grade in dem Moment zur Abwehr von Seevölkern brauchte, als Ugarit selber von - wohl anderen - Seevölkern angegriffen wurde). Auch das altassyrische Reich war in Schwierigkeiten, ebenfalls nicht aufgrund der Seevölker, das scheint also auch in einen größeren Zusammenhang zu gehören als "nur" dem Seevölkersturm, der seinerseits wohl auch eher Folge als Ursache des Untergangs der meisten bronzezeitlichen Kulturen des östlichen Mittelmeerraums war.

VG
Christian
(17.03.2016 20:02)913Chris schrieb: [ -> ]Nein, das denke ich nicht, dafür waren die "Achaier" viel zu lang vor Troja zugange...kaut Homer 10 Jahre nämlich... sowas kann ein Dichter nicht einfach behaupten, das muss "common sense" gewesen sein, dass da eine zumindest langjährige Belagerung stattgefunden hat.

Wenn man die 10 Jahre als Basis nimmt, ist ein Zusammenhang mit den Seevölkern natürlich wenig wahrscheinlich.
Allerdings beschreibt Homer erst das letzte Jahr der Belagerung, indem er mit dem "Zorn des Achill" beginnt. Die 10jährige Belagerung halte ich für absolut unwahrscheinlich. Dagegen ist eine grundsätzliche, kriegerische Auseinandersetzung zwischen Mykene und Troja (und deren jeweiligen Verbündeten), welche 10 Jahre dauerte (mit verschiedenen Kriegs- und Plünderungszügen) und im letzten Jahr mit der Belagerung und Vernichtung Trojas endete, plausibler. Dazu würden auch die überlieferten Sagen, welche die Raubzüge von Achill und Ajax vor dem "Zorn des Achill" thematisieren, passen.
(17.03.2016 20:02)913Chris schrieb: [ -> ]Nein, das denke ich nicht, dafür waren die "Achaier" viel zu lang vor Troja zugange...kaut Homer 10 Jahre nämlich... sowas kann ein Dichter nicht einfach behaupten, das muss "common sense" gewesen sein, dass da eine zumindest langjährige Belagerung stattgefunden hat.

Ein Beutezug nykenischer Krieger und Seeleute liegt im Bereich des Möglichen, ist allerdings nicht beweisbar. Die bekannten zehn Jahre vor Troja sind sicher nicht wörtlich zu nehmen, sofern man überhaupt an einen Überfall der Achäer glauben will.

(17.03.2016 20:02)913Chris schrieb: [ -> ]Und was die zeitliche Nähe betrifft....die Ereignisse lagen shcon noch mindestens einige Jahrzehnte teilweise auseinander. Das is eine ganze Menge in zeitgenössischen Maßstäben...und dann stellt sich auch immer noch die Frage nach dem Huhn und dem Ei. Was war am Anfang, was war Folge, was war Folge der Folge...

Ob die Mykener bzw. Achäer noch von einer intakten Heimat aus segelten oder es sich bereits um eine räuberische Fluchtbewegung weg von der um 1200 v. Chr. zerstörten mykenischen Palastkultur handelte, ist unklar - immer vorausgesetzt, man hält einen solchen "Trojanischen Krieg" überhaupt für glaubhaft. Der Untergang von Troja VII a erfolgte genau auf der Schneide zwischen dem Untergang Mykenes und dem Trojas, d.h. um 1200 v. Chr.

(17.03.2016 20:02)913Chris schrieb: [ -> ]So weit ich weiß, geht man heute davon aus, dass der Trojanische Krieg eine letzte Anstrengung der mykenischen Staaten war, die wirtschaftliche Misere, die offenbar deutlich absehbar war, noch mal abzuwehren, indem man sich den freien Zugang zum Schwarzen Meer freikämpfen wollte....das war eventuell erfolgreich (siehe Zerstörungshorizont in Troja VI/VII), aber letzten Endes nutzlos, weil die mykenische Staatenwelt dann doch zugrunde ging. Der Untergang des Hethitischen Reichs vollzog sich über lange Zeit und hatte seinen Ursprung in erbitterten Thronstreitigkeiten. Auch das Hethiterreich ging wohl ohne Zutun der Seevölker zugrunde.

