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Normale Version: Phryger = Seevölker in Anatolien?
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(30.11.2015 20:23)913Chris schrieb: [ -> ]Und was hat jetzt die Einwanderung mittelueropäischer Ur-Italiker nach Italien mit der Seevölkerbewegung zu tun, die viel weiter südlich stattfand?!?

Stämme aus dem heutigen Italien werden immer wieder als Teile der Seevölker genannt. Das auch die Illierer Vorfahren aus Mitteleuropa hatten, neben Alteuropäern vom Balkan und Indoeuropäern von nördlich des Schwarzen Meers ist wahrscheinlich.
Die Dominotheorie beginnend auch in Mitteleuropa ist also nicht vom Tisch.
@Paul, da gebe ich dir (ausnahmsweise) mal recht.
Die Stämme aus dem heutigen Italien, die sich mittels der Namen als (mögliche) Teile der Seevölker identifizieren lassen, sind die Sikeler (die eventuell mit den Sikulern von Sizilien identifizierbar sind) und die Schardana (die man mit den Sarden in Verbindung bringt). Bei beiden ist aber unklar, ob sie vor dem Seevölkersturm schon hier saßen oder erst nach dem Seevölkersturm hier quasi zur Ruhe kamen.
Und bei beiden Völkern ist es ganz und gar nicht ausgeschlossen, dass nur eine Namensähnlichkeit vorliegt!

Auch dass die Vorfahren der Griechen aus dem nördlicher gelegenen Balkan stammen, kann man so nicht stehen lassen. Die Mykener sprachen bereits einen frühgriechischen Dialekt, es kann sich also nicht um einen regelrechten Bevölkerungsaustausch gehandelt haben. Nur die Schrift war nach den "Dark Ages" eine andere, und zwar entstand sie unter phönizischem Einfluss; also auch hier spricht nichts dagegen, anzunehmen, dass die Mykener langsam aber sicher sich zu Griechen entwickelten, unter Einfluss von neu hinzugekommenen Einwanderergruppen, die aber erst NACH dem Seevölkersturm in Griechenland Fuß fassten...die Seevölkergruppen, die mit Griechenland bzw. dem Ägäisraum in Verbindung zu bringen sind, stammen aus diesem Raum und haben ihn nicht etwa auf einer Wanderung nur durchquert!

VG
Christian
(02.12.2015 18:49)913Chris schrieb: [ -> ]Auch dass die Vorfahren der Griechen aus dem nördlicher gelegenen Balkan stammen, kann man so nicht stehen lassen.

Im allgemeinen nimmt man an an, dass Griechenland ursprünglich von einer altmediterranen Bevölkerung besiedelt war, wie es sie rund um das Mittelmeer gab. Etwa 2200 v. Chr. kam es zu einem Einbruch indoeuropäischer Sprachträger, die sich im Verlauf einiger Jahrhunderte mit der autochthonen Bevölkerung vermischten. Aus dieser Synthese gingen die Griechen bzw. zunächst ihre mykenischen Vorfahren hervor, die man wegen ihrer altgriechischen Sprache durchaus als frühe Griechen bezeichnen kann.

Woher die indoeuropäischen Gruppen kamen, die Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. auf die Balkanhalbinsel einwanderten, ist ungeklärt. Vielfach wird ein Einströmen von Norden angenommen, jedoch gibt es auch eine Hypothese, die eine Einwanderung aus Kleinasien annimmt.
Wenn man davon ausgeht,dass die Seevölker Wanderungsbewegungen weterer Völker auslösten und diese Völker zum Teil integrierten oder unterwarfen stellt sich die Frage, woher sie kamen und was wiederum ihre eigene Expansion und Wanderungsbewegung auslöste.
Dazu gibt es primär folgende Faktoren: Überbevölkerung,Natur- und Klimakatastrophen oder Verdrängung durch stärkere Mächte,
Man sollte daher vielleicht auf der Suche nach den Seevölkern zunächst einmal versuchen ,deren Herkunftsgebiet zu verorten bzw, im Bereich der Mittelmeer-Schwarzmeer-Region nach Bereichen suchen,die damals von diesen Faktoren betroffen waren.
(05.03.2016 13:00)zaphodB. schrieb: [ -> ]Wenn man davon ausgeht,dass die Seevölker Wanderungsbewegungen weterer Völker auslösten und diese Völker zum Teil integrierten oder unterwarfen stellt sich die Frage, woher sie kamen und was wiederum ihre eigene Expansion und Wanderungsbewegung auslöste.

Bis heute ungeklärt ist die Frage, woher die "Seevölker" kamen, die um 1200 v. Chr. das östliche Mittelmeer und alle Küsten beunruhigten. Es gibt zahlreiche Hypothesen über ihre Herkunft, die mit der großen Ägäischen Wanderung um 1200 v. Chr. zusammenhängen oder identisch sein soll.

Vielfach begnügt man sich mit der Feststellung, die Seevölker kämen aus der "Ägäis". Nun ist die Ägäis aber ein überschaubares Meer mit vielen kleinen Inseln, das unmöglich die Heimat einer so großen Völkerwoge sein kann, die - nach einer Hypothese - das Hethiterreich und Mykene zum Einsturz brachte, Vorderasien überschwemmte und dem Pharao die gewaltige Schlacht im Nildelta lieferte. Wo also kamen die Seevölker her?

Eine häufig zu findende Hypothese geht von einem Dominoeffekt aus: Von der Donau aus schoben sich Völker über den Balkan und stießen damit eine Wanderung Richtung Süden an. Es ist bemerkenswert, dass das mykenische Griechenland vermutlich das erste Opfer dieser "ägäischen Wanderung" war, was zeigt, dass der Völkerstoß von Norden erfolgte. Er ging dann über die Ägäis hinaus und spaltete sich in zwei Zweige: einer verlief über Kreta und Zypern, die beide erobert wurden, nach Palästina und Vorderasien hinein. Der andere Zweig stieß nach Kleinasien hinein, wo das Hethiterreich unterging (vielleicht auch Troja?), und verlief von dort aus entlang der Mittelmeerküste über Syrien weiter nach Süden. Dass es an Ägyptens Grenzen um 1200 v. Chr. zu Auseinandersetzungen mit wandernden Volksgruppen kam, ist, sunter Historikern unumstritten. Ob es nun zu Koalitionen kam und wie weitreichend die gewesen könnten, ist heute nicht mehr zu entscheiden.

Interessant sind die Namen der beteiligten Seevölker wie z.B. Akawa, Turus, Lukku, Schardin oder Sakalus, in denen man die späteren Tyrsener (Etrusker), Lykier sowie die späteren Besiedler Sardiniens und Siziliens erkennen möchte. Zu den Seevölkern zählen auch die "Pulsate" (auch: Peluschtim), die als "Philister" in Palästina ansässig wurden.

Es gibt freilich auch die Hypothese, dass es überhaupt keine Wanderung gegeben hätte und die postulierten Seevölker ein Mythos seien. Das Reich der Hethiter sei danach allein durch innere Wirren oder einen Bürgerkrieg zugrunde gegangen, Mykene und die mykenische Kultur seien lediglich durch Naturkatastrophen oder einen Bürgerkrieg oder die Implosion des feudalen Systems ausgelöscht worden. Dem stehen allerdings die ägyptischen Quellen entgegen. Auch wenn dort lobpreisend geschrieben wird, so ist die Seeschlacht im Nildelta nicht ins Reich der Fanatasie zu verweisen. Was für die Ägypter nach Koalitionen ausgesehen hat, war vermutlich ein Dominoeffekt, in dessen Verlauf weitere Bevölkerungsgruppen mitgerissen wurden.

Ob und inwieweit diese Hypothesen und Spekulationen zutreffen, ist umstritten. Auf jeden Fall gab es in der Zeit zirka um 1200 v. Chr. Umwälzungen und Verschiebungen im östlichen Mittelmeerraum. In deren Verlauf ging um 1200 v. Chr. die mykenische Palastkultur unter, ferner das Reich der Hethiter, in Palästina wurden die Peleset/Philister als eines der Seevölker angesiedelt und in Palästina erscheinen die landnehmenden Hebräer.