Der so genannte "Trojanische Krieg" Homers ist nicht beweisbar. Es gab im Verlauf der Jahrhunderte mehrfach Zerstörungen Trojas, deren Urheber wir nicht kennen. Allerdings war die letzte, deren Brandschicht mit VII a identisch ist, die gravierendste; und zwar insofern, als Troja danach kurzzeitig unbewohnt und später nur noch rudimentär bebaut und bewohnt war. Es finden sich archäologische Überreste, die einen völligen ethnischen Bevölkerungsaustausch nahelegen.

(17.03.2016 20:02)913Chris schrieb: [ -> ]Es scheint relativ fest zu stehen, dass ein großer Teil der Seevölker aus dem west- und südanatolischen Raum sowie aus dem Ägäisraum stammten. Diese Völker setzten sich wahrscheinlich erst in Bewegung, als die mykenischen Staaten UND das Hethiterreich untergegangen waren bzw. in den letzten Zügen lagen (siehe der letzte Hilferuf des Königs von Ugarit an seinen Oberherren, den hethitischen König, der die Flotte von Urartu eben grade in dem Moment zur Abwehr von Seevölkern brauchte, als Ugarit selber von - wohl anderen - Seevölkern angegriffen wurde).

Dem ist zuzustimmen. Während man früher annahm, eine Invasion barbarischer Kriegerscharen aus dem Norden (Balkan?, Mitteleuropa?) hätte Mylene und das Hethiterreich zerstört, geht man heute davon aus, dass innenpolitische Ursachen beide Reiche zum Einsturz brachten und es erst danach zu Flucht- und Migrantenströmen kam. Allerdings ist zu sagen, dass die Invasionstheorie nicht ganz vom Tisch ist und einige Wissenschaftler immer noch daran festhalten.

Was sich ethnisch hinter den so genannten "Seevölkern" verbirgt, ist weiter unklar, und Gegenstand zahlreicher Hypothesen - einmal abgesehen von den "Pelischtim" bzw. "Philistern", die als einizige eindeutig identifizierbar sinf.
(17.03.2016 20:02)913Chris schrieb: [ -> ]Nein, das denke ich nicht, dafür waren die "Achaier" viel zu lang vor Troja zugange...kaut Homer 10 Jahre nämlich... sowas kann ein Dichter nicht einfach behaupten, das muss "common sense" gewesen sein, dass da eine zumindest langjährige Belagerung stattgefunden hat.

Was ein Dichter ein paar Jahrhunderte später behauptet und was wirklich passiert ist, dürfte schon erheblich voneinander abweichen. (Als Beispiel könnte man auch die Artus-Legende nehmen....) Immerhin ist die Kultur, in der der trojanische Krieg statt fand, zerstört worden, und es hat sehr lange gedauert, bis man in der Gegend wieder von "Kultur" sprechen konnte. Von daher dürfte die Dichtung wohl vor allem auf Legenden und Überlieferungen basieren- und somit deutlich verzerrt worden sein... Nein, ich würde Homers Aussagen nicht wirklich wörtlich nehmen, um etwas aus der Zeit zu belegen... Wer weiß, was hinter diesen 10 Jahren steckt. Am Ende etwas vergleichbares wie der 100 jährige Krieg zwischen Frankreich und England...

(17.03.2016 20:02)913Chris schrieb: [ -> ]Und was die zeitliche Nähe betrifft....die Ereignisse lagen shcon noch mindestens einige Jahrzehnte teilweise auseinander. Das is eine ganze Menge in zeitgenössischen Maßstäben...

Ich weiß nicht, ob ich das so unterschreiben würde. Die ganzen Berichte stammen aus unterschiedlichen Kulturen und wurden zu unterschiedlichen Zeiten aus unterschiedlichen Blickwinkeln verfaßt. "Die Seevölker", die Ugarti zerstörten, müssen nicht zwangsläufig identisch mit "den Seevölkern" sein, die Ägypten überfielen, der ganze Seevölkersturm keine lineare Bewegung, die rechts oben in der Ägäis begann und dann unten in Ägypten endete. Manche Datierungen widersprechen sich, manche bauen aufeinander auf, ohne dass klar ist, ob das bezugsdatum überhaupt das richtige ist.