Hier die Nachricht der Ägypter über ihre Begegnung mit den Seevölkern:

"Die Völker der Meere schlossen sich auf ihren Inseln zu einer Verschwörung zusammen. Sie hatten den Plan, die Hand auf alle Länder der Erde zu legen. Kein Land hielt ihren Angriffen stand. Von Hatti an wurden zu gleicher Zeit vernichtet: Qadi, Karkemiš, Arzawa und Alašija. Ihr Lager schlugen sie an einem Ort in Amurru auf. Sie zerstörten die Länder so, als ob sie nie existiert hätten. Sie kamen, bereiteten ein Feuer vor ihnen und sagten: „Vorwärts nach Ägypten”. Verbündet waren mit ihnen die Peleset, Tjeker, Šekeleš, Danu und Wašaš. Ihre Herzen waren voller Vertrauen: „Unsere Pläne gelingen” sagten sie zuversichtlich.“
(Übersetzung der Inschrift (Zeilen 16-17): John Wilson In: James B. Pritchard: Ancient Near Eastern: Texts relating to the Old Testament (3. Auflage), Universal Press, Princeton 1969, S. 262)
(05.03.2016 13:00)zaphodB. schrieb: [ -> ]Wenn man davon ausgeht,dass die Seevölker Wanderungsbewegungen weterer Völker auslösten und diese Völker zum Teil integrierten oder unterwarfen stellt sich die Frage, woher sie kamen und was wiederum ihre eigene Expansion und Wanderungsbewegung auslöste.
Dazu gibt es primär folgende Faktoren: Überbevölkerung,Natur- und Klimakatastrophen oder Verdrängung durch stärkere Mächte,
Man sollte daher vielleicht auf der Suche nach den Seevölkern zunächst einmal versuchen ,deren Herkunftsgebiet zu verorten bzw, im Bereich der Mittelmeer-Schwarzmeer-Region nach Bereichen suchen,die damals von diesen Faktoren betroffen waren.

Wenn du ein paar Seiten und ungefähr drei Jahre zurück gehst, kannst du sehen, dass Chris sich genau diese Mühe gemacht hat...
(05.03.2016 14:10)Dietrich schrieb: [ -> ]Vielfach begnügt man sich mit der Feststellung, die Seevölker kämen aus der "Ägäis". Nun ist die Ägäis aber ein überschaubares Meer mit vielen kleinen Inseln, das unmöglich die Heimat einer so großen Völkerwoge sein kann, die - nach einer Hypothese - das Hethiterreich und Mykene zum Einsturz brachte, Vorderasien überschwemmte und dem Pharao die gewaltige Schlacht im Nildelta lieferte. Wo also kamen die Seevölker her?

Mich würde interessieren, von welcher Personenanzahl du ausgehst. Soweit ich weiß, ist die genaue Anzahl nirgendwo überliefert, und keiner kann so genau sagen, ob die ganzen Berichte unterschiedlicher Quellen Mehrfachzählungen enthalten. Mit der "großen Völkermenge" zu argumentieren, ist höchst spekulativ- auch der von dir nachfolgend zitierte Bericht aus Ägypten bietet keine eindeutige Antwort. Denn man erfährt nichts über die Kontingente der beteiligten Völker. Es gibt noch nicht einmal einen Beweis dafür, dass tatsächlich alle genannten Völker bei allen Zerstörungen dabei waren- gut möglich, dass sich z.B. nach der Zerstörung von Arzawa (oder anderer) nicht auch "Arzawaner" den Invasoren angeschlossen haben und sich so die Anzahl vergrößert hat....
Meine Theorie ist folgende:
ab Mitte des 13 Jhdts bis zum Ende des 12.Jhdts v. Chr. ist eine Phase extremer Klimaveränderungen nachgewiesen,die vermutlich Auslöser der dorischen Einwanderung ins mykenische Griechenland und die Ägäis waren. Gleichzeitig kam es im Gebiet des östlichen Mittelmeeres zu extremen Trockenphasen ,die zu Versorgungsproblemen im Hethiter-Reich führten .die so erheblich waren,dass ab 1210 v. Chr. Ägypten die in Not geratenen Hethiter mit Getreidelieferungen unterstützte.
Folge könnte gewesen sein ,dass die Hethiter ihre Hilfstruppen,wie die Mitanie ,Dardunu, Meša , Mawuna r Yaruna , Pidasa und Kelekeš.nicht mehr bezahlen konnten. Wenn die sich mit den verdrängten Mykenern und expandierenden Dorern verbunden haben und die ägyptischen Getreidelieferungen unterbunden haben musste das Hethiterreich früher oder später zusammenbrechen
Nette Theorie. Über den Klimawandel muss ich mich erst noch einmal schlau machen, aber die Theorie der dorischen Einwanderung um die Zeit gilt heute als widerlegt. Einfach deshalb, weil Artefakte und Schriftformen, die den Dorern zugeschrieben werden, erst zwei- bis dreihundert Jahre später nachweisbar sind.
Vereinzelt mögen Dorer zu jener Zeit eingewandert sein, aber momentan sieht es eher so aus, als hätten die Dorer nicht die Achäer verdrängt, sondern sich in Ländereien niedergelassen, in denen die Achaiche Führungsstruktur zusammen gebrochen war.
Auch gilt es vielerseits als belegt, dass das hethtische Reich aus politischen Gründen zusammenbrach. Klimaprobleme haben die Situation sicherlich verschärft und möglicherweise beschleunigt, aber nicht ausgelöst und sind als einzige Ursache nicht sehr wahrscheinlich. Aber wie gesagt, dass muss ich mir noch mal näher anlesen....
Dass der Zusammenbruch eines so großen Reiches wie das der Hethiter nicht einer unmittelbaren Ursache zuzuschreiben ist ist klar, das hab ich ja auch darzustellen versucht,
Die Kombination aus Missernten, inneren und äüßeren Unruhen und dem Zusammenbrechen des Handels und der Versorgungswegehat das System so geschwächt, dass der Zusammenbruch unausweichlich kam.
Aber all diese Faktoren mußten ja ihrerseiits wieder Ursachen und Auslöser haben.