(17.03.2016 20:02)913Chris schrieb: [ -> ]So weit ich weiß, geht man heute davon aus, dass der Trojanische Krieg eine letzte Anstrengung der mykenischen Staaten war, die wirtschaftliche Misere, die offenbar deutlich absehbar war, noch mal abzuwehren, indem man sich den freien Zugang zum Schwarzen Meer freikämpfen wollte....

Die Bronzezeit hatte ihre Blüte dem Handel zu verdanken. Metalle und Erze wurden über lange, alte und etablierte Handelsrouten getauscht und verarbeitet, daran besteht wohl kein Zweifel. Und der Wohlstand aller daran beteiligten Staaten oder Städte hing davon ab, dass der Handel funktionierte.
Insgesamt war das System am Ende der Bronzezeit aber zu statisch. Es gab keine Flexibilität mehr, alle möglichen Routen waren schon in fester Hand. Es gibt auch Hinweise darauf, dass bestimmte Waren nur an bestimmten Orten gefertigt werden konnten, wenn die entprechenden Rohstoffe vorhanden waren (soweit ich weiß, ist dies z.B. für die Metallverarbeitung in Troja belegt, aber ich meinte mich dunkel zu erinnern, dass es auch andere Spezialisierungen gab).
Als dann am Ende der Bronzezeit der erste Dominostein fiel (wahrscheinlich das Hethiterreich), war der Wohlstand aller bedroht. Und die Verteilungskämpfe begannen...



(17.03.2016 20:02)913Chris schrieb: [ -> ]Auch das altassyrische Reich war in Schwierigkeiten, ebenfalls nicht aufgrund der Seevölker, das scheint also auch in einen größeren Zusammenhang zu gehören als "nur" dem Seevölkersturm, der seinerseits wohl auch eher Folge als Ursache des Untergangs der meisten bronzezeitlichen Kulturen des östlichen Mittelmeerraums war.

Auch hier würde ich einen Zusammenbruch der Handelsbeziehungen als Ursache vermuten...
(18.03.2016 17:17)Bunbury schrieb: [ -> ]Nein, ich würde Homers Aussagen nicht wirklich wörtlich nehmen, um etwas aus der Zeit zu belegen...

Kein Historiker nimmt Homers Dichtung wörtlich. Immerhin ist er bereits 400 Jahre von den Ereignissen um Mykene und Troja entfernt. Aber ein wahrer Kern steckt wohl schon dahinter, der immerhin Schliemann zum Berg Hissarlik führte. Dennoch ist bis heute umstritten, ob die Stadt unter dem Siedlungshügel Hissarlik tatsächlich mit dem legendären Trola identisch ist. Bislang gab es lediglich hethitische Hinweise auf eine Stadt und eine Region Wilusa, deren Identität mit "Troja" umstritten ist.

(18.03.2016 17:17)Bunbury schrieb: [ -> ]Die Seevölker", die Ugarti zerstörten, müssen nicht zwangsläufig identisch mit "den Seevölkern" sein, die Ägypten überfielen,

Schon aus der Aufzählung der Seevölker im ägyptischen Grabtempel Medinet Habu geht hervor, dass wir es bei den so genannten "Seevölkern" mit verschiedenen Gruppen zu tun haben, die ethnisch unterschiedlicher Herkunft sind. Vermutlich gab auch ethnisch gemischte plündernde Haufen. Welche ethnische Gruppe nun wo in Aktion trat, lässt sich heute nicht mehr entscheiden.
(19.03.2016 17:10)Dietrich schrieb: [ -> ]Kein Historiker nimmt Homers Dichtung wörtlich. Immerhin ist er bereits 400 Jahre von den Ereignissen um Mykene und Troja entfernt. Aber ein wahrer Kern steckt wohl schon dahinter, der immerhin Schliemann zum Berg Hissarlik führte. Dennoch ist bis heute umstritten, ob die Stadt unter dem Siedlungshügel Hissarlik tatsächlich mit dem legendären Trola identisch ist. Bislang gab es lediglich hethitische Hinweise auf eine Stadt und eine Region Wilusa, deren Identität mit "Troja" umstritten ist.

Du bist wirklich ausgeprochen zurückhaltend mit Meinungsäußerungen.Smile Ein Stück weit schade ist das schon, weil du sehr gut informiert bist.
Ich habe mich auch falsch ausgedrückt- ich bezog mich auf Chris´Aussage, kein Dichter könne eine 10jährige Belagerung behaupten, wenn sie vorher nicht "Common Sense" gewesen ist. Auch so weit würde ich nicht gehen. Selbst, wenn das in einer Region Allgemeinwissen war, muss es nicht stimmen, und es kann in einer anderen Region ein anderes Allgemeinwissen geben.
Wie du sagst, es liegen 400 Jahre dazwischen, und die Überlieferung dürfte überall ein bißchen anders gewesen sein.
ich weiß, dass die mehrheit der Wissenschaftler annimmt, "Wilusa" sei mit Troja identisch, aber ich habe auch mindestens eine sehr überzeugende Stellungnahme dagegen gelesen. Aber als Laie kann ich nicht unbedingt immer beurteilen, was erwiesen und was nur eine Schlussfolgerung des entsprechenden Wissenschaftlers ist.

(18.03.2016 17:17)Bunbury schrieb: [ -> ]Die Seevölker", die Ugarti zerstörten, müssen nicht zwangsläufig identisch mit "den Seevölkern" sein, die Ägypten überfielen,

Schon aus der Aufzählung der Seevölker im ägyptischen Grabtempel Medinet Habu geht hervor, dass wir es bei den so genannten "Seevölkern" mit verschiedenen Gruppen zu tun haben, die ethnisch unterschiedlicher Herkunft sind. Vermutlich gab auch ethnisch gemischte plündernde Haufen. Welche ethnische Gruppe nun wo in Aktion trat, lässt sich heute nicht mehr entscheiden.
[/quote]

Richtig. Deswegen lassen sich ja so herrliche Theorien spinnen... Man muss halt nur wissen, dass es lediglich eine Theorie ist...
(19.03.2016 17:10)Dietrich schrieb: [ -> ]Vermutlich gab auch ethnisch gemischte plündernde Haufen. Welche ethnische Gruppe nun wo in Aktion trat, lässt sich heute nicht mehr entscheiden.

Das schon, die Ägypter haben da recht schön "Buch" geführt...und z.B. auch einige dieser "ethnisch gemischten Haufen" in Medinet Habu dargestellt...Wink

Siehe meine obigen Mails, in denen ich versucht habe, die "Haufen" mal etwas aufzuschlüsseln...Wink
Ja,ja, deswegen verweise ich ja auch immer wieder auf den Anfang des Threads. Das war wirklich große Klasse von dir.Smile

Aber soweit ich mich entsinne, waren schon die ägyptischen Quellen nicht völlig übereinstimmend und es bleibt offen, ob die Völker, die die eine ägyptische Quelle nun erwähnt, bei der anderen nicht dabei waren oder ein wenig anders hießen.
Auch kann nicht ausgeschlossen werden, dass die eine ägyptische Quelle die andere zu Rate gezogen hat, um Ordnung in das Chaos zu bringen- ich mache das auch manchmal so (ich schaue zum Beispiel nach, was du geschrieben hast und forsche nicht mehr selbst... Wink)- und ich glaube nicht unbedingt daran, dass Faulheit jetzt nur mein persönliches Markenzeichen ist und vor 3000 Jahren nicht verbreitet war...

Welche Gruppen jetzt außerhalb Ägyptens zu Gange waren, läßt sich zum Teil gar nicht mehr belegen. Von daher... Alles ist möglich im Seevölkersturm...
(19.03.2016 18:43)913Chris schrieb: [ -> ]Das schon, die Ägypter haben da recht schön "Buch" geführt...und z.B. auch einige dieser "ethnisch gemischten Haufen" in Medinet Habu dargestellt...Wink

Wir finden in Medinet Habu die Namen der so genannten "Seevölker". Unklar bleibt bis heute, welche Ethnien oder "Völker" sich hinter diesen Namen verbergen, aus welchen Gegenden sie kamen und was der Grund des Aufbruchs war.