Sieht man Ägypten , das in dieser Zeit vom Klimawandel offenbar weniger betroffen war und damals über eine halbwegs gesicherte Versorgung verfügte, dann konnte man da die Seevölker und auch die Lybier abwehren.
Genau deswegen, weil die Ägypter vom Klimawandel nicht ( so sehr?) betroffen waren, habe ich meine Zweifel an der Bedeutung des Klimawandels für den Zusammenbruch der Ordnung in der Ägäis am Ende der Bronzezeit. Mißernten waren nur ein Faktor, aber eben nur ein relativ kleiner. Ein bewegliches Reich ist auch immer wieder im Stande, sich an klimatische Veränderungen anzupassen, wenn sie über einen längeren Zeitraum anhalten.
Wenn es das Hethiterreich nicht konnte, ist das ein Beweis dafür, dass es seine Grenzen bereits überschritten hatte und zu starr geworden war.

Wir neigen dazu, Dinge mit bekanntem zu erklären. So wird oftmals die dorische Wanderung als Ursache angenommen, weil die Goten später dem römischen Imperium den Todesstoß versetzten. Daß eine lang anhaltende Dürre ein großes Reich zerstörte, ist entweder für die Inka oder die Maya (mit den alten Kulturen Mittel- und Südamerikas habe ich es nicht so) belegt- eben auch, weil es zu starr geworden war.

In der Ägäis zum Ende der Bronzezeit haben wir eine Situation, die nicht belegt ist und vermutlich auch nicht verglichen werden kann. Obwohl- vielleicht müßten da die Fernost- Spezialisten ran, vielleicht gibt es ja da etwas.

Aber daß die Zerstörung der Heimat Flüchtlingsströme verursacht, sieht man in der Gegenwart. Von daher- vielleicht ist auch das schon mal dagewesen. Und von daher- vielleicht entzündete der trojanische Krieg ja tatsächlich eine Kettenreaktion....
(05.03.2016 17:24)Bunbury schrieb: [ -> ]Mich würde interessieren, von welcher Personenanzahl du ausgehst. Soweit ich weiß, ist die genaue Anzahl nirgendwo überliefert, und keiner kann so genau sagen, ob die ganzen Berichte unterschiedlicher Quellen Mehrfachzählungen enthalten.

Wie viele Menschen die so genannten Seevölker umfassten, ist natürlich nicht bekannt. Immerhin aber waren die wandernden Bevölkerungsgruppen so stark, dass sie wie die Philister einen Staat bilden konnten oder den Pharao in der berühmten Schlacht im Nildelta einen langen Kampf lieferten - bei dem sie allerdings unterlagen. Der Angriff der Seevölker veranlasste Ramses III. um 1180 zu diesem Text aus seinem Totentempel in Medinet Habu:

"15 Ich [Ramses III] schütze es [Ägypten], (16) indem ich (für es) die Neunbogen abwehre. Die Fremdländer vollzogen alle zusammen die Trennung von ihren Inseln. Es zogen fort und verstreut sind im Kampfgewühl die Länder auf einen Schlag. Nicht hielt irgendein Land vor ihren Armeen stand; und die Länder von Ḫatti, Qadi, Qarqemiš, Arzawa, (17) und Alasia an waren (nun) entwurzelt auf [einen Schlag]. Es wurde ein Lager aufgeschlagen an einem Ort im Inneren von Amurru. Sie vernichteten seine Leute und sein Land, als sei es nie gewesen. Sie kamen nun, indem die Flamme vor ihnen bereitet war, vorwärts gegen Ägypten, ihre Zwingburg (?). (18) Die Peleset, Tjeker, Šekeleš (Schekelesch), Danunäer und Wašaš, verbündete Länder, legten ihre Hände auf alle Länder bis ans Ende der Welt; ihre Herzen waren zuversichtlich und vertrauensvoll: Unsere Pläne gelingen.“
Auszug aus der Inschrift im Totentempel des Ramses III. in Medinet Habu

Das klingt nicht gerade nach einer kleinen Zahl.

Nachweislich hat der Zusammenbruch der mykenischen Staatenwelt und der anschließende Einbruch der Dorer achäische Migrationen der dorischen Vorbevölkerung ausgelöst. Die Dorer selbst griffen nach Kreta aus und besetzten es, was zu weiteren Auswanderungen geführt hat.

Ob es nun konzertierte Aktionen der Seevölker gab, ist umstritten. Auf jeden Fall gab es um 1200 v. Chr. Migrationsbewegungen im östlichen Mittelmeerrraum, die wie ein Dominoeffekt wirkten. Was das Herhiterreich betrifft, so war es um 1200 v. Chr. bereits durch Thronkämpfe und innere Wirren erschüttert. Züge plündernder Gruppen aus der Ägäis mögen dem Reich den Rest gegeben haben. Die Hauptstadt Hattusa soll bereits vor Ankunft solcher Gruppen verlassen gewesen sein. In einer Inschrift des Merenptah heißt es:

"Die Länder der Hethiter fallen, wie beim Anblick nahender Windhunde, auf die Knie. Bleibende Angst für die Herzen der Mešweš, zerbrochen ist das Land Tjemhu. Lebu wurde aus unserem Ta Meri („Geliebtes Land“) verdrängt; es kann nun wieder die Strahlen von Aton sehen, weil das Unwetter über Kemet verjagt wurde."

Der US.Professor Assaf Ysur-Landau schreibt dazu in einer lesenswerten Publikation:

Zitat:Die Wanderung der "Seevölker", unter ihnen auch die Philister, von der Ägäis in die Levante während des frühen 12. Jh. v. Chr., ist eines der faszinierendsten Ereignisse in der Geschichte des Ostmittelmeerraums. Aus kulturgeschichtlicher Sicht ist es ein Wendepunkt, an welchem die Kluft zwischen dem Zusammenbruch der spätbronzezeitlichen Zvilisationen und dem Beginn der Ära der Nationalbewegungen überbrückt wird.

Eine Inschrift aus dem achten Regierungsjahr von Ramses III. in Medinet Habu (ca. 1175 v. Chr.) zeichnet ein dramatisches Bild der Ankunft der fremden Eroberer, die von "Inseln" (offenbar im ägäischen Raum) stammen und auf ihrem Weg durch Anatolien und Syrien in Richtung Ägypten eine Spur der Zerstörung hinter sich ließen. [...]

Während der ägyptische Bericht nicht als unparteiisches und unmittelbares Dokument akzeptiert werden sollte, haben Ausgrabungen in West- und Südanatolien (z.B. Bademgedigi Tepe und Tarsus), Zypern (z.B. Enkomi und Maa Palaeokastro), Syrien (z.B. Ras Ibn Hani) und Israel (z.B. Aschdod, Askalon und Ekron) einen dramatischen Anstieg in der Menge der lokal entstandenen ägäisch geprägten materiellen Kultur zu Beginn des 12. Jh. v. Chr. aufgedeckt.

Die Präsenz ägäischer Einwanderer kann aus dem Auftauchen ägäischer häuslicher Verhaltensmuster geschlossen werden: Essen wurde in Kochtöpfen ägäischer Art gekocht, Wein in Krateren mykenischen Stils gemischt und aus Skyphoi (schüsselartigen Gefäßen) getrunken. Auch die Textilherstellung änderte sich mit der Einführung des Webgewichts ohne Öse zum Aufhängen. Sogar die Wohnarchitektur wandelte sich, und Häuser in Zypern und Israel wurden mit rechteckigen Herdstellen ausgestattet - ein gemeinsamer Zug traditionller ägäischer Architektur der mykenischen Nachpalastzeit (Späthelladisch IIIC). Diese neuen ägäischen Merkmale gingen aber immer Hand in Hand mit dem Fortbestand der jeweils lokalen materiellen Kultur. Nur selten erscheinen sie in der unmittelbaren Folge der Zerstörung eines Ortes der Einheimischen.

Daher ist es wahrscheinlich, dass die ägäische Ansiedlung zumeist nicht gewaltsam verlief, wie von Ramses III. beschrieben, sondern dass sie hauptsächlich durch friedliche Koexistenz mit der lokalen Bevölkerung des Ostmittelmeerraums gekennzeichnet war.

Der genaue Grund für den Aufbruch einer beträchtlichen Zahl an Bewohnern der ägäischen Welt zur Kolonisierung des Ostens wird möglicherweise für immer im Dunkeln liegen. Möglich ist, dass innere Rivalität und Streit in der nachpalastzeitlichen Gesellschaft kulturelle Mobilität ermöglichte und Ansporn für Einzelne wie auch Gruppen bedeutete, ihr Glück auswärts zu versuchen. Die Ost- und Südbewegung wurde zweifellos durch den Untergang des Hethiterreichs und seiner Vasallenstaaten entlang der anatolischen und syrischen Küste kurt nach 1200 v. Chr, bedeutend vereinfacht.

Rückblickend stellt sich das Phänomen "Seevölker" als Erscheinung des unmittelbaren Beginns der Dark Ages Griechenlands dar und es beleuchtet die frühesten Anfänge der Wiederherstellung gesellschaftlicher Strukturen nach dem Ende der mykenischen Paläste. [...]

(Assaf Ysur-Landau, Die Seevölker, in: Zeit der Helden. Die "dunklen Jahrhunderte" Griechenlands 1200-700 v. Chr, Ausstellungskatalog, Karlsruhe 2008, S. 56 f.)

Für Ysur-Landau ist also auch der Zusammenbruch der spätbronzezeitlichen Zivilisationen im östlichen Mittelmeerraum die Ursache für den Aufbruch der Seevölker. Gemeint ist damit vor allem die Implosion der mykenischen Staatenwelt und der Zusammenbruch des Hethiterreichs. Ob zusätzlich wandernde Gruppen aus dem Norden des Balkans (Illyrer?, Thraker?) einen Dominoeffekt auslösten, ist denkbar.
(08.03.2016 16:17)Dietrich schrieb: [ -> ]Wie viele Menschen die so genannten Seevölker umfassten, ist natürlich nicht bekannt. Immerhin aber waren die wandernden Bevölkerungsgruppen so stark, dass sie wie die Philister einen Staat bilden konnten oder den Pharao in der berühmten Schlacht im Nildelta einen langen Kampf lieferten - bei dem sie allerdings unterlagen. Der Angriff der Seevölker veranlasste Ramses III. um 1180 zu diesem Text aus seinem Totentempel in Medinet Habu:

"15 Ich [Ramses III] schütze es [Ägypten], (16) indem ich (für es) die Neunbogen abwehre. Die Fremdländer vollzogen alle zusammen die Trennung von ihren Inseln. Es zogen fort und verstreut sind im Kampfgewühl die Länder auf einen Schlag. Nicht hielt irgendein Land vor ihren Armeen stand; und die Länder von Ḫatti, Qadi, Qarqemiš, Arzawa, (17) und Alasia an waren (nun) entwurzelt auf [einen Schlag]. Es wurde ein Lager aufgeschlagen an einem Ort im Inneren von Amurru. Sie vernichteten seine Leute und sein Land, als sei es nie gewesen. Sie kamen nun, indem die Flamme vor ihnen bereitet war, vorwärts gegen Ägypten, ihre Zwingburg (?). (18) Die Peleset, Tjeker, Šekeleš (Schekelesch), Danunäer und Wašaš, verbündete Länder, legten ihre Hände auf alle Länder bis ans Ende der Welt; ihre Herzen waren zuversichtlich und vertrauensvoll: Unsere Pläne gelingen.“
Auszug aus der Inschrift im Totentempel des Ramses III. in Medinet Habu

Das klingt nicht gerade nach einer kleinen Zahl.