Das ist schließlich der Grund dieses Threads! Big Grin
Die Seevölker – eine Theorie von Günter Lüling
2013 veröffentlichte G. Lüling seine Theorie über die Seevölker und die Widerspieglung der Ereignisse im AT und in der Argonautensaga der Griechen.
Hier eine Kurzzusammenfassung nach meinem Verständnis der Problematik:
Lüling nimmt im Gegensatz zu den Archäologen die Inschriften im Totentempel von Ramses III. in Medinet Habu für bare Münze. Gleichzeitig fußt er auf Erkenntnissen von Finkelstein u. Silbermann (Keine Posaunen vor Jericho).
Die Seevölker als Stammesverbände semitischer und nicht semitischer Kämpfer gelangen in mehreren Zügen bis ins Nildelta, wo sie vernichtend geschlagen wurden. Danach siedeln sich Teile in Palästina an. Beim Auszug der Israeliten aus Ägypten unter Führung Moses handelt es sich nach Lüling tatsächlich um die Flucht der Seevölkerüberreste nach Norden, ohne in Ägypten gelebt zu haben. Die Führer der Israeliten Josua und Moses sind tatsächlich die Anführer der Argonauten Jason und Mopsos. Die im Totentempel von Ramses III. genannten „aqaywasa“ sind dort eindeutig den Beschnittenen zugeordnet, werden aber von der Wissenschaft mit den „Archäern“ identifiziert. Mopsos/Moses wird in der Argonautensaga als „Seher“ bzw. geistiger Führer wahrgenommen. Seine Zwiesprache mit Gott auf dem Berg Sinai erfolgte sehr wahrscheinlich auf dem Berg Mousa Dag, der an der Mittelmeerküste und an der heutigen Landesgrenze von Syrien und der Türkei liegt. Auf seinem Plateau ist eine ca. 10 m dicke Ascheschicht auf einer Fläche eines halben Fußballfeldes gefunden worden. Dort wurde ausschließlich eine Dornenbuschart verbrannt, die auf diesem Berg wächst. Übrigens heißt „Sinai“ Dornbusch. Dieser Berg und seine Flammen- bzw. Rauchsäule diente den Seefahrern der Antike als Navigationshilfe. In Anatolien gab es bis in griechische Zeiten Heiligtümer, die Mopsos geweiht waren. In den Inschriften von Medinet Habu ist auch verzeichnet, von wo die Seevölker ursprünglich gekommen waren, nämlich von den Inseln im nördlichen neunten Bogen des „Weltmeeres“. Auch wird in einem Sandsteinrelief angegeben, dass die Seevölker von einem Ort kommen, wo die Himmelssäule (hebrä.: kaphtor; altägypt.: keftiu) als Dreh- und Angelpunkt des Himmelsgewölbes (also unterm Polarstern) steht. Die Wissenschaft folgt hier bei ihrer Gleichsetzung Kaphtor=Kreta Jean Vercoutter, der 1956 diese Gleichsetzung salonfähig machte: „Man erkennt, in gleicher Weise, dass die (altägyptischen) Schreiber sich erinnerten, dass das Gebiet von Keftiu seine Lage an den nördlichen Enden der bekannten Welt hat[…] Die Tatsache, dass Keftiu klar und deutlich verbunden ist mit Meer und mit den Inseln der äußersten nördlichen Grenzen, unterstützt seine Lokalisation in Kreta oder in der ägaischen Welt.“ – Wahrlich eine tolle Beweisführung!
Die Hebräer – heute Synonym für Israeliten sind nach Lüling die waffenlosen Beisassen minderen Rechtes autochtoner Stämme. Wörtlich heißt Hebräer – die über Grenzen gehen, es handelt sich vermutlich um Stammesmitglieder, die nicht über Grundbesitz verfügten und deshalb eine Tätigkeit als Spezialisten wie Bergleute, Schmiede, Fernhändler, Seefahrer usw. ausübten und damit auch ihr Stammesgebiet verließen. Bei ihren Gaststämmen genossen sie Gastrecht, durften dafür aber keine Waffen tragen. Aufgrund einer noch nicht aufgeklärten Naturkatastrohe mussten die Sachsen und Friesen ihre Stammesgebiete verlassen und sind gemeinsam mit ihren Hebräern Richtung Süden entlang der Donau oder über die Alpen gezogen. In den Seevölkernamen „Sakker und Philister erkennt Lüling die Sachsen und Friesen.
Die Argonauten kommen unter der Führung von Jason und Mopsos bis Askalon (20 km nördlich von Gaza an der heutigen Grenze von Ägypten. Dort ertränkt Mopsos Gegner. Es kann sich dabei eigentlich nur um den Sirbonis-See 100 km südlich von Gaza handeln, da bei Askalon kein See existiert.
Herodot schreibt in seinen Werken über einen Amphylochos – der mit den beidseitig geglätteten und beschriebenen Tafeln – einem Gesetzesgeber. Mopsos wird von ihm nicht genannt.
Es gibt wohl einen Grund, warum diese These weithin unbekannt ist: Sie macht keinen Sinn.
Erstens ist der Name Mose viel älter als die ältesten Belege von "Mopsos" und Mose ist im Grunde auch ein ägyptischer Name (Vgl. Ahmose, Ramses = Ramose, Thutmosis etc....) und bedeutet so viel wie "gebären".
Zweitens: Beschneidung gab´s nicht nur bei den Israeliten/Hebräern. Man muss also nicht zwanghaft bei der ersten Erwähnung von Beschneidung an die Hebräer denken.
Drittens: Dornbüsche zu verbrennen ist nun wirklich kein Wunder, denn die gab´s im ganzen Nahen Osten, sie waren hinderlichund brannten gut, was lag also näher, als sie zu benutzen, wenn hoch lodernde Feuer benötigt wurden?
Viertens: "Hebräer" bedeutet tatsächlich "Grenzgänger", damit benannten die Ägypter aber keine fahrenden Handwerker etc., sondern schlicht die Nomaden der Halbwüsten gegenden Palästinas und des heutigen Jordanien. Diese "Hapiru" unterstanden lange Zeit ägyptischer Oberhoheit (daher die ägyptische Bezeichnung, die von diesen Leuten dann auch als Selbstbezeichnug übernommen wurde) und lebten in der Nachbarschaft der Kanaaniter, die im Grunde nichts anderes waren als Phönizier. Die Kanaaniter lebten in Städten, die Hapiru nomadisch. Die Übernahme der Kanaaniterstadt Jerusalem als Herrschaftssitz durch den Hapiru-Fürsten David markierte deshalb den Beginn des Israelitischen Reichs; die große Leistung der frühe Könige war nicht die pure Eroberung von Land (wie es noch der noch mehr als David mythenhafte Saul von seinem nomadenhaften Zelt-Regierungssitz aus machte), sondern die Verschmelzung der Kanaaniter und der Hebräer zu einem Volk, dem der Israeliten. Allerdings dürfte dieser Prozess nicht im südlich gelegenen Juda stattgefunden haben, sondern - ich folge hier Finkelstein - im nördlich gelegenen Reich Israel, wo schon viel früher als im Süden eine Stadtkultur feststellbar ist, in der die Eisenzeit Einzug gehalten hat.