Naja, wenn der Sieger über seinen Sieg berichtet, sollte man schon in Erwägung ziehen, dass die Anzahl der Gegner nicht ganz der Wahrheit entspricht. Denn es klingt doch immer besser, wenn der besiegte Gegner sehr viel größer dasteht als er war...

(08.03.2016 16:17)Dietrich schrieb: [ -> ]Nachweislich hat der Zusammenbruch der mykenischen Staatenwelt und der anschließende Einbruch der Dorer achäische Migrationen der dorischen Vorbevölkerung ausgelöst. Die Dorer selbst griffen nach Kreta aus und besetzten es, was zu weiteren Auswanderungen geführt hat. .

Ach, das gilt mittlerweile als erwiesen? Ich muss zugeben, es ist schon ein paar Jahre her, dass ich mich intensiv mit dem Thema beschäftigt habe, damals galt es noch als wahrscheinliche Hypothese.

(08.03.2016 16:17)Dietrich schrieb: [ -> ]Der US.Professor Assaf Ysur-Landau schreibt dazu in einer lesenswerten Publikation:...

(Assaf Ysur-Landau, Die Seevölker, in: Zeit der Helden. Die "dunklen Jahrhunderte" Griechenlands 1200-700 v. Chr, Ausstellungskatalog, Karlsruhe 2008, S. 56 f.)

Für Ysur-Landau ist also auch der Zusammenbruch der spätbronzezeitlichen Zivilisationen im östlichen Mittelmeerraum die Ursache für den Aufbruch der Seevölker. Gemeint ist damit vor allem die Implosion der mykenischen Staatenwelt und der Zusammenbruch des Hethiterreichs. Ob zusätzlich wandernde Gruppen aus dem Norden des Balkans (Illyrer?, Thraker?) einen Dominoeffekt auslösten, ist denkbar.

Das Buch werde ich mir auf jeden Fall besorgen, denn es scheint einige der Thesen aufzugreifen, mit denen ich mich bereits beschäftigt habe. Hat er auch eine Antwort darauf gegeben, was am Anfang dieser Zusammenburchskette gestanden hat?
(08.03.2016 17:00)Bunbury schrieb: [ -> ]Ach, das gilt mittlerweile als erwiesen? Ich muss zugeben, es ist schon ein paar Jahre her, dass ich mich intensiv mit dem Thema beschäftigt habe, damals galt es noch als wahrscheinliche Hypothese

Dass es an Ägyptens Grenzen um 1200 v. Chr. zu Auseinandersetzungen mit wandernden Volksgruppen kam, ist, so weit ich das beurteilen kann, unter Historikern weitgehend unumstritten. Ob es nun zu Koalitionen kam und wie weitreichend die gewesen sein könnten, ist heute nicht mehr zu entscheiden. Die Schlacht im Nildelta mit den Seevölkern ist von den Ägyptern selbst überliefert (s.o.).

Es gibt freilich auch die Hypothese, dass es überhaupt keine Wanderung gegeben hätte und die postulierten Seevölker ein Mythos seien. Das Reich der Hethiter sei danach allein durch innere Wirren oder einen Bürgerkrieg zugrunde gegangen, Mykene und die mykenische Kultur seien lediglich durch Naturkatastrophen und ebenfalls innere Unruhen ausgelöscht worden. Dem stehen allerdings die ägyptischen Quellen entgegen. Auch wenn dort lobpreisend geschrieben wird, so ist die Seeschlacht im Nildelta nach meiner Meinung nicht ins Reich der Fanatasie zu verweisen. Was für die Ägypter nach Koalitionen ausgesehen hat, war vermutlich ein Dominoeffekt, in dessen Verlauf weitere Bevölkerungsgruppen mitgerissen wurden.

Eine der Hypothesen geht so: Die Seevölkerbewegung ging über die Ägäis hinaus und spaltete sich in zwei Zweige: einer verlief über Kreta und Zypern, die beide erobert wurden, nach Palästina und Vorderasien hinein. Der andere Zweig stieß nach Kleinasien hinein, wo das Hethiterreich durch Druck von innen und außen unterging (vielleicht auch Troja?), und verlief von dort aus entlang der Mittelmeerküste über Syrien weiter nach Süden. Die Bilder in Medinet Habu zeigen hinsichtlich der Seevölker unter anderem Familien, die mit Ochsenkarren und Sack und Pack unterwegs waren.

Interessant sind die Namen der beteiligten Seevölker wie z.B. Akawa, Turus, Lukku, Schardin oder Sakalus, in denen man die späteren Tyrsener (Etrusker), Lykier sowie die späteren Besiedler Sardiniens und Siziliens erkennen möchte. Zu den Seevölkern zählen auch die "Pulsate" (auch: Peluschtim oder Pelest), die als "Philister" in Palästina ansässig wurden.

Falsch oder zweideutig ist die Aussage, dass die Kreter zu den Seevölkern zählten, da man ihnen zuzuschreibende Keramik in Vorderasien fand. Richtig ist vielmehr, dass Kreta vom Vorstoß der Seevölker getroffen und zerstört wurde (großer Brandhorizont um 1200 v. Chr.!) und Teile der kretischen Bevölkerung sich den Seevölkern anschlossen.

Ob und inwieweit diese Hypothesen und Spekulationen zutreffen, ist umstritten. Auf jeden Fall gab es in der Zeit zirka um 1200 v. Chr. Umwälzungen und Verschiebungen im östlichen Mittelmeerraum. In deren Verlauf ging um 1200 v. Chr. die mykenische Palastkultur unter, ferner das Reich der Hethiter, in Palästina wurden die Peleset/Philister als eines der Seevölker angesiedelt und in Palästina erscheinen die landnehmenden Hebräer.
(10.03.2016 15:21)Dietrich schrieb: [ -> ]Bürgerkrieg zugrunde gegangen, Mykene und die mykenische Kultur seien lediglich durch Naturkatastrophen und ebenfalls innere Unruhen ausgelöscht worden.

Historisch, archäologisch und sprachgeschichtlich lassen such Völkerwanderungen nachweisen.
So wird nachweislich in der heutigen Türkei kein hethitisch mehr gesprochen. Die Ursache ist die Einwanderung von Iranern, die sich in Verbindung mit Einheimischen zu den heutigen Kurden entwickelten.
Außerdem gab es weiter nördlich die Einwanderung von Proto-Armeniern, die sich unter Assimilierung auch der Hethiter zu den heutigen Armeniern entwickelten. Weiter im Westen können die Hethitisch verwandten Dialekte auch erst später verschwunden sein z.B. unter dem Einfluß der Einwanderung von Griechen und Galatern.
Hier wird nicht die Völkerwanderung generell in Frage gestellt, sondern nur, ob Völkerwanderungen für die Seevölkerstürme am Ende der Bronzezeit im östlichen Mittelmeer verantwortlich sind.

Und ich denke, wir sind hier weitestgehend der Meinung, dass das nicht der Fall ist...
(12.03.2016 11:04)Bunbury schrieb: [ -> ]Hier wird nicht die Völkerwanderung generell in Frage gestellt, sondern nur, ob Völkerwanderungen für die Seevölkerstürme am Ende der Bronzezeit im östlichen Mittelmeer verantwortlich sind.

Sicher ist, dass es Völkerverschiebungen im östlichen Mittelmeer um 1200 v. Chr. gab. Der Zusammenbruch der mykenischen Staatenwelt, die Wanderungen der Dorer und der Untergang des Hethiterreichs lösten Migrationen aus. Ein Beispiel dafür sind die Philister, die sich in dieser Zeit in Palästima niederließen, ferner die Seeschlacht von Ägyptern und Seevölkern, die ebenfalls gut durch ägyptische Quellen belegt ist.

Die Frage ist allerdings, ob Mykene durch einen Völkereinbruch vom nördlichen Balkan zusammenbrach, oder ob dafür innere Wirren oder gar ein Bürgerkrieg verantwortlich sind. Die Archäologen haben jedoch bis heute keine Funde gemacht, die auf eine Invasion von Kriegern aus dem Norden hindeuten.
Das deckt sich in etwa mit dem, was ich weiß. Die Wanderung erfolgte in die zusammengebrochenen Strukturen, verursachte sie aber nicht.
(14.03.2016 18:04)Bunbury schrieb: [ -> ]Das deckt sich in etwa mit dem, was ich weiß. Die Wanderung erfolgte in die zusammengebrochenen Strukturen, verursachte sie aber nicht.

Das ist exakt der gegenwärige Wissensstand.
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