Keiner Diskussion bedarf die wagemutige These, die Friesen wären die Vorfahren der Philister. Schon lautlich passt hier gar nix zusammen, zeitlich und historisch schon gleich gar nicht...

Mein Fazit: Pure Fantasie, was sich Lüling hier zusammengereimt hat.
(23.03.2016 12:50)913Chris schrieb: [ -> ]Es gibt wohl einen Grund, warum diese These weithin unbekannt ist: Sie macht keinen Sinn.

Die Hypothesen von Günter Lüling sind lediglich fantasievoll und natürlich überhaupt nicht belegbar.
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Velikovsky hat in seinem Buch "Die Seevölker" eine Abb. zu Kacheln aus dem Palast v. Ramses III. Diese Kacheln tragen auf ihrer Rückseite griechische Buchstaben.
(23.03.2016 14:50)Rainer schrieb: [ -> ]Velikovsky hat in seinem Buch "Die Seevölker" eine Abb. zu Kacheln aus dem Palast v. Ramses III. Diese Kacheln tragen auf ihrer Rückseite griechische Buchstaben.

Das ist nicht verwunderlich, da unter den Seevölkern sicher auch Migrantengruppen aus dem untergegangenen Mykene waren.
Nun zumindest hat es mich verwundert. Die Mykener sollen ja Linear B als Schrift benutzt haben. Das griechische Alphabet ist wohl aus dem phönizischen entwickelt.
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